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durch die Angelsachsen (s. d.) an, deren sich die unter der römischen Herrschaft des Kriegs entwöhnten Briten nicht zu erwehren vermochten. Die Einzelheiten der viele Jahrzehnte währenden blutigen Kämpfe, unter welchen diese Eroberung erfolgte, entziehen sich unsrer Kenntnis vollständig; Hengist und Horsa (s. d.) sind uns nur durch die Sage, aber durch keine glaubwürdigen und zeitgenössischen Berichte bekannt. Als dies Dunkel, das über der Geschichte Großbritanniens während 150 Jahre ruht, sich zu lichten beginnt, ist die Eroberung vollendet und die Insel zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden, aber lokal gesonderten Nationalitäten geteilt. Im Osten, Süden und Norden [* 2] der Insel bestehen eine Anzahl germanischer Staaten; die Briten, denen zwar das Christentum, sonst aber wenig vom römischen Wesen geblieben ist, sind in den Westen zurückgedrängt, nur in den Gebirgen von Wales und in den schottischen Hochlanden haben sie sich behauptet.
Vor allem durch Einen Umstand unterscheidet sich diese Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen von den meisten andern, welche in jenen Jahrhunderten von germanischen Völkern gemacht wurden: es kam hier zu keiner Trübung des germanischen Volkscharakters durch die Vermischung mit einer unterworfenen, aber den Siegern an Bildung überlegenen Bevölkerung, [* 3] wie sie die Franken in Gallien, die Westgoten in Spanien, [* 4] die Langobarden in Italien [* 5] erfuhren. Was von den Eingebornen nicht in den blutigen Kämpfen zu Grunde gegangen oder aus den eroberten Gebieten verdrängt war (und diese Überreste scheinen nur gering gewesen zu sein), blieb in strenger Unterwürfigkeit als eine Bevölkerung mindern Rechts, mit welcher der siegreiche Sachse nur in oberflächliche Verbindung trat. So kam hier die germanische Art zu reinerer und reicherer Entfaltung als in allen übrigen germanischen Reichen, ja als in Deutschland [* 6] selbst (s. Angelsachsen).
Von der großen Anzahl von verhältnismäßig wenig ausgedehnten Staaten, welche sich unmittelbar nach der Ansiedelung der Germanen in Großbritannien [* 7] gebildet hatten, blieben nach Verlauf der nächsten zwei Jahrhundert nur etwa sieben oder acht übrig, welche die andern in sich aufgenommen hatten; diese übrigbleibenden: Mercia, Kent (Ostkent und Westkent), Essex, Wessex, Sussex, Ostangeln (Eastanglia), Northumberland, bezeichnet man gewöhnlich als die angelsächsische Heptarchie, welcher Ausdruck indes nicht so verstanden werden darf, als ob zwischen diesen sieben Staaten ein ständiges Bundesverhältnis oder ein verfassungsmäßiger staatlicher Zusammenhang bestanden hätte. In allen diesen Staaten herrschte damals das Christentum, das man aus freier Entschließung der Könige und ihrer Großen angenommen hatte, und zwar in so engem Anschluß an die römische Kirche, daß die Anerkennung der päpstlichen Macht außer in Italien selbst kaum irgendwo solchen Vorschub erhalten hat als bei den Angelsachsen.
Eine neue Periode der angelsächsischen Geschichte begann zu Anfang des 9. Jahrh., als Egbert, König von Wessex, aus dem ruhmvollen Haus des Cerdic, der sich 13 Jahre lang am Hof [* 8] Karls d. Gr. aufgehalten hatte, nach seiner Rückkehr von dort die noch unabhängigen kleinen Königreiche unterwarf und mit Wessex vereinigte, so daß von nun an von einem Reich Anglia, einem Königtum aller Angelsachsen, die Rede sein konnte. Schon unter ihm, mehr aber noch unter seinen Nachfolgern wurde dies Reich von normännisch-dänischen Seeräubern angegriffen, welche immer aufs neue an den Küsten von Großbritannien landeten, tief in das Innere des Landes hinein verheerend und plündernd vordrangen und, nachdem sie um die Mitte des 9. Jahrh. festen Fuß gefaßt und mehr und mehr an Boden gewonnen hatten, dem angelsächsischen Staatswesen und dem Christentum den Untergang zu bereiten drohten. Von dieser Gefahr wurde Großbritannien durch Alfred d. Gr. (871-901) befreit, welcher die Dänen besiegte, unterwarf und, was das Wichtigste war, zum Christentum bekehrte, wodurch es ihm möglich ward, in seinem während der greuelvollen Kämpfe der letzten Jahre tief zerrütteten Staate durch eine weise Gesetzgebung und Verwaltung Recht und Ordnung wiederherzustellen.
Von Alfreds Nachfolgern war sein Urenkel Edgar (959-975) der bedeutendste und glücklichste; in einer seiner Urkunden rühmte er sich, seine Herrschaft weiter als irgend einer seiner Vorfahren, über die Inseln und Meere bis nach Norwegen [* 9] hin, ja über einen großen Teil von Irland, ausgedehnt zu haben. Aber schon unter seinem zweiten Sohn, Ethelred (dem Unberatenen, 978-1016), wurden die Angriffe der Dänen auf neue gefährlich; nur vorübergehend konnte man durch schmachvolle Tributzahlungen (das Danegeld) den Frieden erkaufen, und nachdem 1016 Ethelred und wenige Monate später sein tapferer Sohn Edmund (Eisenseite) gestorben waren, wurde der Dänenfürst Knut auf einer feierlichen Versammlung der angelsächsischen und dänischen Großen zu London [* 10] als König von England anerkannt; auf seinem Haupt vereinigte er außer der englischen auch die Kronen [* 11] der übrigen nordisch-skandinavischen Reiche.
Indessen erhielt sich diese Verbindung nicht über den Tod Knuts (1035) hinaus; noch Knut selbst hatte Bedacht darauf genommen, England unter einem seiner Söhne wieder selbständig zu stellen. Schon sieben Jahre später (1042) erlosch mit Harthaknut das Geschlecht der dänischen Eroberer, und indem die Großen den Bruder Edmunds, Eduard den Bekenner (1042-1066), zum König von England erhoben, kehrten sie noch einmal zu dem alten einheimischen Herrscherhaus zurück.
Als dann auch Eduard kinderlos gestorben war, wählten die Großen Harald, den Sohn Godwins, einen der Mächtigsten aus ihrer Mitte, zum König; allein Wilhelm, Herzog von der Normandie, ein entfernter Verwandter der Cerdikiden, dem aller Wahrscheinlichkeit nach Eduard eine Anwartschaft auf die Nachfolge zugesichert hatte, erhob jetzt Ansprüche auf die Krone, landete, vom Papst Alexander II. begünstigt, mit einem Heer von 60,000 Mann an der Küste von Großbritannien und erfocht 14. Okt. in der Schlacht bei Senlac oder Hastings einen entscheidenden Sieg über Harald, der gleich im Beginn des Kampfes fiel. Diese Schlacht machte der angelsächsischen Herrschaft in ein Ende, und 25. Dez. wurde Wilhelm der Eroberer zu London durch den Erzbischof von York zum König von England gekrönt.
Infolge dieser Ereignisse erhielt der nacheinander von Briten, Römern, Angelsachsen und Dänen besessene Boden Englands in den Normannen wiederum neue Beherrscher. Zwar waren auch diese ursprünglich germanischen Bluts, aber die anderthalb Jahrhunderte, welche seit ihrer Festsetzung auf französischem Boden unter Herzog Rollo (912) verflossen waren, hatten zur vollständigen Romanisierung der nordischen Eroberer hingereicht. Ihre Sprache [* 12] war ein Dialekt der französischen, ihre Sitten und Gewohnheiten waren erfüllt von dem frommen, kriegerisch-ritterlichen Geiste, der damals das kontinentale Europa [* 13] beherrschte und in den Kreuzzügen seinen ¶
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vollkommensten Ausdruck fand; ihre Geistlichkeit stand im engsten Anschluß an die römische Hierarchie; in ihrer Verfassung war das feudale System zu einer so vollständigen Herrschaft gelangt wie in keiner andern staatlichen Bildung der Zeit. So geschah es, daß sich lange Zeit die normännischen Sieger und die angelsächsischen Besiegten feindlich und in unvermitteltem Gegensatz gegenüberstanden, diese das Joch der Fremdherrschaft, widerwillig und immer zu Aufständen geneigt, nur trugen, weil sie mußten, jene die Zügel der Regierung um so strenger und fester anzogen, je mißtrauischer und argwöhnischer sie gegen die Unterthanen zu sein Veranlassung hatten. Es bedurfte einer jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte, bis allmählich die Gegensätze sich ausglichen und Angelsachsen und Normannen zu Einer Nation, der englischen, verschmolzen.
England unter Wilhelm dem Eroberer und seinen nächsten Nachkommen (1066-1154).
Die politische Geschichte der Regierung Wilhelms I. (1066-1087) bewegt sich in drei großen Kämpfen. Den ersten hatte er gegen die eingebornen Angelsachsen zu führen, welche an den verschiedensten Stellen Englands bald allein, bald mit fremder (schottischer und dänischer) Unterstützung das Banner der Empörung aufpflanzten und erst nach siebenjährigen, mit unerhörter Grausamkeit und Erbitterung geführten Kämpfen unterworfen wurden. Unmittelbar nachher, im J. 1074, brach gegen den König eine Verschwörung seiner eignen normännischen Barone aus, an deren Spitze Roger von Breteuil, Graf von Hereford, und Radulf von Guader, Graf von Norfolk, standen, die mit den vom König ihnen verliehenen Lehen nicht zufrieden waren, deren Aufstand aber schnell und mit Härte unterdrückt wurde. Im J. 1078 folgte endlich eine Empörung des Prinzen Robert, des ältesten Sohns von Wilhelm, welcher das Herzogtum der Normandie für sich beanspruchte: der Aufstand endete mit der Flucht des Sohns aus den väterlichen Reichen, verwickelte aber den König in Händel mit Frankreich, wo Robert Unterstützung gefunden hatte, und endlich in einen Krieg, in welchem Wilhelm infolge eines Sturzes von seinem Roß in Rouen [* 15] verstarb.
Die Zustände Englands beim Tode des Eroberers erkennt man am besten aus dem zwischen 1083 und 1086 verfaßten Domsdaybook oder Reichsgrundbuch, das eine Grundlage für die ältere Statistik Englands gewährt, wie sie kein andres Land besitzt, und aus dem wir von den damaligen Verhältnissen des Grund und Bodens fast eine genauere Kenntnis erlangen, als wir sie von den heutigen besitzen. Die daraus entwickelte, noch heute der Theorie nach geltende Grundmaxime des englischen Rechts ist, daß der König alleiniger Eigentümer des ganzen eroberten England ist, und daß niemand in seinem Reich Land besitzen kann, das er nicht mittelbar oder unmittelbar durch seine Verleihung erlangt hat.
Der König selbst besaß ein Reservat von ursprünglich mehr als 1000 manors, welche neben einer großen Anzahl von Jagden, Parken und Forsten die königliche Domäne bildeten. Ungefähr 600 Personen und Körperschaften erscheinen als weltliche und geistliche Kronvasallen (chief-tenants, tenentes in capite), welche unmittelbar vom König belehnt und mit größern Güterkomplexen, aber in sehr verschiedenem Maß, ausgestattet waren. Außerdem werden 7871 Afterlehnsleute, 10,097 Freisassen und 23,072 Sochemannen, d. h. Freie mindern Rechts, erwähnt.
Die unfreie, in verschiedenen Abstufungen der Abhängigkeit stehende Bauernschaft und das ländliche Gesinde werden zu etwa 200,000, die Zahl der Knechte auf 25,000 anzunehmen sein, so daß die gesamte ländliche Bevölkerung etwa 270,000 Haushaltungen gezählt haben wird. Nur in der ersten Klasse, der der Kronvasallen, sind fast ausschließlich Normannen zu finden; alle übrigen setzen sich aus ihnen und Angelsachsen zusammen. Die Bevölkerung vieler größerer Städte, wie London und Winchester, die übrigens durch die Eroberung sehr gelitten hatten, ist im Domsdaybook nicht angegeben, das nur 7968 Bürger aufzählt; bringt man sie mit in Anschlag, so wird man die Zahl der Haushaltungen auf etwa 300,000, die Gesamtbevölkerung Englands aber höchstens auf 2 Mill. Seelen schätzen können.
Die alte Einteilung des Landes in Grafschaften ward beibehalten; an der Spitze einer jeden stand ein Vizecomes oder Sheriff als oberster Beamter in militärischen, finanziellen, administrativen und Justizsachen, der vom König ernannt ward und absetzbar war. Wiederholt im Jahr versammelte der König seine Großen und Vasallen, geistliche wie weltliche, zu Hoftagen, auf denen wohl auch finanzielle Geschäfte erledigt, Recht gesprochen und über wichtige Angelegenheiten in Krieg und Frieden Rat gepflogen wurde. Aber man ist nicht berechtigt, in diesen Versammlungen eine Fortsetzung der angelsächsischen Reichstage oder Witenagemote zu suchen; das normännische Königtum ist ursprünglich kein konstitutionelles, parlamentarisch beschränktes, sondern eine persönliche Regierung im eigentlichsten Sinn des Wortes, von der nur die Kirche vermöge ihres kanonischen Rechts eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit bewahrte.
Auf Wilhelm den Eroberer folgte nach seinem Willen in der Normandie sein ältester Sohn, Robert, in England der zweite, Wilhelm II. (der Rote, 1087-1100), während der dritte, Heinrich, mit einer Geldsumme abgefunden wurde. Ein Aufstand der Barone in England, welche dasselbe nicht von der Normandie getrennt sehen wollten, zu gunsten Roberts wurde von dem König mit Hilfe der von ihm aufgebotenen und dadurch der Krone näher gebrachten angelsächsischen Bevölkerung bald unterdrückt.
Wilhelm bekriegte daraus den König Malcolm von Schottland, der seine Oberhoheit nicht anerkennen wollte, ließ 1093 ihn und seinen ältesten Sohn, Eduard, ermorden und gewann während der darauf in Schottland ausbrechenden Wirren Einfluß auf das Reich. Weniger glücklich waren seine Unternehmungen gegen die Walliser; dagegen erwarb er in Frankreich 1098 Le Mans, [* 16] verunglückte aber auf der Jagd, vielleicht ermordet. Die Versprechungen, gut und gesetzmäßig zu regieren, die er seinen Unterthanen wiederholt gegeben hatte, hat er nicht gehalten; hart und grausam lastete seine Hand [* 17] auf seinem durch Erpressung und Tyrannei schwer bedrückten Lande.
Da er keine Kinder hinterließ und Robert auf einem Kreuzzug begriffen war, so bestieg sein jüngster Bruder, Heinrich I. (Beauclerc, »der schöne Scholar«, oder Clericus genannt, 1100-35), den Thron. [* 18] Um sich denselben durch die Volksgunst zu sichern, bestätigte er in der sogen. Charta libertatum, einer Art von Wahlkapitulation, die alte angelsächsische Verfassung oder, wie man damals sagte, die Gesetze König Eduards mit den Zusätzen Wilhelms des Eroberers. Mit seinen angelsächsischen Unterthanen suchte Heinrich auch dadurch in ein besseres Verhältnis zu gelangen, daß er sich mit Mathilde, einer Urenkelin König Edmunds, vermählte. Als Robert von der Normandie die Krone von ¶