Titel
Ehe
(v. altdeutschen Ewa, Euua, Eoa, Ea, d. h.
Bündnis,
Vertrag, Einigung, auch
Gesetz), die nach
gesetzlichen Vorschriften eingegangene Vereinigung eines
Mannes und
Weibes zur lebenslänglichen und ungeteilten
Gemeinschaft
aller Lebensverhältnisse. Die Ehe
ist in erster
Linie ein religiös-sittliches
Institut; sie erhebt Mann und
Weib über das
bloß
Sinnliche, da ihre Grundlagen
Liebe,
Achtung und gegenseitige Hingebung, ihre
Bedingungen gegenseitiges Sichfreuen, Dulden
und Beistehen
sind. In diesem
Wesen der Ehe
als der vollkommensten sittlichen Lebensvereinigung der
Geschlechter
liegt es daher auch, daß dieselbe ihre Bestimmung vollkommen nur erfüllen kann als
Monogamie (Ehe.
Eines
Mannes mit Einer
Frau),
indem nur so eine durch gegenseitige Ergänzung hervorgebrachte
Einheit der
Person denkbar ist.
In den
Ländern, wo
Polygamie
(Vielweiberei) eingeführt ist, hat die Ehe
einen ganz andern
Charakter und gleicht mehr einem Dienstverhältnis
zwischen den
Frauen und dem Mann.
Bedeutung der Ehe
bei den verschiedenen Völkern.
Bei den orientalischen Völkern finden wir zwar fast überall
Polygamie, doch kann dieselbe glücklicherweise nie allgemein
stattfinden, denn nur in seltenen
Fällen vermag der Mann mehr als eine
Frau zu ernähren; auch kommen
sich die Zahlenverhältnisse der
Männer und
Weiber meist einander so nahe, daß allgemeine
Vielweiberei eine reine
Unmöglichkeit
ist. Bei den
Chinesen wurden und werden noch heute die
Frauen verkauft.
Polygamie ist dort erlaubt. Die
Frauen leben äußerst
eingezogen und dürfen sich fast nie öffentlich sehen
lassen; nach dem
Tode des
Mannes steht seinen
Erben
das
Recht zu, die
Witwen als Sklavinnen zu verkaufen.
Bei den Babyloniern herrschte Polygamie. Die Mädchen wurden auf dem Markt öffentlich versteigert. Von den Medern wird uns berichtet, daß bei ihnen Polyandrie (Vielmännerei) bestanden habe. Unter den Persern dagegen führte schon Zoroaster Monogamie ein, und bei ihnen scheinen überhaupt die Frauen eine würdigere Stellung eingenommen zu haben als bei den übrigen asiatischen Völkern, was schon daraus hervorgeht, daß der Perser bloß in dem Fall der Unfruchtbarkeit einer Frau sich eine andre nehmen durfte, und überdies nur mit Einwilligung der erstern.
Die Zustände der Inder haben viele Ähnlichkeit [* 2] mit denen der Chinesen; Polygamie ist erlaubt, kommt aber selten vor. Es besteht kein Verbot, aus einer Kaste in die andre zu heiraten, woraus viele Zwischen- oder Mischkasten entsprangen. In Ägypten [* 3] war die Polygamie beschränkt, und man begegnete dort den Frauen mit mehr Achtung. Sicher ist es, daß der Priesterkaste nur Monogamie gestattet war. Bei den Juden wurde die Vielweiberei auch von Moses nicht abgeschafft; meist hatte der Mann vier Frauen, zwei wirkliche und zwei Sklavinnen. Er konnte sich ohne alles Weitere von dem Weib scheiden und war nicht einmal verpflichtet, der Verstoßenen Unterhalt zu gewähren.
Die Mädchen wurden verkauft, bisweilen um sehr sonderbare Kaufpreise (vgl.
1. Sam. 18, 21-27).
Erst nach der babylonischen Gefangenschaft schwand die
Polygamie. Durch die höhere Bildungsstufe, auf welcher Griechen und
Römer
[* 4] standen, wurde bei ihnen auch eine humanere Behandlung des weiblichen
Geschlechts und eine würdigere
Regelung der ehe
lichen Verhältnisse herbeigeführt. Von einem eigentlichen Familienleben war aber auch bei ihnen noch nicht
die
Rede.
Das öffentliche
Leben, der
Staat, absorbierte fast alle übrigen Verhältnisse; so kam es denn, daß auch die Ehe
vielfach
als eine Art Staatsanstalt betrachtet wurde. Durch den ihnen angebornen politischen
Sinn wurden die Griechen
zur
Monogamie hingeleitet, womit auch in den übrigen sozialen Verhältnissen eine Hauptwurzel des asiatischen
Despotismus
vernichtet wurde. Am tiefsten unter allen griechischen Völkern standen in der Behandlung ihrer
Frauen die Spartaner, welche
die Ehe
bloß als
Mittel betrachteten, um dem Vaterland gesunde, kräftige
Krieger zu verschaffen, aus welchem
Grunde die Mädchen zu körperlichen Übungen angehalten, aber auch
Ehelosigkeit (Agamia) sowie
Mißheirat (Kakogamia) und zu
späte
Heirat (Opsigamia) bestraft wurden. Zu demselben
Zweck war es den spartanischen
Frauen zu
Zeiten, wo ihre
Männer im
Krieg
abwesend waren, erlaubt, sich mit andern, besonders schönen und kräftigen jungen Leuten, einzulassen.
Die auf diese Weise erzielten Kinder (Parthenier) wurden von Staats wegen erzogen. Die Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie war verboten. In Athen [* 5] finden wir die Frauen mehr zurückgehalten als bei den Doriern, doch wurden dieselben im allgemeinen weit besser behandelt; nicht bloß der Mann, sondern auch die Frau wurde als berechtigter Teil in der Ehe betrachtet. Keine athenische Bürgerin durfte eine Ehe ohne Einwilligung ihrer Eltern schließen, auch war in gewissen Fällen die Verheiratung naher Verwandten verboten. Dagegen war die Ehe unter ¶
mehr
Verwandten Pflicht, wenn ein Bürger bloß eine Erbin hinterlassen hatte, in welchem Fall diese den nächsten ihrer Anverwandten ehelichen mußte, um das Vermögen der Familie zu erhalten. Den Römern war es vorbehalten, den eigentlichen Begriff der Ehe herauszufinden. Trotz des Versuchs mehrerer Kaiser, der Polygamie Eingang zu verschaffen, blieb die Ehe monogamisch. Ehelosigkeit wurde bestraft, fruchtbare Ehen dagegen begründeten gewisse Rechte (jus liberorum).
Das strenge römische Zivilrecht erkennt von jeher nur eine Art der Ehe an unter den Namen nuptiae, justae nuptiae, justum matrimonium; aber selbst diese konnte verschiedenerlei Wirkungen haben, je nachdem sie die Ehefrau in die volle Familiengewalt (manus) des Mannes brachte oder nicht. Sie war nur bei römischen Bürgern möglich und unterschied sich dadurch von dem Matrimonium juris gentium, der Ehe zwischen Peregrinen oder zwischen römischen Bürgern und Peregrinen.
Außerdem bestand noch ein gesetzlich zulässiges außereheliches Verhältnis, das Konkubinat, welches nur darin von der Ehe verschieden war, daß die Konkubine nicht Genossin des Ranges und Standes ihres Mannes ward. Die eheliche Verbindung der Sklaven hieß Kontubernium. Bei den altgermanischen Völkern finden wir Polygamie erlaubt, aber nur sehr selten (»Standes halber«, wie Tacitus sagt) vorkommend. Der Mann gab eine Brautgabe an die Frau, meist in Rindern, gezäumten Pferden, Waffen [* 7] etc. bestehend. Besonders ausgezeichnet sind die Germanen durch ihre strenge Bewahrung der ehelichen Treue und durch die schweren Strafen, welche auf deren Verletzung gesetzt waren. Bei einzelnen Völkerschaften bestand die Sitte, daß nur Jungfrauen heiraten durften, wodurch den Witwen die Möglichkeit einer zweiten Verehelichung abgeschnitten war.
Auf mehrere Aussprüche der Apostel gestützt, erkannte die christliche Kirche von Anfang an nur die Monogamie an, die sie übrigens überall schon verbreitet fand, indem die Römer in allen Ländern, wohin sie ihre Gesetzgebung getragen hatten, gerade auf die Ehe einen entschiedenen Einfluß geübt hatten. Anfangs blieben die Bestimmungen des römischen Rechts in Gültigkeit; allein als die Kirche nach und nach anfing, ihre Macht auszubreiten, kam es bald dahin, daß sie sich vermöge des in der Ehe liegenden religiösen Elements ganz und gar derselben bemächtigte. So erhielten im Orient seit dem 7. Jahrh. (und seit der Christianisierung der Germanen auch im Occident) die kirchlichen Sanktionen das Übergewicht.
Gestützt auf Eph. 5, 32,. wo die Ehe ein Mysterium genannt wird, was die Vulgata mit Sacramentum übersetzt, legte man der Ehe selbst das Prädikat Sacramentum bei, und noch heutzutage erkennt die katholische Kirche die Ehe als eins der sieben Sakramente an. Von nur vorübergehendem Einfluß war in der ersten Zeit des Christentums der übergroße Purismus, durch welchen sich die Anhänger jener Religion auszeichneten. Wie alle Sinnenlust, so betrachtete man auch den Umgang der beiden Geschlechter als etwas Sündliches, und die Ehe wurde fast nur als ein notwendiges Übel geduldet.
Wie sich zur Zeit der Entwickelungsperiode der germanischen Welt, im Mittelalter, in allen Verhältnissen die schreiendsten Gegensätze ausbildeten, so geschah dies auch hinsichtlich der Ehe. Während wir auf der einen Seite die allerreinste, das weibliche Geschlecht fast als göttliches verehrende Liebe erblicken, wie bei den Troubadouren und Minnesängern, sehen wir auf der andern Seite Einrichtungen sich entwickeln, die der rohesten Barbaren würdig gewesen wären, wie das Jus primae noctis mancher Gutsherren.
Doch bleibt dem Mittelalter immer das Verdienst, daß sich in ihm ein eigentliches Familienleben herausbildete. Das Konkubinat ward durch die Reichspolizeiordnung von 1577 als etwas Unsittliches und Gemeingefährliches verboten. Neben der vollwirksamen Ehe kommen bei germanischen Völkern noch vor die Ehen zur linken Hand [* 8] (morganatische Ehen, matrimonium ad morganaticam, matrimonium ad legem salicam), welche sich darin von der eigentlichen Ehe unterscheiden, daß die Frau nicht den Rang und Stand des Mannes teilt und die Kinder bezüglich der Succession in Lehen und Fideikommisse nicht die vollen Rechte haben.
Ursprünglich auf die Ehe zwischen einer freien und einer unfreien Person beschränkt, steht dies Institut noch jetzt mit den Verhältnissen des hohen Adels im Zusammenhang, bei welchem allein es heutzutage noch vorkommen kann (s. Ebenbürtigkeit). Was die nichtchristlichen Völker der Neuzeit anlangt, so modifizieren die Juden ihre Eheverhältnisse mehr oder minder nach den in den Ländern, wo sie sich aufhalten, herrschenden gesetzlichen Grundbestimmungen. Bei den Mohammedanern herrscht Polygamie, doch auch nur unter der reichern Klasse.
Der vornehme Türke hat gewöhnlich gemäß den Bestimmungen der vierten Sure des Korans vier Weiber und außerdem noch eine beliebige Anzahl von Sklavinnen, welche ihm als Konkubinen dienen. Verboten ist die Ehe mit den Weibern des Vaters, mit den Müttern, Schwestern, Töchtern, Muhmen, mit den Töchtern der Brüder und Schwestern, mit den Säugammen und Milchschwestern, den Müttern der Weiber, den Stieftöchtern sowie mit schon verehelichten Weibern, mit Ausnahme der Sklavinnen. Als Kuriosität ist zu bemerken, daß auf der malabarischen Küste Polyandrie (Mehrheit von Männern) besteht. Dieselbe kommt auch in Vorderindien, in Tibet und im Himalaja vor. Endlich ist auch noch der Sekte der Mormonen (s. d.) zu gedenken, bei welcher die Polygamie üblich ist.
Voraussetzungen der Eheschließung.
Insofern die Ehe als ein Rechtsverhältnis zu betrachten, erscheint dieselbe als ein Vertrag, welchem nach deutschem Eherecht meist noch ein präparatorischer Vertrag vorhergeht: das Sponsalium, Verlöbnis, Eheversprechen, das aber nicht geradezu als notwendig erfordert wird (s. Verlöbnis). Der Abschluß der Ehe selbst kann, wie der jedes rechtlichen Geschäfts, nur unter gewissen Voraussetzungen erfolgen. Ein Ehehindernis (impedimentum matrimonii) ist jeder Grund, welcher dem Zustandekommen einer Ehe entgegensteht, sei es, daß die natürliche Fähigkeit zur Ehe fehlt, oder daß dieser besondere gesetzliche Verbote entgegenstehen.
Die Ehehindernisse sind entweder trennende (impedimenta dirimentia) oder aufschiebende (impedimenta impedientia), je nachdem die trotz derselben abgeschlossene Ehe nichtig ist, oder je nachdem sie gültig bleibt, wofern nur das Ehehindernis beseitigt wird. Ferner unterscheidet man Impedimenta publica und I. privata (öffentliche und private Ehehindernisse). Die Berücksichtigung der Impedimenta publica wird von Amts wegen überwacht, wie z. B. das Ehehindernis wegen Verwandtschaft. Die Impedimenta privata dagegen werden nur insofern berücksichtigt, als der andre Ehegatte oder ein dritter Berechtigter dieselben geltend macht, wie z. B. Zwang zur Eingehung der Ehe. Absolute Hindernisse sind solche, welche jemand die Ehe überhaupt unmöglich machen, relative solche, welche die ¶
mehr
Ehe nur für bestimmte Personen verhindern. Zu den erstern gehören: Fehler der physischen Fähigkeit, wie Mangel der Ehemündigkeit, also zu junges Alter (nach römischem Recht wurde Pubertät [für Männer 14, für Weiber 12 Jahre], nach dem deutschen Reichsgesetz vom betreffend die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung, werden für Männer 20, für Weiber 16 Jahre gefordert), Kastration und Impotenz; Mangel der Fähigkeit zu einer Willensbestimmung: Wahnsinn, Trunkenheit.
Bei mangelnder Ehemündigkeit ist nach dem angezogenen deutschen Reichsgesetz Dispensation zulässig. Wer schon verheiratet ist, kann keine fernere Ehe eingehen (impedimentum ligaminis); diejenigen, welche das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben, sind nach katholischem Kirchenrecht durch dasselbe von dem Eingehen einer Ehe abgehalten, namentlich also katholische Geistliche. Witwen dürfen während des Trauerjahrs um ihren Gatten, nach dem deutschen Reichsgesetz vom während der ersten zehn Monate nach seinem Tod, nicht wieder heiraten; doch ist Dispensation zulässig.
Ein absolutes, meist nur aufschiebendes Hindernis ist Mangel der Einwilligung von seiten der Eltern, Verwandten, Vormünder und Vorgesetzten. Nach dem angezogenen deutschen Reichsgesetz bedürfen eheliche Kinder, solange der Sohn das 25., die Tochter das 24. Lebensjahr nicht vollendet haben, der Einwilligung des Vaters, nach dem Tode des Vaters der Einwilligung der Mutter und, wenn sie minderjährig sind, auch der Einwilligung des Vormundes. Sind beide Eltern verstorben, so bedürfen Minderjährige der Einwilligung des letztern.
Uneheliche Kinder sind in dieser Beziehung wie vaterlose eheliche Kinder zu behandeln. Es kann aber bei grundloser Vertagung der Einwilligung großjährigen Kindern gegenüber das Gericht dieselbe ergänzen. Personen, die im öffentlichen Kirchen-, Hof-, Zivil- oder Militärdienst stehen, bedürfen des Ehekonsenses von seiten der vorgesetzten Dienstbehörde. Zu den relativen Hindernissen gehört zunächst die Verwandtschaft. Das mosaische Recht verbot die Ehe mit der Mutter, mit des Sohnes Tochter, mit der Tochter Tochter, mit der vollbürtigen und halbbürtigen Schwester, mit der Mutter Schwester. Im römischen Recht bestanden Eheverbote zwischen Aszendenten und Deszendenten, zwischen Personen, die im Respectus parentelae (Verhältnis zwischen Oheim oder Tante einerseits und Neffen oder Nichte anderseits) standen, und zwischen Geschwistern.
Das kanonische Recht stellte strengere Regeln auf und verbot nicht bloß die Ehe zwischen Geschwisterkindern, sondern selbst die zwischen Andergeschwisterkindern (sobrini), also bis zum 6. Verwandtschaftsgrad einschließlich nach römischer Komputation. Um die Eheverbote und mit diesen die Dispensationsgebühren zu mehren, ließ man später zwar den Worten nach das Verbot bis zum 6. Grad fortbestehen, führte aber eine neue Zahlungsart der Grade ein, die sogen. Computatio canonica, bei welcher nicht, wie bei der römischen Berechnungsweise, die Zeugungen auf beiden Linien, sondern nur auf der einen und zwar der längern gezählt werden.
Hiernach waren also durch das kanonische Recht die Ehen erst vom 14. Grad römischer Komputation an erlaubt. Papst Innocenz III. beschränkte jedoch 1216 die Eheverbote wieder bis auf den 4. Grad kanonischer Komputation inklusive. Nach evangelischem Kirchenrecht ist die gerade Linie durchgehends ein vernichtendes, indispensables öffentliches Ehehindernis, die Seitenlinie desgleichen im 1. Grad, also in Ansehung der Geschwister. Außerdem bestand früher ein dispensables Ehehindernis in dem vorhandenen Respectus parentelae.
Auch die Schwägerschaft bildet ein Ehehindernis. Nach mosaischem Recht war verboten die Ehe mit der Stiefmutter, Stieftochter, Schwiegermutter, Schwiegertochter, Tochter des Stiefsohns und der Stieftochter, des Bruders Frau und des Vatersbruders Frau. Hatte aber der verstorbene Bruder mit seiner Frau keinen Sohn erzeugt, so war die Ehe mit seiner Witwe nicht nur erlaubt, sondern sogar eine Pflicht (Leviratsehe). Das römische Recht untersagte die Ehe zwischen verschwägerten Aszendenten und Deszendenten; in der Seitenlinie war Schwägerschaft meist kein Hindernis, erst später wurde Verheiratung mit der Frau des verstorbenen Bruders und der Schwester der verstorbenen Frau verboten.
Von dem kanonischen Recht wurden, ähnlich wie bei der Verwandtschaft, die Verbote unter Verschwägerten unmäßig ausgedehnt; doch setzte Innocenz III. dies Verbot bis auf den 4. Grad herab, und das evangelische Kirchenrecht verminderte die Verbote des kanonischen Rechts ebenso wie bei der Verwandtschaft. Ein ferneres Ehehindernis war die Adoptivverwandtschaft und Schwägerschaft. Das römische Recht verbot nicht nur die Ehe zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern sowie zwischen dem Adoptivkind und dem Agnaten des Adoptivvaters, sondern auch die Ehe des Adoptivvaters mit der Witwe des Adoptivsohns und umgekehrt.
Das tridentinische Konzil leitete endlich auch aus der durch Taufe und Firmung entspringenden Cognatio spiritualis Ehehindernisse zwischen dem Taufenden sowie zwischen dem Paten und dem Taufkind und analog bei der Firmung her. Die evangelische Kirche und ebenso die neue deutsche Reichsgesetzgebung verwerfen jedoch den ganzen Begriff. Nach römischem Rechte durften ferner der Vormund und dessen Sohn die Mündel vor abgelegter Vormundschaftsrechnung nicht heiraten.
Das deutsche Reichsgesetz vom hat dies Impediment beibehalten und die Eheschließung eines Pflegebefohlenen mit seinem Vormund oder dessen Kindern während der Dauer der Vormundschaft für unzulässig erklärt. Doch kann eine gleichwohl abgeschlossene Ehe als ungültig nicht abgefochten werden. Im übrigen kennt des Gesetz vom (§ 33) folgende Ehehindernisse:
1) Verwandtschaft in auf- und absteigender Linie;
2) das Verhältnis zwischen voll- und halbbürtigen Geschwistern, 3) zwischen Stiefeltern und Stiefkindern, Schwiegereltern und Schwiegerkindern jeden Grades, gleichviel ob dies Verhältnis auf ehelicher oder außerehelicher Geburt beruht, und ob die Ehe, durch welche die Stief- oder Schwiegerverbindung begründet ist, noch besteht oder nicht;
4) das Rechtsverhältnis zwischen Personen, von denen die eine die andre an Kindes Statt angenommen hat, während der Dauer desselben;
5) endlich ist die Ehe untersagt zwischen einem wegen Ehebruchs Geschiedenen und seinem Mitschuldigen, doch kann von diesem letztgedachten Ehehindernis dispensiert werden. Dagegen ist die katholische Priesterweihe ein staatliches Ehehindernis nicht mehr. Weiter hat das gedachte Gesetz, abgesehen von den bereits besprochenen und von ihm beibehaltenen dispensabeln Hindernissen der noch nicht erreichten Ehemündigkeit, des mangelnden Konsenses und des für Witwen bestehenden Verbots des Abschlusses einer anderweiten Ehe vor Ablauf [* 10] des zehnten Monats seit Beendigung der frühern Ehe, verordnet, daß an den partikularistischen Bestimmungen über die Wirkungen des Zwanges, Irrtums und Betrugs auf die Gültigkeit der Ehe nichts geändert ¶
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Ehe,
gesetzmäßig geschlossener Vertrag zwischen zwei mannbaren Personen verschiedenen Geschlechts zur dauernden, innigsten Lebensgemeinschaft und zur gemeinsamen Erziehung der aus diesem Zusammenleben hervorgehenden Kinder. Der Ehe ist eine hohe Bedeutung für das physische und moralische Wohl der Bevölkerung [* 12] beizumessen, und die durchschnittliche Heiratsziffer ist ein Maßstab [* 13] für das Wohlbefinden des Volkes. Die Heiratsziffer ist das Verhältnis der jährlich in die Ehe tretenden Personen zur mittlern Einwohnerzahl des Jahrs; sie wird aber nur als ein dem gegenwärtigen Stande der internationalen Statistik entsprechender Notbehelf betrachtet, denn einen korrektern Maßstab gewinnt man, sobald man die Zahl der Heiratenden mit der Zahl der heiratsfähigen Bewohner vergleicht.
Legt man die Grenze der Heiratsfähigkeit für Deutschland [* 14] bei Männern in das 21., bei Frauen in das 16. Lebensjahr, so ergibt sich, daß im Deutschen Reich 1886 von je 1000 heiratsfähigen Männern 82,3, von je 1000 heiratsfähigen Frauen nur 48,3 heirateten. (Berechnet man dagegen die Ziffern auf die Gesamtbevölkerung, so heirateten von 1000 männlichen Personen 16,2, von 1000 weiblichen 15,6.) Hiernach treten jährlich von der heiratsfähigen Bevölkerung fast doppelt so viele Männer als Frauen in die Ehe ein, und man kann nicht sagen, daß für unsre monogamischen Einrichtungen sich aus dem numerischen Verhältnis der Geschlechter ein zwingender Grund ableiten läßt.
Nimmt man (ganz willkürlich) an, daß das heiratsfähige Alter im physiologischen Sinn bei den Männern durchschnittlich mit dem 50., bei den Frauen mit dem 45. Lebensjahr endigt, so entfallen im Deutschen Reich immer noch auf 3 männliche mehr als 4 weibliche Personen. Die Zahl der jährlich geschlossenen Ehen ist bei den verschiedenen Nationen ungleich groß und unterliegt starken Schwankungen. Dies hängt weniger von klimatischen als von sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie auch von Volkssitte und Gesetzgebung ab. Im Durchschnitt der 19 Jahre von 1865 bis 1883 kamen auf je 1000 Einwohner Eheschließungen in
Preußen | 8.61 |
---|---|
Bayern | 8.42 |
Sachsen | 9.23 |
Österreich | 8.52 |
Ungarn | 10.30 |
Schweiz | 7.11 |
England | 8.08 |
Frankreich | 7.79 |
Italien | 7.71 |
Belgien | 7.15 |
Schweden | 6.52 |
Irland | 4.77 |
Je früher in einem Land nach Volkssitte, Klima, [* 15] Lebensweise und sozialer Gesetzgebung Ehen geschlossen werden, um so größer ist die Zahl der bestehenden Ehen, denn den in der Jugend versäumten Ehebund holen nur wenige im spätern Alter nach. Von je 100 heiratenden Personen standen im Alter von
Männer bis 25 Jahre | 25-30 Jahre | über 30 Jahre | Frauen bis 20 Jahre | 20-30 Jahre | über 30 Jahre | |
---|---|---|---|---|---|---|
Preußen | 67.74 | 32.26 | 10.30 | 69.74 | 19.96 | |
Bayern | 18.94 | 36.74 | 44.32 | 6.44 | 64.81 | 28.77 |
Sachsen | 34.70 | 38.23 | 27.07 | 10.73 | 70.88 | 78.39 |
Österreich | 62.56 | 37.44 | 18.07 | 57.92 | 24.61 | |
Ungarn | 77.44 | 22.56 | 36.04 | 50.26 | 13.70 | |
Schweiz | 57.84 | 42.16 | 8.79 | 63.74 | 27.47 | |
England | 51.34 | 25.38 | 23.28 | 14.41 | 68.77 | 16.82 |
Frankreich | 27.05 | 37.57 | 35.38 | 21.16 | 59.59 | 19.25 |
Italien | 25.98 | 36.99 | 37.03 | 16.92 | 65.79 | 17.29 |
Belgien | 57.22 | 42.78 | 6.40 | 63.43 | 30.17 | |
Schweden | 23.31 | 35.69 | 41.00 | 5.55 | 65.02 | 29.43 |
Die Tabelle zeigt, daß im Süden, obwohl dort die körperliche Reife früher eintritt und die notwendigen Lebensbedürfnisse leichter zu befriedigen sind, die Ehen doch nicht früher geschlossen werden. Dagegen werden in England 51 Proz. aller Ehen seitens der Männer vor dem 25. Lebensjahr geschlossen (in Rußland angeblich 68 Proz.), was vielleicht dem Nationalreichtum und dem Fehlen der allgemeinen Wehrpflicht zuzuschreiben ist; es ist aber auch möglich, daß das frühe Heiraten zur Förderung des Nationalreichtums beigetragen hat. In Bayern [* 16] soll die ehemalige Gesetzgebung, welche das Heiraten ungemein erschwerte, noch jetzt nachwirken, so daß dort zum Teil später geheiratet wird als bei den durch späte körperliche Entwickelung ausgezeichneten Schweden. [* 17]
Die Sitte des späten Heiratens erhöht, wie es scheint, die Zahl der unehelichen Geburten, und da die Lebensfähigkeit der unehelichen Kinder geringer ist als die der ehelichen, so erhöht spätes Heiraten auch die allgemeine Sterblichkeit. Das Heiratsalter der Frauen entspricht nicht immer demjenigen der Männer. Dies zeigt sich besonders deutlich in England, wo vielleicht die spätere physische Entwickelung des Weibes das frühe Heiraten verbietet. Auf je 100 Frauen im gebärfähigen Alter (vom vollendeten 17. bis vollendeten 50. Lebensjahr) kamen Geburten vor:
1872-75 durchschnittlich | 1886 | |
---|---|---|
im Deutschen Reich | 30.3 | 27.4 |
in Preußen | 30.4 | 28.1 |
Bayern | 32.0 | 27.4 |
Sachsen | 29.2 | 27.5 |
Württemberg | 35.0 | 27.4 |
Baden | 32.1 | 25.7 |
Hessen | 29.2 | 24.0 |
Mecklenburg-Schwerin | 23.3 | 21.0 |
Berlin | 28.0 | 21.1 |
Posen | 33.1 | 32.2 |
der Rheinprovinz | 35.4 | 31.6 |
Die eheliche Fruchtbarkeit hat hiernach in allen genannten Staaten und Landesteilen abgenommen, am stärksten in Süddeutschland und Berlin. [* 18] ¶
mehr
Beachtenswert ist die sehr niedrige eheliche Fruchtbarkeit in Frankreich. Auf je 100 verheiratete Frauen im gebärfähigen Alter kamen 1887 nur 16 Geburten überhaupt und nur etwa 14,7 eheliche Geburten, so daß die Fruchtbarkeit der Ehen in Frankreich nur etwa halb so groß ist wie im Deutschen Reich. Vergleicht man die Zahl der jährlich geschlossenen Ehen mit derjenigen der ehelichen Kinder, so entfielen auf je eine Ehe Kinder: in Berlin 3,2, Bayern rechts des Rheins 4,9, Sachsen [* 20] und Thüringen 4,2, Ost- und Westpreußen [* 21] 4,8, Posen [* 22] und Rheinprovinz [* 23] 5,2. kBei solcher Rechnung ist die eheliche Fruchtbarkeit am beträchtlichsten in Spanien, [* 24] Irland, Rußland, Rumänien, [* 25] am geringsten in Frankreich, Dänemark, [* 26] Norwegen. In Frankreich hatten von je 100 Familien:
kein Kind | 20 im Land, 32.8 in Paris |
---|---|
ein Kind | 24.4 " 27.0 " |
zwei Kinder | 21.8 " 19.8 " |
drei Kinder | 14.5 " 10.6 " |
mehr Kinder | 19.3 " 9.8 " |
Auf ⅔ aller französischen und 4/5 aller Pariser Familien entfiel hiernach durchschnittlich nur ein Kind, und auf 100 Familien kamen in Frankreich überhaupt nur 259 Kinder.
Unter den segensreichen Folgen der Ehe wird auch aufgeführt, daß sie die Lebensdauer verlängere. Thatsächlich sterben von 1000 verheirateten Männern durchweg weniger als von 1000 ledigen derselben Altersklasse. Bei den verheirateten Frauen ist dasselbe Verhältnis in den höhern Altersklassen vorhanden; im Alter von 20-30 Jahren ist das Sterblichkeitsprozent der verheirateten Frauen infolge der mit den Wochenbetten verknüpften Lebensgefahren etwas größer als bei den unverheirateten. In Preußen [* 27] starben 1886 von je 1000 Lebenden:
Männer ledige | verheiratete | Frauen ledige | verheiratete | |
---|---|---|---|---|
im Alter von 20-30 Jahren | 8.1 | 5.9 | 5.8 | 8.1 |
" " " 30-40 Jahren | 16.7 | 9.5 | 9.5 | 9.9 |
" " " 40-60 Jahren | 30.2 | 19.3 | 18.5 | 13.7 |
" " " 60-80 Jahren | 73.1 | 55.5 | 62.1 | 48.2 |
Der Einwand, das; vorwiegend gesunde Personen heiraten, weniger lebenskräftige ledig bleiben, trifft gegenüber den thatsächlichen Verhältnissen nicht zu. Sehr viele gesunde, kräftige Männer in erwerbsfähiger Lage bleiben unverheiratet, weil sie das mit größern Mühen und Entbehrungen verknüpfte Leben der Familienväter scheuen, und um nach ihrer Meinung das Leben besser genießen zu können. Über die größere oder geringere Erkrankungsfähigkeit der Eheleute gegenüber ledigen Personen liegen zuverlässige Ermittelungen nicht vor.
Die Statistik der Irrenanstalten ergibt, daß das Irresein bei Ledigen häufiger ist als bei Verheirateten derselben Altersstufen; mdes gelangen auch wohl Ledige leichter in die Anstalt als Verheiratete, und viele bleiben ledig, weil sie den Keim der psychischen Störung schon in sich tragen. Dessenungeachtet sind die Differenzen so bedeutend, daß die Schutzkraft der Ehe nicht abgeleugnet werden kann. Dieselbe beruht wohl zum Teil auf der Regelung des Geschlechtslebens und darauf, daß das Leben im allgemeinen durch die Ehe in ruhigere, gleichmäßigere Bahnen gelenkt wird und Sorgen und Kummer weniger nachteilig wirken können. Im engsten Zusammenhang hiermit steht, daß Selbstmord bei Eheleuten relativ seltener als bei nicht und namentlich bei nicht mehr Verheirateten vorkommt. Die größte Höhe erreicht die Selbstmordziffer bei den Geschiedenen.