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ihrer alten Einrichtungen und Rechte, ihrer Sprache [* 2] und lutherischen Religion wurden die baltischen Provinzen dem russischen Reich einverleibt. Kurland [* 3] war ein russischer Vasallenstaat, seitdem Peters Nichte Anna Iwanowna zuerst als Gemahlin des Herzogs Friedrich Wilhelm, nach dessen frühem Tod in eignem Namen das Herzogtum regierte. Rußland trat jetzt an die Stelle Schwedens als die nordische Großmacht in Europa. [* 4] Peter d. Gr., der sich nach dem Nordischen Krieg »Kaiser u. Selbstherrscher aller Reußen« nannte, hatte während desselben die Umgestaltung Rußlands nach europäischem Muster fortgesetzt und erweiterte dessen äußere Macht gleich darauf in einem dreijährigen Krieg mit Persien [* 5] (1722-24), welches zur Abtretung der Landschaften Gilan, Masenderan und Astrabad gezwungen wurde.
Seinen einzigen Sohn, Alexei, der schon lange durch Trotz und störrisches Wesen und durch seine altrussischen Anschauungen die Liebe seines Vaters verscherzt und endlich, der väterlichen Strafreden müde, sich ins Ausland geflüchtet hatte, aber von dort in die Heimat zurückgebracht worden war, hatte Peter zum Tod verurteilen lassen (1718) und darauf einen Ukas gegeben, welcher die Bestimmung der Thronfolge dem regierenden Herrscher überließ; noch ehe er aber eine Verfügung getroffen, starb er ohne Testament.
Die Nachfolger Peters des Großen (1725-62).
Durch die Entschlossenheit Menschikows, der den Oberbefehl über die Truppen der Hauptstadt führte, wurde Peters Gemahlin Katharina I. (1725-27) auf den Thron [* 6] erhoben. Als sie schon nach zwei Jahren starb, folgte nach Bestimmung ihres wenn auch angezweifelten Testaments der Sohn des Zarewitsch Alexei, Peter II. (1727-30), besonders durch die Unterstützung Menschikows, der unter dem unmündigen Fürsten noch höher zu steigen hoffte. Aber seine hochfliegenden Pläne nahmen ein schnelles Ende. Er verlor die Gunst des Kaisers und wurde nach Sibirien verbannt, worauf die Dolgorukijs den Zaren und das Reich in altrussischem Sinn beherrschten.
Peter wurde nach Moskau [* 7] zurückgeführt, Katharina Dolgorukij ihm verlobt, und schon war der Hochzeitstag bestimmt, als Peter II. an den Blattern erkrankte und starb Die Mitglieder des Obersten Geheimen Rats, in welchem die Dolgorukijs und Galizyns den maßgebenden Einfluß übten, riefen die zweite Tochter von Peters d. Gr. älterm Bruder, Iwan, Anna Iwanowna (1730-40), bisher Herzogin von Kurland, als Zarin aus, nötigten ihr aber das Versprechen ab, nichts ohne Mitwirkung des Geheimen Rats zu thun.
Sobald sie jedoch im Besitz der Gewalt war, vereitelte Anna den Versuch der Großen, Rußland in eine Adelsrepublik zu verwandeln, durch einen Staatsstreich, verbannte die Dolgorukijs und Galizyns und übertrug die oberste Leitung der Geschäfte ihrem Günstling Biron, dem tüchtige Männer aus der Schule Peters d. Gr., wie Ostermann und Münnich, zur Seite standen. Der Geheime Rat wurde aufgehoben und unter Ostermanns Vorsitz das Kabinett errichtet, welches über alle wichtigen Angelegenheiten des Staats zu entscheiden hatte.
Im Bund mit Österreich, [* 8] mit dem Rußland schon im polnischen Erbfolgekrieg eine nahe Beziehung angeknüpft hatte, wurde ein Türkenkrieg (1735-39) unternommen, in welchem Münnich bis an die Küste des Schwarzen Meers vordrang, Asow eroberte, nach Erstürmung der Linien von Perekop in die Krim [* 9] einrückte und sich Otschakows an der Mündung des Dnjepr sowie nach einem Sieg über die Türken bei Stawutschani des festen Chotin am Dnjestr bemächtigte (August 1739). Aber Österreich führte den Krieg lässig und ungeschickt und schloß den übereilten Frieden von Belgrad; [* 10] Rußland mußte demselben beitreten und seine Eroberungen außer Asow, das jedoch geschleift wurde, herausgeben. Die von Peter I. eroberten persischen Provinzen Gilan, Masenderan und Astrabad wurden wegen der großen Kosten ihrer Verwaltung gegen Handelsbegünstigungen freiwillig an Persien zurückgegeben.
Anna starb nachdem sie ihren unmündigen Großneffen Iwan (1740-41), den Sohn ihrer mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig [* 11] vermählten Nichte Anna Leopoldowna, unter Birons Regentschaft zum Nachfolger bestimmt hatte. Aber schon 19. Nov. wurde Biron durch einen von Münnich ins Werk gesetzten Staatsstreich gestürzt und nach Sibirien verbannt, worauf Anna Leopoldowna die Regentschaft übernahm, ihren Gemahl Anton Ulrich zum Oberbefehlshaber der Landarmee und den Grafen Münnich zum Premierminister ernannte.
Anna zeigte sich ihrer Stellung nicht gewachsen, und da sie sich in der auswärtigen Politik ganz an Österreich anschloß, trat Münnich im März 1741 zurück. Durch eine vom französischen Gesandten La Chetardie angezettelte Verschwörung wurde Annas Herrschaft gestürzt, sie selbst mit ihrem Gemahl verbannt, Iwan in den Kerker geworfen und Münnich, Ostermann und andre hochgestellte Männer zum Tod verurteilt, aber auf dem Schafott zur Verbannung nach Sibirien begnadigt. Darauf riefen die Verschwornen Peters d. Gr. Tochter Elisabeth (1741-62) als Kaiserin aus.
Von Frankreich angestiftet, hatten die Schweden [* 12] schon im Sommer 1741 einen Krieg gegen Annas Regierung begonnen, waren aber bei Wilmanstrand geschlagen worden. Noch unglücklicher verlief der Krieg für sie 1742, indem sie die Festung [* 13] Frederikshamn mit bedeutenden Vorräten preisgeben und ein schwedisches Heer von 17,000 Mann im September 1742 in Helsingfors die Waffen [* 14] strecken mußte. Fast ganz Finnland fiel in die Hände der Russen, wurde aber im Frieden von Abo an Schweden zurückgegeben, nachdem der schwedische Reichsrat auf Wunsch Elisabeths den Oheim des russischen Thronfolgers, den Herzog Adolf Friedrich von Holstein, zum schwedischen Thronfolger gewählt hatte; nur Kymmenegård und Nyslott behielt Rußland.
Der Hof [* 15] Elisabeths in Petersburg [* 16] war ein Tummelplatz der Ränke der europäischen Höfe und der leitende Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Graf Bestushew, fremden Einflüssen zugänglich. Von England bestochen, trat er im österreichischen Erbfolgekrieg auf dessen und Österreichs Seite und wirkte durch Aufstellung russischer Heere auf das Zustandekommen der Friedensschluß von Dresden [* 17] und Aachen [* 18] ein. Auch im Siebenjährigen Krieg (1756-63) stand Elisabeth aus Haß gegen Friedrich II. auf Österreichs Seite, ja sie betrieb mit besonderm Eifer den Kampf, in dem sie Ostpreußen [* 19] zu erwerben hoffte. Nachdem der russische General Apraxin nach dem Sieg bei Großjägersdorf über Lehwaldt Ostpreußen besetzt, aber voreilig wieder geräumt hatte, fiel 1758 ein russisches Heer unter Fermor in Brandenburg [* 20] ein; zwar wurde es 25. Aug. bei Zorndorf zurückgeschlagen, doch behielten die Russen Ostpreußen besetzt, siegten bei Kunersdorf [* 21] und eroberten 1761 auch Hinterpommern mit Kolberg. [* 22] ¶
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In der innern Verwaltung des Reichs waren die Brüder Iwan und Peter Schuwalow Elisabeths vorzüglichste Ratgeber. Zunächst wurde der lange Zeit in den Hintergrund gedrängte Senat Peters d. Gr. wiederhergestellt, die den Handel und die Industrie behindernden Zölle innerhalb des Reichs aufgehoben, die Außenzölle dagegen erhöht; die fremde Einwanderung, namentlich die von Serben in den südlichen Steppen, wurde befördert, 1755 in Moskau die erste russische Universität, 1758 die Akademie der Künste in Petersburg gegründet und die Akademie der Wissenschaften daselbst (seit 1726 bestehend) reorganisiert. Auch einige Gymnasien wurden errichtet. Prächtige Bauten, wie das Winterpalais in Petersburg, der Palast und die Kirche zu Zarskoje Selo, erhoben sich, das erste russische Theater [* 24] ward eröffnet. Französische Sitten und Gebräuche wurden ebenso wie die französische Sprache am Petersburger Hof herrschend.
Nach Elisabeths Tod folgte ihr der Sohn von Peters d. Gr. zweiter Tochter, Anna Petrowna, der Herzog Peter von Holstein-Gottorp, als Peter III. Derselbe, ein ebenso leidenschaftlicher Verehrer Friedrichs d. Gr., wie Elisabeth eine Feindin desselben gewesen war, schloß nicht nur sofort mit Preußen [* 25] Waffenstillstand, sondern 5. Mai auch ein Schutz- und Trutzbündnis, bewog auch Schweden, Frieden zu schließen, räumte Pommern [* 26] und Ostpreußen ohne jede Entschädigung und schickte Friedrich ein Hilfsheer.
Diese Preisgebung aller in dem langen und kostspieligen Krieg errungenen Vorteile erregte im Heer Unzufriedenheit, die Peter III. durch übereilte Neuerungen im Heerwesen steigerte. Da er gleichzeitig die Geistlichkeit durch Reformen in ihrem Einfluß beeinträchtigte, so entstand allgemeine Unzufriedenheit, die seine Gemahlin Katharina, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die in gespanntem Verhältnis mit ihm lebte, und die er mit Scheidung und Verweisung in ein Kloster bedroht hatte, benutzte, um ihn durch einen Militäraufstand vom Thron zu stoßen; der gestürzte Zar wurde 17. Juli im Schloß Ropscha von einigen Verschwornen ermordet.
Die Regierung Katharinas II. (1762-96).
Katharina II., als Kaiserin und Selbstherrscherin proklamiert, widmete sich anfangs besonders der innern Verwaltung des Reichs. Als Anhängerin der damals herrschenden Aufklärung wollte sie Rußland der westlichen Kultur öffnen und alle materiellen und geistigen Kräfte zur vollsten Entwickelung bringen. Sie teilte das Reich von neuem in 50 Gouvernements, die wieder in Kreise [* 27] zerfielen, und zog auch Kleinrußland und das Gebiet der Saporogischen Kosaken in diese Einteilung.
Eine neue Städteordnung (1785) setzte an die Spitze der Städte einen Rat, der aus dem von den Bürgern gewählten Stadthaupt (Bürgermeister) und mehreren Mitgliedern bestand. Die Kaufleute wurden in drei Gilden, die Handwerker in Innungen oder Zünfte geteilt, die Vorrechte des Adels festgestellt und bestätigt. Um das höchst mangelhafte Justizwesen zu verbessern, berief Katharina, welche auch die Tortur abschaffte, 1766 eine Kommission rechtsverständiger Mitglieder aus allen Provinzen, um ein neues Gesetzbuch auszuarbeiten, das aber nicht vollendet wurde.
Die Kirchengüter zog sie ein und ließ sie durch eine eigne Behörde, das Ökonomiekollegium, verwalten, welches den Geistlichen einen bestimmten Gehalt zahlte und den Überschuß der Einkünfte für wohlthätige Zwecke verwendete. Sie gründete Armen-, Kranken- und Findelhäuser und führte die Kuhpockenimpfung ein. Ihre religiöse Duldung zeigte sie den Raskolniken gegenüber, und Künste und Wissenschaften fanden bei ihr freigebige Unterstützung. Gelehrte und Künstler wurden zu ihrer Ausbildung ins Ausland gesandt, die geistlichen Seminare vermehrt und erweitert, Gymnasien und Militärschulen errichtet, sogar 1783 eine russische Akademie zur Ausbildung der nationalen Sprachen gestiftet; in allen bedeutenden Städten und in vielen kleinern Ortschaften wurden Volksschulen eingerichtet, für welche die nötigen Lehrer in einem zu diesem Behuf 1778 geschaffenen Oberschulkollegium gebildet wurden.
Gleich im ersten Jahr ihrer Regierung lud Katharina durch ein Manifest Ausländer zur Niederlassung in ihrem Reich ein und setzte zur Leitung der Kolonisation eine eigne Behörde nieder; in den Gouvernements Petersburg und Saratow siedelten sich auch zahlreiche deutsche Einwanderer an. Für Hebung [* 28] der Industrie und des Handels sorgte sie durch Abschaffung vieler Monopole und Vermehrung der Wertzeichen, durch Förderung der Schiffahrt und durch Handelsverträge mit den auswärtigen Staaten. Nicht immer und überall wurden ihre guten Absichten gewürdigt, vielmehr rief die Unzufriedenheit mit manchen Neuerungen wiederholt Unruhen hervor, unter denen der Aufstand Pugatschews (s. d.) 1773-74 wirklich gefährlich wurde.
In der auswärtigen Politik richtete Katharina zunächst ihr Augenmerk auf Polen, das sie ganz unter russischen Einfluß bringen wollte, um hierdurch seine völlige Einverleibung in Rußland vorzubereiten. Sie bewirkte 1764 die Wahl ihres Günstlings Stanislaus Poniatowski zum König von Polen und führte durch ihre Einmischung zu gunsten der Dissidenten den Aufstand der Konföderation von Bar herbei, bei dessen Niederwerfung russische Truppen mitwirkten. Als diese bei der Verfolgung der Konföderierten die türkische Stadt Balta in Brand steckten, erklärte der Sultan den Krieg. In diesem ersten russisch-türkischen Krieg (1768-74) siegten die Russen am Fluß Larga und bei Kartal (1. Aug.), eroberten einen Teil Bessarabiens und 1771 die Krim, wo die Tataren den von ihnen eingesetzten Chan anerkennen mußten, vernichteten 5. Juli bei Tschesme, gegenüber von Chios, die türkische Flotte, überschritten Ende 1771 auch die Donau und schlugen die Türken 21. Okt. bei Babadagh in Bulgarien. [* 29] Nach einer Unterbrechung durch den Waffenstillstand und die Friedensverhandlungen von Fokschani (1772) wurde der Krieg in Bulgarien 1773-74 mit wechselndem Erfolge fortgesetzt und durch den Frieden von Kütschük Kainardschi beendet, durch welchen Rußland das Land zwischen Dnjepr und Bug, die Städte Kinburn, Kertsch, Jenikale und Perekop in Taurien erwarb, ferner das Recht freier Schiffahrt auf dem Schwarzen und Marmarameer und der Durchfahrt durch die Dardanellen, endlich die Schutzherrschaft über die Moldau und Walachei erhielt.
Inzwischen hatte sich Katharina infolge der Vereinigung Preußens [* 30] mit Österreich 1772 zu der ersten Teilung Polens verstehen müssen, in welcher sie Weißrußland gewann. Der bayrische Erbfolgekrieg gab ihr aber bald Gelegenheit, die deutschen Mächte ihren Einfluß fühlen zu lassen, und 1780 gewann sie den Kaiser Joseph II. für ein Bündnis, welches ihr die Türkei [* 31] preisgab. Nachdem ihr Günstling Potemkin 1783 die Tataren auf der Krim mit blutiger Gewalt unterworfen und diese Halbinsel nebst den Nachbarländern mit Rußland vereinigt hatte, begann die Kaiserin nach einer zweiten Zusammenkunft mit ¶