mehr
Zeugnisse aus den Zeiten der Napoleonischen Fremdherrschaft und des Befreiungskriegs, dem Buche über die zeitgenössische Geschichte unmittelbar an. Von den vielgenannten »Denkwürdigkeiten« des Grafen K. F. von Vitzthum erschien der letzte Teil unter dem Separattitel: »London, [* 2] Gastein und Sadowa«; von den Erinnerungen Herzog Ernsts II. von Sachsen-Koburg-Gotha »Aus meinem Leben und meiner Zeit« ward der dritte Band [* 3] veröffentlicht, ohne indessen den Erwartungen in dem Maße Rechnung zu tragen wie die Anfänge des interessanten Werkes. Als ein interessanter Beitrag zur Geschichte der 30er und 40er Jahre trat der erste Band der »Lebenserinnerungen« von Julius Fröbel, dem bekannten Führer der deutschen Demokratie im Jahre 1848, hervor.
Die Säkularfeier der französischen Revolution ist nicht ohne einige bedeutende litterarische Erscheinungen vorübergegangen. Ein neues, auf das beste und mannigfach neues Material gegründetes Werk: »Das Leben Mirabeaus«, von Alfred Stern gehört zu den besten Monographien, die wir deutscherseits über Menschen oder Zustände der Revolutionsperiode besitzen. Als interessante Studie verdient das Buch »Die konservativen Elemente Frankreichs am Vorabend der Revolution« von Eugen Guglia hervorgehoben zu werden. Als Bruchstück und Probe einer beabsichtigten größern so anschaulichen wie eingehenden Geschichte der großen Umwälzung erschien aus dem Nachlaß des Freiherrn Ernst von Stockmar »Ludwig XVI. und Marie Antoinette auf der Flucht nach Montmedy«, eine Episode, die lebhaft beklagen läßt, daß der Verfasser das Werk nicht ausführen konnte.
Von historischen Werken, die wert und fähig sind, ein größeres gebildetes Publikum zu fesseln, sei zunächst die groß angelegte »Deutsche [* 4] Geschichte im Zeitraum der Gründung des preußischen Königtums« von Hans v. Zwiedineck-Südenhorst hervorgehoben. In gedrängter Fassung und populärem Ton, aber tüchtig und selbständig schrieb Otto Kämmel eine übersichtliche »Deutsche Geschichte«. Hierher gehören ferner die Werke von Richard Schück: »Brandenburg-Preußens Kolonialpolitik unter dem Großen Kurfürsten«, und von C. Grünhagen: »Schlesien [* 5] unter Friedrich dem Großen«;
etwas ferner liegende Stoffe behandelten Markus Landau [* 6] in »Geschichte Karls VI. als König von Spanien« [* 7] und Fritz Honig in »Oliver Cromwell«.
Zur Geschichte der Gegenwart führen wieder Kecks »Leben des Generalfeldmarschalls E. v. Manteuffel«, G. v. Natzmers »Kaiser Wilhelm I., die Prinzeß Elise Radziwill und die Kaiserin Augusta« und H. v. Poschingers »Ein Achtundvierziger. Lothar Buchers Leben und Werke«. Mehr kulturgeschichtlichen Gepräges und Wertes waren das interessante Buch von Ludwig Laistner: »Das Rätsel der Sphinx«, [* 8] Grundzüge einer Mythengeschichte;
ferner die Bücher von Ludwig v. Hörmann: »Die Jahreszeiten [* 9] in den Alpen«, [* 10] Bilder aus dem Natur- und Volksleben;
F. A. Stocker: »Basler Stadtbilder«, Schilderungen alter Häuser und Geschlechter;
Albert Borchert: »Das lustige alte Hamburg«, [* 11] und K. Rhamm: »Dorf und Bauernhof im altdeutschen Lande«.
Eine umfassendere, von andern Gesichtspunkten ausgehende Übersicht der in den letzten Jahren erschienenen Geschichtswerke gibt der besondere Artikel Historische Litteratur.
Unter den neu veröffentlichten Briefen und Briefwechseln fand sich neben einzelnem Unbedeutenden, dessen Hervorziehen auf der falschen Voraussetzung beruht, daß alles Material zur Geschichte bedeutender Zeiten und Menschen im ganzen Umfang der Nachwelt vermittelt werden müsse, doch auch sehr Wertvolles. Die Herausgabe der Briefe des Fürsten Bismarck: »Bismarcks politische Briefe von 1849 bis 1889«, ist natürlich als eine durchaus vorläufige anzusehen, die ihre entscheidende Ergänzung in späterer Zeit finden muß.
Auf dem Gebiet der Litteratur- und Kunstgeschichte waren die von der Goethe-Gesellschaft herausgegebenen »Briefe von Goethes Mutter an ihren Sohn, Christiane und August v. Goethe« die wichtigste Erscheinung. Gleichfalls als Veröffentlichung der Goethe-Gesellschaft erschien das von Otto Harnack herausgegebene Buch »Zur Nachgeschichte der italienischen Reise«, Goethes Briefwechsel mit Freunden und Kunstgenossen in Italien [* 12] 1788-90. Diesen Goethebriefen schlossen sich »Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm«, herausgegeben von O. Walzel, die »Briefe von Jakob und Wilhelm Grimm an Georg Fr. Benecke, 1808-29« an. Der »Briefwechsel zwischen Rauch und Rietschel« ward mit dem zweiten Bande zu Ende geführt, der »Briefwechsel zwischen Moritz v. Schwind und Eduard Mörike« durch Jakob Bächtold mitgeteilt. Von tieferm Gehalt und seltner Originalität erscheint der »Briefwechsel Friedrich Hebbels«, den Fr. Bamberg [* 13] herausgibt, und von dem der erste Teil hervortrat.
Die Zahl der litteraturgeschichtlichen Werke war wie immer groß, allein nur ein kleiner Teil derselben kann nach Stoff und Ausführung Anspruch auf die Teilnahme andrer als der engsten Fachkreise erheben. Eine neue »Allgemeine Geschichte der Litteratur« begann G. Karpeles, eine vortreffliche »Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz« [* 14] Jakob Bächtold, eine gedrängte Darstellung der neuesten deutschen Litteratur: »Die deutsche Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart«, von der schon zwei Auflagen vorliegen, schrieb Ad. Stern. - Zur Geschichte der klassischen Epoche der deutschen Litteratur dienen die fortgeführten umfassenden Schiller-Biographien von O. Brahm und R. Weltrich; ferner die umfassende Zusammenstellung und Aneinanderreihung von »Goethes Gesprächen« durch W. v. Biedermann.
Das Buch »Wieland und Reinhold. Originalmitteilungen als Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im 18. Jahrhundert« von Robert Keil ist hauptsächlich durch die Briefe Wielands wichtig. Die Sammlung der »Goetheschriften« von Kuno Fischer gedieh bis zum dritten Teile. Von Berthold Litzmann wurden zwei interessante und gehaltreiche Werke in »Friedrich Ludwig Schröder«, Beitrag zur deutschen Litteratur- und Theatergeschichte, und »Friedrich Hölderlin« veröffentlicht.
Von Schriften zur Geschichte der neuern und neuesten deutschen Litteratur waren einige autobiographische die wichtigsten. In erster Reihe steht hier »Finder und Erfinder«, Lebenserinnerungen von Friedrich Spielhagen. Auch »Aus bewegtem Leben«, Erinnerungen aus 30 Kriegs- und Friedensjahren von Hans Wachenhusen, fesselt durch die bunte Mannigfaltigkeit der Erlebnisse des Verfassers. Ein umfassendes Lebensbild: »Gustav Kühne«, von Edgar Pierson, gründet sich hauptsächlich auf den Briefwechsel des jungdeutschen Schriftstellers mit berühmten Zeitgenossen. Diesen wichtigern Büchern reihen sich die Schriften: »Aus dem Leben Karl Böttichers« von Clarissa Lohde-Bötticher, »Katholische Erzähler der neuesten Zeit« von H. Keiter, »Aus der Heimat Hamerlings« von Joseph Allram, »Richard Gosche, Erinnerungsblätter für seine Freunde«, »Richard Wagner und die Tierwelt« von Hans von Wolzogen an. Die biographischen und polemischen Schriften, die in dem Streite über die Autorschaft der Romane Alfred ¶
mehr
Meißners zwischen dem anklagenden Franz Hedrich und den Freunden Meißners, Robert Byr u. a., ausgetauscht wurden, waren so unerquicklich als nur je ein Kapitel in der Geschichte des Verfalls einer Litteratur.
Von allgemeinerer Bedeutung waren Werke wie »Der deutsche Roman« von Karl. Rehorn, »Der moderne Roman« von Hellmuth Mielcke und »Die Dramaturgie des Schauspiels« von Heinrich Bulthaupt, die in ihrem zweiten Teile Grillparzer, Hebbel, Ludwig, Gutzkow und Laube behandelte. Ein größeres Werk von R. M. Werner: »Die lyrische Dichtung«, versuchte einem seither unbebautem Felde der ästhetischen Untersuchung reichere Ernten abzugewinnen.
An Untersuchungen und Darstellungen auch der außerdeutschen Litteraturgeschichte hat es auch im vorigen Jahre nicht gefehlt. Von A. Birch-Hirschfeld ward der erste Teil einer umfassenden »Geschichte der französischen Litteratur seit Anfang des 16. Jahrhunderts«, von Adolf Schaeffer eine neue »Geschichte des spanischen Nationaldramas« in der Periode Lope de Vegas und Calderons geschrieben. Der Gegenwart und ihren allzusehr auf das eigne Leben gewendeten Interessen näher stand ein Buch wie »Naturalismus, Nihilismus, Idealismus in der russischen Dichtung« von Erwin Bauer.
Gehaltvolle und formell abgerundete Versuche (Essays) traten hervor in den Sammlungen »Fünfzehn neue Essays« (vierte Folge) von Hermann Grimm, »Von und aus Schwaben, Geschichte, Biographie und Litteratur« von Wilhelm Lang, mit dem 7. Bändchen nunmehr abgeschlossen; »Pandora«, vermischte Schriften von Ad. Fr. Graf Schack, »Vorträge und Versuche« von Ludwig Geiger, »Gespräche und Monologe«, vermischte Schriften von Ad. Wilbrandt, die sich sämtlich an ein Publikum der Bildung und des allgemeinen Interesses für litterarische und künstlerische Erscheinungen wenden, ein Publikum, das sich leider eher mindert als vergrößert.
Diejenige Reiselitteratur, die der schönen Litteratur hinzugezählt werden muß, da sie weder eine wissenschaftliche noch eine praktische Bedeutung beanspruchen kann, aber lebendige und unterhaltende Schilderungen gibt, hat gleichfalls eine Reihe von Bereicherungen gefunden. Am glücklichsten und fesselndsten waren hier wohl die Skizzen »Aus dem Orient« von Paul Lindau, [* 16] flüchtige Aufzeichnungen von großem Reiz und scharfem Blick für alles, was den Verfasser besonders interessiert.
Hierher gehören ferner die Bilder und Skizzen »Aus dem Oldenburger Lande« von F. Bucholtz, »Eine Maienfahrt durch Griechenland« [* 17] von Georg Behrmann, die anschaulichen und abenteuerlichen Fahrten des Spezialartisten der »Gartenlaube«, R. Cronau: »Aus dem wilden Westen«, »Russische [* 18] Wanderbilder« von Alfred Charpentier, und die Reisebriefe »Von Kiel [* 19] bis Samoa« [* 20] des Obermatrosen Adolf Thamm, der bei der Katastrophe der deutschen Schiffe [* 21] in Samoa beim Untergang des Kanonenboots Eber seinen Tod fand.