sich beschäftigen mußte, verkümmern würde. Ihn drängte es, wieder Neues zu sehen in Natur und Kunst, wieder zu lernen und dabei seinen Geist zu erfrischen, stärkere Anregungen zu empfangen, als sie ihm das gleichförmige Leben innerhalb der Mauern Nürnbergs bieten konnte. Im Jahre 1512 entschloß er sich, mit seiner ganzen Familie nach den Niederlanden zu reisen. Die Fahrt ging den Rhein entlang über Köln nach Antwerpen, Brüssel, Gent u. a. O. Die Reise war für Dürer ungemein fruchtbar; eine Fülle von Zeichnungen, Skizzen und Studien brachte er heim.
Denn wie seinerzeit der wandernde Geselle, war der gereifte Meister unermüdlich bestrebt, alles was sich ihm darbot, mit dem Stifte festzuhalten. Auch einige Gemälde entstanden während dieser Reisezeit. Außer dem Gewinn an neuen Eindrücken und an Kenntnissen von Kunstwerken anderer Meister vermittelte diese Fahrt auch neue Beziehungen zu Kunstgenossen, so zu dem damaligen Hauptmeister der Niederlande, Quentin Massys, und auf solche legte Dürer hohen Wert, wie er ja auch daheim mit allen geistig bedeutenden Persönlichkeiten in regstem Verkehr stand.
Mit gekräftigtem und gehobenem Geiste, leider aber körperlich krank, kehrte Dürer 1522 in die Heimat zurück, wo inzwischen die Bewegung der Reformation die Gemüter tief erregt hatte. Auch auf Dürer übte sie großen Einfluß, wie dies bei seiner tiefen innerlichen Religiosität nicht anders zu erwarten war. Die Erneuerung des religiösen Lebens, die Wiederkehr der wahren Herzensfrömmigkeit war ihm dabei die Hauptsache und diese erhoffte er von der Bewegung, um den Streit der Lehrmeinungen kümmerte er sich wenig. Nicht eine Scheidung sondern eine Vereinigung aller Gläubigen auf dem Boden einer von allen weltlichen Auswüchsen gereinigten Kirche glaubte er erwarten zu dürfen. In dieser gehobenen frommen Stimmung schuf er noch ein Hauptwerk von großer Kraft des Ausdrucks und gewaltiger Wirkung: die «Apostel», welches er 1526 der Stadt Nürnberg als Geschenk widmete (Fig. 571).
Erinnert das Dreifaltigkeitsbild an Raphael, so lassen sich die Apostel mit den Gestalten Michelangelos vergleichen. Lebenswahr bis in die kleinsten Züge und doch in das Ueberirdische erhoben erscheinen diese vier Männer zugleich als Vertreter der verschiedenen menschlichen Eigenart und als Träger der christlichen Gedanken. Petrus, der sinnende, gedankentiefe, grübelnde und zweifelnde Verstandesmensch, und Johannes, milden und innigen Gemütes, sind auf der einen Tafel zusammengestellt; auf der anderen sehen wir Paulus, den willensstarken Mann der That und des Wortes, und Markus den leidenschaftlich erregten, begeisterten Schilderer des Lebens des Erlösers.
Jene verkörpern die hohen Lehrgedanken und die Herzensfrömmigkeit des Christentums, diese die Aufgabe, das Evangelium der ganzen Welt mit Wort und Schrift zu verkünden. Dem gedanklichen Gehalt entspricht auch die Formbehandlung. Die Haltung ist feierlich, von eindrucksvoller Würde, das ganze innere Leben, die seelische Bewegung und Erregung prägt sich in den Gesichtern aus. Nicht minder meisterhaft ist die Farbengebung, welche die Wirkung zur Vollendung steigert. Die einfachen, kraftvollen Farben sind schön zusammengestimmt und von ebenmäßiger Ruhe. Das Werk ist in Wahrheit eines der größten Schöpfungen nicht nur der deutschen, sondern
^[Abb.: Fig. 573. Holbein d. J.: Bildnis des John Chambers.
Wien. Kaiserl. Gemäldesammlung.] ¶
der gesamten Farbenkunst überhaupt. - Die künstlerische Erhebung, von welcher dieses Werk zeugt, finden wir auch in den Ebenbildnissen, welche aus dem Jahre 1526 stammen, jene der beiden Ratsherren Jacob Muffel und Hieronymus Holzschuher (in der Berliner Galerie), dann das von Johann Kleeberger (in Wien) und endlich jenes eines Unbekannten - mit einem breitrandigen Hut - (in Madrid). Auch diese Bildnisse gehören zu den besten, welche die Kunst aufzuweisen hat. Es scheint fast, als ob mit der erlöschenden Lebenskraft des Meisters seine künstlerische sich noch gesteigert hätte, denn gerade diese Schöpfungen der letzten Jahre zeigen ihn auf der stolzen, aber auch einsamen Höhe seiner Kunst. Im Frühling 1528 endete dieses unendlich reiche und fruchtbare Leben.
Dürers Eigenart. Die Bedeutung Dürers rechtfertigt es, noch einige Bemerkungen über seine künstlerische Eigenart anzufügen. Wie schon eingangs erwähnt wurde, verdankt ihm die deutsche Malerei ihre Erhebung aus dem mehr Handwerksmäßigen, weil er seine ganze gewaltige Persönlichkeit, die stark an Michelangelo erinnert, hierfür einsetzte und damit einen bisher fehlenden «Stil» schuf. Er hatte jenes wahre Geheimnis erkannt, welches er mit den Worten aussprach: «wahrhaft steckt alle Kunst in der Natur.» Diese erfaßte er mit der hohen sittlichen Kraft seiner Seele, welche, starker und leidenschaftlich-inniger Empfindungen fähig, die Wahrheit über alles stellte, und brachte sodann dem Schwunge seiner schöpferischen Einbildungskraft folgend, mit erstaunlicher Gestaltungskraft das innerlich Geschaute in immer neuen und schönen Formen zur Erscheinung. In dem Reichtum dieser Formen, in der ausdrucksvollen wahrhaftigen Wiedergabe der Stimmung und der Eigenart des Dargestellten, und in der ebenmäßig schönen Anordnung (Komposition) liegt vor allem seine Stärke.
Dies ist der innerliche Grund - den äußerlichen habe ich schon im Vorhergehenden erörtert - weshalb Dürers Kunstgeist am deutlichsten in seinen Zeichnungen, Holzschnitten und Kupferstichen uns entgegentritt. Hier konnte er seiner Einbildungskraft freien Lauf lassen und sowohl in großzügigen einfachen Linien und breiten Flächen, wie im feinen, reizvoll verschlungenen Formenspiel oder in liebevoller Durchbildung der Einzelheiten (so in seinen Landschaften) Erhabenes und Anmutiges, Gedankentiefes und Stimmungsvolles schaffen. Die Holzschneide- und Stecherkunst hat er auf eine Höhe gebracht, welche jene der Malkunst fast ebenbürtig machte. Mit unermüdlichem Fleiß hat er auch an der Ausbildung der Malweise gearbeitet. Anfänglich malte er mit Wasserfarben,
^[Abb.: Fig. 574. Holbein d. J.: Bildnis der Königin Jane Seymour.
Wien. Kaiserl. Gemäldesammlung.] ¶