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686 Grenze. Rumänien [* 2] schloß sich an Rußland an, kündigte der Pforte die Vasallenschaft auf und proklamierte die Unabhängigkeit des Staates. Nach anfänglichen Erfolgen entschied sich der Feldzug (s. Russisch-Türkischer Krieg von 1877 und 1878) zu Ungunsten der Türkei, [* 3] die sich 3. März zum Abschluß des Friedens von San Stefano (s. d.) genötigt sah. Dieser Friede, der Rußland zum Herrn auf der Balkanhalbinsel [* 4] gemacht und der Pforte nur eine unsichere Schattenexistenz gelassen haben würde, erregte namentlich Englands Besorgnis.
Der engl. Premierminister Beaconsfield ließ sich einen außerordentlichen Militärkredit bewilligen und rüstete geräuschvoll zum Kriege, dafern Rußland nicht den Friedensvertrag einem europ. Kongreß zu freier Diskussion und Abänderung vorlege. Schon war trotz des formellen Protestes der Pforte die engl. Panzerflotte ins Marmarameer eingefahren. Durch die Vermittelung Bismarcks trat der Berliner Kongreß [* 5] (s. d.) zusammen, dessen Hauptergebnisse waren, daß Rumänien, Serbien und Montenegro [* 6] für unabhängig, Bulgarien zu einem autonomen tributpflichtigen Fürstentum erklärt und die von einem christl. Statthalter zu regierende Provinz Ostrumelien (s. d.) geschaffen wurde. Österreich [* 7] erhielt den Auftrag, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen und zu verwalten; England wurde mit der Besetzung und Verwaltung Cyperns beauftragt, und Rußland erhielt die Gebiete von Kars, Ardahan und Batum. [* 8] Griechenland [* 9] wurde mit seinen Gebietsansprüchen auf direkte Verhandlungen mit der Pforte verwiesen; die von der Türkei zu erstattenden Kriegskosten wurden auf ungefähr 830 Mill. Frs. festgesetzt.
Neue Unruhen brachte der Aufstand der Albanesen, die sich die ihnen zugemutete Abtretung von Teilen ihres Gebietes an Serben, Montenegriner und Griechen nicht gefallen lassen wollten. Zum erstenmal vereinigten sich die mohammed. und die christl. Stämme, Katholiken wie Orthodoxe, zu einem Bündnis, der sog. Albanesischen Liga, die auf Befreiung von der Osmanenherrschaft hinarbeitete. Es bedurfte erst der Intervention und einer gemeinschaftlichen Flottendemonstration der Großmächte sowie bewaffneten Einschreitens von seiten der Türkei, damit Montenegro im Nov. 1880 von dem ihm zugesprochenen Hafenort Dulcigno Besitz nehmen konnte.
Auch durch die südwestl. Gebietserweiterung Serbiens fühlten sich die Albanesen in ihren nationalen Rechten verletzt. Sie brachen im April 1879 über die Grenze, wurden aber von den Truppen des Fürstentums zurückgetrieben. Griechenland mit seinen Ansprüchen auf freundschaftliche Vereinbarung mit dem Diwan hingewiesen, fand naturgemäß wenig Entgegenkommen, und es bedurfte erst längerer Verhandlungen (s. Griechenland, Geschichte), bevor die Pforte sich, dazu verstand, Thessalien südlich vom Salamvriafluß und den epirot. Distrikt südlich vom Arta abzutreten.
In dem autonomen Bulgarien wurde Febr. 1879 von einer konstituierenden Versammlung in Tirnova die von dem russ. Generalgouverneur Dondukow ausgearbeitete Verfassung angenommen und sodann der Prinz Alexander von Battenberg zum Fürsten erwählt. (S. Bulgarien, Geschichte.)
Die Geldnot der Pforte war durch den Krieg aufs höchste gesteigert worden; seit Jahren hatte die Armee keinen Sold, die Beamten keinen Gehalt bekommen. Man schlug von Krongütern los, was nur Abnehmer fand; so wurde an England die Nutznießung der cypriotischen Domänen für 5000 Pfd. St. jährlich überlassen. Aber alles verschwand in dem Abgrunde dieser finanziellen Mißwirtschaft. Selbst in den niedern Volksklassen erwartete man nur noch von auswärtiger Einsicht und Redlichkeit Hilfe, die seit 1880 der Pforte namentlich durch preuß. Finanzmänner auch zu teil wurde.
Bald darauf wurde eine andere höchst bedeutsame Reform, der ebenfalls durch Deutsche [* 10] ausgearbeitete Militärorganisationsplan (s. oben Heerwesen), von dem Sultan bestätigt. Fortwährend wurde das Reich durch Volkserhebungen von größerer oder geringerer Bedeutung beunruhigt. Aufstände Griechen in Thessalien, der Bulgaren in Macedonien wurden bald unterdrückt, aber das sich an sie anlehnende Räuberwesen in den Gebirgsgegenden schädigte den Landbau, die Industrie und den Handel weiter Distrikte.
Wichtiger war die albanes. Erhebung. Im März 1881 hatte sich Ali Pascha, ein angesehener Albanese, zum Landesfürsten ausrufen lassen. Obwohl die Siege der Türken unter Derwisch Pascha diesem Regiment bald ein Ende machten, so dauerte doch die Gärung fort, und 1883 brach wieder ein Aufstand aus, der von Hafiz Pascha unterdrückt wurde. Die Besetzung Tunesiens durch Frankreich 1882 ging, da das Land schon längst nur dem Namen nach zu dem O. R. gehört hatte, ohne sonderliches diplomat. Zerwürfnis vorüber
In Ägypten, [* 11] das die maßlose Verschwendung des Chediv Ismail Pascha in finanzielle Verlegenheit gestürzt hatte, hatte der Sultan auf Veranlassung der Großmächte den Chediv zur Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Tewfik Pascha genötigt. Eine engl.-franz. Finanzkontrolle wurde eingerichtet, aber gegen diesen fremden Einfluß bildete sich eine nationale Verschwörung unter Arabi Pascha, die England 1882 zu bewaffnetem Einschreiten veranlaßte. (S. Ägypten, Geschichte.) Eine gefährlichere Bewegung hatte sich bald darauf durch das Auftreten des Mahdi (s. d.) im ägypt. Sudan (s. d.) erhoben und den Engländern den Vorwand zu fortdauernder Besetzung Ägyptens geliefert.
Das ganze Eingreifen der Engländer in die ägypt. Verhältnisse war ohne formellen Rechtsgrund und mit Übergehung der Pforte geschehen, und wenn auch seit Dez. 1885 Verhandlungen stattfanden, so wurde ein Resultat doch nicht erzielt, und England hielt die Besetzung des Landes aufrecht. Auch gegen die Occupation der Hafenstadt Massaua [* 12] (s. d.) durch ital. Truppen, die im Febr. 1885 angeblich zur Bekämpfung des Mahdi erfolgt war, hatte die Pforte ebenfalls nur einen ohnmächtigen Protest. Ein Abkommen, das endlich im Mai 1887 mit England zu stande kam, wonach dieses in drei Jahren Ägypten räumen, das Recht zu einer eventuell wieder nötig werdenden neuen Intervention aber außer der Türkei ausschließlich den Engländern zustehen sollte, wurde von dem Sultan nicht bestätigt, und so blieb alles beim alten.
Während dieser Ereignisse in Afrika [* 13] erlitt das Ansehen der Türkei weitere Einbuße durch die nationalen Einigungsbestrebungen der Bulgaren. Das Ziel der Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien wurde durch den in Philippopel ausgebrochenen Aufstand erreicht (s. Bulgarien, Geschichte); Fürst Alexander nahm durch eine Proklamation vom ¶
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687 20. Sept. den Titel als Fürst von Nord- und Südbulgarien an, und wenn ihn die Pforte auch in dieser Würde nicht bestätigte, so erkannte sie die Union doch als vollzogene Thatsache an, indem sie ihn auf Beschluß einer Botschafterkonferenz zum Gouverneur von Ostrumelien ernannte. Auch nach dem Sturz des Fürsten Alexander beobachtete die Pforte große Zurückhaltung. Der von der Sobranje zum Fürsten von Bulgarien gewählte Prinz Ferdinand von Coburg [* 15] wurde zwar nicht offiziell bestätigt, aber doch geduldet.
Wegen des Machtzuwachses, den Bulgarien gewonnen, hatte auch Griechenland neue Forderungen erhoben. Es verlangte die Linie Salamvria-Kalamos als nördl. Grenze und traf kriegerische Anstalten, während die Pforte entschieden alle Zugeständnisse ablehnte und die Großmächte aufforderte, Griechenland zur Abrüstung zu veranlassen. Es bedurfte jedoch erst einer Flottendemonstration der Großmächte, um Griechenlands Nachgiebigkeit zu erzwingen. Inzwischen gab es in Kreta neue Konflikte. Im Juli 1887 fanden in Kanea blutige Zusammenstöße zwischen Christen und Mohammedanern statt, zu deren Beendigung die fremden Konsuln allen ihren Einfluß aufboten.
Mahmuda Dschellal-eddin Pascha wurde in besonderer Mission nach Kreta geschickt und verkündigte einige Zugeständnisse zu Gunsten der Christen. Danach sollte die Zahl der christl. Beamten in allen Zweigen der Verwaltungen vermehrt werden und die Hälfte der Zolleinnahmen der Insel dem Budget derselben zufließen. Die so wieder hergestellte Ruhe war nicht von langer Dauer. Schon im Aug. 1889 brach ein neuer Zwist zwischen der christl. und der mohammed. Bevölkerung [* 16] der Insel aus, den die Pforte diesmal jedoch im Einverständnis mit allen Großmächten energisch zu unterdrücken wußte.
Durch die Begünstigung, die die Pforte der bulgar. schismatischen Kirche zu teil werden ließ, indem sie im Juli 1890 in Macedonien drei bulgar. Bischöfe einsetzte, veranlaßte sie den Widerspruch des Vertreters der griech.-orthodoxen Kirche, des ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel, [* 17] der sogar so weit ging, alle griech. Kirchen im Reiche schließen zu lassen. Seinen Zweck erreichte er dadurch nicht und sah sich genötigt, diese Maßregel bald wieder zurückzunehmen.
Mit Deutschland, [* 18] dessen gute Beziehungen zum O. R. schon 1889 durch einen Besuch des deutschen Kaiserpaares in Konstantinopel gekennzeichnet wurden, schloß die Pforte 1890 auf 21 Jahre einen Handelsvertrag; Rußland erlangte 1891 ein wichtiges Zugeständnis in der Dardanellenfrage (s. Dardanellen), wonach es den Schiffen der sog. Freiwilligen Flotte, wenn sie die Handelsflagge führen, gestattet sein soll, die Dardanellen zu passieren. Diese Angelegenheit bildete wahrscheinlich den Anlaß zum Sturz des Großwesirs Kiamil Pascha, der nicht geneigt war, den Russen diese Konzession zu machen; an seine Stelle trat im Sept. 1891 der bisherige Generalgouverneur von Kreta, Dschewad Pascha (s. d.), dessen Amtsführung eine fortschrittliche Tendenz zeigte, indem er durch Gründung von Schulen, meist nach franz. Muster, für Hebung [* 19] der Bildung zu sorgen und durch den Bau von Eisenbahnen (s. oben und Orientalische Eisenbahnen) den Verkehr zu beleben suchte.
Aber auch ihm gelang es nicht, die immer wachsenden Schwierigkeiten zu besiegen, ein aus den verschiedensten Nationalitäten und Religionsgemeinschaften zusammengesetztes Reich zu regieren und die allerorten sich regenden Decentralisationsbestrebungen niederzuhalten. Aufstände, die seit 1890 und heftiger noch 1892 in der Provinz Jemen ausbrachen, endeten nach längern Kämpfen zunächst mit der Niederwerfung des rebellischen Beduinenstammes. Mit mehr Erfolg trat 1895 der Usurpator Said Mohammed Jahja Hamidaddin auf, der die Herrschaft über ganz Jemen beanspruchte und großen Anhang fand, so daß der Kampf voraussichtlich mit einer bedeutenden Einschränkung der türk. Machtsphäre enden wird. In Kreta erhob sich 1894 eine neue Bewegung.
Man verlangte die Ernennung eines christl. Gouverneurs und die Wiedereinberufung der Nationalversammlung, welche beiden Privilegien durch die Erhebung 1889/90 verloren gegangen waren. Blutige Ausschreitungen, die sich türk. Truppen Mai 1896 zu schulden kommen ließen, führten zu offenem Aufstande eines großen Teils der Insel. Die Folge davon war die Einmischung der Großmächte, die den Sultan endlich veranlaßten, durch einen Irade vom 1. Sept. den Kretensern eine Art Autonomie zu gewähren.
Danach soll die Insel von einem christl. Generalgouverneur regiert werden, der vom Sultan mit Genehmigung der Mächte auf 5 Jahre ernannt wird. In Macedonien suchte die slaw. Bevölkerung seit der Annexion von Ostrumelien 1886 gleichfalls polit. Anschluß an Bulgarien, nachdem die Pforte 1890 durch Errichtung bulgar. Bistümer in die religiöse Vereinigung bereits gewilligt hatte. Gleichzeitig aber suchte sich auch die weniger zahlreiche griech. Bevölkerung des Landes an das Königreich Griechenland anzuschließen, und so kam es im Sommer 1895 in der Umgegend von Saloniki [* 20] mehrfach zu bewaffneten Erhebungen, die sich im Laufe des Jahres 1896 wiederholten.
Die größte Verlegenheit aber bereitete der Pforte die Erhebung der Armenier. Schon auf dem Berliner Kongreß (1878) hatte sich die Pforte verpflichtet, in Armenien Reformen einzuführen und die christl. Armenier gegen die Gewaltthaten der Kurden zu schützen. Von alledem geschah jedoch so viel wie nichts, und das Beispiel der slaw. Völker der Balkanhalbinsel verbreitete auch unter den Armeniern die Idee einer Befreiung vom türk. Joch und eines selbständigen armenischen Staates, die namentlich von einer association angloarménienne genährt wurde. Im Herbst 1894 kam das schon lange glimmende Feuer zum Ausbruch.
Heftige Kämpfe fanden im Wilajet Bitlis zwischen Armeniern und Kurden statt und setzten sich im folgenden Jahre fort, wobei die ärgsten Grausamkeiten verübt wurden. Nach mehrern kleinen Scharmützeln kam es in Trapezunt zu einem großen Gemetzel, dem viele Hunderte von Armeniern zum Opfer fielen. Dies veranlaßte endlich die Großmächte zum Einschreiten, und auf ihr Drängen entschloß sich der Sultan zu der Zusage von Reformen, deren Kern darin bestand, daß jedem Mutessariff (Gouverneur) ein christl. Adjunkt zur Seite gestellt und die Gendarmerie nach dem Prozentsatz der Bevölkerung aus den Anhängern beider Religionen gebildet werden sollte. Durch die armenische Bewegung erhielt auch in Syrien der Christenhaß neue Nahrung, und wie gewöhnlich benutzten die Drusen [* 21] die allgemeine Gärung zu einem Aufstande, der die Pforte nötigte, Truppen nach dem Hauran zu senden. Doch gelang es ihnen schon nach einigen Gefechten, der Bewegung Herr zu werden. Dasselbe Jahr brachte auch einen Aufstand in Jemen (s. d.). ¶