Anselm
von
Canterbury, scholast.
Philosoph, geb. 1033 zu
Aosta in
Piemont, unter dem Einfluß seiner
Mutter Emmerberga
religiös, unter dem seines
Vaters Gandulf weltlich erzogen, trat nach einem wilden Jünglingsleben 1060 in
das Benediktinerkloster
Bec in der
Normandie, wurde 1064
Prior und 1093 als Nachfolger seines
Lehrers
Lanfranc
Erzbischof von
Canterbury.
Als eifriger Vorkämpfer für die
Rechte der
Kirche und des päpstlichen
Primats geriet er in Streitigkeiten mit
Wilhelm II.
und
Heinrich I. von
England, infolge deren er zweimal (1097-1100 und 1103-1106) sein
Bistum verlassen mußte
und erst nach dem
Vertrag von
Bec, der dem Investiturstreit ein Ende machte, definitiv zurückkehrte. Er starb und
ward später kanonisiert.
Als der erste selbständige Bearbeiter des überlieferten theologischen Lehrstoffs ist der
Vater der
Scholastik
geworden. Er ging davon
aus, daß der
Glaube unantastbar feststehe, daß aber die
Wissenschaft die Aufgabe habe, den
Inhalt
des
Glaubens zu selbständiger Einsicht für die
Vernunft zu bringen (fides praecedit intellectum; credo ut intelligam). Als
Philosoph
ist er am einflußreichsten durch den von
ihm so genannten ontologischen
Beweis für das Dasein
Gottes geworden, den er in seiner
Schrift »Proslogium« zuerst aufstellte und in einer zweiten, »Monologium«
(beide hrsg. von
Haas,
Tübing. 1863), weiter begründete.
Derselbe ist ein
Versuch, aus dem
Begriff
Gottes das Dasein desselben durch die Schlußfolgerung darzuthun, daß im
Begriff
Gottes
als des schlechthin Größten, über welches hinaus ein
Höheres nicht mehr gedacht werden kann, liege,
daß derselbe nicht im
Verstand, sondern außerhalb desselben Wirklichkeit habe, weil sich sonst ein noch
Größeres denken
ließe, nämlich ein solches, das auch in der Wirklichkeit existiere. Ein Zeitgenosse Anselms
, der
Mönch Gaunilo im
Kloster
Marmoutiers bei
Tours,
[* 2] hat (wie später
Kant) dagegen bemerkt, daß aus dem
Denken des Gottesbegriffs weder
ein
Sein
Gottes im Denkenden noch (und noch weniger) ein
Sein des gedachten
Gottes in der Wirklichkeit folge.
Die
Schrift
»Cur deus homo« (hrsg. von
Lämmer, Berl. 1857; von
Fritzsche, Zür. 1868; deutsch von Tschirlitz, Quedlinb. 1861),
in welcher Anselm
von Canterbury
aus bloßer
Vernunft, ohne
Berufung auf
Offenbarung und Schriftbeweise darzuthun sucht, daß
und wiefern Gott sich selbst für die
Sunden der
Welt
Genugthuung gebe, wurde 1094-1098 verfaßt.
In dem Streit zwischen
Realisten
(s. d.) und
Nominalisten (s. d.) stand Anselm
von Canterbury
auf der Seite der
erstern gegen Roscellin (s. d.) und verfocht deren
Lehre
[* 3] auf der
Synode zu
Bari 1098. Die Werke Anselms
wurden zuerst 1491 und 1494 in
Nürnberg,
[* 4] dann 1544, 1549, 1675 und 1721 zu
Paris
[* 5] und im 155.
Bande der »Patrologia« von
Migne
(Par. 1852 bis 1854) wieder abgedruckt.
Vgl. über ihn die Monographien von Frank (Tübing. 1842), Hasse (Leipz. 1843-52, 2 Bde.), Rémusat (Par. 1854), Rule (Lond. 1882, 2 Bde.).