Ehre
,
im subjektiven
Sinn (honor, dignitas) die sittliche
Würde einer
Person; im objektiven
Sinn (existimatio) die dieser
Würde entsprechende äußere
Achtung, welche eine
Person von andern beanspruchen kann. Dabei ist zwischen der allgemein menschlichen
und der bürgerlichen Ehre
zu unterscheiden. Erstere ist diejenige
Würde und
Achtung, welche dem
Menschen
als solchem zukommt und nach den
Grundsätzen der
Moral von ihm einerseits beobachtet werden muß und anderseits beansprucht
werden kann. In diesem
Sinn pflegen schon die mittelalterlichen
Rechtsbücher namentlich von der weiblichen Ehre
zu sprechen.
Die bürgerliche Ehre
dagegen ist die
Anerkennung und
Achtung, welche der Persönlichkeit als solcher, dem
Rechtssubjekt, gebührt, die wir als rechtsfähige
Wesen - sei es überhaupt (sogen. gemeine Ehre
), sei es in besondern
Kreisen
und als Genossen eines gewissen
Standes (sogen. besondere oder Standesehre
) - in Anspruch nehmen können. Diese bürgerliche
Ehre
ist der unmittelbare Ausfluß
[* 2] der Rechtsfähigkeit, und darum muß ein totaler oder teilweiser
Verlust der letztern auch den Verlust oder die Minderung der bürgerlichen Ehre
nach sich ziehen; mit andern
Worten: die Schmälerung
und der Verlust der bürgerlichen Ehre
sind gleichbedeutend mit Minderung und Entziehung der Rechtsfähigkeit selbst.
Eine
¶
mehr
völlige Ehrlosigkeit im wahren Sinn des Wortes aber, einen bürgerlichen Tod (s. d.), kennt unser heutiges deutsches Recht nicht
mehr, während nach römischem Rechte durch eine Capitis deminutio maxima oder media eine völlige Aufhebung der Rechtsfähigkeit
und ebendamit auch der bürgerlichen Ehre
(consumtio existimationis) möglich war (s. Capitis deminutio). Ebenso hatte
nach dem deutschen Rechte des Mittelalters die Erklärung einer Person in die Oberacht oder Reichsoberacht die Friedlosigkeit oder
Ehrlosigkeit, d. h. die völlige Rechtlosigkeit und Ehrlosigkeit des Geächteten, zur Folge (s. Acht).
Eine Schmälerung der bürgerlichen Ehre
(minutio existimationis) aber trat nach römischem Rechte durch die Infamie (s. d.)
ein, welche ihre Wirkungen sowohl auf dem Gebiet der politischen Rechte als auch in privatrechtlicher Beziehung
äußerte. Auch das ältere deutsche Recht kannte eine teilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre
in der sogen.
Rechtlosigkeit, welche die Folge gewisser Verbrechen, wie Raub und Diebstahl, auch gewisser Gewerbe, wie des Gewerbes der Gaukler,
Spielleute und des Henkers, war.
Diese Rechtlosigkeit bezeichnet aber keineswegs den Verlust alles Rechts, sondern nur gewisser besonderer Rechte, namentlich
des Rechts, Richter, Schöffe, Anwalt oder Zeuge zu sein, Lehen zu erwerben und Wergeld zu beziehen. Auch die sogen. Ehrlosigkeit
des ältern deutschen Rechts gehört hierher, welche in dem Verlust der besondern Standesrechte und Standesehre
,
namentlich des Adels, bestand und vom Richter bei manchen Verbrechen, z. B. bei Verräterei, sowie regelmäßig als Folge der
Rechtlosigkeit ausgesprochen wurde.
Auch war die Ehrlosigkeit eine stillschweigende Folge aller durch Henkershand vollzogenen Strafen. Endlich ist hier auch die
sogen. Anrüchigkeit (s. d.) des ältern deutschen Rechts zu erwähnen, welche eine Folge der unehelichen
Geburt und des Gewerbes des Abdeckers war. Das moderne deutsche Recht kennt eine Minderung der Rechtsfähigkeit und Schmälerung
der bürgerlichen Ehre
in privatrechtlicher Beziehung nicht mehr; nur auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ist eine gänzliche
oder teilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre
statthaft (s. Ehrenrechte).