Während
Muskeln,
[* 2] die wir willkürlich bewegen oder durch künstliche
Mittel
(Reize) zur Thätigkeit anregen,
der Ermüdung unterworfen sind, durch die sie fortschreitend an Leistungsfähigkeit einbüßen, bis sie schließlich
der Erschöpfung verfallen, sind neuern
Beobachtungen zufolge die
Nerven
[* 3] geradezu unermüdlich. Man muß allerdings, um dies
nachzuweisen, einen Kunstgriff anwenden. Reizt man nämlich einen Bewegungsnerv, so erkennt man lediglich
aus der Zusammenziehung des zugehörenden Muskels, daß der
Nerv thätig geworden ist.
Setzte man nun die Reizung eine Zeitlang fort, so würde der
Muskel ermüden, die Reizung also resultatlos werden; man wäre
aber nicht im stande, zu sagen, ob und wann auch der
Nerv seine
Erregbarkeit eingebüßt hat. Er könnte
noch seine volle Leistungsfähigkeit bewahrt haben, wenn der
Muskel seine Thätigkeit infolge der Ermüdung längst eingestellt hat.
Will man erfahren, wie lange die Leistungsfähigkeit des erregten Nervs andauert, so muß man das Endorgan, den
Muskel,
vor der Ermüdung schützen.
Bernstein
[* 4] und nach ihm Wedenski thaten dies in der
Weise, daß
sie den an seinem obern Ende andauernd elektrisch gereizten Froschnerv
gleichzeitig an seinem untern, dem
Muskel nahe gelegenen Ende von einem starken galvanischen
Strom durchfließen ließen. Sie
machten dadurch die untere Nervenstrecke leitungsunfähig, verhinderten also die Erregung, von welcher
das obere Nervenstück betroffen wurde, bis zum
Muskel zu gelangen. Hob man diesen abblendenden
Strom auf, so verfiel der
Muskel
sofort in Zuckungen. Es ließ sich nun zeigen, daß dies auch dann noch der
Fall war, wenn das obere Nervenstück mehrere
Stunden lang andauernd gereizt worden war. Dasselbe konnte also stundenlang im Erregungszustand erhalten
werden, ohne zu ermüden; sowie
man es ihm möglich machte, äußerte es seine Thätigkeit in
sinnfälliger
Weise.
Diesen ältern
Versuch hat neuerdings Bowditch dahin modifiziert, daß er zur Abblendung des Muskels das indianische
PfeilgiftCurare benutzte. Dieses
Gift lähmt, ohne dem Nervenstamm zu schaden, die Endigungen der Bewegungsnervenfasern
im
Muskel. Reizt man also einen motorischen
Nerv eines curarifierten
Tieres, so bleibt die
Muskelbewegung aus, indem das
Gift
der Erregung den Zutritt zum
Muskel in ähnlicher
Weise versperrt, wie in dem vorher erwähnten
Versuch die galvanische Durchströmung
des untern Nervenendes.
Nach einigen
Stunden beginnt aber das
Gift den
Körper wieder zu verlassen, die
Lähmung der Nervenenden
verschwindet.
Hat man bis dahin die Reizung fortgesetzt, so muß sie sich jetzt wieder durch
Muskelbewegungen äußern, falls
nicht der
Nerv während der langen Reizungsdauer der Ermüdung verfallen ist. In der That vermochte Bowditch auf diesem
Wege nachzuweisen, daß der
Hüftnerv eines Säugetiers selbst bei einer viele
Stunden hindurch fortgesetzten
Reizung seine
Erregbarkeit bewahrt. In ähnlicher
Weise konnte dasselbe Szana bei Reizung des Vagusnervs darthun.
Dieser
Nerv übt einen hemmenden Einfluß auf das
Herz aus; wird er gereizt, so verlangsamt sich der
Herzschlag oder hört sogar
gänzlich auf. Hier leistete
Atropin denselben
Dienst, wie im obigen
Versuch das
Curare. War nach mehrstündiger
Reizung des vergifteten Nervs das
Gift wieder ausgeschieden, so trat die
Wirkung der Erregung am
Herzen wieder deutlich hervor.
Mit diesen
Versuchen ist der
Beweis geführt, daß in der That der
Nerv geradezu als unermüdlich angesehen werden muß.
Da nun aber eine Thätigkeit ohne Stoffverbrauch nicht denkbar ist, und da fortgesetzter Stoffverbrauch nach einiger Zeit
die Leistungsfähigkeit jedes organischen Gebildes herabsetzen und schließlich vernichten muß, so muß man für den
Nerv
annehmen, daß bei ihm ein schneller Wiederersatz des verbrauchten
Materials stattfindet, daß also die
Restitution mit der
KonsumtionSchritt hält.
Zur Kenntnis der Muskelermüdung hat
Mosso einen Beitrag geliefert. Er unterscheidet zwischen dem peripheren und dem zentralen
Anteil an der Ermüdung Willkürlich bewegte
Muskeln ermüden teils, weil die
Muskeln sich erschöpfen, teils aber auch deshalb, weil
das Zentralnervensystem, welches die Bewegungsimpulse auszusenden hat, müde wird. Dies geht besonders
aus folgender von
Mosso mitgeteilten
Thatsache hervor: Läßt man einen Mann bestimmte
Bewegungen so lange ausführen, bis ihnen
durch den
Eintritt der Ermüdung ein
Ziel gesetzt wird, so tritt während einer bald längern, bald kürzern Ruhepause eine Erholung
ein;
diese Erholung bleibt auch dann nicht aus, wenn während der
Pause der angestrengt gewesene
Muskel
elektrisch gereizt, also in Thätigkeit erhalten wurde. Es folgt daraus, daß dasjenige, was zuvor ermüdete, nicht der
Muskel,
sondern das nervöse
Zentralorgan gewesen ist, denn nur dieses konnte sich während der künstlich angeregten Muskelthätigkeit
ausruhen.
GeistigeArbeit vermehrt die Ermüdbarkeit der
Muskeln; ebenso wirkt die Thätigkeit eines andern
Muskelgebiets. So erschöpft sich die Armmuskulatur eines
Mannes ziemlich schnell, wenn derselbe vor dem
Versuch einen anstrengenden
Marsch gemacht hat.
Da aber unter solchen
Bedingungen nicht nur die Ermüdbarkeit des willkürlich thätigen, sondern auch des
durch elektrische Reizung zur Thätigkeit angeregten Muskels wächst, können dafür nicht, wie man sonst
wohl annehmen möchte, zentrale
Ursachen verantwortlich gemacht werden.
Mosso glaubt, daß die Schädigung der Muskelsubstanz
in diesem
Fall bedingt sei durch die Umsetzungsprodukte, die sich bei der betreffenden Thätigkeit im
Gehirn
[* 5] oder in den
Muskeln
bilden, und die, durch das
Blut den übrigen
Muskeln zugeführt, nach Art eines
Giftes auf sie wirken.
Vgl.
Mosso, Die Ermüdung (deutsch von Glinzer, Leipz. 1892).
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