Antwerpen
[* 2] (franz. Anvers, span. Amberes), belg. Provinz und ehemalige Markgrafschaft, grenzt im N. an die holländische Provinz Nordbrabant, im SO. an Limburg, [* 3] im S. an Südbrabant und im W. an Ostflandern und hat ein Areal von 2831,73 qkm (51,4 QM.). Sie ist durchaus eben und wird durch Flußdämme gegen Überschwemmungen geschützt; in den Niederungen sind viele fruchtbare Polders. Der Boden ist ein leichter, feiner Sand, mit Thon vermischt, über dem eine fruchtbare vegetabilische Erde lagert. Am ergiebigsten ist derselbe um Mecheln [* 4] und an den Marschstrecken der Schelde, am magersten im N. und O., wo die Campine (s. d.) nur teilweise dem Ackerbau gewonnen ist.
Die Schelde macht die Grenze gegen Ostflandern und nimmt bei Rupelmonde die Rupel auf; sie ist für die Schiffahrt unschätzbar. Zur Rupel führen Kanäle von Brüssel [* 5] und Löwen. [* 6] Das Klima [* 7] ist gemäßigt, aber feucht und veränderlich. Die Bevölkerung [* 8] betrug 1883: 602,698 Seelen, ihre Dichtigkeit 213 Einw. auf 1 qkm, die jährliche Zunahme seit 1832: 1,4 Proz., seit 1872: 1,8 Proz. im Durchschnitt. Die Mehrzahl ist vlämischer Herkunft und das fast ausschließlich geltende Bekenntnis das der römisch-katholischen Kirche. Der Ackerbau wird mit Sorgfalt betrieben und erzeugt Weizen, Roggen, Hafer, [* 9] Kartoffeln, Flachs, Rübsamen, Krapp, Futterkräuter und Gemüse in Menge. Auch die Wiesen sind ¶
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sehr ergiebig. In hoher Blüte
[* 11] steht die Pferde- und Viehzucht.
[* 12] Die Industrie, zumeist in Spitzen- und Hutfabrikation, Zuckersiederei,
Tuch-, Woll- und Baumwollfabrikation, Brauerei und Brennerei thätig, ist sehr lebhaft, und auch der Handel ist in der neuesten
Zeit wieder in regem Aufschwung begriffen. Die Provinz zerfällt in drei Bezirke: Antwerpen
, Mecheln und
Turnhout.
Die gleichnamige Hauptstadt der Provinz, zugleich Hauptfestung und bedeutendster (auch für Deutschland [* 13] wichtiger) Seehafen des Königreichs, liegt halbkreisförmig am rechten Ufer der über 600 m breiten Schelde, die bis oberhalb der Stadt am Wechsel der Ebbe und Flut teilnimmt, 44 km nördlich von Brüssel und 5 km vom Meer. Das Äußere derselben hat sich in neuester Zeit merklich verändert. An Stelle der alten, nunmehr abgetragenen Festungswälle mit ihren Gräben, welche ausgefüllt und in ansehnliche Boulevards und neue Stadtteile umgewandelt sind, umzieht ein einziger Wall mit breitem Wassergraben im Umfang von 18 km das fast um das Sechsfache des frühern vergrößerte Weichbild der Stadt, mit beiden Enden auf die Schelde sich stützend und an der Nordseite in die Nordcitadelle auslaufend.
Vor dieser Umfassungslinie sind seit 1859 nach den Grundsätzen der modernen Befestigungskunst eine Anzahl detachierte Forts und vorgeschobene Hornwerke errichtet, während die alte Citadelle (Citadelle du Sud, 1567 von Herzog Alba [* 14] angelegt) seit 1874 geschleift und der dadurch gewonnene Raum teils zu maritimen Bauwerken (Werften, Bassins, Entrepots etc.), teils zur Herstellung eines neuen Bahnhofs verwendet worden ist. Die Stadt wird von 11 Kanälen durchschnitten, über welche mehr als 40 Brücken [* 15] führen.
Die Straßen der neuen Stadtteile sind breit und regelmäßig (namentlich bilden die prächtigen Avenuen des Quartiers Leopold im S. gegenwärtig den fashionabeln Glanzpunkt der Stadt), die der innern Stadt dagegen meist eng, besonders in der Nähe des Flusses, an dem sich ein wahres Labyrinth von Gassen hinzieht, in welchen Matrosen und Schenkwirte ihr Wesen treiben. Die freiesten Stellen im Innern sind: der Markt, der Grünplatz (Gemüsemarkt, seit 1840 mit der ehernen 4½ m hohen Statue Rubens' von Geefs auf 5,8 m hohem Sockel) und der sogen. Meir, eine breite Straße mit modernen Häusern und Palästen, unter welcher ein Kanal [* 16] hinfließt.
Das ausgezeichnetste Gebäude der Stadt ist die prachtvolle Kathedrale (Notre Dame), 117 m lang, 65 m breit, 40 m hoch, die schönste und größte gotische Kirche Belgiens (nur etwa ein Sechstel an Flächeninhalt kleiner als der Kölner [* 17] Dom). Sie wurde 1322 begonnen und im 15. Jahrh. vollendet. Unter den zahlreichen Kunstwerken der Malerei und Plastik, welche die Kirche schmücken, befinden sich drei Hauptgemälde von Rubens (die Kreuzabnahme, Kreuzeserhöhung und Mariä Himmelfahrt) sowie reiche Glasmalereien.
Der zierlich durchbrochene Turm, [* 18] von Jean Amel aus Boulogne 1422 entworfen, im 16. Jahrh. in einer Höhe von 123 m abgeschlossen, steigt als schlanke Pyramide empor und enthält eins der bedeutendsten Glockenspiele Belgiens (99 Glocken, die größte 80 metr. Ztr. schwer); der andre Turm ist nur zum dritten Teil vollendet. Das Chor wurde 1521-1523 erweitert. Durch die Bilderstürmer erlitt die Kirche 1566 arge Beschädigungen, nicht minder durch die französischer Republikaner 1794. Unter den fünf Pfarrkirchen zeichnen sich besonders aus: die Kirche St. Jakob im spätgotischen Stil (1491 gegründet, mit prachtvollen Skulpturen, Marmorzieraten, Gemälden von Rubens, van Dyck etc. und der Grabkapelle der Familie Rubens);
die Dominikanerkirche (St. Paul), ebenfalls im spätgotischen Stil (1540-71 erbaut, mit einer Geißelung Christi von Rubens), und die Andreaskirche (1514-33 erbaut, mit großer, kunstvoll geschnitzter Kanzel).
Das im Renaissancestil nach Zeichnungen von Cornelis de Vriendt (1561-65) erbaute Stadthaus steht den prächtigen gotischen zu Gent, [* 19] Brüssel und Löwen nach. Die neue Börse, welche an Stelle der 1858 niedergebrannten alten Börse, eines prächtigen spätgotischen Baues von 1531, neuerdings (1869-72) nach Plänen von J. ^[Joseph] Schade ^[richtig: Schadde] ganz im Stil des alten Gebäudes aufgeführt wurde, ferner das französische Theater [* 20] (1834 erbaut), das vlämische Schauspielhaus (im Renaissancestil 1869-1872 erbaut), das große Hospital und das alte malerische Gildehaus der Schützen sowie das ehrwürdige Hansahaus (auch Osterlingshaus) sind gleichfalls ansehnliche Gebäude.
Letzteres, ehemals Niederlage der Hansa, 1564 erbaut, ist 1863 von den Hansestädten an Zahlungs Statt für die Ablösung des Scheldezolls an Belgien [* 21] abgetreten worden. Merkwürdig sind ferner: das Museum, vor dem seit 1856 van Dycks Statue (von Cuyper) steht;
das in ein Museum umgewandelte alte Haus der Druckerfamilie Plantin-Moretus;
die alte, mit vier Türmchen gezierte Fleischhalle (im Stil des 14. Jahrh.), jetzt als Getreideniederlage dienend;
der königliche Palast am Meir (1755 im Pompadourstil erbaut);
Rubens' Haus (1864 restauriert);
die neue Fischhalle;
das von Ecktürmen flankierte ehemalige Inquisitionsgebäude (jetzt Altertumsmuseum);
das große Seearsenal mit umfangreichen Werkstätten;
das Militärmagazin;
die über 1 km langen Werften oder Kais an der Schelde (von Napoleon I. 1802 angelegt);
endlich die berühmten, stets von großen Seeschiffen aller Völker belebten Hafenbassins am Nordende der Stadt (s. unten).
Die Bevölkerung Antwerpens
(1846 nur 88,487 Seelen) betrug 169,112 Seelen und wurde 1883 auf 180,447 berechnet.
Die jährliche Zunahme betrug 1846-82 im Durchschnitt 2,9 Proz. Im J. 1882 war die
Zahl der Lebendiggebornen 7217, der Totgebornen 316, außerdem starben 4544 Personen; 1654 Ehen wurden geschlossen. Die Zahl
der bewohnten Gebäude ist von (1846) 11,756 auf (1880) 22,010 gestiegen, und ihre Vermehrung hat mit der Zunahme der Bevölkerung
fast gleichen Schritt gehalten. Es gab 1880: 34,880 Haushaltungen. Die obern Klassen sprechen überwiegend
französisch, die untern meist vlämisch.
Die Industrie Antwerpens
ist von nicht geringer Bedeutung. Es bestehen 15 Diamantenschleifereien, in denen jährlich für 15 Mill.
Frank rohe Diamanten verarbeitet werden, 2 Schwefelraffinerien, 2 Wollwäschereien, 1 Wachsteppich- und 1 große Stearinkerzenfabrik, 2 Schiffswerften,
bedeutende Branntweinbrennereien und Brauereien, 6 Reismühlen; die früher zahlreichen Zuckerfabriken
können aber die deutsche Konkurrenz nicht bestehen. Außerdem gibt es Fabriken für Bleiweiß,
[* 22] Lackmus, Baumwollstoffe, Spitzen
(ein altes, neuerdings durch die Mode wieder belebtes Gewerbe), Zwirn (berühmt ist die schwarze Nähseide), Tapeten, Tabak,
[* 23] Gold-
und Silbertressen, Hüte etc.
[* 2]
^[Abb.: Wappen
[* 24] von Antwerpen.]
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Als der wichtigste Seehafen Belgiens, dessen merkantiles Gebiet weit in das Innere des Kontinents hineingreift, bildet Antwerpen
zugleich
einen der ersten Handelsplätze Europas, der aber die meisten seiner ausgeführten Waren in reinem Transit empfängt. Von den
großartigen Docks wurden die beiden ältern: Grand und Petit Bassin, von Napoleon I. 1804-13 mit einem Kostenaufwand
von 13 Mill. Fr. erbaut, nachdem er Antwerpen
zum ersten Kriegshafen an der Westküste Frankreichs hatte erklären lassen.
Das kleine Bassin (175 m lang und 147 m breit) kann 100, das große (402 m lang, 175 m breit) etwa 250 Schiffe
[* 26] mittlerer Größe
aufnehmen. Im Lauf der Zeit reichten jedoch diese beiden Bassins nicht mehr aus, und es wurde 1859 der
Bau eines dritten, des Bassin du Kattendyk, von 350 m Länge und 140 m Breite
[* 27] begonnen, an welches sich weiterhin das Bassin aux
Bois, Bassin de la Campine, Bassin du Canal anschließen. Neuerdings sind auf einem Teil der alten Südcitadelle
Docks angelegt, und andre für Petroleum werden auf dem Terrain der von der Stadt angekauften Nordcitadelle errichtet. Die Tiefe
der Docks, die mit Quadern ausgemauert sind und durch Schleusen mit der Schelde korrespondieren, beträgt gegen 10 m; sie sind
mit Magazinen, Packhäusern und Kaufhallen umgeben. Der Verkehr wird wesentlich durch die neuen Kais erleichtert,
die sich längs des Hafens hinziehen, und an denen die größten Dampfer anlegen können. Ist Ostende
[* 28] mehr Posthafen (also für
den Brief- und Personenverkehr), so bildet Antwerpen
die Warenhalle.
[* 25]
^[Abb.: Situationsplan von Antwerpen.]
Die Schiffahrtsbewegung in Antwerpen
war 1883 folgende: Es liefen ein 4689 Seeschiffe (darunter 3700 Dampfer)
von 3,857,934 Ton., davon 2,156,539 T. britisch u. 383,745 T. deutsch, aus 4689 Seeschiffe von 3,857,904
T. An Binnenschiffen kamen 1883 in Antwerpen
an 28,433 Fahrzeuge von 2,229,588 T.
Die Reederei ist nicht erheblich,
Antwerpen
besaß Anfang 1884 nur 57 eigne Schiffe von 85,307 T. Ein reger Exporthandel, dessen Objekte meist aus
Produkten der einheimischen Industrie bestehen, findet nur nach Südamerika,
[* 29] China,
[* 30] Japan und Indien statt. Ungleich bedeutender
ist der Transithandel in Eisen,
[* 31] Garnen, Getreide,
[* 32] Kaffee und neuerdings auch in deutschen Kohlen. Die Einfuhr zur See übersteigt
die Ausfuhr noch immer um die Hälfte. Die Haupteinfuhrartikel waren 1883: Getreide (besonders aus den
Vereinigten Staaten,
[* 33] Rußland, Indien und Preußen),
[* 34]
Weizen | 8.7 Mill. Hektol. | Hafer | 2.8 Mill. Hektol. |
Roggen | 1.7 " " | Mais | 0.5 " " |
Gerste | 2.5 " " | Mehl | 0.1 " " |
Kaffee 727,855 Säcke, Reis 629,839 Säcke, exotischer Rohzucker, Kakao, Hopfen, [* 35] Schmalz und Speck, Talg, Öle, [* 36] Petroleum (866,847 Fässer und Kisten), Droguen, Tabak, Baumwolle [* 37] (228,797 Ballen), Wolle (170,196 Ballen), Holz, [* 38] Diamanten.
Handelsbewegung 1882 | Mill. Kilogr. | Wert in Mill. Frank |
---|---|---|
Einfuhr (Generalhandel) | 2286.0 | 1194.9 |
Ausfuhr (Spezialhandel) | 1013.6 | 459.5 |
Transit zur Ausfuhr | 182.8 | 269.1 |
Antwerpen
ist durch einen Kanal mit der Maas (mit mehreren Seitenkanälen) verbunden. Hier münden die Eisenbahnen
von Gent, Boom, Mecheln, Maastricht
[* 39] und Vlissingen. Regelmäßige Dampferkurse verbinden Antwerpen
mit Hamburg,
[* 40] Rotterdam
[* 41] und verschiedenen
englischen Häfen sowie auch mit New York (einmal monatlich), Buenos Ayres
[* 42] in Südamerika und Adelaide,
[* 43] Melbourne
[* 44] und Sydney
[* 45] in
Australien.
[* 46] Antwerpen
ist Sitz bedeutender Assekuranz- und Handelsinstitute, auch
¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Antwerpen
,
[* 2] frz. Anvers, span. Ambéres.
1) Provinz im Königreich Belgien und ehemalige Markgrafschaft, grenzt im N. an die niederländ. Provinz Nordbrabant, im SO.
an Limburg, im S. an Südbrabant, im W. an Ostflandern, hat 2831,73 qkm und (1880) 577 232, (1891) 713 740 (358 237 männl., 355 503 weibl.)
kath., meist vläm. E., d. i. 250 auf 1 qkm, und zerfällt in die Arrondissements Antwerpen
, Mecheln und Turnhout.
Das Land ist durchaus eben und fruchtbar, besonders bei Mecheln und in den Marschen der Schelde. Der Hauptfluß ist die schiffbare
Schelde, die die Grenze gegen Ostflandern bildet und die Rupel aufnimmt; letztere ist durch Kanäle mit
Brüssel und Löwen verbunden. Das Klima ist mild, aber feucht. Neben Getreide und Kartoffeln werden Flachs, Rübsamen, Krapp,
Futterkräuter, Gemüse und Wiesenheu gebaut. Ferner bestehen Pferde- und Viehzucht sowie Fabrikation von Spitzen, Hüten, Zucker,
[* 47] Tuch-, Woll- und Baumwollwaren; Brauerei und Brennerei.
2) Bis ins 17. Jahrh. Hantwerpen
, von ane de Werv, am Hafen, Hauptstadt der Provinz Antwerpen
, zugleich Hauptfestung
und einer der wichtigsten Seehäfen Europas, 14 km von der holländischen, 102 km von der deutschen Grenze, 67 km von der
Nordsee und 39 km von Brüssel, rechts an der Schelde, die vor der Stadt bei der Ebbe 350 m breit ist (bei
Fort Lillo 745 m) und zur Flut durchschnittlich 4,29 m ansteigt. Die Stadt liegt 50° 13' nördl. Br. und 4° 23' 45" östl.
L. von Greenwich, wenige Meter über dem Meeresspiegel. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 10,13° C., der Luftdruck 759,4
mm; der Temperaturwechsel ist
[* 48] ^[Abb.] ¶
mehr
schroff und die Witterung unbeständig, durchschnittlich 177 Regentage und 42 Tage mit unbewölktem Himmel.
[* 50] Antwerpen
liegt in einer
weiten, fruchtbaren Ebene (zum Teil Polderboden), die nach Holland zu in die sandige, stellenweise sumpfige Campine übergeht,
hierzu Plan: Antwerpen
und Umgegend.)
Größe, Bevölkerung. Die Wälle der Festungswerke umschließen ein Gebiet von 14¼ km, und zwar außer der Stadt den größten Teil der Bürgermeistereien Borgerhout (28 882 E.), Berchem (15 503 E.) und Austruweel, deren Gebiet sich außerhalb der Festungswerke fortsetzt und an die Ortschaften Merxem, Deurne und Kiel [* 51] anschließt. Jenseit der Schelde liegt auf der Tête de Flandre das Örtchen St. Annen.
Die Stadt hatte 28 937 Häuser und 238 788 E. (120 141 männl., 118 647 weibl.), mit den Vorstädten innerhalb der Festungswerke 300000 E. 1830 hatte sie nur 73 506 Bewohner, die Gesamtzunahme betrug demnach jährlich 2 Proz., 1880-90 3 Proz. Der Zuzug betrug (1890) 13 464 (darunter 1012 Deutsche), [* 52] der Abzug 10 874 (670 nach Deutschland); Zahl der Geburten (1890) 8092, 5018 Todesfälle (0,173 pro Mille der Bevölkerung), 331 totgeborene Kinder, 1764 Ehen.
Äußere Anlage. Die Häuser der ältesten Stadt lagen um die befestigte Burg. Bei dem zunehmenden Wachstum der Stadt wurden
die Befestigungswerke wiederholt umgestaltet und erweitert, namentlich 1540-43 unter Karl V. durch den
Baumeister Franz. 1567-71 baute Alba die Citadelle (1874 geschleift). Seit ist Antwerpen
zu einer großen Lagerfestung als
«Operationsbasis und Zufluchtsstätte» der belg. Armee unter Benutzung ausgedehnten Überschwemmungsgebietes durch den jetzigen
General Brialmont (s. d.) ausgebaut worden.
Nachdem 1866 vor dem nicht überschwemmbaren Teil der vieleckigen Umwallung, die sich mit zwei Citadellen
an die Schelde lehnte, acht auf 2,5 bis 4 km vorgeschobene, ein verschanztes Lager
[* 53] bildende Forts fertig gestellt waren, stellte
sich mehr und mehr die Notwendigkeit heraus, den Fortsgürtel weiter auszudehnen. Augenblicklich (1890) bestehen die Befestigungen
von Antwerpen
aus folgenden Teilen:
1) Stadtbefestigung: die Umwallung mit ehemaliger Nordcitadelle, 12 Angriffsfronten, Fort de Deurne, die Lünetten Deurne und Hoboken, Tête de Flandre, die Forts Burght und Isabelle.
2) Die Fortslinie: Forts 1-8, Forts Merxem, Cruibeke, Zwyndrecht, Verteidigungsdeich mit Lünette [* 54] Melsele, Fort Schooten.
3) Die Befestigungen an der untern Schelde: Forts St. Marie, St. Philippe, La Perle, Lillo, Liefkenshoek; außerdem geplant oder im Bau Redouten Oorderen und Berendrecht.
4) Die vorgeschobene Linie zur Sicherung der Nethe-Übergänge und des Uferwechsels an der Rupelmündung: Forts Lierre und
Waelhem, Redoute
[* 55] Dussel und Fort Rupelmonde. Fünf der 12 Angriffsfronten der Enceinte können durch Überschwemmung
des Vorgeländes sturmfrei gemacht werden, zur Deckung der übrigen sieben Fronten baut man gegenwärtig in einer Entfernung
bis zu 26 km noch 18 größere und kleinere Forts rechts von der Schelde, drei starke Forts zur Deckung der Rüpel und der beiden
Nethen, vier andere und einen verteidigungsfähigen Damm zur Deckung des linken Scheldeufers und zwei kleinere
Forts stromabwärts; zugleich erhalten zwei Forts unterseeische Batterien und andere Panzertürme. Mit den sechs Forts, die von
den ältesten Festungswerken herrühren
und zu Kasernen und Niederlagen eingerichtet sind, hat Antwerpen
demnach 53 größere und
kleinere Forts. Seine Friedensbesatzung besteht aus 5 Regimentern Infanterie, 3 Regimentern Artillerie,
je 1 Regiment Genietruppen und Train und einigen kleinern Truppenteilen, zusammen ungefähr 22000 Mann, die Kriegsbesatzung
erfordert mit der Garde civique 250000 Mann.
Durch Niederlegung der alten Festungswerke sowie durch den Umbau des Scheldequais (vollendet 1885) hat sich das Aussehen der Stadt wesentlich geändert. An Stelle der alten Glacis ziehen sich 3¾ km weit 35 m breite, mit vier Baumreihen bepflanzte Boulevards um die innere Stadt, weitere 4½ km meist in gleicher Weise bepflanzte Boulevards und Avenuen führen von hier in die neuen Stadtteile hinein, gerade breite Straßen sind durch die engen alten Stadtteile gebrochen, von denen bereits ein großer Teil der Anlage der 100 m breiten Quais zum Opfer fiel. Zwei öffentliche Parks, die gleich dein zoolog. und botan. Garten [* 56] inmitten der Stadt liegen, sowie die Gartenanlagen auf mehrern Plätzen und die Eisenbahn entlang, tragen in gleicher Weise zur Verschönerung der Stadt bei.
Gebäude, Denkmäler. Antwerpen hat verhältnismäßig viele (18) Denkmäler, darunter die von den Malern Massys, Rubens (s. Tafel: Niederländische Kunst [* 57] IV, [* 49] Fig. 2), van Dyck, Teniers, Jordaens, Leys, den Dichtern Conscience und van Rijswijck, dem Dichter der Brabançonne», von Leopold I., General Carnot, dem alten Nervierhäuptling Boduognatus u. a. Unter den Kirchen sind zu nennen: die siebenschiffige Kathedrale mit got. Turm (123 m) aus dem 13. bis 15. Jahrh. (s. Taf. I, [* 49] Fig. 1). Das Schiff [* 58] ist 117 m lang, 52 m breit, im Querschiff 65 m, die Gewölbe [* 59] ruhen auf 125 Pfeilern.
Die Gemälde von Rubens, Murillo, De Vos und die geschnitzten Chorstühle sind im Innern besonders bemerkenswert. Die spätgot. Jakobskirche (St. Jacques), 1491 begonnen, aber erst im 17. Jahrh. im Rokokostil vollendet, mit der Grabkapelle der Familie Rubens, St. André (1514) mit kunstreich geschnitzter Kanzel, St. Paul im spätgot. Stil, 1540-71 erbaut, die neue roman. Josephskirche, die kleine Kapuzinerkirche (St. Antoine de Padoue), 1589 erbaut, mit Bildern von van Dyck und Rubens, die ehemalige Jesuitenkirche (s. Taf. II, [* 49] Fig. 2), 1614-21 von dem Jesuiten Aguillon nach Plänen von Rubens erbaut, 1718 durch Blitz eingeäschert und später einfacher aufgebaut, mit schönem Glockenturm im Renaissancestil u. a. Die Engländer besitzen zwei, die Norweger eine eigene Kirche, von den zwei deutschen prot.
Gemeinden beginnt die eine den Bau einer Kirche, die andere teilt die ihre mit den Holländern. Unter den zahlreichen Klöstern der Stadt beschäftigen sich viele mit dem Unterricht, andere mit der Krankenpflege, auch findet sich hier noch ein Beguinenhof mit nahezu 200 Insassen. Eins der ältesten weltlichen Bauwerke ist der Steen, das alte Schloß an der Schelde, 1520 an der Stelle einer ältern Burg erbaut, später Sitz der Inquisition, in neuester Zeit umgebaut und zu einem Museum von Altertümern eingerichtet. Das Rathaus, 1561-65 von Corn. de Vriendt im Renaissancestil erbaut (s. Tafel: Rathäuser I, [* 49] Fig. 4), wurde nach der Zerstörung durch die Spanier 1581 wiederhergestellt, im 19. Jahrh. mit Gemälden von Leys geschmückt. Das Hansahaus (Oostersche Haus), 1564-84 von ¶
mehr
demselben Meister als Waren- und Gasthaus für die Hansastädte Bremen, [* 61] Lübeck [* 62] und Hamburg erbaut, 1882 auf Deutschlands [* 63] Veranlassung mit einer Zeitballstation versehen, brannte 1893 ab. Die Börse wurde 1869-72 an der Stelle der alten, 1858 abgebrannten, in der frühern Gotik, aber weit größer, aufgebaut. (S. Tafel: Börsengebäude I, [* 60] Fig. 3.) Sonst sind noch hervorzuheben: Banque nationale, Palais de justice, Athénée royal, königl. Schloß, Rubenshaus, ein neuer Renaissancebau an der Stelle, wo Rubens gewohnt hat. Ferner das Théâtre royal für die Oper und das Théâtre national, die Schouwburg für das vläm. Schauspiel.
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem Bürgermeister (20000 Frs.) und fünf Schöffen (je 7000 Frs.). Ersterer (seit 1870 Leopold de Wael) wird vom Könige auf je sechs Jahre ernannt, letztere werden für dieselbe Zeit vom Stadtrat (Conseil communal) gewählt, dessen 18 Mitglieder von den wahlberechtigten Bürgern ebenfalls auf sechs Jahre gewählt werden. Bürgermeister wie Schöffen sind nicht Berufsbeamte, sondern meist Kaufleute. Der Bürgermeister ist zugleich Polizeipräsident, ihm steht ein Commissaire-en-chef zur Seite und an der Spitze jeder der neun Verwaltungsbezirke steht ein Kommissar.
Die städtische Feuerwehr besteht aus 5 Offizieren, 23 Unteroffizieren und Mechanikern und 80 Pompiers und hat 4 Dampfspritzen. Wasserleitung [* 64] und Gasanstalt werden durch Aktiengesellschaften betrieben, zur Straßenbeleuchtung dienen 6880 Flammen, die Bahnhöfe [* 65] und der Hafen haben zum Teil elektrische Beleuchtung. [* 66] Die Stadt hat 183½ Mill. Frs. Schulden, seit 1881 in 2½prozentige Lose umgewandelt, die nach dem Tilgungsplane 1977 gezogen sein müssen. Die Einnahmen betrugen (1890): antwerpen ordentliche Einnahmen 13 910 938 Frs.; b. außerordentliche Einnahmen 2 437 050 Frs., zusammen 16 347 988 Frs. Die Ausgaben: antwerpen ordentliche Ausgaben 13 212 917 Frs. darunter Verwaltung 640 995 Frs., Polizei und Straßenreinigung [* 67] 2 072 959 Frs., Unterricht 185 5085 Frs., Wohlthätigkeitsanstalten 900000 Frs., Künste 323 695 Frs., Kultus 9750 Frs., Amortisation und Zinsen 5 633 055 Frs.);
b. außerordentliche Ausgaben 3 126 145 Frs.
Behörden. Antwerpen ist Sitz der Provinzialregierung (Gouverneur Baron Osy de Zegwaart), eines Tribunals erster Instanz, Tribunal de Commerce, Conseil de guerre dela province d'Anvers.
Schul- und Bildungswesen. Die Stadt hat seit 1852 eine höhere Handelslehranstalt mit 14 Lehrern und 154 Studierenden, das Athénée royal (Gymnasium und Realschule) mit 22 Professoren und 707 Schülern, eine Akademie der schönen Künste (gegründet 1665), von 114 Malern und 29 Bildhauern besucht (1151 Handwerker erhalten unentgeltlichen Unterricht), eine Fortbildungsschule für Mädchen und andere Fachschulen. Hierzu kommen 2 Mittelschulen für Knaben (478) und Mädchen (463), 19 Knabenschulen (8319), 19 Mädchenschulen (7940), 13 Kinderbewahranstalten (4058), 92 Proz. aller Kinder genießen unentgeltlichen Unterricht; ferner 22 Fortbildungsschulen (1913) und zahlreiche Privatschulen, besonders das Jesuiteninstitut (Gymnasium und Realschule ([800]) und die deutsche Schule (350).
Die Stadt besitzt seit 1890 ein neues Museum mit mehr als 1000 Ölgemälden (besonders der Antwerpener Maler), Bildhauerarbeiten und den Photographien und Stichen fast sämtlicher Werke von Rubens, das Museum Plantin-Moretus mit zahlreichen Kunstschätzen, das Museum für Altertümer im Steen; ferner ist die Privat-Gemäldegalerie von Notebohm dem Publikum geöffnet. Das Musée commercial, industriel et ethnographique wurde 1885 gegründet und in das ehemalige Ausstellungsgebäude [* 68] der franz. Kolonien gelegt.
Außer den größern Gemäldeausstellungen (alle drei Jahre) veranstalten mehrere Künstlervereine sowie der Cercle artistique, littériaire et scientifique regelmäßige Ausstellungen. Außerdem bestehen noch mehrere wissenschaftliche Vereine: Académie d'archéologie de Belgique, Société royale de géographie, Société de médicine, Société de pharmacie, Société royale d'horticulture et d'agriculture, Société royal de zoologie, Société des bibliophiles u.a.
Hervorragender Pflege erfreut sich die Musik; in der Musikschule erhielten (1890) 1699 Schüler und Schülerinnen von 34 Lehrern unentgeltlichen Unterricht; die größten Musikgesellschaften sind: Société royale d'harmonie, Société de musique, Société de symphonie, Antzwerpsche toonkunstenaarsvereeniging. Die Stadt hat drei Theater (s. oben), eine städtische Bibliothek (56000 Bände), eine Volksbibliothek (15000 Bände) und eine zweite der Gesellschaft «De Toekomst» (21000 Bände), meist in vläm. Sprache. [* 69]
Von den 44 in Antwerpen herausgegebenen Zeitungen und Zeitschriften erscheinen 11 täglich, und zwar: 6 in vlämischer, 4 in französischer, 1 in deutscher Sprache. Die Zahl der Wohlthätigkeitsanstalten ist eine sehr bedeutende. 1890 wurden in den Krankenhäusern 10 084 Personen aufgenommen, 2859 andere wurden in Versorgungsanstalten, Waisenhäusern, Taubstummenanstalten u. dgl. verpflegt. Dazu besitzt die Stadt zwei große Krankenhäuser (St. Elisabeth mit 500 Betten, Stuyvenberg mit 400 Betten, 1885 nach dem Pavillonsystem vollendet), eine Irrenanstalt, je ein Waisenhaus für Knaben und für Mädchen, eine Versorgungsanstalt für Greise und 20 kleinere Wohlthätigkeitsanstalten. 43 Vereine bezwecken gegenseitige Unterstützung in Krankheit und bei Unglücksfällen. Unbemittelten Fremden dienen ein Nachtasyl, eine Volksküche, eine Suppenanstalt, den Deutschen der Verein Germania, [* 70] den Seeleuten mehrere Seemannshäuser, den Dienstmädchen mehrere Mädchenheime, die Deutschen, Österreicher, Schweizer u. a. haben Unterstützungsvereine (der Deutsche Unterstützungsverein verausgabte 1890: 18 532 Frs.); die Stadt gab dennoch für hilfsbedürftige Fremde 53 513 Frs. aus.
Industrie. Hervorzuheben sind: die Spiritusbrennereien (L. Meeus erzeugte allein in einem Jahre über 10 Mill. Liter Genever und zahlte jeden Arbeitstag 26000 Frs. Steuer), 36 Brauereien, 40 Diamantschleifereien (25 große, 15 kleinere Schleifereien; Diamantenumsatz jährlich 60 Mill. Frs.) mit mehr als 3000 Arbeitern, 30 Cigarrenfabriken (120 Mill. Stück jährlich), Zuckerraffinerien, Kerzenfabriken, die Werkstätten der Bell Telephone Manufacturing Cie., die Fleischextrakt-Compagnien von Liebig, Kemmerich, Cibil und Koch, die Reisstärkefabriken von Remy, Färbereien, Lackfabriken, Reismühlen, Schwefelraffinerie u. s. w.
Handel. Der seit Jahrhunderten in hoher Blüte stehende Handel A.s wurde durch die von den Niederländern verfügte Sperrung der Scheldemündungen (im 17. Jahrh.) vernichtet und hat sich erst in den letzten 30 Jahren infolge der Aufhebung des Scheldezolles (1863) und dadurch, daß der Staat ¶