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hinüber, 5. Okt. folgte Rybinski mit der Hauptarmee, worauf auch die letzten poln. Festungen Modlin und Zamosc (9. und 24. Okt.) sich den Russen ergaben.
Die Amnestie, die verkündigt wurde, enthielt zahlreiche Ausnahmen. Die Konstitution von 1815 wurde aufgehoben, und an die Stelle der Verfassung trat das Organische Statut vom 14. (26.) Febr. 1832. Dasselbe hob den Reichstag auf und ersetzte ihn durch einen Staatsrat, dessen Mitglieder, die nicht geborene Polen zu sein brauchten, der Kaiser ernannte. Die oberste Leitung der Verwaltung wurde einem Administrationsrate übertragen, der unter dem Statthalter Paskewitsch stand.
Mit diesem System eng verbunden war die Strenge polizeilicher Überwachung, die Absperrung des Landes vom Verkehr mit dem Auslande, die Hemmung jeder nichtruss. Thätigkeit in der Presse. [* 2] Die alten Lehranstalten wurden in russ. Sinne umgestaltet, niemand sollte auf russ. Universitäten zugelassen werden, kein poln. Edelmann ins Militär eintreten können, überhaupt seit 1840 niemand ein öffentliches Amt erhalten, der nicht der russ. Sprache [* 3] mächtig sei. Die Woiwodschaften wurden in Gubernien umgewandelt. Das poln. Münzwesen [* 4] wurde durch einen Ukas von 1842 auf den russ. Fuß gesetzt und überhaupt die Umwandlung der poln. Verhältnisse ins Russische [* 5] konsequent durchgeführt.
Indessen waren die poln. Emigrierten, besonders die demokratische Partei in Paris, [* 6] unermüdet thätig, eine neue Erhebung vorzubereiten. Zwischen dem 17. und sollte dieselbe stattfinden. Aber der zum Lenker des poln. Aufstandes bestimmte Mieroslawski (s. d.) ward bei Gnesen gefangen, viele Verdächtige in Posen [* 7] und Westpreußen [* 8] wurden verhaftet. Krakau [* 9] verlor infolge des Aufstandes, vermöge einer Verabredung der östl. Mächte, seine Unabhängigkeit und ging im Nov. 1846 an Österreich [* 10] über.
Durch die Revolution von 1848 erhielt die kaum beschwichtigte Bewegung in Polen einen neuen Anstoß. In Krakau ward gleich nach dem Ausbruch der Wiener Märzrevolution von 1848 eine Amnestie verkündigt. Rasch strömten nun Emissäre und Ausgewanderte nach dem österreichischen Polen, und als die Behörden dem weitern Zuströmen wehren wollten, brach 26. April eine Bewegung los, die nur nach heftigem Kampf unterdrückt ward. In Preußen [* 11] waren infolge der Berliner [* 12] Märzrevolution die gefangenen Führer der Polenverschwörung von 1846 befreit worden, und eine poln. Deputation, die um nationale Reorganisation Posens petitionierte, erhielt die Verheißung, daß ihr Verlangen erfüllt werden sollte.
Eine königl. Kabinettsorder vom schied das Gebiet des Großherzogtums in ein östliches, zur poln. Reorganisation bestimmtes, welches eigene konstitutionelle Verfassung, nationalen Schulunterricht, Gerichtsverfassung und Verwaltung erhalten sollte, und in ein westliches, mit der Festung [* 13] Posen, welches zur Aufnahme in den Deutschen Bund bestimmt war. Indessen dauerten die aufrührerischen Bewegungen fort, bis General Pfuel Mitte Mai 1848 dem Aufstande ein Ende machte.
Die Politik der Restauration machte 1850 alle Zugeständnisse an die Polen wieder rückgängig. In Russisch-Polen schritt die Politik der Einverleibung rücksichtslos fort, und 1851 fiel auch die Zolllinie zwischen Polen und Rußland. In Österreich ward 1850 und 1851 die Gesamtstaatspolitik auch auf Galizien angewandt und das Land auf österr. Fuß organisiert. Die poln. Emigration fand zwar in den ungar. Kämpfen von 1848 und 1849 einen neuen Schauplatz ihrer Thätigkeit; aber die Hoffnungen, die sie an die Thronbesteigung Napoleons III. knüpfte, erwiesen sich schon während des Orientkrieges als trügerisch.
Im Königreich Polen machte sich die nationale Opposition zu Ende 1860 wieder bemerkbar. Am als dem Jahrestag der Schlacht bei Grochow, ward in Warschau [* 14] eine großartige Prozession veranstaltet, bei welcher Gelegenheit es zu Konflikten kam, die trotz des strengen Militärregiments unter General Lüders fortdauerten; die Bewegung pflanzte sich sogar über die poln. Grenze fort, so daß auch im Gubernium Wilna [* 15] der Belagerungszustand erklärt wurde. Am Todestage Kosciuszkos kam es in Warschau wiederum zu blutigen Demonstrationen.
Mehrere Tausende aus allen Ständen, die sich bei der Bewegung hervorgethan hatten, wurden eingekerkert oder in das innere Rußland und Sibirien deportiert, und der Belagerungszustand ward mit größter Strenge gehandhabt. Am wurde der Bruder des Kaisers, Großfürst Konstantin Nikolajewitsch, zum Statthalter des Königreichs Polen ernannt und ihm Wielopolski als Chef der Civilverwaltung und Vicepräsident des poln. Staatsrats zur Seite gestellt; 3. Juli fand ein Mordversuch gegen den Großfürsten, 7. und 15. Aug. auch gegen Wielopolski statt.
Der offene Ausbruch einer neuen poln. Insurrektion ward durch eine Rekrutierung beschleunigt, die die Warschauer Regierung besonders gegen die aus Anlaß der letzten Unruhen «schlecht Notierten» vornehmen ließ. Es kam zu blutigen Gefechten zwischen den willkürlich Ausgehobenen und dem russ. Militär, und bald war der Kampf allgemein. Das geheime Warschauer Centralkomitee trat jetzt als Nationalregierung auf und rief durch Proklamation vom 22. Jan. das poln. Volk zu den Waffen; [* 16] doch konnten weder Mieroslawski, noch Langiewicz, noch Czechowski Erfolge gegen die Russen erzielen.
Dagegen kämpften die Aufständischen siegreich bei Ponin (21. März), bei Kalisch [* 17] (22. März) und bei Warka (25. April). Im Königreich Polen konnte die russ. Militärmacht alle größern Städte in Unterwerfung erhalten und jede Organisation stärkerer Insurgentenmassen verhindern. Ende März 1863 wurde General Graf Berg zum Adlatus des Großfürsten-Statthalters und nach dem Rücktritt Wielopolskis (7. Juli) zum Vicepräsidenten des poln. Staatsrats bestellt. Der Großfürst Konstantin verließ Warschau und wurde 31. Okt. auf Ansuchen seines Amtes enthoben, worauf Berg definitiv zum Statthalter und Oberbefehlshaber in Polen ernannt wurde. Dieser schritt mit äußerster Energie ein. Entscheidend für den Ausgang der Insurrektion war, daß es der russ. Regierung gelang, den Bauernstand vollends auf ihre Seite zu ziehen. Zuerst in Litauen dann in Rotrußland und endlich im Königreich Polen erhielten die Bauern durch kaiserl. Ukas ihre bisherigen Pachthöfe zu freiem Eigentum verliehen; sie wurden von allen bisherigen Leistungen an die Gutsbesitzer befreit und sollten nur eine verhältnismäßig geringe Grundsteuer an die Staatskasse bezahlen. Die Entschädigung der Grundbesitzer übernahm der Staat. Zu Anfang 1864 war die Insurrektion im ganzen erloschen, und die geheime Nationalregierung stellte seit Februar ihre Thätigkeit allmählich ein. Ein Ukas vom ¶
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gebot, daß das gesamte Eigentum der kath. Kirche in die Verwaltung des Staates genommen und die Geistlichkeit auf feste Staatsbesoldung gesetzt werde. Gleichzeitig wurden Litauen, wo Murawjew (s. d.) mit größter Strenge vorging, und Rotrußland vollends russifiziert. Am ward sogar durch kaiserl. Erlaß für die neun westruss. Gubernien allen Personen poln. Herkunft verboten, daselbst Güter neu zu erwerben, außer auf dem Wege gesetzlicher Erbschaft.
Mit dem russ. Reichsrate war seit 1864 eine Kommission für die Angelegenheiten P.s verbunden, deren Kompetenz dahin erweitert wurde, daß ihr die einheitliche Durchführung der vorzunehmenden Reformen und die oberste Entscheidung aller wichtigen Administrativangelegenheiten, unter dem persönlichen Vorsitze des Kaisers, zustehen sollte. Der Staatsrat und der Verwaltungsrat in Warschau wurden aufgelöst und der Statthalter Berg behielt neben dem Oberbefehl des Militärs nur die Überwachung der Verwaltung.
Von den selbständigen Institutionen P.s fiel demnach eine nach der andern. Am wurde die poln. Postverwaltung dem russ. Postministerium untergeordnet, zugleich eine neue Einteilung P.s, «des Weichsellandes», in 10 Gouvernements und 85 Kreise [* 19] verfügt; die Gouverneure erhielten gleiche Rechte mit denen in Rußland. Infolge der Aufhebung des Konkordats von 1847 unterstellte der Ukas vom die Angelegenheiten der kath. Kirche dem röm.-kath. geistlichen Kollegium zu Petersburg [* 20] und untersagte dem Klerus jeden direkten Verkehr mit dem Papst.
Die Universität Warschau wurde durch Ukas vom vollständig russifiziert, in allen Schulen P.s ward das Russische als alleinige Unterrichtssprache vorgeschrieben, die poln. Sprache nur fakultativ gelehrt. Vom 13. Jan. (1. Jan. alten Stils) 1869 an hatte nur der russ. Kalender in Polen Gültigkeit. Ein Ukas vom 19. April verfügte die Einrichtung von Kameralhöfen in den zehn poln. Gouvernements, die ihre Thätigkeit mit Juli 1869 begannen. Damit ward die noch in Warschau bestehende Finanzverwaltung aufgehoben und die oberste Leitung der Angelegenheiten des Kassenwesens, der direkten und indirekten Steuern, der poln. Staatsschuld, der Berechnung mit fremden Regierungen, der Polnischen Bank und der Landschaftlichen Kreditgesellschaft dem russ. Finanzministerium übertragen. 1870 erfolgte die Degradation von 300 Städten (zwei Drittel des Bestandes) in Dorfgemeinden.
Darauf trat auch eine Reform der Justiz ein und wurden alle Gerichte mit russ. Richtern besetzt. Nach dem Tode Bergs (1874) wurde Graf Paul Kotzebue und, nachdem dieser 1880 zurückgetreten war, der General Albedynski Generalgouverneur von Polen. Nach dessen Tode 1883 ward General Gurko zum Generalgouverneur ernannt, der mit neuer Energie gegen alles Polnische auftrat. Im Juli 1884 wurde in Warschau eine Verschwörung entdeckt; gegen 200 Personen, zum Teil den Arbeiterkreisen angehörig, wurden verhaftet, von den Führern 1885 vier hingerichtet, die andern zu Zwangsarbeit oder Deportation verurteilt. Um dem poln. Element das Eindringen in die russ. Provinzen zu erschweren, befahl ein kaiserl. Erlaß vom daß kein Pole in den zehn Westprovinzen Grund und Boden erwerben dürfe.
Durch den Erlaß vom wurde in den poln. Elementarschulen die russ. Sprache für die Unterrichtssprache in allen Fächern, außer im Religionsunterricht, erklärt. Unter solchen Umständen war es erklärlich, daß Polen an allen Verschwörungen sich beteiligten und auch an dem auf Kaiser Alexander III. geplanten Attentat vom einige Polen teilnahmen. Dies Attentat gab den ersten Anstoß zu Verhandlungen mit dem Papst, um einige schon lange verwaiste Bistümer wieder zu besetzen; so wurde das Bistum von Wilna sowie das von Lublin wieder besetzt (Frühjahr 1890). Aber trotzdem haben die Bischöfe keinen freien Verkehr mit dem Papst, selbst den einzelnen Geistlichen ist es untersagt, ohne einen Paß [* 21] für jeden einzelnen Fall die Grenzen [* 22] ihrer Pfarre zu verlassen. Unter Nikolaus II. wurde (Dez. 1894) an Stelle Gurkos Graf Schuwalow zum Generalgouverneur ernannt.
Litteratur. Außer den poln. Werken von Naruszewicz, Niemcewicz, Bandtke, Lelewel, Mickiewicz, Chodzko, Schmitt und Szujski vgl.: Rulhière, Histoire de l'anarchie de Pologne et du démembrement de cette république (4 Bde., Par. 1807);
Oginski, Mémoires sur la Pologne et les Polonais depuis 1788-1815 (4 Bde., ebd. 1826), und dessen Observations sur la Pologne et les Polonais pour servir d'introduction aux Mémoires etc. (ebd. 1827);
Roepell und Caro, Geschichte P.s (Bd. 1-5, Gotha [* 23] 1840-86);
Roepell, Polen um die Mitte des 18. Jahrh. (ebd. 1876);
Spazier, Geschichte des Aufstandes des poln. Volks in den J. 1830-31 (3 Bde., Altenb. 1832 und Stuttg. 1834);
Soltyk, La Pologne (2 Bde., Par. 1833);
Brzozowski, La guerre de Pologne en 1831 (Lpz. 1833);
Forster, Pologne (Par. 1840);
Ssolowjew, Geschichte des Falles von Polen (deutsch von Spörer, Gotha 1865);
von Moltke, Darstellung der innern Verhältnisse in Polen (Berl. 1832);
Knorr, Die poln. Aufstände seit 1830 (ebd. 1880);
Edwards, The private history of a Polish insurrection (Lond. 1865);
Ferrand, Les trois démembrements de la Pologne (3 Bde., 2. Aufl. hg. von Ostrowski, Par. 1864);
Beer, Die erste Teilung P.s (3 Bde., Wien [* 24] 1873);
Bielowski, Monumenta Poloniae historica (2 Bde., Lemb. 1875);
Codex diplomaticus Maioris Poloniae (4 Bde., Pos. 1877-81);
Schiemann, Rußland, Polen und Livland [* 25] bis ins 17. Jahrh. (2 Bde., Berl. 1886-89);
Zeitschrift der Histor.
Gesellschaft für die Provinz Posen (Pos. 1886-94); von der Brüggen, P.s Auflösung (Lpz. 1878).
Geogr.-statist. Werke sind: Chodzko, Tableau de la Pologne (2 Bde., Par. 1830);
Andree, Polen in geogr., statist. und kulturhistor.
Hinsicht (Lpz. 1831); Possart, Lukaszewicz und Mulkowski, Das Königreich Polen und der Freistaat Krakau (Stuttg. 1840); Hervet, Ethnographie [* 26] P.s (Wien 1871).