Anaxagŏras,
griech. Philosoph der ionischen Schule, geb. 500 (nach andern 534) v. Chr. zu Klazomenä in Ionien, stammte aus reicher und vornehmer Familie, zog sich aber freiwillig von dem öffentlichen Leben zurück, um sich ausschließlich dem wissenschaftlichen Nachdenken zu widmen. 40 Jahre alt, siedelte er aus seiner Heimat nach Athen [* 2] über, wo er der Freund des Perikles und des rationalistischer Denkweise zugeneigten Euripides ward und möglicherweise sogar von dem um 30 Jahre jüngern Sokrates gehört worden ist.
Seine
Lehre
[* 3] bestand in einer qualitativen Atomistik, die mit jener der heutigen
Chemie darin
Ähnlichkeit
[* 4] besitzt, daß sie
wie diese die Verschiedenheit der Naturkörper auf untereinander verschiedene unveränderliche
Grundstoffe zurückführt und
dieselben danach in gleichartig (aus homogenen) und ungleichartig (aus
heterogenen Teilchen) zusammengesetzte
einteilt. Für jene hat
Aristoteles, dem wir diese Nachrichten verdanken, den
Ausdruck:
Homöomerien angewendet. Im Urzustand
(Chaos), lehrte Anaxagoras
, war überall das Verschiedenartigste durcheinander gemengt; erst allmählich trat
eine Sonderung ein, wodurch
Gleiches mit Gleichem (Luftartiges mit Luftartigem,
Gold
[* 5] mit
Gold) vereinigt, Ungleiches von Ungleichem
(Metall von
Gestein) ausgeschieden wurde.
Doch geschah dies nicht vollständig, sondern in jedem auf diesem Wege gewordenen Naturkörper ist neben dem Gleichartigen, welches das Vorwiegende und nach dem das Ding (z. B. Gold) genannt ist, auch etwas ihm Fremdartiges, aber dadurch eben mit andern Naturkörpern Gemeinsames anzutreffen, d. h. alle wirklichen Dinge sind ihrer (qualitativen) Verschiedenheit unbeschadet auch untereinander verwandt. Urheber der Sonderung, durch welche das anfängliche Chaos zum Kosmos, d. h. zum geordneten Weltall, ward, ist nun nach der hierin von seinen teils hylozoistischen, teils pantheistischen, teils materialistischen Vorgängern abweicht, der weltordnende, von den stofflichen Dingen wesenhaft unterschiedene, über den Stoff mächtige Geist (nus), das ideelle, einheitliche und intelligente Bewegungsprinzip (Gott).
Durch dasselbe einmal erregt, verbreitet sich die
Bewegung in dem unendlichen bildsamen
Stoff immer weiter, wobei sich infolge
des (kreisförmigen) Umschwungs die äußersten peripherischen Teile desselben, das
Firmament und die
Gestirne, von dem übrigen
ablösen und ihre
Rotation um die im
Mittelpunkt ruhende walzenförmige und von der
Luft getragene
Erde unablässig
fortsetzen. Auch die
Meteorsteine,
[* 6] z. B. der im
Altertum berühmte von
Ägospotamoi, sind nach. Anaxagoras
nichts andres als im Umschwung
begriffene
Steinmassen, welche infolge allmählich nachlassender
Schwungkraft
[* 7] auf die
Erde herabfallen.
Dieses gegen alle
Mantik und Wahrsagerei (aus den
Gestirnen) feindselige Bemühen, sämtliche Naturerscheinungen
auf natürliche
Ursachen zurückzuführen, brachte den Anaxagoras
seiner dem
Theismus günstigen
Lehre vom
Nus ungeachtet in den bei
seiner Bekämpfung der polytheistischen
Volks- und Staatsreligion sehr erklärlichen
Verdacht der Gottlosigkeit und zog ihm
eine nach Meinung einiger vielmehr auf seinen Beschützer
Perikles gemünzte
Anklage zu, von deren
Folgen
ihn dieser mit Mühe befreite. Anaxagoras
ging hierauf ins
Exil nach
Lampsakos, wo er 428 starb. Seine eignem
Schriften, worunter eine
im
Altertum vielgelesene: Ȇber die
Natur«, sind verloren gegangen.
Ihre
Fragmente haben
Schaubach (Leipz. 1827) und
Schorn
(Bonn
[* 8] 1829) gesammelt.
Vgl. Zévort, Anaxagore, sa vie et sa doctrine (Par. 1843);
Breier, Die
Philosophie des
Anaxagoras
(Berl. 1840);
Gladisch, Anaxagoras
und die Israeliten (Leipz. 1864).