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ist immun. Experimente beweisen, daß diese Immunität keineswegs auf besonderer Lebenstüchtigkeit (Energie) der Leukocyten beruht, welche sie im ersten Kampfe gegen den Krankheitsträger erworben haben, ebenso wenig auf einer Gewöhnung an das bakterielle Gift, vielmehr wird die Immunität herbeigeführt durch bestimmte Materien, welche die Bakterien selbst produzieren und welche die Säfte des Körpers auf eine mehr oder weniger dauerhafte Weise modifizieren.
Diese Theorie der erworbenen Immunität ist nicht anwendbar auf die Theorie der natürlichen Immunität, denn sonderbarerweise fehlt der baktericide Zustand bei den Tierarten, welche eine natürliche Immunität besitzen, und umgekehrt besitzen Tiere, deren Säfte sich als baktericid erweisen, doch Empfänglichkeit für das Gift. Bei einem Tiere von natürlicher Immunität ruft dasselbe ganz ebenso wie bei dem vaccinierten den Phagocytismus hervor; aber dies ist nicht der Fall, weil es sich abschwächt wie im Körper des vaccinierten Tieres, sondern weil das Nervensystem eines solchen von Natur aus immunen Tieres weniger reizbar ist als das eines nicht immunen Tieres gegenüber demjenigen bakteriellen Sekret, welches das Austreten der Phagocyten verhindert. Aber auch bei einem solchen Tiere kann man die Infektion hervorrufen, wenn man nur eine genügend große Dosis der bakteriellen Produkte einspritzt, ein Beweis, daß die natürliche Immunität nicht etwas Spezifisches [* 2] darstellt, sondern von dem gewöhnlichen Verhalten nur graduell verschieden ist.
Den zweiten Vortrag hielt Key (Stockholm) [* 3] über die Pubertätsentwickelung und das Verhältnis derselben zu den Krankheitserscheinungen der Schuljugend. Nach den Untersuchungen in Dänemark [* 4] und Schweden [* 5] beobachtet man bei Knaben ziemlich starke Zunahme nach Länge und Gewicht im 7. und 8. Lebensjahr, eine schwächere vom 9.-14. und eine bedeutend schnellere bis zum vollendeten 17. Jahre. Sie ist am stärksten im 15., am schwächsten im 10. Jahre. Die Zunahme bezieht sich zunächst auf die Länge, das Gewicht nimmt später zu, am stärksten im 16. Jahre.
Die Gewichtszunahme dauert fort bis zum 19. Jahre, wo dann die körperliche Entwickelung des Jünglings abgeschlossen erscheint. Bei den Mädchen sinkt das Wachstum nach dem 8. Jahre nicht so stark wie bei den Knaben, und schon im 12. Jahre ist wieder eine starke Steigerung des Längenwachstums vorhanden. Die Gewichtszunahme folgt der Längenzunahme, überholt sie aber schon im 14. Jahre. Im 17. und 18. Jahre ist die Längenzunahme nur noch schwach, die Gewichtssteigerung aber sinkt erst im 20. Jahre auf Null.
Bis zum 11. Jahre ist der Knabe im Gesamtwachstum dem Mädchen überlegen, von da ab bis zum 16. wird er von diesem überholt, dann wiederum übertrifft sein Wachstum das des Mädchens. Bei ärmern Kindern sind Länge und Gewicht geringer als bei Kindern der Wohlhabenden. Das starke Wachstum tritt auch bei erstern später ein als bei letztern, vollzieht sich aber um so schneller, so daß das Ende der Entwickelung gleichzeitig erreicht wird. Nur wenn die hindernden Verhältnisse zu stark sind und zu lange andauern, bleibt das arme Kind überhaupt zurück.
Malling-Hansen fand, daß von November, bez. Dezember bis März-April nur schwaches Längen- und noch schwächeres Gewichtswachstum stattfindet. Von März-April bis Juli-August folgt starkes Längenwachstum, während das Gewicht zurückgeht, oft um ebensoviel, wie es in der vorhergehenden Periode zugenommen hatte. Endlich folgt von August bis November bei nur noch geringer Längenzunahme starke Zunahme des Gewichts. Die tägliche Gewichtszunahme ist oft dreimal so groß als während der Wintermonate. Es wiederholt sich also jährlich die für die Pubertätsentwickelung gefundene Regel. Es wird eingehender Untersuchungen bedürfen, um zu entscheiden, ob diese thatsächlichen Verhältnisse unmittelbar physiologisch begründet oder ob sie nur die Frucht äußerer Verhältnisse sind.
Einen Beitrag zur Beantwortung der Frage liefert die Untersuchung der Schulkinder. Von 15,000 Knaben der Mittelschulen Schwedens war mehr als ein Drittel krank oder mit chronischen Leiden [* 6] behaftet. An habituellem Kopfweh litten 13,5, an Bleichsucht 13 Proz. In den ersten und in den letzten Schuljahren liegt die Sache am schlimmsten. In den Vorbereitungsschulen sind von den Knaben der untersten Klasse 17, der zweiten Klasse 37, der obersten (4.) Klasse 40 Proz. krank. Da die Anforderungen der Schule regelmäßig steigen, die mittlern Klassen der Mittelschulen aber weniger ungünstig gestellt sind, so kann der Fehler nicht wohl in der Organisation der Schule liegen. Es ist eben das Wachstumsverhältnis, welches sich hier geltend macht.
In der Zeit des verzögerten Wachstums ist die Krankheitsziffer am größten, in der Zeit stärkster Zunahme des Wachstums ist sie am kleinsten, und unmittelbar nach Schluß der Pubertätsentwickelung, wenn die jährliche Längen- und Gewichtszunahme sich schnell vermindert, steigt die Krankheitsziffer wieder. Für die Jünglinge ist das 17. Jahr das gesündeste, widerstandsfähigste, vom 18. an verschlechtert sich der Gesundheitszustand wieder. Unter 3000 Schulmädchen zeigte sich die Kränklichkeit erschreckend groß, 61 Proz. derselben sind krank oder mit ernstern chronischen Leiden behaftet. 36 Proz. leiden an Bleichsucht, ebenso viele an habituellem Kopfweh, mindestens 10 Proz. an Rückgratsverkrümmungen. Im 13. Lebensjahr steigt die Krankheitsziffer auf 65 Proz., dann sinkt sie etwas, um später auf 68 Proz. zu steigen. In Dänemark sieht es besser aus, doch beträgt auch hier die Krankheitsziffer 49 Proz. Die weitere Klärung dieser Verhältnisse erwartet Redner durch gleichartige internationale Untersuchungen. Er bespricht dann noch die Anforderungen der Schule und kommt zu dem Resultat, daß namentlich die Periode der schwächsten Entwickelung der größten Schonung bedarf.
In der dritten Sitzung, am 9. Aug., sprach Wood (Philadelphia) [* 7] über Anästhesie. Von allen anästhetischen Mitteln erscheint das Lachgas am ungefährlichsten. 750,000 Narkosen gaben in den Vereinigten Staaten [* 8] nur 3 oder 4 Todesfälle. Gefährlicher ist die Äther- und namentlich die Chloroformnarkose. Es ist unrichtig, daß die Gefahren der Chloroformbetäubung nur bei Behinderung der Atmung auftreten und mithin zu vermeiden seien. Bei großen Dosen (z. B. bei Einspritzung [* 9] ins Blut) tritt der Tod stets durch direkte Einwirkung auf das Herz ein, ebenso wenn schnell und mit konzentrierten Dämpfen chloroformiert wird.
Oft sistieren Atmung und Herzthätigkeit zu gleicher Zeit, zuweilen wurde beobachtet, daß die Atmung noch eine Zeitlang fortdauerte, während der Puls nicht mehr zu fühlen war; in der Regel stockt aber die Atmung zuerst. Für die Thatsache, daß in verschiedenen Ländern die klinischen Erfahrungen und die Resultate der Tierversuche mit Chloroform so sehr verschieden sind, daß namentlich in den Tropen die lähmende Wirkung auf das Herz nicht beobachtet wird, sind zwei Erklärungen möglich: entweder besitzen Menschen und Versuchstiere in ¶
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den Tropen Eigenschaften, welche eine größere Widerstandskraft des Herzens bedingen, oder die Gefahr ist in den Tropen deshalb geringer, weil bei der höhern Temperatur das Chloroform schneller wieder ausgeschieden wird. Von den gebräuchlichen Wiederbelebungsmitteln sind Ätherinjektionen, Elektrizität, [* 11] Kaffein, Atropin ohne Wirkung, Alkohol ist direkt schädlich. Von Nutzen dagegen ist Digitalis und besonders Strychnin, letzters weil es geradezu als Herztonikum wirkt.
Von großer Wichtigkeit ist ferner die Lage des Kranken. Wird der Kopf desselben gehoben, so sinkt der Druck im arteriellen Gefäßsystem, steigt also die Gefahr. Günstig wirkt Druck auf die rechte Herzgegend. Die forcierte künstliche Atmung (Einführung eines Kautschukrohrs in die Luftröhre und Benutzung eines Blasebalgs mit Hahnregulierung) mit rhythmischen Kompressionen der Brust ist das mächtigste Wiederbelebungsmittel. Für die Äthernarkose zeigte Redner einen in Amerika [* 12] viel benutzten Apparat, welcher genaue Dosierung und Sicherung der Konzentration gestattet.
Cantani (Neapel) [* 13] sprach über Antipyrese. Er definiert das Fieber als Beschleunigung des Stoffwechsels mit Steigerung der Gewebsverbrennung und hiermit auch der Wärmeerzeugung. Nicht alle Fieber nehmen auf gleiche Art und in gleichem Maße das Brennmaterial des Körpers in Anspruch, und darin liegt die Erklärung, daß die Folgen des Fieberprozesses bei den verschiedenen Krankheiten so verschieden sind. Jedenfalls ist es Aufgabe der Therapie, den Stoffverbrauch zu vermindern, und deshalb trachtet man danach, das Fieber herabzusetzen oder zu unterdrücken.
Die Entziehung von Wärme [* 14] ist nur ein symptomatisches Verfahren, welches gegen die gesteigerte Verbrennung von Körperbestandteilen nichts vermag. Die Antipyretika dagegen wirken der vermehrten Wärmebildung entgegen, vermindern den fieberhaften Stoffverbrauch. Es fragt sich aber, ob die Antipyretika, auf diese Weise wirkend, nützlich für den fiebernden Kranken sind. Die Krankheit ist der Ausdruck des notwendigen Kampfes des Organismus gegen den Krankheitserreger.
Wie nun die Entzündung die lokale Reaktion des angegriffenen Gewebes gegen den auf die Lokalität einwirkenden Krankheitserreger darstellt, so ist das Fieber die allgemeine Reaktion des Gesamtkörpers gegen die von dem Krankheitserreger im ganzen Stoffwechsel bewirkten Veränderungen. Diese Reaktion ist Bedingung der Genesung. Ein günstiger Einfluß des Fieberprozesses auf die Infektionswirkung kann auf dreifache Weise zum Ausdruck kommen:
1) indem es die Lebensthätigkeit, die Vermehrung und auch die Virulenz der lebenden Krankheitserreger im Körper durch die erhöhte Temperatur beeinträchtigt, 2) indem es die Widerstandsfähigkeit der Gewebselemente und ihre phagocytäre Bedeutung erhöht, 3) indem es den Nährboden in den Geweben durch die Modifikationen des fieberhaften Stoffumsatzes für die lebenden Krankheitserreger ungünstig gestaltet. Das Fieber kann also nützlich sein, wenn der Stoffumsatz nicht bis zur Erschöpfung gesteigert wird, und daß das Fieber wirklich nicht die Hauptgefahr der Krankheit bedingt, erhellt auch aus der täglichen praktischen Erfahrung. Es sind eben die akuten fieberhaften Krankheiten, welche im allgemeinen einer spontanen Heilung fähig sind, während die fieberlosen chronischen Krankheiten sehr schwer oder gar nicht heilen und die fieberlosen, mehr oder weniger akuten eine sehr große Mortalität geben.
Deshalb sollte man abstehen von der Ausbildung einer Fiebertherapie und nach Mitteln suchen, welche das Fieber dem Kranken entbehrlich machen, indem sie den Fiebererreger vernichten oder doch abschwächen. In dieser Art wirkt das Chinin bei Malaria, welches direkt die Ursache der Malaria angreift. Alle andern Fiebermittel setzen neben gesteigerter Wärmeabgabe die Wärmeerzeugung herab. Da nun aber die verschiedenen pathogenen Bakterien den verschiedenen bakterientötenden Mitteln gegenüber sich sehr verschieden verhalten, so kann es kein allgemeines Fiebermittel geben. Es wird vielmehr Aufgabe der Wissenschaft sein, für jede Bakterienart ein Spezifikum zu suchen.
Neben seiner Heilwirkung kann hohes Fieber auch schädlich wirken, die hohe Temperatur beeinträchtigt die Herzkraft, bedroht die Nervenzentren, und man ist deshalb gezwungen, dieselbe herabzusetzen. Dies geschieht aber am besten durch Wärmeentziehung, also ohne die Mehrbildung von Reaktionswärme zu vermindern. Hierzu eignen sich kalte Vollbäder, kalte Einwickelungen, Übergießungen etc., dann reichliches Trinken von kaltem Wasser und die Enteroklyse. Die Wärmeerzeugung wird durch diese Methode der Wärmeentziehung noch gesteigert, und somit tritt der fundamentale Unterschied gegenüber den chemischen Antipyreticis mit ihrer Herabsetzung der Wärmebildung klar hervor.
Meynert (Wien) [* 15] sprach über das Zusammenwirken der Gehirnteile. Das Gehirn [* 16] ist nicht wie das Gerippe aus gleichartigen Einzelteilen für eine Mechanik zusammengesetzt, sondern aus sehr ungleichartigen Formen, nur im Feinsten bestehen sie alle aus gleichartigen Teilen; es ist keineswegs, wie das allgemein geschieht, im Verein mit dem Nervensystem einem elektrischen Apparat zu vergleichen. Seine graue und weiße Substanz kann nur mit einer sozialen Gruppierung lebender beseelter Wesen zusammengehalten werden.
Das Gehirn ist in den Halbkugeln einer Kolonie durch Fühlfäden und Fangarme sich des Weltbildes bemächtigender, lebender, bewußtseinsfähiger Wesen vergleichbar, und dies ist mehr als ein bloßer Vergleich. Nur das Bewußtsein der Hirnrinde fällt beim Menschen in die Aufmerksamkeit, und durch die allseitig protoplasmatischen und markhaltigen Verbindungen der Elementarwesen der Rinde, durch ihre Associationsvorgänge erscheint sie sich als ein einziges Wesen.
Seinen geistvollen Vortrag schließt Meynert mit folgenden Worten: »Da wir von der Annahme spezifischer Energien der Gehirne ablassen mußten, da wir nur eine angeborne Anatomie und einen angebornen Chemismus übrigbehalten, aber kein angebornes Wissen von der Erscheinungswelt, so fällt ein Anhaltspunkt für die Deszendenzlehre, ein solches angebornes Wissen zuzulassen, der Annahme irgend welcher angeborner Hirnfunktionen oder angeborner Gedanken Spielraum zu geben. Licht [* 17] und Schall [* 18] sowie das Raumbild sind Gegenstände des Erlernens. Es gibt keine Instinkte, keine Triebe, kein Bewegen, welchen ein noch unerlebtes Ziel im Bewußtsein zu Grunde läge. Schon Ehrenberg hat für die einfachsten Wesen der Tierwelt den Instinkt abgelehnt und in ihnen Äußerungen eines Bewußtseins gesehen, das solidarisch ist bis aufwärts zum Menschen. Die Orientierung des Insekts über den Ort, wo es sein Ei [* 19] absetzt, ist nicht angeboren sondern den Erfahrungen entnommen, welche die Larve gemacht hat, deren Nervensystem dazu schon genug entwickelt, nicht die Umbildungen mehr durchmacht wie der übrige Leib, und deren Bewußtsein in das Bewußtsein des fertigen Insekts sich fortsetzt. Auch für das Erlernen der Arbeit bei ¶