Doktrinär
(v. lat. doctrina, »Wissenschaft«),
eigentlich einer, welcher seine
Ansichten auf wissenschaftliche Prinzipien
gründet, besonders aber jemand, der von der Wirklichkeit absieht und in unpraktischer
Einseitigkeit die
Konsequenzen der
Theorie geltend zu machen sucht. Vorzüglich war der
Ausdruck Doktrinäre
in
Frankreich während der
Restauration
die von der Hofpartei ausgegangene Bezeichnung einer
Fraktion der parlamentarischen
Opposition, welche der
Politik der
Willkür
gegenüber eine wissenschaftliche Staatslehre geltend machen wollte.
Diese
Fraktion war aus den
Salons des
Herzogs von
Broglie hervorgegangen und warb in der
Kammer vornehmlich
durch
Royer-Collard, in der
Presse
[* 2] durch
Guizot vertreten.
Alle diese
Männer waren Anhänger des
Throns und der
Charte, die sie
»rein und vollständig« erhalten wissen wollten, und Verteidiger der
Regierung, solange diese das konstitutionelle
Prinzip
sich entwickeln ließ, bekämpften aber entschieden die Ausschreitungen der äußersten
Rechten. Eine
glänzende
Rolle spielte sie 1819 unter dem
Ministerium
Decazes und unter der Herrschaft
Karls X. Als nach der
Julirevolution
die
Häupter derselben,
Guizot und
Broglie, in das erste
Ministerium des Bürgerkönigs kamen, suchten die Doktrinäre
den
Strom
der
Revolution zu hemmen und
Ruhe und
Ordnung in die
Gesellschaft zurückzuführen. So stimmten sie für
die
Erblichkeit der Pairswürde, für die ausschließliche
Repräsentation des
Besitzes und des
Reichtums, für die Unterdrückung
der
Associationen, für die Septembergesetze, ja selbst für Beschränkung der
Presse. Am aus dem
Ministerium verdrängt
und in die
Minorität zurückgesunken, raffte sich der Doktrinarismus von neuem auf, verband sich Ende 1838 mit
den übrigen politischen
Parteien, zunächst um das
Ministerium
Molé zu stürzen, und
stand schon Ende
Oktober 1840 mit
Guizot
von neuem am Staatsruder, das er bis zum
Sturz des Julithrons im
Februar 1848 behauptete. Vgl.
Frankreich, Geschichte.