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Seelen der Bevölkerung, [* 1] gewählt und alle vier Jahre erneuert. Oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von neun Mitgliedern, der nach jeder Gesamterneuerung der Legislative neu bestellt wird. In den Amtsbezirken wird derselbe durch einen Regierungsstatthalter vertreten, der auf doppelten Vorschlag der Wahlversammlung des Amtsbezirks und auf doppelten Vorschlag des Regierungsrats durch den Großen Rat zu wählen ist. Höchste richterliche Behörde ist ein Obergericht, aus höchstens 15 Mitgliedern bestehend; dasselbe wird durch den Großen Rat gewählt und je nach vier Jahren zur Hälfte erneuert. Die Amtsgerichte werden durch die Wahlversammlungen der Bezirke bestellt, ihre Präsidenten durch den Großen Rat. Für Kriminal-, politische und Preßvergehen bestehen Geschwornengerichte. In Kommunalsachen gilt die Gemeinde als autonom.
Zufolge der Staatsrechnung für 1883 betrugen die Einnahmen 20,925,908 Frank (darunter: direkte Steuern 3,685,078, Salz [* 2] 1,805,463, Wirtschaftspatente etc. 1,123,160, Ohmgeld 1,084,528 Fr.); die Ausgaben 20,900,005 Fr. (darunter Erziehung 1,998,403, Bauwesen 1,701,549, Justiz und Polizei 1,749,012 Fr.). Das Stammvermögen belief sich Ende 1883 auf 156,930,431 Fr. Aktiva und 107,290,315 Fr. Passiva, mithin wirkliches Vermögen 49,640,116 Fr., ungerechnet 4,161,408 Fr. an Spezialfonds. Das Kantonswappen: ein roter Schild, [* 3] worin im goldenen Rechtsschrägbalken ein schwarzer Bär schreitet (s. Abbildung). Eingeteilt wird der Kanton [* 4] in 30 Amtsbezirke.
Die Stadt Bern
,
in 540 m Meereshöhe gelegen, ist zwar immer noch Sitz und
Zentrum reicher Patriziergeschlechter, aber
eine Handelsstadt im gewöhnlichen
Sinne nicht mehr. Dennoch laufen mehrere
Eisenbahnen (die
Linien
Olten-Bern-Thun, Bern
-Luzern,
Jura-Bern und Bern
-Lausanne) hier zusammen, eine
Folge ihrer
Lage und ihrer
Eigenschaft als Bundeshauptstadt. Sie wird auf drei
Seiten von der tief gebetteten
Aare umrauscht und ist eine der schönsten Schweizerstädte wegen der massiven,
stolzen
Wohnhäuser,
[* 5] der breiten, geraden
Straßen und Wege, der
Arkaden oder Bogengänge
(»Lauben«),
welche an den
Häusern zu
beiden Seiten der
Straße sich hinziehen. Von der
Plattform aus, 30 m über der
Aare, genießt man eine herrliche Aussicht auf
die
Alpen.
[* 6] Unter den Sehenswürdigkeiten steht der Bundespalast, ein neuer Prachtbau auf weit schauender
Terrasse, mit zwei
Flügeln und vor dem Eingang des Mittelbaues durch das eherne Standbild der Berna
(von R.
Christen) geschmückt,
obenan. Diesem Gebäude (1852-57 nach den
Plänen von Kubli und
Stadler gebaut) reihen sich das ehrwürdige (reformierte)
Münster
[* 7] im spätgotischen
Stil mit unvollendetem
Turm und
[* 8] schönem
Portal, das Bürgerspital, das
Kunst- und das naturhistorische
Museum, das
Gymnasium, das Frauenspital, die
Blindenanstalt und das Verwaltungsgebäude der
Jura-Bern-Luzerner
Bahn, verschiedene
vornehme
Hotels, die 1841-44 erbaute Nydeck-, die 1883 erbaute prächtige Kirchenfeldbrücke (s. Tafel
»Brücken«)
[* 9] und die
Eisenbahnbrücke an. Außerhalb der Stadt sind sehr bemerkenswert die Militäranstalten
auf dem Beundenfeld und das neue Inselspital bei der
Linde. Eine prachtvolle
Fontäne sprudelt beim
Bahnhof. Auf dem Platz vor
dem
Münster steht das Denkmal
Rudolfs von
Erlach, des Siegers in der
Schlacht bei
Laupen. Ein andres Denkmal ist das
Bertholds
V. von
Zähringen (auf der Münsterterrasse), des
Gründers von
[* 10] und aus
der großen
Schanze dasjenige des
Bundespräsidenten
Stämpfli. Die Stadt zählt (1880) 44,087 Einw. (darunter 3456 Katholiken
und 387
Juden). - Die
Industrie erstreckt sich auf die Fabrikation von
Stroh- und Seidenhüten,
Seiden- und Baumwollwaren,
Bijouterien,
ferner Buchdruckerei.
Der
Handel in
Tuch,
Wein,
Getreide
[* 11] und
Käse hat nur geringen
Umfang. Auf Einwohner und Touristen übt der
Bärengraben, eine uralte
Stiftung, noch immer viel
Anziehung. Nicht übel symbolisiert das bern
ische Wappentier die etwas
derbe, aber kraftbewußte
Energie des alten Bern.
Zeichnete Zürich
[* 12] sich von jeher auf dem Gebiet der
Industrie und
Wissenschaften
aus
(»Schweizer
Athen«,
[* 13] »Limmat-Athen«),
so ragte die
Berner
Aristokratie mehr auf dem
Felde der
Krieger und
Regenten hervor. Doch
besitzt Bern
seit 1834 eine
Universität, die 1884: 81
Dozenten und 409 Studierende (darunter 36 weibliche, wovon 28 Russinnen)
zählte. Zur
Universität gehört die Tierarzneischule mit 8
Lehrern und 44 Hörern. Die Kantonschule wurde
durch städtische
Mittelschulen ersetzt. Von
Bibliotheken sind zu erwähnen: die eidgenössische Zentralbibliothek mit 20,000
Bänden, die Stadtbibliothek (75,000
Bände), die
Bibliothek der Lesegesellschaft (45,000
Bände) und die Studentenbibliothek
(10,000
Bände). Bern ist Sitz der Bundesbehörden (seit 1848), eines altkatholischen
Bischofs und der bei der
Schweiz
[* 14] akkreditierten
Gesandten.
Geschichte der Stadt und des Kantons Bern.
Die Zeit der römischen Herrschaft in Helvetien hat im Gebiet des heutigen Kantons Bern nur geringe Spuren hinterlassen. In der Völkerwanderung begegneten sich hier Alemannen und Burgunder, mit deren Unterwerfung das Land unter fränkische Herrschaft kam. Seit 888 ein Bestandteil des neuburgundischen Reichs, fiel es mit diesem 1032 an Deutschland. [* 15] Die Zähringer, welche 1156 von Barbarossa das »Rektorat« über das diesseit des Jura gelegene Burgund erhalten hatten, suchten den widerspenstigen Adel durch Anlegung fester Waffenplätze [* 16] im Zaum zu halten; so gründete im Mai 1191 Berchtold V. die Stadt Bern, welche er wohl zum Andenken an die ehemals von seinem Haus besessene Markgrafschaft Verona [* 17] (Welschbern) so benannte. Da die Stadt auf Reichsgrund lag, wurde sie mit dem Tod ihres Gründers, in welchem das Geschlecht erlosch, 1218 thatsächlich reichsfrei, obschon die »goldene Handfeste« des Kaisers Friedrich II. vom 17. Mai d. J. als eine Fälschung aus späterer Zeit erwiesen worden ist.
Um den Nachstellungen der mächtigen Grafen von Kyburg zu entgehen, welche die schweizerischen Allodien der Zähringer geerbt hatten, begab sie sich 1255 in ein Schirmverhältnis zu Savoyen, wodurch sie in den Streit dieses Hauses gegen Rudolf von Habsburg verwickelt wurde und wiederholte Belagerungen von seiten des letztern zu erdulden hatte (1288-89). Ein Sieg, den Bern 1298 über das österreichische Freiburg [* 18] und den mit ihm verbündeten Adel am Dornbühl erfocht, begründete seine Macht. Es benutzte dieselbe, um die benachbarten Dynasten zu zwingen, Bürger in der Stadt zu werden, was sie zur Kriegsfolge verpflichtete und ihr Gebiet indirekt unter die Herrschaft von Bern brachte. Andre Besitzungen wurden durch Kauf erworben, wie Thun (1323), Laupen (1324), die Reichsvogtei über Hasli (1334). 1339 vereinte sich fast der gesamte Adel des schweizerischen Burgund mit Freiburg gegen Bern, wurde aber von diesem mit Hilfe der