Affen
[* 2]
(Simiae, Pithēci, hierzu Tafel »Affen
I-III«),
[* 3]
oft auch fälschlich
Vierhänder
(Quadrumăna) genannt, bilden
mit dem
Menschen die erste
Ordnung der
Säugetiere, die
Primaten (s. d.), und sind unter allen
Tieren dem
Menschen körperlich
und geistig am ähnlichsten. Bei den meisten Affen
ist der
Schädel rundlich und um so menschenähnlicher,
je jünger das
Tier ist; die
Kiefer sind meist hoch, kurz und kräftig, entwickeln sich aber mit zunehmendem
Alter so sehr in
die
Länge, daß der
Gesichtswinkel (s. d.) bei manchen
Arten nur 60°, bei andern nur 45° oder sogar nur
30° beträgt, während er beim
Menschen 80-85° ausmacht.
Die
Nase
[* 4] geht ohne
Absatz in die
Lippe
[* 5] über und tritt nur bei
Semnopithecus nasica beträchtlich aus dem
Gesicht
[* 6] hervor. Die
Zähne
[* 7] nähern sich denen des
Menschen, doch findet sich niemals eine vollständig geschlossene Zahnreihe, vielmehr ragen
die Eckzähne auch bei den höchsten Affen
stark hervor, und zwischen ihnen und den benachbarten
Zähnen ist stets in der Art
eine
Lücke vorhanden, daß beim
Schluß der
Kiefer die Eckzähne nicht auf-, sondern nebeneinander greifen.
Backenzähne 20 oder 24 (s. unten). Die Augenhöhlen sind stets geschlossen, die mittelgroßen oder auch kleinen Augen vorwärts gerichtet und einander mehr genähert als beim Menschen. Das äußere Ohr [* 8] ist meist nur von mäßiger Größe, bald dem menschlichen Ohr einigermaßen ähnlich, bald mehr zugespitzt, aber stets ohne Ohrläppchen. Der Hals ist kurz, dünn und rund; der Rumpf ist gestreckt, an der Brust mit zwei Zitzen versehen, aber in den Weichen stark eingeschnürt.
Das
bezeichnendste Merkmal der ganzen
Gruppe liegt in der
Bildung der
Hände und
Füße. An beiden nämlich läßt sich gewöhnlich
der innerste
Finger, resp. die innerste
Zehe den andern vier gegenüberstellen; so vermögen die Affen
nicht nur mit den
Händen,
sondern auch mit den
Füßen zu greifen. Doch bleibt der
Fuß nach seinem ganzen
Bau ein
Fuß und ist keineswegs
eine
Hand,
[* 9] so daß man auch die Affen
nicht
Vierhänder nennen darf, sondern sie als
Säugetiere mit zwei
Händen und zwei Greiffüßen
bezeichnen muß.
Einigen fehlt der
Daumen völlig oder ist nur als Stummel vorhanden oder nicht den andern
Fingern gegenüberstellbar.
Finger und
Zehen tragen zum Teil
Krallen, zum Teil
Nägel
[* 10] (s. unten). Die vordern
Gliedmaßen sind oft länger als die hintern,
welche ebenso wie das
Becken und die
Wirbelsäule nicht zum aufrechten
Gang
[* 11] eingerichtet sind. Die
Schenkel sind zu dünn, und
ihre Muskulatur ist zu schwach, als daß sie auf die Dauer den
Körper zu tragen vermöchten.
Daher nehmen die Affen
nur selten
eine aufrechte
Stellung an und vermögen sich nur mit
Hilfe eines
Stocks darin zu erhalten.
Der
Gang der höhern Affen
auf dem
Boden ist ein unbehilflicher, weil sie mit dem Außenrand der
Füße auftreten.
Ihre natürlichste
Ortsbewegung
[* 12] ist das Klettern, und hierin werden sie kaum von einem andern
Tier übertroffen. Viele bedienen
sich dabei ihres langen
Wickel- oder Greifschwanzes und können mit ihm sogar kleine Gegenstände ergreifen und zu sich heranziehen.
Das Haarkleid der Affen
bedeckt den ganzen
Körper, mit Ausnahme einzelner
Stellen des
Gesichts, der innern
Handfläche und häufig des
Gesäßes, und neigt sich oft zu Färbungen, die sonst bei
Säugetieren seltener vorkommen.
Einzelne
Arten sind durch besondere natürliche Frisuren und durch
Barte ausgezeichnet. Im innern
Bau stehen die Affen
dem
Menschen
sehr nahe. Der
Schädel gleicht dem unsrigen in vielen
Punkten, ist aber bei den Erwachsenen meist durch
starke Muskelleisten und das Vorspringen des Kieferteils tierischer. Das
Gehirn
[* 13] steht dem des
Menschen an
Masse relativ nach
und hat auch im allgemeinen einfachere Windungen. Die
Wirbelsäule besteht aus 7
Hals-, 12 bis 14
Rippen-, 3-7
Lenden-, 2-5
Kreuzbein- und 3-33 Schwanzwirbeln.
Das
Schulterblatt ist breit, das
Schlüsselbein sehr stark, das
Becken schwach. Die Muskulatur ist bei vielen
Arten eine äußerst
kräftige. Der
Tastsinn spielt eine sehr bedeutende
Rolle; so sind die
Spitzen der
Finger und des Greifschwanzes mit sehr feinem
Gefühl begabt. Auch der Geruchssinn ist hervorragend entwickelt. Die seelischen Thätigkeiten der
Affen
, vor allen ihr
Talent zu geschickter
Nachahmung, sind groß und wurden von jeher hoch angesehen; ja, ganze
Völker der niedersten
Kulturstufen haben, durch den menschenähnlichen Körperbau der Affen
verleitet, in ihnen
Waldmenschen gesehen, welche nur aus
Scheu vor der
Arbeit die Sprachfähigkeit verleugneten.
Die Affen
leben vorzugsweise von
Früchten, doch auch von
Insekten;
[* 14] in der Gefangenschaft gewöhnen sie sich
meist an die
Speisen des
Menschen. Sie bringen die
Nahrung mit den
Händen oder dem Greifschwanz zum
Munde. Das Weibchen wirft
in der
Regel nur Ein
Junges. Unter den Affen
finden sich Monogamisten und Polygamisten; jene leben vereinzelt,
diese bilden aus
Familien bestehende kleinere oder größere
Scharen, welche das älteste Männchen anführt. Der Aufenthalt
der Affen
ist auf die heiße
Zone beschränkt und überschreitet nirgends den Verbreitungskreis der
Palmen;
[* 15] am nördlichsten wohnen
die Makaks
(Inuus ecaudatus) von Nordafrika und
Gibraltar.
[* 16] Meist leben sie auf
¶
Hulman (Semnopithecus entellus). 1/10
Rußfarbene Meerkatze (Cercopithecus fuliginosus). 1/6 (Art. Meerkatze.)
Mantelpavian (Cynocephalus Hamadryas). 1/8. (Art. Pavian.)
Wanderu (Macacus Silenus). 1/10. (Art. Makako.)
Gibbon (Hylobates Lar). 1/8. (Art. Gibbon.) ¶
Brüllaffe (Mycetes niger). 1/5. (Art. Brüllaffe.)
Scharlachgesicht (Brachyurus calvus). 1/7. (Art. Kurzschwanzaffe.)
Röteläffchen (Hapale Rosalia). ¼. (Art. Seidenaffe.)
Kapuzineraffe (Cebus capucinus). 1/6. (Art. Rollschwanzaffe.)
Klammeraffe (Ateles Bartlettii). 1/6. (Art. Klammeraffe.)
Schweifaffe (Pithecia Satanas). 1/5. (Art. Schweifaffe.) ¶
mehr
Bäumen, und manche berühren den Boden nur im Tode. Die Stimme ist nur bei einigen kleinern Arten sanft, sonst schreiend oder grunzend.
Die lebenden Affen
(25 Gattungen mit über 230 Arten; wegen der fossilen s. unten) bringt man in 3-5 Familien unter. Die früher
gleichfalls hierher gerechneten Halbaffen
[* 20] (Prosimii) erhebt man jetzt meist zu einer eignen Ordnung.
1. Familie: Krallenaffen (Arctopitheci oder Hapalidae). Niedliche Äffchen mit meist dichtem Wollpelz, langem, bebuschtem Schwanz und rundlichem Kopf, platter Nase mit seitlichen Nasenlöchern und vorstehenden, oft mit Haarpinseln geschmückten Ohren. Finger mit spitzen Krallennägeln, nur die große Zehe mit Plattnagel; Daumen den andern Fingern sehr wenig oder gar nicht entgegensetzbar. Oben wie unten jederseits 5 Backenzähne (3 Prämolaren, 2 Molaren) mit spitzigen Höckern. Sehr lebhaft, aber furchtsam, meist wenig größer als ein Eichhörnchen; leben gesellig auf Bäumen von Früchten und Insekten, leicht zähmbar, ihr Fleisch eßbar. In den tropischen Wäldern Südamerikas. Nur die Gattung Hapale (s. Tafel III) mit über 30 Arten; hierher unter andern H. Jacchus, Seidenaffe (s. d.), H. leonina, Löwenäffchen, etc.
2. Familie: Breitnasen (Platyrrhini oder Cebidae), mit sehr breiter Nasenscheidewand und daher seitlich gerückten, weit voneinander getrennten Nasenlöchern;
oben und unten jederseits 6 Backenzähne (3 Prämolaren, 3 Molaren).
Alle Finger mit Nägeln; Daumen nie vollkommen gegenstellbar, fehlt auch wohl ganz. Der Schwanz ist gewöhnlich sehr lang, nur selten zum Greifen geeignet. Bei mehreren Arten an dem Zungenbein eine weite Knochenblase, die mit dem Kehlkopf [* 21] in Verbindung steht und die Stimme ungemein verstärkt. Namentlich ist dies bei den gesellig lebenden Brüllaffen (Mycetes) der Fall, deren unerträgliches Geheul die Reisenden als eine wahrhafte Plage schildern. Die mit einem Wickelschwanz versehenen Arten schwingen sich mittels desselben nicht nur von Ast zu Ast, sondern hängen sich auch aneinander, indem sie lange Ketten bilden.
Ausschließlich amerikanische Affen, daher auch der Neuen Welt genannt. Meist kleiner als die der Alten Welt, weniger wild und lebhaft und daher leichter zu zähmen. Die zehn Gattungen mit etwa 80 Arten bringt man in zwei oder mehrere Unterfamilien: a) mit schlaffem Schwanz (Pitheciina), unter andern die Gattungen Pithecia, Schweifaffe (s. d.), und Nyctipithecus, Nachtaffe (s. d.); b) mit Greif- oder Wickelschwanz (Cebina), unter andern die Gattungen Mycetes, Brüllaffe (s. d.), und Cebus, Rollschwanzaffe (s. d.). S. Tafel »Affen III«.
3. Familie: Schmalnasen (Catarrhini), mit schmaler Nasenscheidewand und daher dicht nebeneinander gelegenen Nasenlöchern. Dem Menschen am ähnlichsten. Gleich ihm im Ober- und Unterkiefer mit jederseits 2 falschen (Prämolaren) und 3 echten (Molaren) Backenzähnen; die Schneidezähne stehen aber nicht wie bei ihm senkrecht, sondern schräg nach vorn, auch ragen die Eckzähne stark hervor. Das Gesicht meist dünner und kürzer behaart als der übrige Körper, so daß sich häufig Schnurr-, Kinn- und Backenbärte unterscheiden lassen.
Gliedmaßen lang und dünn; die Füße meist weit vollständiger entwickelt als die Hände, an denen der Daumen zuweilen nur als kleiner Stummel vorhanden ist; Finger und Zehen sämtlich mit Nägeln. Schwanz niemals stark ausgebildet, nie ein Greif- oder Wickelschwanz, häufig kurz oder gar nicht vorhanden. Oft sind Gesäßschwielen vorhanden, d. h. nackte, schwielige Stellen an den Hinterbacken, welche bei der mangelnden Muskelbekleidung der Sitzknorren das Hocken auf dem Hintern erleichtern.
Manche Gattungen mit Backentaschen. Die Schmalnasen heißen nach ihrer Verbreitung auch der Alten Welt. Sie sind in der Jugend sehr gelehrig, klettern sehr gut und gehen mit Hilfe eines Stocks aufrecht. Die ältern Individuen, deren Kopf durch das stärkere Wachstum der Kinnladen oft von dem der Jungen sehr verschieden ist, haben eine erstaunliche Muskelkraft und verteidigen sich kühn mit Stöcken und Steinen. Drei Unterfamilien: a) Die Hundsaffen (Cynopithecina), zum Teil mit Hundegesichtern (d. h. mit hervorragender Schnauze), Backentaschen und Schwänzen, alle mit Gesäßschwielen.
Sieben Gattungen mit fast 70 Arten; hierher unter andern Cynocephalus, Pavian (s. d.), Cercopithecus, Meerkatze (s. d.), und Inuus, Makak (s. d.). b) Die Schlankaffen (Semnopithecina), mit langen Schwänzen und runden Gesichtern, ohne vorspringende Schnauze und Backentaschen. Nur die zwei Gattungen (mit etwa 40 Arten) Colobus, Stummelaffe (s. d.), und Semnopithecus, Schlankaffe (s. d.). c) Die menschenähnlichen Affen oder Anthropomorphen (Simiina oder Anthropomorphae), alle ohne Backentaschen und Schwanz, fast alle ohne Gesäßschwielen. Nur die vier Gattungen (mit 12 Arten) Troglodytes, Gorilla (s. d.), Simia, Schimpanse (s. d.), Pithecus, Orang-Utan (s. d.), und Hylobates, Gibbon (s. d.). S. Tafel »Affen I [* 3] und II«.
Was die fossilen Affenreste anlangt, so zweifelte man lange an deren Vorhandensein und war geneigt, anzunehmen, daß vor dem Menschen auch keine Affen auf der Erde gewesen seien. Später aber hat man sie, freilich sparsam, in den Tertiärgebirgen Europas, Asiens und Amerikas aufgefunden. Nur Neuholland entbehrt derselben wie der lebenden Affen. Ihre Formen schließen sich an die der Jetztzeit an; die Alte Welt beherbergte nur Schmalnasen, die Neue nur Breitnasen. In den Knochenhöhlen Brasiliens hat man neben Resten von Hapale, Mycetes, Cebus etc. auch eine ausgestorbene Form von bedeutender Größe, Protopithecus, gefunden.
In der ältesten Tertiärzeit bewohnte ein Makak das südöstliche England und Frankreich, doch scheint derselbe seinen indischen Gattungsgenossen näher gestanden zu haben als den jetzt auf dem Felsen von Gibraltar hausenden. In der mittlern Tertiärzeit fanden sich orangartige Affen (Pliopithecus und Dryopithecus, [* 22] s. Tafel »Tertiärformation [* 23] II«) [* 24] am nördlichen Fuß der Pyrenäen sowie am Pentelikon in Griechenland. [* 25]
Vgl. Huxley, Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur (deutsch von Carus, Braunschw. 1863);
Darwin, Die Abstammung des Menschen (deutsch von Carus, 4. Aufl., Stuttg. 1882);
Audebert, Histoire naturelle des singes (Par. 1800);
Vrolik, Quadrumana (Lond. 1847);
Schlegel, Monographie des singes (Leid. 1876).