mehr
erstellt von dem Erbauer der Eisenbahn und deren langjährigem Betriebsdirektor, der sich auch um die Entwicklung des Heilbades Ragaz hochverdient gemacht hat. Rechts und links der Eisenbahn in westl. Richtung gegen die St. Leonhardskirche und an der Rosenbergstrasse greift die Stadt immer weiter aus. Wir nennen hier vor allem die St. Leonhardsstrasse und die Vadianstrasse mit einer nicht geringen Anzahl von grossstädtischen Gebäuden, die sich beim ehemaligen Multertor an die Altstadt anschliessen.
Das 1889 erbaute grossartige Börsengebäude des schweizerischen Bankvereins und die Handelsbank umrahmen den Lindenplatt (heute Börsenplatz geheissen), auf dem der vom St. Galler Bildhauer Bösch geschaffene monumentale Broderbrunnen, ein zum Teil aus dem Broder'schen Legat errichtetes Denkmal zur Erinnerung an die 1895 vollendete Versorgung der Stadt mit Wasser aus dem Bodensee, sich befindet. Es folgen die aus Backsteinen aufgeführten Gebäude des Gewerbemuseums und der Zollikofer'schen Buchdruckerei, sowie die im maurischen Stil gehaltene Synagoge.
Gegenüber dem Rathaus erhebt sich der Palast der Kantonalbank und unweit davon derjenige der Feuer- und Transportversicherungsgesellschaft «Helvetia», sowie eine Reihe von stattlichen Geschäftshäusern, von denen das des «Oceanic» einen sehr bizarren ultramodernen Baustil aufweist. Unten an der Rosenbergstrasse bemerken wir den im grossstädtischen Stil gehaltenen «Washington», dem nach W. hin noch andere vornehme Bauten folgen. Im W.-Quartier ist bemerkenswert das ansehnliche St. Leonhardsschulhaus.
Jenseits des Leonhardsquartiers befinden sich Zollamt und Güterbahnhof und kommt auf der andern Seite der Bahnlinie in der Gemeinde Straubenzell eine neue katholische Kirche zu stehen, und an der W.-Grenze der Stadt befinden sich die weitläufigen Gebäude der Kaserne und des Zeughauses. In allen Stadtteilen von Neu- und Alt-St. Gallen befinden sich zahlreiche neue Bauwerke von meist bedeutendem architektonischem Wert: die Kantonsschule mit dem Denkmal von Prof. Peter Scheitlin in der städtischen Anlage des obern oder kleinen Brühls, der neue Bürgerspital mit dem ebenso stilvollen neuen Bürgerheim an der Rorschacherstrasse und ihm gegenüber der Kantonsspital, naher der inneren Stadt das katholische Gesellenhaus und der Neubau des Bierhofes. Im untern Brühl der herrliche Stadtpark und das geschmackvolle Museum mit der naturhistorischen, antiquarischen und der Gemäldesammlung, dann das grosse Primarschulhaus und die beiden Realschulgebaude für Knaben und Mädchen.
Neben der Knabenrealschule ist ein eigenes Bibliotheksgebäude für die Vadiana im Bau begriffen, und gegenüber geht das umfangreiche, für Mädchen bestimmte Hadwigschulhaus seiner Vollendung entgegen. Im nö. Teil der Stadt der ansehnliche und rationell angelegte Bau der kantonalen Strafanstalt St. Jakob vom Jahr 1839 (seither erweitert), rechts davon neben der überwölbten Steinach das neue Schlachthaus, das Elektrizitätswerk und die Gasanstalt. Entsprechend der regen Bautätigkeit haben sich auch die Strassenanlagen erweitert und ausgedehnt: Zwingli-, Winkelried- und Dufourstrasse mit der Dufouranlage im Villenquartier des Rosenberges, Wildeggstrasse, Felsenstrasse mit Viadukt über die Steinach, projektierte Gottfried Kellerstrasse von Mühleck nach dem Bahnhof.
Dieser letztere hat sich bei der grossen Entwicklung der Stadt schon längst als ganz ungenügend erwiesen und wird in nächster Zukunft umgebaut und erweitert werden. Ihm gegenüber stehen das Post- und Telegraphengebäude und das Hotel «Walhalla». Von den verschiedenen öffentlichen Plätzen, wie Markt- und Theaterplatz, Lindenplatz (heute Börsenplatz), Bahnhofplatz, Gallusplatz und Klosterhof, sowie von den öffentlichen Anlagen Oberer und Unterer Brühl und Stadtpark eröffnet sich ein lieblicher Ausblick auf den anmutigen Rosenberg, wo das städtische Waisenhaus, die Taubstummenanstalt, das frühere Konzerthaus (jetzt Kirche der Christkatholiken), das internationale Bildungsinstitut des Dr. Schmid etc. stehen und auf dem alljährlich das allbekannte St. Galler Jugendfest gefeiert zu werden pflegt. Am W.-Ende des Rosenberges liegt der städtische Friedhof «Feldle» mit Krematorium. An und auf dem s. gegenüber dem Rosenberg sich erhebenden Höhenzug Bernegg und dem Freudenberg, dem höchstgelegenen Aussichtspunkt in der nächsten Umgebung von St. Gallen, erhebt sich ebenfalls ein ganzer Kranz von schönen Neubauten. Zu den schönsten Aussichtspunkten in der Nähe der Stadt gehören noch St. Peter und Paul, die Solitude, Falkenburg, Drei Linden, Frölichsegg, die Kuranstalten Waid etc. Bei St. Peter und Paul hat die Stadt einen Wildpark.
Für nähere Angaben über die ausserhalb der Gemeindegrenze von St. Gallen liegenden Quartiere verweisen wir auf die Artikel St. Fiden, St. Georgen, Straubenzell, Tablat etc.
Klima.
In klimatischer Hinsicht hat St. Gallen an allen angenehmen und weniger erfreulichen Folgen seiner hohen absoluten Lage Anteil. Der mittlere Barometerstand beträgt 702,2 mm, die mittlere jährliche Temperatur 7,6 °C., der mittlere Feuchtigkeitsgrad 79% und die durchschnittliche jährliche Regenmenge 1293 mm. Da der Herbst sehr kurz ist und der Frühling eigentlich nur dem Namen nach existiert, kennt man in St. Gallen tatsächlich blos zwei Jahreszeiten: Winter und Sommer. Der oft schon mit dem Monat Oktober beginnende Winter dauert 7-8 Monate und bringt häufigen Nebel, der durch die Bergumrandung der Stadt im Thal zurückgehalten wird. Schnee fällt häufig, aber meist nicht in sehr ausgibigem Masse. Eine eigentliche Schneedecke, die das Schlittenfahren gestattet, liegt in der Stadt in der Regel nur im Dezember und Januar auf die Dauer von einigen Wochen, während der später fast alle Tage fallende ¶
mehr
Schnee in den Strassen vorweg wieder wegschmilzt. Der gefürchtetste Wind ist der SW., der oft heftig weht und mit seinem eisigen Hauch selbst in die bestvermachten Wohnungen eindringt. Vor der Bise ist die Stadt ziemlich gut geschützt, so dass sich dieselbe weniger bemerklich macht. Der lange Winter erfordert ein ausgibiges und teures Einheizen. Dafür ist dann der Sommer sehr angenehm, indem die Hitze nur an den nicht häufigen Föhntagen drückend wirkt. Die Abende und Nächte sind im allgemeinen frisch und kühl, und der leichteste Regenfall bewirkt sofort eine sehr merkliche Abkühlung. Im Ganzen genommen darf das Klima von St. Gallen als gesund und kräftigend bezeichnet werden, wenn es auch für Lungenleidende und Rheumatiker als etwas rauh und feucht erscheint.
Bevölkerungsverhältnisse.
Die Stadt St. Gallen hat sich seit einem Jahrhundert in ganz ausserordentlicher Weise entwickelt. 1808 zählte sie 8118 Ew., 1821 deren 8906, 1850 deren 11234, 1900 deren 33116 und 1905 deren 35000. Es hat sich somit die Zahl der Bewohner in 50 Jahren verdreifacht und seit 1808 sogar vervierfacht. Der ganze Siedelungskomplex zählt jetzt zusammen mit den vorstädtischen Gemeinden Tablat und Straubenzell, die vollständig mit der Stadt verwachsen sind, nahezu 60000 Ew. Diese rasche Bevölkerungszunahme erklärt sich einerseits aus dem überall sich geltend machenden Zug der ländlichen Bevölkerung in die Städte, d. h. in unserem Fall nach St. Gallen, der beträchtlichsten Stadt in einem nicht nur die benachbarten Kantone Thurgau und Appenzell, sondern auch einen Teil von Süddeutschland und von Oesterreich umfassenden weiten Umkreis, und andererseits aus dem beträchtlichen Aufschwung, den die Stickereiindustrie seit der Einführung der Schifflimaschinen genommen hat.
Bei aller Vermehrung der Bewohner ist aber die Zahl der Gemeindebürger nahezu stationär geblieben und hat sogar etwas abgenommen, indem sie von 4032 im Jahr 1808 auf 3927 im Jahr 1900 sank. Dagegen hat sich die Zahl der übrigen Kantonsbürger verdreifacht (1808: 2898 und 1900: 8160), die der übrigen Schweizer verfünffacht (1808: 2401 und 1900: 11945) und die der Ausländer sogar beinahe verneunfacht (1808: 1029 und 1900: 9081). 1850 zählte man 8082 Reformierte und 3102 Katholiken, 1900 dagegen 17572 Reformierte, 15006 Katholiken, 419 Juden und 119 Andere. Die Juden haben seit 1881 eine eigene Synagoge. 1900 zählte die Stadt 14562 männliche und 18554 weibliche Bewohner. 31697 Ew. deutscher, 328 französischer, 716 italienischer, 116 rätoromanischer und 259 anderer Zunge. 3927 Stadtbürger, 8160 übrige St. Galler, 11915 übrige Schweizer und 9084 Ausländer. Die jährliche Bevölkerungszunahme betrug ^[Berichtigt:]
‰ | |
---|---|
1850-1860 | 24.3 |
1860-1870 | 12.9 |
1870-1880 | 25.3 |
1880-1888 | 32.5 |
1888-1900 | 15.9 |
1850-1900 | 21.6 |
Nach der Zählung von 1900 entfallen auf im ganzen 4960 Ehepaare: 3670 konfessionell gleiche (2059 reformierte, 1538 katholische und 73 andere) und 1290 konfessionell gemischte, wovon 588 mit reform. Ehemann und katholischer Frau und 677 mit kathol. Ehemann und reform. Frau. 2223 Wohnhäuser und 7090 Haushaltungen. Der grossartige Aufschwung, den St. Gallen im letzten Jahrhundert genommen, zeigt sich klar aus einer Vergleichung des Brandversicherungs- und Steuerkapitales von 1807, bezw. 1832 und 1902. Die kantonale Brandversicherungsanstalt wurde 1807 gegründet, in welchem Jahr das versicherte Kapital sich auf Fr. 9278970 belief, während es 1902 Fr. 121919900 betrug.
Das Steuerkapital betrug 1832 Fr. 17009150, 1902 Fr. 140779100 und 1904 rund 150 Millionen Fr. St. Gallen trat zur Zeit der Reformation der neuen Lehre bei, sodass die Stadtbürger vorwiegend reformierter Konfession sind; die Katholiken setzen sich aus Zugewanderten zusammen, die entweder von der st. gallischen Landschaft oder von den benachbarten Kantonen und aus dem Ausland (Baiern, Württemberg, Baden, Oesterreich, Italien) hergekommen sind. Die Bewohner von St. Gallen sind tätig und arbeitsam und erfreuen sich im allgemeinen eines oft sehr ansehnlichen Wohlstandes.
Sie zeichnen sich besonders durch ihre fortschrittlich demokratische Gesinnung aus, so dass der Kastengeist in St. Gallen weit weniger hervortritt als in den meisten übrigen Städten der Schweiz und viele Glieder von alten und einst regimentsfähigen Geschlechtern es nicht unter ihrer Würde halten, einen Beruf zu ergreifen, der anderswo ganz den sog. arbeitenden Klassen überlassen bleibt. Am meisten Zugkraft haben für die Berufswahl der Handel und die Stickereiindustrie, welch' letztere namentlich eine sichere und auskömmliche Existenz gewährt. Eigentliche Berufslose und Müssige sind sehr selten. Da die jungen Mädchen in der Industrie leicht bequeme und reichlich lohnende Arbeit finden, sind weibliche Dienstboten wenig zahlreich und gesucht und rekrutieren sich zumeist aus Ausländerinnen.
Handel, Gewerbe und Industrie.
St. Gallen ist der Hauptsitz der Stickerei und der an sie gebundenen industriellen und gewerblichen Betriebe, hat aber keineswegs den Charakter einer Fabrikstadt mit hohen, rauchenden und die Landschaft verunstaltenden Schornsteinen. Eigentliche Fabriken gibt es in der Stadt selbst nur wenige, da die hier sogenannten «Fabriken» meist nur Versandtgeschäfte und Ausrüstateliers sind, die keine grosse maschinelle Einrichtung erfordern. St. Gallen ist der zentrale Marktplatz der Stickereiindustrie, wo alle die in weitem Umkreis (Kantone St. Gallen, Appenzell, Thurgau und Zürich, sowie im Vorarlberg) auf mechanischem Weg hergestellten Stickwaren abgeliefert, vollendet, verpackt und versandt werden. In St. Gallen-Tablat bestanden 1900 nach einem Bericht des Kaufmännischen Direktoriums: 2 Spinnereien mit 19368 Spindeln und 127 Angestellten, 3 Zwirnereien mit 4156 Spindeln und 89 Angestellten, 2 Färbereien mit 44 Angestellten, 4 Bleichereien, Appreturen etc. mit 160 Angestellten;
ferner ¶