Fadengebilde
,
die aus biegsamen fadenförmigen Elementen zusammengefügten Kunstprodukte. Der
Umfang des mit diesem
Wort bezeichneten
Begriffs ist so groß, daß es schwer ist, eine irgendwie erschöpfende Übersicht zu geben; in den für
allerhand
Absichten hergestellten
Verbindungen biegsamer Fäden spiegelt sich die Beweglichkeit und kombinatorische Kraft
[* 3] des
menschlichen
Geistes wie die Geschicklichkeit der menschlichen
Hand
[* 4] wieder. Während bei den fadenförmig-biegsamen
Körpern, die als Rohmaterial vorausgesetzt werden, die Länge überwiegt, kann bei den Fadengebilde
sowohl das gleiche
Verhältnis vorliegen
(Schnüre, Litzen, Seile,
Taue), als auch ein Zurücktreten nur einer Dimension
[* 5] (Geflechte, Gewebe,
[* 6]
Netze,
Spitzen), als auch eine gleichmäßige
Ausdehnung
[* 7] nach allen drei Dimensionen vorliegen (Fadenbällchen,
Troddeln, Quasten).
Von den so zu bildenden drei Hauptarten der Fadengebilde
sind die nach zwei Dimensionen stark ausgedehnten (flächenartigen)
von der größten Bedeutung und Mannigfaltigkeit; sie sind dem
Menschen als unmittelbare und mittelbare Schutzhüllen gegen
Kälte und Unwetter unentbehrlich geworden und haben durch ihre künstlerischen Formen eine große ästhetische
Bedeutung. Insoweit die Herstellung der Fadengebilde
von
Hand unter Anwendung der einfachsten Werkzeuge
[* 8]
(Stricknadel, Häkelnadel, Nähnadel)
erfolgt, wird hier auf die reiche Fachlitteratur für weibliche
Handarbeiten (z. B. auf das
Buch von
Thérèse de Dillmont,
«Encyklopädie der weiblichen
Handarbeiten», Dornach 1887) zu verweisen sein.
Diejenigen industriell wichtigern Fadengebilde
, deren Herstellung auf
Maschinen erfolgt, betrachtet man behufs
Einteilung
in erster Linie so, daß ausschließlich der Zweck des gleichmäßigen Zusammenhalts der vereinigten fadenförmigen Elemente
ins
Auge
[* 9] gefaßt wird, daher ein figurenfreies gleichmäßiges Aussehen der Oberflächen sich ergiebt. Auch wenn man sich
hier nur auf die sog.
Tegumente, die zur Umhüllung geeigneten Fadengebilde
beschränkt, ergiebt sich nach der besondern
Art der Fadenverbindung schon eine ziemliche Mannigfaltigkeit. Die dauernde
Vereinigung vieler Fäden kann erfolgen
a. durch Zusammenkleben, b. durch Verschränken, c. durch Verzwirnen, d. durch Verschlingen, e. durch Verknoten; dabei können zur Vereinigung gelangen:
α. ein Fadenbündel oder eine Fadenreihe, β. eine Fadenfolge, γ. eine Fadenreihe nebst einer
Fadenfolge, δ. zwei Fadenreihen mit einer Fadenfolge, ε. eine Fadenreihe mit zwei Fadenfolgen. Von den hiernach möglichen 25
Arten
ungemusterter Fadengebilde
sind jedoch zur Zeit nur 11 von praktischer Bedeutung.
Das Zusammenkleben, die Verwendung einer beim Trocknen erhärtenden Schlichte, liegt vor bei dem sog. Bastband (s. d.), das Verzwirnen bei ¶
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dem Nähzwirn, dem Strickgarn, der Cordonetseide, den Schnüren, Bindfäden, Seilen und Tauen; als ein Sonderfall des Verzwirnens kann das Umspinnen oder Plattieren eines Kernfadens mit einem Deckfaden angesehen werden, das die Gimpe oder die plattierte Schnur liefert.
Das wechselnde Verschränken einer Fadenreihe und einer Fadenfolge (oder einer Folge von Fadenlagen) führt zu den Geweben [* 10] (Fig. 1), das gesetzmäßig durchgeführte Verschränken von zwei Fadenfolgen zu dem flachen [* 10] (Fig. 2) oder runden (schlauchartigen) Geflecht; der Zusammenhalt der verschränkten Fäden, ihr Widerstand gegen das Herausgleiten ist hier die Folge der wellenförmigen Gestaltung, welche anzunehmen die Fäden sich gegenseitig zwingen, und der hierdurch hervorgerufenen Biegungselasticität, die an allen Kreuzungsstellen eine gewisse Reibung [* 11] veranlaßt; diese Reibung wird um so größer, je dichter die Fäden aneinander gedrückt werden.
Wird bei den Geweben die Fadenreihe auf einer Cylinderfläche angeordnet und die Fadenfolge durch einen Faden [* 12] ersetzt, der in schraubenlinigen Windungen auf derselben Cylinderfläche verläuft, oder bilden bei den Geflechten die beiden Fadenfolgen sich kreuzende Schraubenlinien, so entsteht das schlauchartige Hohlgewebe oder Hohlgeflecht. Läßt man die wechselnde Verschränkung der Fäden nach andern Gesetzen, als in [* 10] Fig. 1 u. 2 angenommen wurde, erfolgen, verwendet man z. B. Köperbindung statt Leinwandbindung, so tritt
eine andere Verteilung der zu den beiden Fadensystemen verwendeten Materialien auf den beiden Seiten des Erzeugnisses ein, auch wird die Zahl der auf eine gewisse Fläche kommenden Verschränkungen und damit die Art des Anfühlens, die Weichheit, der Griff, geändert.
Läßt man bei einer Fadenreihe die Verzwirnung in der Weise durchführen, daß jeder Faden abwechselnd mit seinem Nachbar zur Rechten und zur Linken vereinigt wird, so entsteht eine Ware (Kettengaze, Mechlinet, Drehergeflecht, [* 10] Fig. 3), bei welcher die Unverschieblichkeit der Fäden auch schon dann gut gesichert ist, wenn die Fäden größere Zwischenräume (rhombische Zellen) umschließen; denn bei der schraubenlinigen Berührung der Fädenpaare an den Vereinigungsstellen tritt die gleitende Reibung, die sich bei einer Verschiebung eines Fadens gegen den andern einstellt, in Form der Umfangsreibung auf, die mit der Länge der berührten Linien sehr rasch anwächst.
Wendet man das Mittel der Verzwirnung in solcher Art an, daß eine Fadenfolge mit zwei Fadenreihen vereinigt
werden, so entsteht die nach der kleinasiat. Stadt Gaza genannte Gaze (Dreher,
[* 10]
Fig. 4), ein durchsichtiges Fadengebilde
, das, vorzugsweise
in Rohseide hergestellt, sowohl technischen als auch künstlerischen Zwecken dient; seine Herstellung ist noch auf dem gewöhnlichen
Webstuhl
[* 13] möglich, wenn nur an Stelle des gewöhnlichen Geschirrs eine abgeänderte Fachbildungsvorrichtung eingefügt
wird, welche die regelmäßige Verzwirnung der paarweise angeordneten Kettenfäden nach dem Eintragen jedes Schußfadens
bewirkt.
Der Drehungssinn der aufeinander folgenden Verzwirnungen ist hier abwechselnd rechts und links. Eine gleichsinnige Verzwirnung
liegt jedoch vor bei dem Spitzengrund oder Bobbinnet
[* 10]
(Fig. 5), in welchem mittels besonderer ganz selbstthätiger Maschinen
(Zwirnwebmaschinen) eine Fadenreihe und zwei schrägverlaufende Fadenfolgen unter Anwendung gleichsinniger
Verzwirnung vereinigt sind, dergestalt, daß bei gleichmäßiger Anspannung der Ware nach den beiden Hauptrichtungen ein
klares durchsichtiges Fadengebilde
mit sechseckiger Zellenform zu stande kommt, einer Form, die sich als sehr bestandfähig
erweist (s. Bobbinnet). (Anmerkung des Editors: Seite fehlt im Brockhaus. )
Eine bemerkenswerte Stellung unter den Fadengebilde
nehmen die Wirkwaren
[* 10]
(Fig. 6, 7) ein, bei denen auf dem
Wege des Strickens, Hakelns, Wirkens eine Fadenfolge
[* 10]
(Fig. 6) oder eine Fadenreihe
[* 10]
(Fig.
7) durch Schleifenbildung und Verschlingung der entstandenen Maschen vereinigt wird; diese Maschen, die sich gegenseitig stützen,
vertragen eine erhebliche
¶
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Formänderung und gegenseitige Verschiebung, womit die Fähigkeit dieser Fadengebilde
, sich bei ihrer Verwendung als
Körperhüllen leicht den verschiedenen Gestaltungen des menschlichen Körpers anzupassen, zusammenhängt. Das Verschlingen
einer Fadenfolge oder einer Folge von Fadenlagen oder von schraubenlinig verlaufenden Fadenwindungen geschieht mit den von
der Hand geführten Stricknadeln oder mittels der Strickmaschine,
[* 15] mit dem flachen Kulierstuhl oder dem Rundkulierstuhl
(daher Strickware, Kulierware,
[* 14]
Fig. 6), das Verschlingen einer Fadenreihe aus dem Kettenwirkstuhl (daher
Kettenwirkwaren,
[* 14]
Fig. 7). Näheres s. Wirkwaren.
Die zuverlässigste Unverschiebbarkeit der vereinigten Fäden, wie sie für Fischernetze, Jagdtaschen u. dgl. erwünscht ist, erlangt man durch Verknoten einer Fadenfolge oder einer Folge von Fadenlagen (Filetware, Netzwerk, [* 16] Fig. 8) oder einer Fadenreihe mit einer Fadenfolge (auf Maschinen hergestelltes Fischernetz, [* 14] Fig. 9); die hierbei angewendeten Knoten, die in der [* 14] Figur offen dargestellt sind, müssen natürlich von solcher Art sein, daß sie sich durch einen Zug in jeder der beiden Richtungen, die durch die vereinigten Fadenlagen gegeben sind, schließen («zuschlieren» in der Sprache [* 17] der Schiffer); die Technik verfügt über eine große Auswahl hierzu geeigneter Knoten.
Unter Zugrundelegung der hier dargestellten Hauptarten von ungemusterten Fadengebilde
, deren Zahl durch Variieren gewisser naheliegender
Momente leicht vergrößert werden könnte, kann man ohne Schwierigkeit zum Verständnis der gemusterten
Fadengebilde
gelangen, deren mögliche Zahl ins Unendliche ansteigt, wenn man bedenkt, daß nicht nur Form und Anordnung der Muster, sondern
auch die Auswahl der Fadenverbindung für Grund und
[* 14]
Figur freisteht; sieht man noch ganz von den Musterungen ab, die lediglich
durch Farbenunterschiede bedingt sind (bedruckte Fadengebilde
), so ist ersichtlich, daß in jedem
flächenartigen Fadengebilde
Musterbildungen zu stande kommen können, indem man innerhalb der Grenzen
[* 18] vorgeschriebener
[* 14]
Figuren eine andere Fadenverbindung benutzt, als außerhalb dieser Grenzen, im sog.
Fond. Zur Lösung der hier angedeuteten Aufgabe sind höchst sinnreiche Einrichtungen erfunden worden, wie das Jaquardgetriebe,
der Rapportapparat u. dgl.
Die größte Mannigfaltigkeit in der Herstellung gemusterter Fadengebilde
ist bei den Spitzen (s. d.) erreicht worden,
bei denen das Streben nach Verzierung bis auf die Ausgestaltung der Ränder ausgedehnt wurde. Eine reichhaltige Art von Fadengebilde
entsteht
durch das Aufsticken von
[* 14]
Figuren auf schon fertige flächenartige Fadengebilde
, durch Einknüpfen
eines sammetartigen Flors, durch Aufnähen besonders hergestellter Stoffausschnitte. (S. Stickerei, Teppiche,
Applikationsarbeit.) Gewisse Arten solcher Fadengebilde
können auf besonders eingerichteten Webmaschinen gleichzeitig mit dem Grundgewebe
hergestellt werden. (S. Broschieren, Teppiche u. s. w.) – Die Herstellung von Fadengebilde
, die nach mehr als zwei
Dimensionen erheblich ausgedehnt sind, ist Aufgabe der
Posamenterie (s. d.).