Recht. Der mit diesem
Ausdruck verbundene
Begriff ist ein verschiedener, je nachdem man dabei das Herrschaftsgebiet
oder den Ursprung der Rechtsnormen im
Auge
[* 2] hat. In ersterer Beziehung versteht man unter deutschem
Rechte das in
Deutschland
[* 3] geltende
Recht, während man mit Rücksicht auf den Entstehungsgrund damit das aus deutschnationalen Rechtsquellen
hervorgegangene
Recht bezeichnet. Das in
Deutschland geltende
Recht ist nämlich keineswegs durchweg nationalen Ursprungs; dasselbe
zeigt vielmehr insofern einen
Dualismus, als in
Deutschland neben den auf deutschen Rechtsquellen beruhenden Rechtssatzungen
auch fremde
Rechte in bedeutendem
Umfang rezipiert worden sind.
Allerdings findet sich bei den germanischen
Völkerschaften ursprünglich nur nationales
Recht, freilich,
da die einzelnen deutschen Volksstämme keinen einheitlichen
Staat bildeten, auch kein einheitliches
Recht. Die
Rechte der einzelnen
deutschen
Stämme waren auch sehr spärlicher
Natur, da, wie
Tacitus bemerkt, bei ihnen mehr auf gute
Sitten als auf gute
Gesetze
gehalten wurde, und diese geringe Anzahl vonRechtssatzungen wurde lediglich durch ungeschriebenes
Gewohnheitsrecht
fortgepflanzt.
Geschriebenes
Recht findet sich zuerst bei den salischen
Franken, welchen dann seit dem 5. Jahrh. auch andre Volksstämme mit
geschriebenen Gesetzessammlungen in lateinischer
Sprache,
[* 4] den sogen.
»Leges barbarorum«, folgten. Neben diesen
Volksrechten
waren später in der fränkischen
Monarchie, zu welcher auch
Deutschland gehörte, die
Verordnungen der
Könige, die sogen.
Kapitularien, welche vorzugsweise die
Gerechtsame der
Könige behandelten, von Bedeutung.
Von einem eigentlichen deutschen Nationalrecht aber kann erst die
Rede sein, nachdem ein selbständiges
Deutsches Reich gegründet
und nachdem mit der Absetzung
Karls
des
Dicken 887 die politische Trennung
Deutschlands
[* 5] und
Frankreichs bleibend vollzogen worden
war. Indessen war die Reichsgesetzgebung in den zunächst folgenden
Jahrhunderten eine nur spärlich fließende Rechtsquelle;
die Rechtsentwickelung vollzog sich vielmehr vorzugsweise in dem engern
Rahmen der städtischen oder sogen. Weichbildrechte,
z. B. von
Magdeburg,
[* 6]
Lübeck
[* 7] und
Köln,
[* 8] und die geltenden Rechtsnormen wurden in Privatsammlungen, den sogen.
Rechtsbüchern
des
Mittelalters, zusammengestellt. Unter diesen letztern nehmen der
Sachsenspiegel, der um 1230 entstand,
und der wahrscheinlich zu
Ausgang des 13. Jahrh. verabfaßte
Schwabenspiegel die erste
Stelle ein. Ersterer ist das
Bild des
damaligen norddeutschen Rechtslebens, der letztere vorzugsweise das
Produkt der süddeutschen Rechtsentwickelung.
Bevor jedoch das deutsche Recht zu einer konsequenten Aus- und Durchbildung gelangt war, hatten nach
und nach auch fremde
Rechte, nämlich das römische und
kanonische Recht, wie es sich im
Corpus juris civilis und im
Corpus juris
canonici darstellt, sowie das langobardische
Lehnrecht, die sogen.
Libri feudorum, in
Deutschland Eingang gefunden. Es waren
verschiedene Umstände, welche diese
Rezeption des fremdenRechts in
Deutschland herbeiführten und erleichterten;
namentlich der Umstand, daß man das sogen.
römische Reich deutscher
Nation als eine Fortsetzung des alten römischen Kaiserreichs,
die deutschen
Kaiser als die Nachfolger der römischen
Imperatoren und folgeweise auch das
römische Recht als das eigentümliche
Recht des
DeutschenReichs auffaßte.
Dazu kamen die humanistische und romanisierende
Richtung des 15. und 16. Jahrh., die
Ehrfurcht und Bewunderung,
welche dem klassischen
Altertum und seinen Überresten gezollt ward, und daneben der Einfluß der
Geistlichkeit, welche in
den damaligen geistlichen
Gerichten nach römischem
Recht entschied und zugleich die kanonisch-rechtlichen
Satzungen der
Päpste
verbreitete. Ebenso war hierfür auch das
Studium des römischen und kanonischen
Rechts von großem Einfluß,
welches seit dem 12. Jahrh. zuerst auf den
Universitäten Oberitaliens, namentlich in
Bologna, aufblühte und nachmals auch
auf den deutschen
Universitäten und zwar lange Zeit hindurch in ausschließlicher
Weise gepflegt ward.
Endlich kam noch die
Berufung von
Doktoren des römischenRechts in das 1495 errichtete
Reichskammergericht
hinzu, welch letzteres ebenfalls in erster
Linie das
römische Recht zur Grundlage seiner Urteilssprüche machte. So kam es,
daß jene fremden Rechtsquellen zum gemeinen
RechtDeutschlands geworden und namentlich auf dem Gebiet des
Privatrechts zum
großen Teil an die
Stelle des nationalen
Rechts getreten sind. Nur diejenigen Rechtsinstitute, welche
mit dem deutschen Nationalcharakter und mit dem deutschen Volksleben im innigsten Zusammenhang standen und den eigentlichen
Ausdruck deutscher Rechtsanschauung bildeten, behaupteten neben dem fremden
Recht ihre Geltung, indem sie durch
Gewohnheitsrecht
und teilweise auch durch die
Gesetzgebung des
DeutschenReichs ihre weitere
Ausbildung fanden. Doch war diese
Reichsgesetzgebung fast nur auf dem Gebiet des öffentlichen
Rechts, namentlich des
Staatsrechts und des
Prozesses, thätig,
so z. B. durch den
Erlaß der verschiedenen
Reichskammergerichts- und Reichshofratsordnungen und durch die Bestimmungen im
jüngsten
Reichsabschied von 1654, sowie auf dem Gebiet des
Strafrechts, in welch letzterer Beziehung namentlich die peinliche
GerichtsordnungKaiserKarls V. von 1532 (die sogen.
¶
mehr
Carolina), die Grundlage des gemeinen deutschen Strafrechts, hervorzuheben ist.
Was aber die deutschen Privatrechtsnormen anbelangt, welche neben dem fremden Recht ihre Geltung behauptet haben und welche
im Gegensatz zu diesem letztern die Grundlage des gemeinen deutschen Privatrechts bilden, so mag hier insbesondere an die eigentümlichen
deutschen Rechtsgrundsätze in Ansehung der Gemeinden und der Genossenschaften, an die besondern Normen
in betreff der bäuerlichen Gutsverhältnisse, des Lehnswesens und der bäuerlichen Leihe erinnert werden.
Endlich mag hier auch noch an das Institut der Einkindschaft, der Leibzucht, an die dem römischen Recht völlig fremden deutschrechtlichen
Erbverträge, an die Rechtsgrundsätze über den Rentenkauf, die Inhaberpapiere, das sogen. litterarische Eigentum sowie an
die deutschen Rechtsnormen in Ansehung des Wechsel- und Handelsrechts erinnert werden. Für die Erhaltung
und Ausbildung der dem deutschen Rechtsbewußtsein entsprungenen Rechtsinstitute und für eine angemessene Verschmelzung
des fremden Rechts mit dem einheimischen war noch während des Bestehens des DeutschenReichs vorzugsweise die Partikulargesetzgebung
thätig.
Nach der Auflösung des DeutschenReichs 1806 aber und nach dem Wegfall einer gemeinsamen gesetzgeberischen
Autorität für ganz Deutschland war sie es ausschließlich, welcher die Aufgabe zufiel, die deutsche Rechtsentwickelung in
einer den sozialen Verhältnissen und den Bedürfnissen des Volkes entsprechenden Weise zu pflegen und zu fördern. Diese Aufgabe
ward teils durch den Erlaß einer Menge von Spezialgesetzen, teils durch umfangreiche Kodifikationen in
mehr oder weniger glücklicher Weise gelöst.
Namentlich sind in dieser Beziehung das allgemeine preußische Landrecht vom das österreichische allgemeine bürgerliche
Gesetzbuch von 1811 und das bürgerliche Gesetzbuch für das KönigreichSachsen
[* 10] vom hervorzuheben. Auch muß hier
bemerkt werden, daß in den preußischen, bayrischen und hessischen Rheinlanden sowie mit einigen Modifikationen
im Großherzogtum Baden
[* 11] das französische Zivilgesetzbuch von 1804 (Code Napoléon) Geltung erlangt und behalten hat (vgl. die
Übersicht der dermaligen Rechtsgebiete im DeutschenReich im Art. Deutschland, S. 840). Außerdem ist besonders an die große
Anzahl deutscher Zivil- und Strafprozeßordnungen sowie an die verschiedenen deutschen Strafgesetzbücher,
welche im Lauf dieses Jahrhunderts in den einzelnen deutschen Staaten publiziert wurden, zu erinnern.
Leider ward aber gerade durch diese verschiedenartige Partikulargesetzgebung, welche eine Folge der politischen Zerrissenheit
Deutschlands war, auch eine Zerrissenheit des deutschen Rechts und Rechtslebens herbeigeführt, welche nachgerade fast unerträglich
wurde. Als ein großer Fortschritt
war es daher schon zu begrüßen, daß wenigstens auf dem Gebiet des Handels- undWechselrechts
durch die deutsche Wechselordnung von 1848 und das allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 eine Einheit des Rechts hergestellt
wurde.
Gleichwohl stellten sich diese beiden Gesetze für die Zeit des vormaligen DeutschenBundes ebenso wie die
Beschlüsse dieses Bundes selbst, welche das Rechtsgebiet berührten, lediglich als Partikularrechtsnormen dar, da es zu ihrer
Gültigkeit einer Publikation von seiten der einzelnen deutschen Staatsregierungen bedurfte. Auch die von dem Norddeutschen
Bund erlassenen Gesetze konnten nur als partikuläres Recht aufgefaßt werden, da sie nicht für ganz Deutschland
rechtsverbindliche Kraft
[* 12] hatten.
Allerdings war es nach der Reichsverfassung (Art. 4), welche sich hierin an die norddeutsche Bundesverfassung anschloß, zunächst
nur eine begrenzte Sphäre des Rechts, welche den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung bildete, indem
der letztern nur bestimmte Teile des öffentlichen und privaten Rechts unterstellt waren. Durch Reichsgesetz vom wurden
jedoch das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren der Gesetzgebung des Reichs unterstellt.
Die Gesetze des Norddeutschen Bundes aber sind mit wenigen Ausnahmen zu Reichsgesetzen erhoben worden. Daß
diese neue deutsche Gesetzgebung bisher weniger auf dem Gebiet des Privatrechts als auf andern Rechtsgebieten thätig war,
hängt mit dem Umstand zusammen, daß die Festigung und Ausbildung der neuen staatlichen Institutionen des Reichs als das Dringlichere
erschien, und daß die Aufgabe, eine Kodifikation des bürgerlichen Rechts in Deutschland herbeizuführen,
eine ungemein große und umfangreiche ist. Indessen ist die Ausarbeitung eines deutschen Zivilgesetzbuchs schon seit Jahren
in Angriff genommen, und das große Werk wird voraussichtlich in nicht allzu ferner Zeit zur Vollendung gelangen.
Zahlreich sind besonders die neuen deutschen Verwaltungsgesetze, wie die Gesetze und Verordnungen über
das Post- und Telegraphenwesen, besonders die Postordnung vom die auf Handel und Schiffahrt bezüglichen Gesetze, namentlich
die Seemannsordnung vom Strandungsordnung vom Gesetz über die Untersuchung von Seeunfällen vom
die Bestimmungen über das Konsulatswesen, dann die zahlreichen Gesetze über die Verbrauchssteuern, die
Stempelabgaben und die Zölle (Tarifgesetze vom und über das Münz-, Bank-, Maß- und Gewichtswesen.
Das Gewerbewesen ist durch die deutsche Gewerbeordnung vom modifiziert durch eine Reihe von Novellen, normiert.
Zahlreiche Gesetze beziehen sich auf das Militärwesen des Reichs, auf die Heeresorganisation, das Pensionswesen
und auf die Leistungen für die bewaffnete Macht. Durch den Erlaß eines deutschen Strafgesetzbuches, zu welchem auch ein Militärstrafgesetzbuch
(vom hinzukam, ist auf dem Gebiet des Strafrechts¶
mehr
die Rechtseinheit hergestellt. Das Gleiche ist durch eine umfassende Justizgesetzgebung für das Prozeßrecht und für das
Gerichtsverfassungswesen geschehen. Die deutsche Zivilprozeßordnung vom hat das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten
in einheitlicher Weise normiert. Dazu kamen die Strafprozeßordnung vom 1. Febr. und die Konkursordnung vom Schon zuvor
war durch Bundes- (Reichs-) Gesetz vom die Schuldhaft als Exekutionsmittel beseitigt und durch Gesetz vom die
Beschlagnahme des Arbeits- und Dienstlohns als Zwangsvollstreckungsmittel wesentlich beschränkt worden.
Das Gerichtsverfassungsgesetz vom und die Rechtsanwaltsordnung vom nebst den nötigen Gebührengesetzen
schlossen sich an die Justizgesetze an. Das Bundes- (Reichs-) Gesetz vom über die Erwerbung und den Verlust der Bundes-(Reichs-)
und Staatsangehörigkeit hat diesen wichtigen Gegenstand geregelt, nachdem bereits unmittelbar nach der Gründung des Norddeutschen
Bundes durch das Bundes- (Reichs-) Gesetz vom der Grundsatz der Freizügigkeit für das Bundesgebiet
näher ausgeführt worden war.
Recht.Unser geltendes Recht ist aus verschiedener Wurzel
[* 20] entsprungen. Das öffentliche Recht (Reichs- und Staatsrecht
einschließlich des Rechts der Gemeinden, das Kirchenrecht, das Strafrecht, die Ordnungen des Civil- und des Strafprozesses)
weist nur zu einem sehr geringen Teil auf röm. Recht zurück. Wenn man von dem Gegensatz vom Deutschen
und RömischenRecht (s. d). spricht, hat man dabei das bürgerliche Recht im Sinne. In diesem ist aber der Grundstock röm.
Recht, wie es für Deutschland in der Zeit vom Ausgange des Mittelalters bis zur Mitte des 16. Jahrh. gewohnheitsrechtlich
recipiert ist.
Dieser Grundstock ist auch, was den materiellen Gehalt der einzelnen Rechtsbestimmungen angeht, bei den
Kodifikationen (s. d.) des Preuß. Allg. Landrechts, des Österr. Bürgerl. Gesetzbuchs, des Code civil, des Sächs. Bürgerl.
Gesetzbuchs und in dem DeutschenEntwurf gewahrt geblieben. Die Hoffnung, daß wir jemals unter Beiseitesetzung der röm.
Grundlage ein nationales deutschesbürgerliches Recht auf ganz neuer Grundlage schaffen, muß man aufgeben.
Was man fordern kann und was zum größten Teil schon erreicht ist, ist dies, daß unser bürgerliches Recht solche Rechtssätze
und solche Rechtsinstitute abstreift, welche auf römischen, von unsern heutigen abweichenden Anschauungen einer andern Kultur
und einer andern Nationalität beruhen; und daß umgekehrt die Rechtsinstitute, welche auf moderner Kultur
und auf moderner Wirtschaft beruhen, zweckentsprechend ausgebaut werden. Solche auf deutschem Boden entstandenen und bewahrten
besondern Rechtsinstitute und Rechtssätze, welche das röm. Recht abändern, ergänzen und modifizieren, faßt man unter
dem Namen des Deutsches Recht zusammen.
Auch sehr eifrige Germanisten erkennen an, daß es sich dabei nicht um ein geschlossenes System von Rechtssätzen
handelt. Es mag für den Gelehrten möglich sein, rückwärts aufzuzeigen, daß die verschiedenen Stammesrechte, welche im
Mittelalter galten (frank., sächs., bayr., schwäb.
Recht), und die Mannigfaltigkeit von Landrecht, Stadtrecht, Lehnrecht und Hofrecht, ebenso wie die deutsche Sprache mit ihren
verschiedenen Mundarten, aus einem deutschen Geiste geboren, den wirtschaftlichen und socialen Verhältnissen,
wie sie damals überall herrschten, zweckmäßig angepaßt waren, und daß sich so ein System des Deutsches Recht nachweisen läßt,
wie es dem Princip nach den verschiedenen Stammes-, Standes-, Güterklassen- und lokalen Rechten zu Grunde lag. Aber das hat
nur geschichtliches Interesse.
Was wir aus dieser Zeit gerettet haben und heute noch gebrauchen, ist nicht mehr ein zusammenhängendes
System, so wertvoll auch diese Schöpfungen als Bestandteile des heutigen Deutsches Recht sind und so stolz wir auf deren Aufbau sein
dürfen. Wir haben die die Menschheit entwürdigende röm. Sklaverei abgeworfen mit ihren Pekulien und den Bestimmungen
über Freilassungen und den dadurch geschaffenen verschiedenen Ständen, wovon die röm. Rechtsbücher zum Überdruß wimmeln.
Wir haben die Fortdauer der röm. väterlichen Gewalt, welche bis zum Tode des Vaters auch die großjährigen und verheirateten
Söhne und Enkel in wirtschaftlicher Unselbständigkeit hielt, beseitigt und die Rechte der deutschen Mutter über ihre
Kinder erweitert. Wir haben gänzlich mit dem ehelichen Güterrecht der Römer
[* 21] gebrochen und verschiedene, der deutschen und
modernen Auffassung der Ehe entsprechendere Güterrechtssysteme geschaffen.
Damit hängt eine Neugestaltung des Erbrechts der
Ehegatten zusammen.
Wir haben den röm. Rechtssatz aufgegeben, daß die Klagbarkeit der Verträge abhängt von bestimmten Formen, der uralten
Heiligkeit des von einem Deutschen gegebenen Wortes die Anerkennung auch für das bürgerliche Recht gesichert, damit aber unserm
Handelsverkehr innerhalb Deutschlands und mit den fremden Völkern eine gesicherte Grundlage gegeben. Umgekehrt haben wir
in Übereinstimmung mit den andern modernen Kulturvölkern Formen geschaffen, welche dem kaufmännischen Geldverkehr in weit
zweckmäßigerer Weise angepaßt sind, als sie das röm. Recht auf diesem Gebiete aufweist: den Wechsel,
den kaufmännischen Verpflichtungsschein, die Anweisung, das Orderpapier und das Inhaberpapier.
Die Römer sind an ihrer Latifundienwirtschaft zu Grunde gegangen. Für einen landwirtschaftlichen Realkredit ist die röm.
Hypothek unbrauchbar. Die deutschen Grund- und Hypothekenbücher sind eine der großartigsten modernen
Einrichtungen, welche, in Zusammenhang mit einem rationell angelegten und fortgeführten Kataster, dem Kleinbauern wie dem
Großgrundbesitzer und dem städtischen Hausbesitzer einen den Gläubiger sichernden Realkredit garantiert.
Auf dem Gebiete des Mobiliarsachenrechts vollzieht sich der Schutz des redlichen Erwerbers in einer der modernen Auffassung
entsprechenden, den Erwerb beweglicher Sachen sichernden Weise. Die röm. Hypothek an beweglichen Sachen
ist als den Verkehr benachteiligend aufgegeben. Der Ausbau des Handelsgesellschaftsrechts mit den Formen der offenen Handelsgesellschaft,
der stillen und der Kommanditgesellschaft, der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haft hat die röm.
Gesellschaftsform ganz verlassen.
Der Trieb der modernen Association hat die Genossenschaften des Deutsches Recht geschaffen, von deren Gestaltung
bei den Römern nichts zu finden ist. Ganz unbekannt war den Römern der Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums mit
seinen segensreichen socialen und wirtschaftlichen Wirkungen u. s. w. Mit dem heute geltenden
Deutsches Recht hat, wenn schon sich dasselbe im Anschluß an das röm.
Recht und auf der durch dasselbe gegebenen Grundlage aufgebaut hat, das deutsche Volk seinen Beruf zur zeitgemäßen Fortbildung
eines seinem Kulturzustande und seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden, dem Rechtszustande der übrigen Kulturvölker
ebenbürtigen bürgerlichen Rechts wohl erwiesen.
Übrigens kann man von einem heute geltenden Deutsches Recht in dem Sinne, daß der einzelne Rechtssatz formell
gemeines Recht sei, nur so weit sprechen, als derselbe durch die deutsche Reichsgesetzgebung sanktioniert und folglich für
das ganze Deutsche Reich verbindlich ist. Darüber hinaus ist es die materielle Übereinstimmung der im einzelnen freilich
voneinander vielfach abweichenden partikularen Rechtssätze der einzelnen deutschen Rechtsgebiete in ihren Principien und
Grundzügen, welche noch zur Zeit das Deutsches Recht ausmacht.
Geschichtlich ist Deutsches Recht im weitern Sinne das Recht des gesamten german. Volksstammes, darunter auch das Recht der skandinav.
oder nordischen Völker, das Recht der Angelsachsen, die normann.-fränk. und langobard. Rechte von Frankreich und Italien.
[* 22] Im
engern und gewöhnlichen Sinne bedeutet Deutsches Recht das in Deutschland selbst hervorgebrachte, also auf deutschen
Rechtsquellen beruhende Recht.
¶
mehr
Eine öffentliche, wiewohl nicht erschöpfende Fixierung der ältesten deutschen Rechtsgewohnheiten erfolgte erst, nachdem
die wichtigsten Stämme das Königtum angenommen und teils german. Reiche auf den Trümmern der röm. Weltherrschaft errichtet,
teils die Hegemonie der Franken anerkannt hatten. Es entstanden so vom 5. bis zum 9. Jahrh. unserer Zeitrechnung
die in unbeholfenem Latein niedergeschriebenen Leges barbarorum oder Volksrechte (s. d.). Als eigentliche
Gesetze, d. h. als für das ganze Reich berechnete Erlasse einer ihrer Macht und Zwecke bewußten Staatsgewalt, sind erst die
Kapitularien (s. d.) der fränk. Könige, besonders
Karls d. Gr., anzusehen. Sie beschäftigen sich überwiegend mit dem öffentlichen
Rechte, der Verwaltung und der Kirche. Nur einzelne derselben enthalten Abänderungen der sonst fortgeltenden
Volksrechte, ersetzen z. B. Kompensationen in vielen Fällen durch öffentliche Strafen.
Den Übergang von diesen gesunden Grundlagen der karoling. Monarchie zu dem Lehnsstaat und zu der Zersplitterung
und Schwäche des spätern DeutschenReichs vermittelte das Anwachsen großen Grundbesitzes in den Händen Einzelner. Der kleine
Grundbesitz verlor dem gegenüber seine Unabhängigkeit und konnte den Heeres- und Gerichtsdienst nicht mehr tragen, sodaß
sich viele Freie in den Schutz und die Abhängigkeit von einem großen Grundbesitzer begaben und dessen
Vasallen wurden.
Der König gewährte Herzögen und GrafenBenefizien, die Herzöge und Grafen übergaben wieder ihren Vasallen und Schutzbefohlenen
Güter zu Benefizien. So entstand das Lehnsverhältnis, welches den Unterthanenverband, die direkte Unterordnung der Freien
unter den König auflöste, die königl. Rechte empfindlich schädigte und aus Beamten des Reichs Inhaber
eigener Herrschaftsrechte machte. Die Ausbildung der Landeshoheit der Territorien im DeutschenReiche war die Folge dieser
Entwicklung. Der Gedanke des Reichs und unabhängiger Bürger desselben schien noch einmal in den aufblühenden Städten und ihrer
freien Verfassung eine feste Gestalt zu erhalten, die Hansa vertrat auf der See das Deutsche Reich, aber
auch die Städte verfielen später einer engherzigen Territorialpolitik.
So gewähren denn die Rechtsquellen des Mittelalters den Anblick des buntesten Partikularismus. Neben den in Landrechte sich
umwandelnden Volksrechten giebt es mannigfaltige Stadt-, Lehn-, Hof-und Dienstrechte, deren anfangs zerstreute oder nur aus
der Überlieferung mittels sog. «Weistümer» bezeugte Bestandteile weiterhin gesammelt und teilweise von
den Lehns- oder Schutzherren ausdrücklich bestätigt werden. Wenn dennoch in jener Vielheit von Sonderrechten eine bemerkenswerte
Übereinstimmung herrscht, so erklärt sich dies aus der Gleichheit der Volksart und der Zustände, rücksichtlich der
Stadtrechte
im besondern aus dem Verfahren, daß jüngere Städte entweder gleich bei der Gründung mit der Verfassung
einer ältern Stadt versehen wurden, oder sich die dortigen Rechte selbständig zum Muster nahmen und in zweifelhaften Fällen,
oder wenn sich das Bedürfnis einer Fortbildung herausstellte, bei der Mutterstadt als ihrem «Oberhofe»
die nötige Belehrung suchten.
Auf diese Weise erlangten z. B. die Stadtrechte von Köln, Freiburg,
[* 24] Lübeck, Hamburg
[* 25] in Deutschland und darüber hinaus,
in der Schweiz
[* 26] und in den Ostseeprovinzen, das von Magdeburg in Sachsen und Schlesien
[* 27] eine weithin reichende Gültigkeit. Die
Ähnlichkeit
[* 28] der Stammes- oder Landrechte erklärt es auch, weshalb die vor 1235 erschienene Schrift eines anhalt. Landgerichtsschöffen,
Eike von Repgow, welche eine Art dogmatischer Übersicht des sächs.
Rechts zu geben versuchte, von den Zeitgenossen als Formulierung der allen gemeinsamen Rechtsbegriffe willkommen geheißen
wurde.
Dieses unter dem Namen Sachsenspiegel (s. d.) weitverbreitete Buch diente bereits im 13. Jahrh. als Unterlage für ausgedehntere
umschreibende Bearbeitungen, unter denen der Schwabenspiegel (s. d.) vorzugsweise
zu nennen ist. Die Art des gerichtlichen Verfahrens veranschaulichten besondere Rechtsgangbücher, z. B.
der «Richtsteig» des Landrechts und Lehnrechts. Mit den Stadtrechten bringen den Sachsenspiegel in Verbindung das «Sächs. Weichbild»
und das «Rechtsbuch nach Distinktionen», während sich das «KleineKaiserrecht», das «Landrechts- und Stadtrechtsbuch» von Ruprecht
von Freysing an den Schwabenspiegel anschließen. Daneben ist der Deutschenspiegel (s. d.) zu erwähnen.
^[]
Innerhalb der höhern Lebensformen, wie sie sich in den Städten und den besser verwalteten Territorien seit dem 14. Jahrh.
entwickelten, begann ein festerer Staatsbegriff wieder aufzuleben, ohne daß die Rechtsentwicklung dem wirtschaftlichen und
polit. Aufschwung zu folgen gewußt hätte. So fand sich Raum für die Aufnahme des röm. Rechts in Deutschland,
welches mit seinem umfassenden System den Bedürfnissen des modernen Verkehrs für alle Fälle des praktischen Lebens eine
stets bereite Hilfe darbot. So konnte sich die von den Kaisern ausgeübte Reichsgesetzgebung auf das öffentliche Recht beschränken.
Hier entstanden die Goldene Bulle 1356, die Kammergerichtsordnungen 1495 und 1555, die Notariatsordnung
1512, die peinliche Halsgerichtsordnung 1532, die Reichspolizeiordnungen 1530, 1548, 1577, der jüngste Reichsabschied 1654. Die
weitere Fortbildung des bürgerlichen Rechts übernahm dann die Gesetzgebung der einzelnen Staaten und Städte.