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den Westgoten im allgemeinen ziemlich erträglich gewesen zu sein scheint. Was die Kriegsverfassung anlangt, so waren alle waffenfähigen Westgoten zum Kriegsdienst verpflichtet. Sie waren in Heeresmassen eingeteilt, an deren Spitze der Dux stand, dem zunächst der Comes und diesem wieder der Tiufad untergeordnet war, welch letzterer eine Abteilung von 1000 Mann (Tiufadie) befehligte. Um die gemachten Eroberungen in Gallien und Spanien [* 2] zu sichern, teilten die Westgoten die gewonnenen Ländereien in drei gleiche Teile, von denen sie zwei unter sich verteilten, den dritten aber den römischen Einwohnern als freien Eigentümern überließen.
Die entstandenen Teile hießen Sortes, und an ihnen konnte mehreren zugleich ein Gesamteigentumsrecht zustehen, welche dann Consortes hießen. Diejenigen Goten, denen bei der Teilung größere Anteile zugefallen waren, überließen diese wieder gegen gewisse Leistungen an geringere Leute. Kam ein solcher Besitzer seinen Verpflichtungen in Jahresfrist nicht nach, so verlor er Kaufpreis und Grundstück. Die vom König Belehnten schuldeten demselben Treue und besondere Dienstleistungen und hießen deshalb die Getreuen des Königs.
Eigentliche geregelte Versammlungen des Volkes oder der Großen finden wir bis zur Bekehrung der Westgoten zum Katholizismus nicht; erst dem katholischen Klerus gelang es, die jährlich abgehaltenen Synoden, zu denen auch die Großen und hohen Beamten des Reichs zugezogen wurden, in denen aber die Bischöfe durch ihre Zahl und ihre höhere Bildung das Übergewicht behielten, zu Reichstagen umzugestalten und diesen eine gesetzlich normierte Teilnahme in der Staatsverwaltung zu verschaffen.
Was die Gesetzgebung der Westgoten betrifft, so ließ zuerst Eurich die bestehenden Rechtsgewohnheiten sammeln und aufzeichnen; doch hatten diese nur für das herrschende Volk Gültigkeit, für die bezwungenen Römer [* 3] in Gallien und Spanien bestand das römische Recht fort, weshalb Eurichs Sohn und Nachfolger Alarich für die römischen Unterthanen das Breviarium Alaricianum (s. oben) abfassen ließ. Leovigild ließ 100 Jahre später Eurichs Gesetzgebung revidieren, und sein Sohn Reccared unternahm eine abermalige Revision, die sogen. Antiqua, welche in Bruchstücken erhalten ist (vgl. Fr. Blume, Die westgotische Antiqua, Halle [* 4] 1847). Aber erst als die letzten Spuren römischer Herrschaft von der Halbinsel verschwunden waren, gab Chindasuinth (641-649) durch Aufhebung des römischen Rechts der westgotischen Gesetzgebung und bürgerlichen Verfassung eine festere Gestalt.
Egiza schloß die Sammlung der Rechtssatzungen in der Gestalt ab, in welcher sie auf uns gekommen ist. Dieselbe umfaßt teils eigentliche Gesetze, welche von ausdrücklich in der Überschrift bezeichneten Königen herrühren, teils zahlreiche Stücke der Antiqua Reccareds oder der Überschrift ermangelnde Gesetze, welch letztere neben altgotischen Rechtsgewohnheiten auch römische und kirchliche Rechtssatzungen enthalten. Die Gerichtsverfassung der Westgoten entbehrte des alten germanischen Charakters, sofern nämlich die Einrichtung, welche die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten in die Hände aller Freien des Gaues legte, längst verschwunden war.
Der König übte als das Oberhaupt der Nation auch die höchste Gerichtsbarkeit aus und übertrug sie untergeordneten Richtern, welche als Herzöge, Grafen, Tiufaden, Millenarier, Quingentarier, Centenarier, Dekane zugleich den Oberbefehl im Krieg führten oder als Defensoren und Numerarien bürgerliche Ämter bekleideten. Neben diesen ordentlichen Richtern durfte der König für besondere Fälle noch außerordentliche (pacis assertores) ernennen, sowie es auch den Parteien freistand, sich durch Übereinkunft ihre Richter selbst zu wählen; doch kam der Vorsitz und die Entscheidung stets dem vom König ernannten oder von den Parteien erkornen Richter zu.
Vgl. Helfferich, Entstehung und Geschichte des Westgotenrechts (Berl. 1858);
Dahn, Westgotische Studien (Würzb. 1872);
Bluhme, Zur Texteskritik des Westgotenrechts (Bonn [* 5] 1872).
Geschichte der Ostgoten.
Kürzer, aber tragischer war die Rolle, welche die Ostgoten in der Weltgeschichte gespielt haben. Dieselben hatten sich, wie erwähnt wurde, um 370 beim Einfall der Hunnen diesen unterworfen. Einzelne Scharen hatten auch an den Kämpfen der Westgoten im oströmischen Reich teilgenommen und waren von Theodosius in Kleinasien angesiedelt worden; die Hauptmasse des Volkes blieb aber nördlich der Donau wohnen, gehörte zum Reich Attilas und nahm an dessen Kriegszügen, namentlich an der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (s. oben), teil.
Nach Attilas Tod (453) erhoben sich die Ostgoten unter der Anführung von drei tapfern Brüdern aus dem Haus der Amaler, Walamir, Theodemir, Widemir, erstritten am Fluß Netad in Pannonien, wo Attilas Sohn Ellak fiel, 454 ihre Selbständigkeit und schlugen in Pannonien, von Wien [* 6] bis Sirmium, ihre Wohnsitze auf. Hier hausten sie mehr als 30 Jahre unter vielerlei Kämpfen mit ihren Nachbarn und Kriegszügen in entferntere Länder, und hier ward, nachdem Walamir in einer Schlacht gefallen, Widemir zu den stammverwandten Westgoten nach Gallien gezogen war, nach Theodemirs Tod 475 Theoderich durch die einstimmige Wahl des Volkes auf den Thron [* 7] erhoben.
Unter ihm zogen sie nach der griechischen Halbinsel, um den Kaiser Zeno gegen Aufrührer zu unterstützen, wurden aber durch ihre Plünderungen und Gewaltthaten sehr unbequeme Freunde, und Theoderich erhielt daher von Zeno die Erlaubnis, nach Italien [* 8] zu ziehen, um dort Odoakers Herrschaft zu stürzen, gegen den Theoderich von dem vertriebenen Rugierfürsten Friedrich aufgereizt worden war. Anfang des Winters 488 sammelten sich die Ostgoten zu Novä in Niedermösien, im ganzen 200,000 Menschen, brachen sich mit dem Schwerte durch ihre frühere Heimat Pannonien, welches inzwischen die feindlich gesinnten Gepiden besetzt hatten, Bahn, überschritten die Julischen Alpen und überwältigten Odoakers Scharen am Isonzo [* 9] (489). Ein zweiter Sieg bei Verona [* 10] brachte ganz Oberitalien [* 11] in ihre Gewalt, als der Abfall von Bundesgenossen und der Einfall der mit Odoaker verbündeten Burgunder ihren Untergang herbeizuführen drohten.
Mit Mühe verteidigte sich Theoderich in seinem Lager [* 12] bei Pavia, bis die Westgoten ihm zu Hilfe kamen und eine dritte Schlacht an der Adda 490 zu gunsten der Ostgoten entschied. Odoaker flüchtete nach Ravenna und mußte, durch Hungersnot gedrängt, sich 493 den Ostgoten ergeben, die inzwischen ganz Italien erobert hatten. Der Kaiser von Ostrom erkannte Theoderich als König von Italien durch Übersendung der Reichskleinodien und Herrscherzeichen an, und wenn der neue König dem Kaiser auch einige Ehrenrechte zugestand, so trat er doch in allen wesentlichen Dingen als unabhängiger Herrscher auf und wußte in kurzer Zeit dem ostgotischen Reich durch energisches Auftreten und kluge Verhandlungen eine achtunggebietende Ausdehnung [* 13] zu verschaffen und es zur Schutzmacht für kleinere germanische Völker gegen die Angriffe habgieriger ¶
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Eroberer, namentlich Chlodwigs, zu erheben. Die Vandalen traten Sizilien [* 15] ab; im Nordosten bis zur Donau stellten sich die Heruler unter den Schutz der Ostgoten, in den Alpen [* 16] die Alemannen. Nach der Niederlage der Westgoten bei Voullon 507 schritt Theoderich zu gunsten derselben ein, rettete ihnen Septimanien und vereinigte die Provence mit seinem Reich (s. oben).
Vortrefflich war auch die innere Organisation des Reichs. Die Ostgoten bekamen den dritten Teil alles urbaren Landes in ganz Italien nebst der entsprechenden Anzahl Sklaven zur Bebauung. Sie hatten dafür allein die Ehre und Pflicht des Kriegsdienstes. Nur sie durften Waffen [* 17] tragen und sich zum Krieg vorbereiten. Ordnung, Waffenführung und Kampfart in dem Heer waren altgermanisch. Gotische Herzöge (duces) und Grafen (comites) befehligten in den Grenzländern. Der König blieb im Feld stets der alte Heerkönig und Kriegsfürst der Germanen.
Handel, Gewerbthätigkeit, Ackerbau und die Künste des Friedens waren den alten Bewohnern überlassen, deren Gesetzgebung, Rechtspflege und Steuerordnung unverändert blieben. Die altrömischen Ämter bestanden weiter und wurden mit Römern besetzt; römische Richter entschieden Streitigkeiten zwischen Römern, solche zwischen Goten und alten Einwohnern die Gotengrafen mit Zuziehung von rechtskundigen Römern. Unter dem Schutz des langen Friedens und der trefflichen Fürsorge des Königs blühte Italien von neuem auf.
Trotzdem wurde Theoderichs sehnlichster Wunsch nicht erfüllt: die beiden Völker verschmolzen nicht zu einem Ganzen. Die Goten bildeten eine durch Sprache, [* 18] Sitte, Rechtsgewohnheiten, am meisten aber durch ihre arianische Religion von den Römern streng geschiedene Kriegerkaste, auf deren ursprüngliche Kraft [* 19] und Sittenreinheit die überlegene römische Kultur nur einen verderblichen Einfluß ausübte. Die schädlichen Folgen des unversöhnlichen Gegensatzes zwischen den katholischen Römern und den arianischen Goten machten sich schon unter Theoderich fühlbar, trotz aller Milde und Versöhnlichkeit des Herrschers. Verschwörungen unter den vornehmsten, mit Ehren überhäuften römischen Beamten und Klerikern reizten den König zur Hinrichtung des Boethius und Symmachos, die den Haß gegen den »fluchwürdigen Ketzer« bei den Katholiken aufs höchste steigerte. An diesem Gegensatz ging das Ostgotenreich rasch zu Grunde, als nach des weisen, kräftigen Theoderich Tod (526) innerer Zwiespalt dasselbe zerrüttete und äußere Feinde auf dasselbe einstürmten.
Unter der Leitung seiner Mutter Amalasuntha sollte Theoderichs zehnjähriger Enkel Athalarich, der Sohn Eutharichs, eines edlen Goten aus dem Geschlecht der Amaler, Italien beherrschen. Aber die Bevorzugung der Römer durch Amalasuntha, ihre Vorliebe für römische Litteratur und Bildung erregten die Unzufriedenheit der angesehensten Goten; sie entrissen den jungen König den Händen der Mutter, um ihm eine nationale Erziehung zu geben, Athalarich versank aber in ein ausschweifendes Leben und starb schon 534. Amalasuntha rächte sich an ihren Gegnern durch Ermordung dreier Parteihäupter und suchte die Herrschaft zu behaupten, indem sie ihren Vetter Theodat, den letzten Amaler, zum Gemahl erwählte.
Theodat ließ schon 535 Amalasuntha im Bad [* 20] erwürgen und bemächtigte sich der Alleinherrschaft. Allein seine feige und doch nutzlose Selbsterniedrigung vor dem oströmischen Kaiser Justinian, der als Rächer der ermordeten Königin zu gleicher Zeit ein Heer in Dalmatien einbrechen und den Zerstörer des Vandalenreichs, Belisar, auf Sizilien landen ließ, und dem Theodat gegen eine Jahresrente seine Abdankung anbot, bewog die Goten, statt seiner den tapfern Vitiges auf den Thron zu erheben; Theodat wurde auf der Flucht nach Ravenna ereilt und ermordet (536). Währenddessen hatte Belisar, von den römischen Einwohnern als Befreier begrüßt, fast ohne Schwertstreich ganz Unteritalien erobert und sich im Dezember 536 auch Roms bemächtigt.
Ein ganzes Jahr lang (537-538) belagerte Vitiges mit einem Heer von 150,000 Goten die von Belisar geschickt und tapfer verteidigte Stadt; alle seine Versuche, mit Gewalt und List dieselbe in seine Gewalt zu bringen, scheiterten unter ungeheuern Verlusten, und er zog mit dem Reste des Heers nach Ravenna zurück. Auch beinahe ganz Mittel- und Oberitalien fiel nun den Oströmern zu. Ravenna brachte Belisar 539 in seine Gewalt, indem er scheinbar den Antrag der Goten annahm, ihr König zu werden.
Als er 540 von dem eifersüchtigen Kaiser abberufen wurde, brachte er Vitiges als Gefangenen und den reichen Schatz des Theoderich nach Konstantinopel. [* 21] Die enttäuschten Goten aber wählten Ildebald und nach dessen Ermordung 541 seinen Neffen Totilas zum König. Dieser sammelte die zerstreuten Reste der in Oberitalien unter seine Fahne, eroberte in raschem Siegeslauf Italien wieder mit Ausnahme weniger Städte und suchte die Römer durch Großmut und Menschlichkeit für sich zu gewinnen. 546 zog er auch in Rom [* 22] ein, das der 544 freilich mit ungenügenden Streitkräften wieder nach Italien gesendete Belisar vergeblich zu entsetzen versucht hatte.
Nach Belisars zweiter Abberufung 549 konnte Totilas auch Sizilien, Sardinien [* 23] und Corsica [* 24] seiner Herrschaft wieder unterwerfen. Justinian wies indes alle Friedens- und Bündnisanträge der Goten zurück und ließ in Dalmatien ein Heer rüsten, mit dem Narses 552 an der Meeresküste entlang nach Ravenna und von da auf der Flaminischen Straße nach Rom zog. Am Fuß der Apenninen bei Tagina stieß er im Juli 552 auf das Gotenheer unter Totilas, das nach tapferm Kampf besiegt ward; Totilas wurde auf der Flucht erschlagen.
Während Narses Rom eroberte und nach Kampanien vordrang, wurde in Pavia Tejas von den Goten auf den Königsschild erhoben. Tejas eilte nun in kühnem Zug durch ganz Italien seinem in Cumä von Narses belagerten Bruder Aligern zu Hilfe, kämpfte am Flusse Sarnus bei Neapel [* 25] 60 Tage lang tapfer gegen die Römer und fiel (552) im zweitägigen Verzweiflungskampf, den die Goten, vom Meer abgeschnitten und dem Hungertod preisgegeben, nur unternahmen, um einen ehrenvollen Tod zu finden.
Erst als der König und die angesehensten Führer gefallen waren, ergaben sich die Übriggebliebenen unter der Bedingung freien Abzugs. Auch Aligern überlieferte 553 Cumä dem griechischen Feldherrn. Ein Heer der Franken und Alemannen, welches in Italien einfiel, mehr um zu plündern, als um die Herrschaft der Goten wiederherzustellen, wurde im Frühjahr 554 am Volturnus vernichtet, und nun ergab sich die letzte von den Goten behauptete Festung [* 26] Campsa in Samnium 555. Die Reste des ostgotischen Volkes wurden in verschiedene Länder verschlagen und sind verschollen.
Der Römer Cassiodorus (s. d.) hat eine Geschichte der Goten geschrieben, in der er die Goten für identisch hielt mit den Geten (s. oben) und auf jene alle Sagen und Berichte übertrug, welche das Altertum über diese erzählt, und so die älteste Geschichte der Goten verwirrte und verdunkelte. Sein Werk ist verloren gegangen, ¶