Titel
Böhmen
[* 2] (tschech. Cechy, zeme ceská; hierzu
Karte »Böhmen
,
Mähren etc.«),
Königreich und Kronland des österreich. Kaiserstaats, liegt zwischen 48° 33' bis 51° 4' nördl. Br. und 12° 20' bis 16° 46' östl. L. v. Gr., grenzt südwestlich an Bayern, [* 3] nordwestlich an das Königreich Sachsen, [* 4] nordöstlich an Preußen [* 5] (Schlesien), [* 6] südöstlich an Mähren und Niederösterreich, südlich an Oberösterreich und umfaßt ein Areal von 51,948,2 qkm (943,43 QM.), also 17,3 Proz. des österreichischen Staats.
Physische Beschaffenheit.
Das Land hat eine eigentümliche, bestimmt abgeschlossene
Lage durch die
Gebirge, von denen es rings umgeben wird, und die
ziemlich genau mit den politischen
Grenzen
[* 7] zusammenfallen. Auf der Südwestgrenze steht das Böhmerwaldgebirge,
von dessen höchsten
Spitzen der
Kubani (1357 m), der
Plöckelstein (1383 m), der Mittagsberg (1341
m) und der
Große Osser (1295
m) Böhmen
angehören, und damit gleichlaufend auf der Nordostseite die
Glieder
[* 8] des sudetischen
Systems: das
Adlergebirge oder die
Böhmischen Kämme als südlichster Teil dieses
Zugs mit der
Deschnaer
Kuppe (1111 m), das
Riesengebirge mit
Schneekoppe (1601
m), Brunnberg,
Sturmhaube, Krkonosch und das
Isergebirge mit der
Tafelfichte (1124 m), dem sich nördlich das
Lausitzer Bergland
mit dem Jeschkenberg (1013
m) und der
Hohen
Lausche (797 m) anschließt.
Beide Gebirgszüge werden durch Querzüge verbunden, an der Nordwestgrenze durch das steil abfallende
Erzgebirge, dessen Hauptrücken größtenteils Böhmen
angehört, mit dem
Keilberg (1275
m) und dem
Spitzberg (1107
m), und den südwestlich
daran stoßenden Teil des
Fichtelgebirges; im SO. durch das
Mährische Hügelland, das sich ohne Gebirgsrücken auf der
Grenze
gegen
Mähren hinzieht, nach beiden Seiten sanft abfallend und die
Wasserscheide zwischen
March und
Elbe
bildend.
Das Innere dieses so eigentümlich geschlossenen Landes bildet ein im ganzen einförmiges Hoch- und Gebirgsland, dessen Gestalt durch drei weithin vom Böhmerwald nordöstlich bis zur Elbe gedehnte und allmählich sich senkende Bergplatten bestimmt wird, und das man daher am geeignetsten als ein Terrassenland auffaßt. Die erste dieser böhmischen Terrassen, die der Länge nach durch vielfach gewundene Flußthäler voneinander getrennt sind, der Quere nach aber alle drei von der Moldau in tiefer Thalfurche durchschnitten werden, ist die nördliche, die südlich vom Egerthal mit steilem Rand aufsteigt, hier im Engelhäuser Berg bei Karlsbad 662 m Höhe erreicht und sich dann zwischen Eger [* 9] und Elbe einerseits und der Mies, Beraun und Sazawa anderseits südöstlich bis an die mährischen Hügel erstreckt.
Westlich von der Moldau ist diese Terrasse ein hügeliges Plateau, dessen Flächen am Böhmerwald zu 450-600 m aufsteigen, während sie sich zur Moldau auf 260-200 m senken. Die darauf stehenden isolierten Kuppen erheben sich im W. bis 650, im O. bis 400 m über die Moldau. Östlich von der letztern hat das Hügelland kaum eine mittlere Höhe von 320 m. Südlich von der Mies, der Beraun und Sazawa steigt dann die mittlere Terrasse an, die sich bis zum Thal [* 10] der Wotawa und zur mittlern Luschnitz erstreckt und mehr als die erste den Charakter einer Gebirgsgegend trägt.
Die Höhen sind rauher, die Gipfel ansehnlicher, die Thäler tiefer eingeschnitten. Die bedeutendste Erhebung ist der Trzemschinberg (836 m), von dem nordöstlich der 500-600 m hohe Rücken des Brdywaldes mit dem Komorsko (677 m), sich allmählich senkend, zum Moldauthal zieht. Die Hügellandschaften um die Luschnitz haben Höhen von ca. 700 m. Zwischen der obern Wotawa und der obern Luschnitz und dem Böhmerwald mit dem Greinerwald zieht sich endlich die dritte, die südliche böhmische Terrasse hin, innerhalb deren sich der Schöninger Berg (1080 m) im Blansker Wald erhebt.
Außerdem sind in orographischer Beziehung noch das Sandsteinplateau von Dauba, zwischen Iser und Elbe, das Gitschiner Plateau, östlich von jenem, und das Mittelgebirge zu erwähnen, das, als selbständige Gebirgsgruppe zwischen der Elbe, Biela und der untern Eger parallel mit dem Erzgebirge westlich bis Brüx sich erstreckend, im Phonolithkegel des Milleschauer oder Donnersbergs 836 m Höhe erreicht und auch noch auf der rechten Elbseite als sogen. Kegelgebirge bis gegen Sandau und Graber fortsetzt.
Breite
[* 11]
Thäler hat Böhmen
wenige; die Wasserläufe durchziehen meist enge Schluchten. Auch die
Ebenen sind nicht
von großer
Ausdehnung.
[* 12] Erwähnung verdienen: die kleine
Launer und
Theresienstädter
Ebene an der
Eger und die
Georgenthaler
Ebene
im ehemaligen
Saazer
Kreis,
[* 13] mit 130-160 m Meereshöhe;
der Elbkessel zwischen der Adler- und der Isermündung, 190-230 m;
das Becken von Pilsen, [* 14] 290 m;
die Budweiser und die von Teichen erfüllte Wittingauer Ebene mit 390 m mittlerer Höhe.
In geognostischer Hinsicht besteht das böhmische Gebirgssystem seiner Hauptmasse nach aus Urgebirge, namentlich in dem das Land umgebenden Gebirgskranz und in der südlichen Hälfte des Königreichs.
Der Böhmerwald besteht aus kristallinischen Schiefern, unter welchen der Gneis vorwiegt. Das Gleiche gilt vom Erzgebirge, während im Elbgebirge der Quadersandstein oder Grünsand mit dem dazu gehörigen Mergel und Kalkstein, im Lausitzer Gebirgsland der Granit die größte Rolle spielt. Das Mittelgebirge bilden ansehnliche Basalt- und Klingsteinmassen sowie isolierte Basaltkuppen, welche aus den kristallinischen Schiefern und dem Quadersandstein emporsteigen.
In den Sudeten, welche wieder größtenteils aus kristallinischen Schiefern zusammengesetzt sind, haben ebenfalls einige Basalterhebungen stattgefunden. Auch das böhmisch-mährische Grenzgebirge samt den mit ihm verbundenen Bergzügen gehört derselben Gebirgsformation an und wird in der Richtung von Neuhaus nach Grein von einem mächtigen Granitzug und westwärts der Zwittawa von einem Syenitrücken durchzogen. Auch laufen mehrfach Streifen des roten Sandsteins durch dasselbe.
Häufig kommt in diesem Gebirgssystem die Kohlenformation vor. Bei Prag [* 15] sind in einer räumlich nicht sehr ausgebreiteten beckenartigen Versenkung silurische Schichten abgelagert, die durch ihren Reichtum an Versteinerungen eins der instruktivsten geologischen Gebiete Europas bilden. Unter den zahlreichen Tertiärbecken im Innern des Landes treten besonders vier größere hervor: das Becken von Wittingau, das des obern Egerlandes, dem sich westlich das Falkenauer Becken anschließt, das Becken von Komotau und Teplitz, endlich im äußersten Norden [* 16] das Becken von Zittau. [* 17] Diluvial- und Alluvialbildungen bedecken die Thalgründe und selbst ¶
Maßstab [* 19] 1:1,700,000
mehr
die Berge bis zu beträchtlicher Höhe. Die Torfbildung tritt in ausgedehntem Maß besonders auf dem Böhmerwald auf. Unverkennbare Spuren vulkanischer Thätigkeit sind, außer dem häufigen Vorkommen von vulkanischem Gestein, besonders die mächtigen Ausströmungen von kohlensaurem Gas in vielen Gegenden (z. B. in Bilin, Eger, Marienbad, Franzensbad etc.), die Überreste früher thätiger Vulkane [* 21] (wie des seltsam gestalteten Kammerbühls bei Eger) sowie endlich die unverkennbar vulkanische Bildung des Mittelgebirges und der Reichtum an Mineralquellen, die jenem Bereich angehören und dem Vulkanismus ihr Dasein verdanken dürften.
Man zählt deren mehr als hundert, obschon nur ein Teil benutzt wird. Weltberühmt sind die heißen Quellen zu Karlsbad und Teplitz-Schönau, von den kalten die Eisenquellen zu Franzensbad, Königswart, Liebwerda, die alkalischen zu Bilin und Gießhübel, die Glauber- und Bittersalzquellen zu Marienbad, Püllna, Seidschütz, Sedlitz, die sämtlich nicht bloß stark besucht werden, sondern ihre Wasser auch nach allen Weltgegenden versenden. Andre Heilquellen sind noch zu Johannisbad, Sangerberg, Neudorf, Tetschen, Mariaschein, Mscheno, Sternberg, Dobritschau, Libnitz u. a. Bemerkenswert sind auch die reichen Moorlager von Franzensbad und Marienbad.
Vgl. Kisch, Die Heilquellen und Kurorte Böhmens (Wien [* 22] 1879), und die betreffenden Artikel.
Hinsichtlich seiner Gewässer gehört das Land fast ausschließlich dem Elbgebiet an (und zwar durch die Elbe selbst in ihrem
Oberlauf bis zum Durchbruch durch das Elbsandsteingebirge und durch die bei Melnik in sie mündende Moldau,
den zweiten Hauptstrom Böhmens), während die Donau und die Oder nur durch sehr unbedeutende Quellgebiete im SO. und NO. einigen
Teil am böhmischen Boden haben. Die Elbe, die hier bereits schiffbar wird, nimmt in Böhmen
unmittelbar aus:
rechts die Cidlina, Iser und Pulsnitz (Polzen), links die Aupa, Mettau, Adler,
[* 23] Moldau, Eger und Biela.
Der Moldau fließen zu: rechts die Maltsch, Luschnitz und Sazawa, links die Wotawa und Beraun. Unter den wenigen zur Oder fließenden
Gewässern sind die Lausitzer Neiße
[* 24] bei Reichenberg
[* 25] (mit der Wittich) und die Steine bei Braunau nennenswert;
zum Donaugebiet gehören die an der mährischen Grenze fließende Mährische Sazawa, die Zwittawa und Iglawa, die zur March gehen.
Seen und zwar nur unbedeutende hat Böhmen
im Böhmerwald (der Deschenitzer oder Schwarze See, der Teufelssee bei Eisenstein, der Lakasee,
Plöckelsteiner See etc., alle in Höhen von 900-1200 m); zahlreicher sind Teiche, die, obschon neuerdings
viele (z. B. die großen Teiche bei Pardubitz) abgelassen worden sind, doch noch etwa 400 qkm einnehmen, und deren größter
der Rosenberger Teich (5,8 qkm) ist.
Von Kanälen ist der Schwarzenbergsche Schwemmkanal zu bemerken, welcher die Zuflüsse der Moldau mit dem Mühlflüßchen
in Oberösterreich verbindet, um das Holz
[* 26] des Böhmerwaldes zur Donau zu schaffen. Die klimatischen Verhältnisse Böhmens sind
im allgemeinen denen Mitteldeutschlands gleich (mittlere Temperatur von 8° C.), doch greift die Bodengestaltung sehr gewichtig
zur Hervorbringung eigentümlicher Erscheinungen ein. Der höhere Süden ist rauher als der tiefere Norden, die Gebirgsgegend
kälter als die geschützte Ebene; im Erzgebirge gibt es einige Gegenden, wo das Getreide
[* 27] nicht mehr reift,
ebenso im Böhmerwald, während in den tiefern Gegenden an der Moldau und Elbe der Wein gedeiht. Im ganzen ist aber Böhmen
durch
großen Produktenreichtum ausgezeichnet
und muß zu den ergiebigsten Ländern Europas gerechnet werden.
Naturprodukte.
Die Produkte des Mineralreichs, dessen Schätze schon seit Jahrhunderten ausgebeutet werden, sind sehr reich und mannigfaltig. Böhmen lieferte 1883 an Silber 32,511 kg (aus 127,327 metr. Ztr. Silbererz), hauptsächlich zu Pribram. Blei [* 28] (1883: 5649 metr. Ztr. aus 24,142 metr. Ztr. Erzen) und Bleiglätte (39,434 metr. Ztr.) werden vorzüglich zu Mies und Přibram gewonnen, Zinn (359 metr. Ztr.) im Erzgebirge, Antimon (1313 metr. Ztr.) im südlichen Böhmen (Mileschan). In kleinern Quantitäten werden Wismut und Nickel gewonnen. An Frischroheisen wurden 1883: 754,436 metr. Ztr., an Gußroheisen 128,756, in Summa 883,192 metr. Ztr., erzeugt, gegen die in den letzten Jahren gesunkene Produktion wieder ein Fortschritt.
Das hauptsächlichste Eisenerz in Böhmen ist ein dichter, linsenförmig-körniger Roteisenstein, thoniger und ockeriger Brauneisenstein, Thon- und Raseneisenstein. Hauptlager sind bei Kruschnahora und Nutschitz, dort mit 40, hier mit 50 Proz. haltigem Erz. Das Erz wurde in 13 Hochöfen (hauptsächlich zu Kladno und Königshof bei Beraun; 22 Hochöfen standen kalt) verhüttet, wobei 3623 Arbeiter beschäftigt waren. Ferner wurden 1883 gefördert: Uranpräparate (zu Joachimsthal, 20 metr. Ztr.), Mineralfarben (8737 metr. Ztr.), Schwefel (1767 metr. Ztr.), Schwefelsäure [* 29] und Oleum (113,382 metr. Ztr.), Graphit (bei Oberplan, 74,221 metr. Ztr.), Alaun [* 30] (in Altsattel, Münchdorf, Habersbirk etc., 17,324 metr. Ztr.), Vitriolstein (36,562 metr. Ztr.) und Eisenvitriol (in Altsattel, Lukawitz, Littmitz etc., 17,998 metr. Ztr.). Sehr reich ist an fossiler Kohle, und zwar findet sich Steinkohle hauptsächlich in den Becken von Kladno-Schlan-Rakonitz, von Pilsen und von Schatzlar-Schwadowitz, Braunkohle in dem ausgedehnten und ergiebigen Becken am südlichen Abhang des Erzgebirges.
Die Ausbeute an Steinkohle beträgt 35 Mill., die an Braunkohle 72 Mill. metr. Ztr., namentlich letztere Produktion ist in fortwährender Steigerung begriffen (sie betrug 1862 kaum 8 Mill. metr. Ztr.). Auch die großen Torflager auf den sumpfigen Hochebenen werden jetzt ausgebeutet. Ferner gewinnt man Galmei, Zinnober, [* 31] Porzellanerde, schöne Bau-, Mühl- und Schleifsteinarten, mehrere Arten Edel- und Halbedelsteine (in den nordöstlichen Gebirgen), insbesondere die berühmten böhmischen Granaten [* 32] (Pyrope), Saphire, Topase, Chalcedone, Opale, Jaspis und Achate (bedeutende Schleiferei in Turnau).
Dagegen fehlt es Böhmen gänzlich an Kochsalz. Der Gesamtwert der Berg- und Hüttenproduktion Böhmens nach Abzug des Werts der verhütteten Erze belief sich 1883 auf 29,38 Mill. Fl., d. h. 41,7 Proz. des Werts der gesamten Bergwerksproduktion Österreichs. Der Arbeiterstand betrug 1883 beim Bergbau [* 33] 43,016 Menschen (davon 18,751 beim Steinkohlen-, 16,004 beim Braunkohlen-, 5554 beim Silberbergbau) und bei den Hüttenwerken 4530. Zur Administration des Bergbaues ist in neun der Berghauptmannschaft in Prag unterstehende Reviere geteilt. Die Waldungen, 15,060 qkm einnehmend und meist aus Fichten, seltener aus Buchen und Eichen bestehend, sind vom trefflichsten Bestand und meist Eigentum der Großgrundbesitzer (Fürst Schwarzenberg allein besitzt 740 qkm). Die größten zusammenhängenden Waldflächen finden sich im Böhmerwald.
Hier, wo zahlreiche Glashütten und Eisenwerke Unmassen von Holz verschlingen, blüht vor allem das ¶
mehr
Köhlergeschäft. Aber auch das Riesen-, das Iser- und Erzgebirge sind sehr waldreich, und das Innere Böhmens besitzt im Brdywald, im Pürglitzer und Schwarzkosteletzer Wald nicht minder umfangreiche Waldungen. Der durchschnittliche jährliche Holzzuwachs beläuft sich aus mehr als 5 Mill. Festmeter, davon 57 Proz. Brennholz und 43 Proz. Bau- und Nutzholz. Der Gesamtwert des Realbesitzes und Kulturlandes in Böhmen wurde 1871 aus 2435 Mill. Fl., der landwirtschaftliche Ertrag des Bodens auf 459 Mill. Fl. berechnet.
Von wilden Tieren trifft man vereinzelt noch die wilde Katze [* 35] an; überall ist der Dachs verbreitet, der Hamster wird, je weiter südöstlich, desto seltener. Obschon der Wildstand bedeutend gesunken, kann sich doch schwerlich die Jagd irgend eines andern deutschen Landes mit der böhmischen messen. Man hat 59 Tiergärten und 160 Fasanerien, in welchen Wild in großer Menge gehegt wird. Im J. 1881 wurden an Nutzwild 11,499 Stück großes und 418,344 Stück kleines Haarwild, dann 488,333 Stück Federwild, an Raubwild 11,925 Stück Haarwild und 33,414 Stück Federwild geschossen. Gleich bedeutend ist die Teichwirtschaft, obschon man zahlreiche Teiche in Äcker und Wiesen umgewandelt hat. Die Wittingauer Teiche, wo noch der Biber künstlich gehegt wird, bedecken allein über 50, die Frauenberger über 25 qkm. Den Ertrag der Teichfischerei schätzt man auf jährlich 15,000 metr. Ztr.
Bevölkerung. Bildung.
In Bezug auf die Zahl der Bevölkerung nimmt unter den österreichischen Ländern die zweite Stelle (nach Galizien), in Bezug auf die Dichtigkeit derselben die dritte (nach Niederösterreich und Schlesien) ein. Das Königreich war am Schluß des Dreißigjährigen Kriegs von kaum 800,000 Menschen bewohnt; 1772 zählte man 2,314,795, 1800 über 3 Mill., 1846: 4,417,025, 1857: 4,705,527 Einw. Ende 1869 betrug die Bevölkerung [* 36] 5,140,544, Ende 1880 aber 5,560,819 Seelen.
Die Vermehrung betrug in der Periode 1857-69 jährlich 0,74, 1869-80 jährlich 0,71 Proz. Die Ergebnisse der Bevölkerungsbewegung sind günstige zu nennen; 1883 kamen auf 1000 Bewohner 8 Trauungen, 38 Lebendgeborne und 29 Sterbefälle; auf 1000 Geburten kamen 125 Uneheliche und 29 Totgeborne. Die Dichtigkeit der Bevölkerung beträgt jetzt pro Quadratkilometer 107 Bewohner. Am dichtesten sind die nördlichen Bezirkshauptmannschaften Rumburg, Schluckenau, Gablonz und Reichenberg, am dünnsten die südwestlichen Gegenden (Kralowitz, Krumau, Wittingau, Kaplitz) bevölkert.
Die Bevölkerung Böhmens verteilte sich 1880 in 7002 Gemeinden und 13,286 Ortschaften (darunter 380 Städte und 225 Marktflecken), wonach in Hinsicht auf die Zahl der Orte unter allen Ländern des österreichischen Staatenkomplexes den ersten Rang einnimmt. Der Nationalität nach sind 37 Proz. der Bevölkerung Deutsche, [* 37] gegen 2 Proz. Israeliten (94,450 Seelen), 61 Proz. Slawen (Tschechen, s. d.), die etwa seit Ende des 5. Jahrh. hier seßhaft sind und ihre eigne slawische Sprache [* 38] (s. Tschechische Sprache und Litteratur) bewahrt haben.
Sie nehmen die ganze Mitte sowie den Osten und Südosten des Landes ein, wo sie sich an ihre Stammesgenossen in Mähren anschließen, während sie sonst ringsum von der deutschen Bevölkerung Böhmens (2 Mill.), welche die Grenzgebiete bewohnt, umgeben sind. Schon von Riedersdorf (bei Landskron) an bewohnen die Deutschen gegen N. in schmalem Streifen die Grenzen Böhmens gegen Mähren und die Grafschaft Glatz. [* 39] Bei Nachod schieben sich Tschechen dazwischen, selbst bis auf preußisches Gebiet.
Von Braunau im Königgrätzer Kreis zieht sich die deutsche Grenzbevölkerung in geschlossenen Massen und weitem Bogen [* 40] nach W., von danach S. bis über Gratzen und nach einem kurzen Übertritt der Sprachscheide nach Niederösterreich (bei Schrems) über Neubistritz und Neuhaus hinab. Die größte Breite dieses 830 km langen deutschen Grenzgürtels beträgt im N. 80, im W. ca. 100 km; die schmälste Stelle befindet sich bei Klentsch im Böhmerwald, wo die Deutschen aus einen kaum 1 km ins Land gehenden Streifen beschränkt sind.
Eine Sprachinsel der Tschechen im deutschen Gebiet findet sich bei Mies, wogegen die Deutschen viel zahlreichere und bedeutendere Sprachinseln im tschechischen Gebiet bilden, so die der Schönhengstler um Landskron, Abtsdorf, Brünnlitz, die von Stecken (im Anschluß an die Iglauer Sprachinsel in Mähren), von Budweis, Prag und Umgebung u. a. Im übrigen wohnen Deutsche zerstreut in allen Gegenden des Landes, namentlich in den größern Städten. Wenn man bedenkt, daß die Deutsch-Böhmen gegenüber den Tschechen, trotz der relativ hohen Bildungsfähigkeit der letztern unter den slawischen Völkerschaften, doch einen Vorsprung, ein Übergewicht in kultureller und intellektueller Beziehung haben, daß die industrielle Produktion, der Handel und das Verkehrswesen vorzugsweise in den Händen der Deutschen sind, und daß diese endlich an ihren Stammesgenossen in und außerhalb Österreichs einen festen Stützpunkt finden, so wird man trotz der größern Zahl der Tschechen Böhmen doch nicht als ein Land mit vorwaltend slawischen, tschechischem, Charakter ansehen können. Ebensowenig ist von einer Vermischung der beiden Nationen die Rede; dieselben stehen sich vielmehr in neuerer Zeit mehr denn je als national und politisch streng gesonderte Parteien gegenüber, ein Verhältnis, das allerdings der Förderung der Interessen des von der Natur so glücklich bedachten und noch einer reichen Entwickelung fähigen Landes nicht zuträglich ist.
Dem religiösen Bekenntnis nach gehören 96 Proz. der gesamten Bevölkerung (5,339,421) dem Katholizismus an, 2 Proz. (120,000) den evangelischen Konfessionen [* 41] (der Helvetischen die größere Hälfte); die Bekenner der Augsburger Konfession sind am zahlreichsten im ehemaligen Egerer, die der Helvetischen im Chrudimer Kreis.
Das Unterrichtswesen hat sich in Böhmen, im Vergleich zu andern Kronländern Österreichs, ansehnlicher Resultate zu erfreuen. Im J. 1880 bestanden 4782 Volks- und Bürgerschulen (2244 deutsche, 2532 tschechische und 6 gemischte) mit zusammen 16,129 Lehrern, 846,903 schulpflichtigen und 845,585 schulbesuchenden Kindern. Gymnasien und Realgymnasien zählte das Land 1881: 51 (21 mit deutscher, 30 mit tschechische Unterrichtssprache), zusammen mit 938 Lehrern und 15,808 Schülern;
Realschulen 17 (9 mit deutscher, 8 mit tschechische Unterrichtssprache), zusammen mit 337 Lehrern und 5048 Schülern.
Ferner bestehen 12 Lehrer- und 3 Lehrerinnenbildungsanstalten in Böhmen Hochschulen sind die Universität zu Prag (1348 gestiftet), von welcher 1882 eine besondere tschechische Universität abgetrennt wurde, 1884 bis 1885 mit zusammen 184 Lehrern und 3218 Studenten (1450 an der deutschen Universität) und einer Bibliothek von 150,000 Bänden, die deutsche und die tschechische technische Hochschule zu Prag (zusammen 1884-85 mit 64 Lehrern und 857 Studierenden); Spezialschulen sind: 2 Handelsakademien (Prag), die Bergakademie zu Přibram, 4 theologische ¶
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Titel
Böhmen.
[* 2] Die Bevölkerung des Königreichs Böhmen, welche 1880: 5,560,819 Seelen betrug, wird für Ende 1888 auf Grund der Ergebnisse der Bevölkerungsbewegung und der Wanderungen mit 5,812,635 Bewohnern berechnet. Von den höhern Unterrichtsanstalten zählten die beiden Universitäten zu Prags im J. 1887 und zwar die deutsche 161 Dozenten und 1602 Studierende, die tschechische 124 Dozenten und 2172 Studierende, die beiden technischen Hochschulen und zwar die deutsche 47 Lehrer und 192 Studierende, die tschechische 60 Lehrer und 348 Studierende.
Die Frequenz der technischen Hochschulen ist im Gegensatz zu der der Universitäten in stetigem Rückgang begriffen. An Mittelschulen bestehen 53 Gymnasien und Realgymnasien und 17 Realschulen, 13 Bildungsanstalten für Lehrer und 4 für Lehrerinnen, an Volks- und Bürgerschulen 5129. Humanitätsanstalten waren 1886: 7 Krippen, 73 Kinderbewahranstalten, 186 Kindergärten, 22 Waisenhäuser, 3 Arbeitshäuser, 331 Versorgungsanstalten, 4477 Armeninstitute, 138 Krankenhäuser (mit 6720 Betten), 3 öffentliche Irrenanstalten (2780 Betten), eine öffentliche Gebäranstalt (330 Betten), eine Findelanstalt, 4 private Taubstummen- und 2 private Blindeninstitute. Sehr reich ist an Vereinen. Ende! 1886 wurden deren 9408 gezählt, darunter 128 Aktiengesellschaften, 1802 Feuerwehrvereine, 602 Gesangs-, 1692 Krankenunterstützungs- und Leichenbestattungs-, 492 landwirtschaftliche, 326 Lese-, 115 Musik-, 141 politische, 399 Turn-, 106 wissenschaftliche, 517 Noblthätigteitsvereine etc.
Stand der Faoriksindustrie nach Hauptgruppen:
Industriegruppen | Unternehmungen | Arbeiter | Produktionswert |
---|---|---|---|
Gulden | |||
Metalle und Metallwaren | 269 | 11242 | 24890000 |
Maschinen, Instrumente, Transportmittel | 187 | 9061 | 17229000 |
Steine, Erden, Thon, Glas | 5319 | 38991 | 45967700 |
Holzwaren und Knöpfe | 1177 | 9638 | 13228200 |
Leder und Wachstuch | 72 | 1984 | 6875900 |
Textilindustrie | 783 | 129216 | 211253909 |
Bekleidung und Putzwaren | 246 | 10297 | 13212400 |
Papier | 132 | 6393 | 11262400 |
Nahrungs- und Genußmittel | 7649 | 85945 | 256705022 |
Chemische Industrie | 208 | 8945 | 28087300 |
Bau- und Kunstindustrie | 469 | 4209 | 5537300 |
Zusammen: | 16571 | 315921 | 633249122 |
Der Bergbau und Hüttenbetrieb, welcher unter den Erwerbszweigen der Bevölkerung von Böhmen eine hervorragende Stelle einnimmt und sich sowohl durch Reichtum als durch Mannigfaltigkeit der Produkte auszeichnet, hat im J. 1888 einen Produktionswert (nach Abzug des Wertes der verhütteten Erze) von 33,218,189 Gulden, d. h. 46 Proz. des Wertes der Gesamtproduktion Österreichs an Berg- und Hüttenprodukten, geliefert. Die Zahl der Berg- und ¶
mehr
Hüttenarbeiter betrug 53,766. Die wichtigsten Produkte waren: 35,073 kg Silber, 1,164,662 metr. Ztr. Frischroheisen, 208,271 Gußroheisen, 18,922 Blei, 26,867 Glätte, 2128 Antimon, 118,135 metr. Ztr. Graphit, 10,033,403 Ton. Braunkohle und 3,715,479 T. Steinkohle. Nach der letzten statistischen Erhebung der Industrie belief sich die Zahl der gewerblichen Unternehmungen Ende 1885 auf 124,965, die der Handelsgewerbe auf 91,000. An Verkehrsmitteln bestanden Ende 1887: 4347,7 km Eisenbahnen, 24,781,5 km Landstraßen und 1160 km Wasserstraßen. Der wichtigste Flußschiffahrtsverkehr findet auf der Elbe statt. Der beim Grenzzollamt Schandau nachgewiesene Warenverkehr umfaßte in der Thalfahrt 16,7 Mill. metr.
Ztr. (darunter 14 Mill. Braunkohle, 1,2 Mill. Werkholz), in der Bergfahrt 245,900 metr. Ztr. Postanstalten bestanden Ende 1887: 1089, Staatstelegraphenämter 432, Sparkassen 117 mit 536,793 Einlegern und einem Guthaben derselben von 335,86 Mil. Gulden.
Geschichte. Begünstigt vom Ministerium Taaffe, setzten die Tschechen ihre Bemühungen, Böhmen gänzlich zu slawisieren, fort; die sich liberal nennenden sogen. Jungtschechen gingen in ihren Forderungen sogar weiter als die mit dem Klerus und dem Feudaladel verbündeten Alttschechen. Die Tschechen behaupteten, hierdurch nicht nur ihre eigne nationale Existenz zu sichern, sondern auch den Bestand des österreichischen Staats, indem ein starker slawischer Staat zwischen dem Deutschen Reich und Deutschösterreich die Aufsaugung des letztern durch Deutschland [* 43] hindern werde.
Ihren leidenschaftlichen Haß gegen letzteres gaben sie bei jeder Gelegenheit kund, und nur einige Führer, welche zu der Regierung Beziehungen unterhielten, wie Rieger, nahmen auf das Bündnis zwischen Österreich [* 44] und Deutschland einige Rücksicht, während es andre offen bekämpften und dafür ein Bündnis mit Rußland und Frankreich forderten. Dennoch machte die Regierung, namentlich der Justizminister Prazak, den Tschechen immer neue Zugeständnisse, um sich deren Zustimmung im Reichsrat und damit die Mehrheit zu sichern. 1886 gebot eine neue Sprachenverordnung, daß auch die Beamten des Oberlandesgerichts beide Sprachen, Tschechisch und Deutsch, verstehen und gebrauchen müßten.
Während durch die Forderung der Doppelsprachigkeit die deutschen Beamten, besonders die aus andern Kronländern, als des Tschechischen meist nicht mächtig, verdrängt wurden (1889 waren von 45 Beamten der Staatsanwaltschaft 41 Tschechen, nur 4 Deutsche!), wurden die Anforderungen hinsichtlich der Kenntnis des Deutschen bei den Prüfungen tschechischer Schüler und Studenten immer mehr ermäßigt und die amtlichen Vorschriften darüber lax gehandhabt. Die Deutschen erneuerten daher ihre Forderung, daß die deutschen Distrikte von den tschechischen administrativ getrennt würden, damit das Eindringen der Tschechen in reindeutsche Gemeinden als Beamte, Arbeiter etc., welche dann sofort tschechische Schulen für sich verlangten und die Slawisierung begannen, aufhöre und der nationale Hader beschwichtigt werde.
Ein dahin gehender Antrag der deutschen Abgeordneten im Landtag wurde von der tschechischen Majorität nicht einmal einem Ausschuß überwiesen, sondern gleich bei der ersten Lesung auf Antrag des Fürsten Karl Schwarzenberg abgewiesen, worauf die Deutschböhmen den Landtag mit der Erklärung verließen, daß sie ihn erst dann wieder besuchen würden, wenn ihnen Bürgschaften für die sachliche Erwägung ihrer Wünsche und Anträge geboten
würden. Die deutschböhmischen Wähler billigten diesen Schritt ihrer Abgeordneten und hielten treu zu ihnen; die ihres Mandats verlustig erklärten deutschen Abgeordneten wurden sämtlich wiedergewählt. Die Vermittelungsvorschläge, welche der Oberstlandmarschall Fürst Lobkowitz Ende 1887 dem Führer der Deutschen, Schmeykal, machte, und welche auf eine Teilung des Landtags in drei Kurien (Großgrundbesitz, Tschechen und Deutsche) hinausliefen, winden zurückgewiesen, zumal sie nicht aufrichtig gemeint waren; die Deutschen beharrten auf voller Sicherung ihres nationalen Besitzstandes durch administrative Teilung Böhmens nach den Nationalitäten und die Teilung des Landtags in zwei nationale Kurien, denen das Veto gegen alle Übergriffe zustande.
Ein Versuch, die deutschen Großgrundbesitzer für die Beschickung des Landtags durch das Zugeständnis einer Anzahl von Abgeordnetenmandaten zu gewinnen, den die Feudalen auf Antrieb Taaffes 1889 machten, scheiterte ebenfalls an der Einigkeit der Deutschen. Die Tschechen hatten also die unbestrittene Herrschaft im Landtag und benutzten sie, um ihre Interessen rücksichtslos zu verfolgen; 1888 beschlossen sie auf Kosten der deutschen Steuerzahler die Errichtung einer böhmischen (tschechischen) Akademie der Wissenschaften und Künste in Prag.
Bei den neuen Landtagswahlen in den Städten im Juli 1889 gewannen die Deutschen zu ihren 29 Sitzen noch den zu Krumau hinzu, während die Alttschechen bloß 20, einige nur mit Mühe, behaupteten und die Jungtschechen 29 Mandate eroberten. Es waren das die Früchte der von der Regierung seit Jahren begünstigten nationalen Agitation. Durch den Sieg der sehr deutschfeindlichen, aber radikalen Jungtschechen geriet die Regierung in Verlegenheit. Der Statthalter v. Kraus wurde 7. Sept. entlassen und Graf Thun-Hohenstein zum Statthalter ernannt, der sich zwar 1888 für die Königskrönung ausgesprochen hatte, aber für einen energischen Gegner des Liberalismus galt.
Der Minister Graf Taaffe suchte von neuem Ausgleichsverhandlungen mit den Deutschen einzuleiten. Diese verlangten aber von vornherein eine beruhigende Erklärung über die Absichten der Regierung hinsichtlich der Krönungsfrage, und daran zerschlugen sich die Verhandlungen. Die 41 deutschen Abgeordneten beschlossen auch diesmal, dem Landtag fern zu bleiben. Die Jungtschechen traten in demselben herausfordernd auf, und die Alttschechen wagten nicht, ihnen zu widersprechen, um nicht ihre Popularität Zu verlieren.
Sie beantragten sofort 12. Okt. eine Adresse an den Kaiser mit der Bitte um die Wiederherstellung des Königreichs und seiner frühern, durch den Krönungseid zu bekräftigenden Rechte. Dieser Antrag wurde 10. Nov. mit 113 gegen 37 Stimmen abgelehnt, weil die Alttschechen durch Rücksichten auf die Regierung gebunden waren; doch wurde die angenommene Tagesordnung mit dem Vertrauen begründet, daß die Krone den richtigen Zeitpunkt wählen werde, um das große Werk des böhmischen Staatsrechts durch die Königskrönung abzuschließen. Dafür wurden die Alttschechen durch ein neues Sprachengesetz belohnt, welches auch für die Bezirks- und Gemeindebehörden die Zweisprachigkeit vorschreibt.
Zur Litteratur: Langhans, Das Königreich Böhmen (Wien 1881);
»Spezialortrepetitorium von Böhmen« (hrsg. von der statistischen Zentralkommission, das. 1885);
Schlesinger, Die Nationalitätsverhältnisse Böhmens (Stuttg. 1886);
Prochazka, Böhmens landtäflicher Grundbesitz (Prag 1886);
Mischler, Der öffentliche Haushalt in Böhmen (Wien 1887);
Katzer, ¶
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Geologie [* 46] von Böhmen (Prag 1889); Neuwirth, Geschichte der christlichen Kunst in Böhmen bis zum Aussterben der Przemysliden (das. 1888).