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JacquesHenriBernardin de, ausgezeichneter franz. Schriftsteller, geb. zu
Havre,
[* 2] genoß eine freie, aber sehr unregelmäßige
Erziehung, machte frühzeitig weite und abenteuerliche
Reisen, immer von
dem Verlangen erfüllt, irgendwo seine ideale
Republik, wie er sie in der »Arcadie«
(Angers 1781) beschreibt, zu gründen,
war bald in französischen, bald in russischen
Diensten, in
Polen,
Preußen
[* 3] und auf der
Isle de France, aber
nirgends ließ ihn sein unruhiger
Geist verweilen, bis er endlich 1771, von allen Hilfsmitteln entblößt, aber reich an
Erfahrungen
und
Beobachtungen, sich in
Paris
[* 4] niederließ.
um so größern aber
die »Études de la nature« (Par. 1784, 3 Bde.),
in denen er die Vorliebe seiner Zeit für die
Natur und ihren
Haß gegen die gesellschaftlichen
Mißbräuche auf das glücklichste
traf, ein Werk, wissenschaftlich zwar wertlos, aber durchglüht von
Begeisterung und tiefem religiösen
Gefühl für die
Herrlichkeit der
Natur und in glänzender, reiner
Sprache.
[* 5]
Von der größten Bedeutung für diese
Studien war
sein
Verkehr mit J. J.
Rousseau gewesen, der bis zu dessen
Tod ein inniger blieb. Der vierte
Band
[* 6] dieser »Études« (1787) enthält
das unzählige
Male aufgelegte, in fast alle
Sprachen übersetzte reizende
Idyll
»Paul et Virginie« (deutsch
unter andern von
Eitner, Hildburgh. 1866), in welchem sich alle Vorzüge des Dichters und Schriftstellers
vereinigt finden, und welches seinen
Ruhm so vermehrte, daß er zum
Lehrer des
Dauphins designiert, zum Nachfolger Bussons ^[richtig:
Buffons] in der Leitung des botanischen
Gartens gewählt und zum
Professor der
Moral an die neugegründete
Normalschule berufen wurde,
Ämter, denen er in keiner Beziehung gewachsen war, und die er bald aufgeben mußte.
Nachdem er 1795 Mitglied des
Instituts geworden war und 1798 durch eine
Pension von 8000
Frank in die sorgenfreie
Lage versetzt
war, nach der er sich sein ganzes
Leben hindurch gesehnt hatte, starb S. auf seinem
Landgut
Eragny bei
Paris. Unserm
Gefühl widerstrebt in seinen Werken die ewige
Sentimentalität und der
Schwulst in
Gefühlen und
Ausdrücken,
worin sich jene Zeit nicht genugthun konnte; aber er bleibt für uns der Hauptvertreter Rousseauscher
Ideen.
Vortrefflich sind wegen ihrer frischen Natürlichkeit und der feinen
Satire die beiden
Erzählungen: »La
chaumière indienne« (1790) u. »Le
[* 7] café
de
Surate«;
die 1796 erschienene Fortsetzung der »Études«, die
»Harmonies de la nature« (3 Bde.),
»Récits de voyage« u. a. Von seiner ersten
Frau blieben S. zwei
Kinder,
Paul und Virginie;
seine zweite vermählte sich nach seinem
Tod mit Aimé
Martin, welcher die
»Œuvres complètes«
(Par. 1813-20, 12 Bde.),
die »Correspondance« (1826, 4 Bde.),
die
»Œuvres posthumes« (1833-36, 2 Bde.) und die
»Romans, contes, opuscules« (1834, 2 Bde.) Saint-Pierres
herausgab, in der
Biographie (1826) aber ein übertrieben günstiges
Bild von ihm zeichnete.
(spr. ssäng-pong, S. de Thomières), Arrondissementshauptstadt im franz.
DepartementHérault, am Südabhang der
Monts de l'Espinouse, mit kleinem
Seminar, Eisenbergwerken, Marmorbrüchen,
Wollspinnerei, Fabrikation von
Tuch und Wolldecken und (1886) 2822 Einw.
(spr. ssänng-prih oder -priäst),Alexis Guignard,
Graf, franz.
Diplomat und
Historiker,
geb. zu
Petersburg,
[* 10] wo sein
Vater als
Emigrant im höhern
Staatsdienst stand, wurde in
Odessa
[* 11] erzogen und wandte sich
dann nach
Paris. Er bekleidete nacheinander Gesandtschaften am brasilischen, portugiesischen und dänischen
Hof
[* 12] und trat 1841 in
die französische Pairskammer. Er starb auf einer
Reise inMoskau
[* 13] Von seinen
Schriften sind
hervorzuheben: »Histoire de la royauté« (Par. 1842, 2 Bde.);
»Histoire de la chute des Jésuites au XVIII. siècle, 1750-82« (das. 1844);
(spr. ssäng-kangtäng),Arrondissementshauptstadt im
franz.
DepartementAisne, an der
Somme, am
Kanal von St.-Quentin (s. unten) und an der Nordbahn (Paris-Brüssel, mit Zweigbahnen
nach
Guise und Roisel), ist gleich den drei Vorstädten gut gebaut; die frühern Festungswerke sind jetzt in
Promenaden umgewandelt.
Unter den öffentlichen Gebäuden zeichnen sich die gotische Kollegiatkirche mit alter
Krypte und das
gotische Stadthaus mit schöner
Fassade aus. S. zählt (1886) 44,642 Einw., ist eine der gewerblichsten
Städte des nördlichen
Frankreich, besitzt Spinnereien und
Webereien für
Baumwolle
[* 16] und Schafwolle,
Hand- und Maschinenstickereien,
Bleichereien und
Appreturen; außerdem Maschinenbauanstalten,
Fabriken für
Rübenzucker,
Hüte,
Papier,
Seife und
Bier. Die Stadt
treibt auch lebhaften
Handel mit Industrieerzeugnissen sowie mit Schlachtvieh,
Pferden,
Getreide
[* 17] etc. Sie
ist Sitz eines Handelsgerichts, hat ein
Lyceum, eine
Bibliothek von 15,000
Bänden, eine
Handels-, eine Ackerbaukammer und eine
Filiale der
Bank von
Frankreich. Der
Kanal von
¶
mehr
S. nimmt seinen Ursprung aus der Schelde bei Cambrai und führt zur Somme über S. bis St.-Simon, wo er mit dem Sommekanal und
dem Kanal von Crozat in Verbindung steht. - S., im Altertum Samarobriva, unter den RömernAugusta Veromanduorum, erhielt seinen
jetzigen Namen von dem heil. Quintin, welcher bei der Predigt des Christentums 287 daselbst das Martyrium
erlitt, und dessen Gebeine 825 nach S. gebracht wurden. Es wurde Hauptstadt der GrafschaftVermandois, fiel mit dieser 1215 an
die französische Krone, ward aber 1435 im Frieden von Arras
[* 19] an Burgund abgetreten und erst 1477 wieder französisch. 1557 wurde
S., nachdem ein Entsatzheer unter Montmorency10. Aug. von Egmond geschlagen worden (erste Schlacht bei S.),
nach tapferer Verteidigung durch AdmiralColigny28. Aug. von den Spaniern unter dem Herzog von Savoyen erobert, aber im Frieden 1559 an
Frankreich zurückgegeben. Am ergab sich die Festung
[* 20] an die Russen unter Geismar. - Im Krieg von
1870/71 wurde S. wiederholt von den deutschen Truppen besetzt, aber, da es nicht befestigt war, auch wieder geräumt, so
als Faidherbe mit der französischen Nordarmee (22. und 23. Korps) in stärkern Massen gegen S. vorging. Da sich herausstellte,
daß dies einen Vorstoß auf Laon einleiten sollte, so warf General v. Goeben, Oberbefehlshaber der ersten
deutschen Armee, seine an der Somme von La Fère bis Amiens
[* 21] verteilten Streitkräfte alle dem Feind nach S. entgegen.
Die DispositionGoebens für die Schlacht bestimmte bloß, daß sämtliche Abteilungen morgens 8 Uhr
[* 22] antreten und in der Richtung
auf S. den Feind angreifen sollten. Dies geschah, und in siebenstündiger heißer Schlacht (zweite Schlacht bei S.) wurde der
Feind aus allen seinen Positionen vor S. zurückgeworfen, der linke Flügel in die Stadt, der rechte auf
die Straße nach Cambrai. Um 6 Uhr gelang es nach Erstürmung des Bahnhofs, von Südosten her in die Stadt selbst einzudringen,
während auf der Westseite infolge hartnäckigern Widerstandes der Franzosen, welche Verstärkung
[* 23] erhielten und vor allem ihren
Abzug, besonders der Artillerie, nach Cambrai zu decken suchten, der Kampf noch eine Stunde länger dauerte.