Hunger
(Fames), das
Gefühl, durch welches das
Bedürfnis nach
Nahrung zum
Bewußtsein gebracht wird. Durch welche Teile
des
Nervensystems diesem
Gefühl vermittelt wird, ist noch nicht genügend aufgeklärt. Man hat vielfach gesagt, der Hunger
sei
ein rein lokales
Gefühl, welches sich dann einstelle, wenn der
Magen
[* 3] keine
Nahrungsmittel
[* 4] mehr enthalte.
Dieses kann schon deshalb nicht richtig sein, weil der
Magen vieler
Tiere, bei denen das Vorkommen des Hunger
gefühls gar nicht
zu bezweifeln ist (z. B. derjenige der
Wiederkäuer),
[* 5] unter keinen Umständen leer wird.
Auch sensible, von der Schleimhaut des
Magens ausgehende
Reize können das
Gefühl nicht veranlassen, denn
Tiere bekundeten noch unzweideutige Zeichen des Hungers
, nachdem die sensibeln
Nerven
[* 6] des
Magens zerstört waren. Man stellt
sich jetzt vor, daß durch Veränderungen in der
Zusammensetzung der Ernährungsflüssigkeit, Veränderungen, welche durch
die Verarmung des
Bluts an gewissen
Nährstoffen, möglicherweise auch noch durch Anhäufung von Zersetzungsprodukten
bedingt werden, gewisse noch nicht näher bekannte Empfindungsnerven gereizt werden, woraus dann das Hunger
gefühl resultiert.
Die
Empfindung des Hungers
ist anfangs nicht unangenehm. Der
Speichel wird in vermehrter
Quantität in den
Mund ergossen, und
man glaubt eine
Bewegung im
Magen zu verspüren; später entstehen auch
Bewegungen in den Gedärmen und
ein
Kollern von
Luft. Wird aber jetzt das Nahrungsbedürfnis nicht befriedigt, so stellt sich zunächst ein
Gefühl von Mattigkeit,
Muskelschwäche und Verminderung des
Turgor vitalis ein.
Später steigern sich dann auch die lokalen
Symptome.
Der
Magen wird immer empfindlicher, selbst schmerzhaft, so daß er jetzt genossene
Speisen nur dann verträgt,
wenn sie mit großer Vorsicht in kleinen
Quantitäten geboten werden, während in größerer
Quantität genommene
Speisen schwere
Verdauungsstörungen veranlassen. Zugleich mit der gesteigerten
Empfindlichkeit des
Magens entstehen
Kopfschmerzen; länger
dauernder Hunger
führt zu großer Aufregung, Irrereden, selbst
Tobsucht. Die
Schwäche steigt dabei aufs höchste, die
Muskeln
[* 7] versagen ihren
Dienst, das
Gesicht
[* 8] fällt ein; der
Speichel wird bitter, der
Atem übelriechend, der
Harn sehr konzentriert,
dunkel gefärbt, scharf; die meisten
Sekretionen vermindern sich oder hören auf, die
Schleimhäute werden trocken.
Hungernde
Tiere werden so stumpf, daß sie schließlich vorgehaltenes
Futter gar nicht mehr aufnehmen, sondern unter
zunehmender
Schwäche zu
Grunde gehen. Kräftige, wohlgenährte
Hunde
[* 9] erliegen dem Hungertod
erst nach vier
Wochen, der
Mensch
nach 21-22
Tagen; bei
Genuß von
Wasser erträgt
er den Hunger
viel länger, und nach dem Vorgang des amerikanischen
Arztes
Tanner
haben in neuester Zeit mehrere
Personen 40
Tage und länger angeblich aller
Speise sich enthalten. Nach
den
Beobachtungen einer vom französischen
Kriegsministerium niedergesetzten
Kommission vermögen
Pferde
[* 10] 8-15
Tage den Hunger
ohne
üble
Folgen zu ertragen, wenn sie an
Wasser keinen Mangel leiden; hungern
sie aber länger, so vermögen sie sich durch passendes
Futter nicht mehr zu erholen, sondern gehen an Erschöpfung zu
Grunde. Pflanzenfresser ertragen den Hunger
viel
weniger lange als
Fleischfresser. Die wirbellosen
Tiere
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mehr
und die kaltblütigen Wirbeltiere, namentlich die Amphibien, hungern
sehr lange, oft mehrere Jahre, Vögel
[* 12] bis drei Wochen. Junge
Tiere ertragen den Hunger
weniger lange als erwachsene. Bei gewissen Krankheiten vermögen sowohl Menschen als Tiere außerordentlich
lange ohne Nahrung zu leben. S. auch Ernährung.