Erziehung
,
der Abstammung des
Wortes und dem allgemeinen Sprachgebrauch wie dem lateinischen educare nach, dessen wörtliche
Übersetzung es ist, das »Emporziehen« der
Unmündigen durch die mündigen Erwachsenen. Man versteht demgemäß unter Erziehung
die
absichtliche und planmäßige Einwirkung der Erwachsenen auf die
Unmündigen, welche den natürlichen Vorgang
des Erwachsens begleitet und wie dieser in der natürlichen
Reife, so ihrerseits in der geistigen
Mündigkeit der Erzogenen
ihren Zielpunkt findet.
Fast ganz fällt der
Begriff der Erziehung
mit dem der
Bildung zusammen; nur sind die zu
Grunde liegenden bildlichen
Anschauungen verschiedene
und ist der
Begriff der
Bildung insofern näher bestimmt, als derselbe das
Bewußtsein eines
Ideals voraussetzt,
nach welchem der Bildner den noch gestaltlosen
Stoff des zu bildenden
Menschen zu formen sich bemüht. Nimmt man auch den
Begriff
der Erziehung
in diesem bestimmtern
Sinn, so kann man mit
Herbart sagen, daß derselben die
Ethik das
Ziel, die
Psychologie den
Weg weise.
Ebenso ist es unbestreitbar, daß dem
Geschäfte der Erziehung
die
Annahme der Erziehung
sbedürftigkeit und der Erziehungsfähigkeit
der
Kinder zu
Grunde liegt. Allein in der Wirklichkeit nimmt die Erziehung
nicht von derartigen theoretischen Voraussetzungen
ihren
Ausgang, sondern von dem natürlichen
Trieb der Eltern, namentlich der
Mutter, für das hilflose
Kind
zu sorgen und es mit dem Erstarken an
Körper und
Geist allmählich zur selbstthätigen Mitarbeit an seiner
Erhaltung zu befähigen.
Diese durch die
Nötigung des
Lebens unmittelbar bedingte Thätigkeit geht naturgemäß mit dem Heranwachsen des
Kindes in das
Bestreben über, die
Kinder zu
Gehilfen in der häuslichen
Arbeit und im
Beruf der Eltern zu befähigen oder,
wenn in der häuslichen
Gemeinschaft für erwachsene
Gehilfen kein
Raum ist, ihnen die Möglichkeit des demnächstigen eignen
Fortkommens durch
Ausbildung ihrer Fähigkeiten zu gewähren. Mit dem Fortschreiten der Erziehung
scheidet sich dieselbe naturgemäß
in die beiden
Richtungen der leiblichen und der geistigen Erziehung
und diese wieder in unmittelbare Erziehung durch
Zwang, Anleitung und Gewöhnung im praktischen Verhalten (Erziehung
im engern
Sinn;
Zucht) und in mittelbare Erziehung
durch Belehrung und
Unterricht.
Neben beiden unterscheidet
Herbart noch die
Regierung der kleinen
Kinder als den gemeinsamen
Stamm, aus dem jene erwachsen, da
in dem unmündigen
Alter der ersten Kindheit nach ihm von eigentlicher Erziehung
, d. h. von geistiger
Einwirkung, noch kaum die
Rede sein kann. Dieser Unterscheidung liegt ein richtiger
Gedanke zu
Grunde; allein sie ist doch nicht
unbedenklich, wenn unter
Regierung etwas von der
Zucht wesentlich Verschiedenes verstanden werden soll. Die Erziehung
beginnt mit
dem
Eintritt des
Kindes in das
Leben; sie soll mit der
Mündigkeit des erwachsenen
Menschen schließen. Zu
später Beginn der erziehenden Thätigkeit beruht auf Sorglosigkeit der Eltern und läßt bei den
Kindern leicht eine falsche
Freiheit und verfrühte Selbständigkeit entstehen, deren nachträgliche Bekämpfung selten ganz gelingt. Zu weite
Ausdehnung
[* 2] der erziehenden
Fürsorge, mag sie auf
Selbstsucht oder auf übertriebener Zärtlichkeit der
Erzieher beruhen,
schädigt dagegen die
Freiheit des Erzogenen, die dabei entweder verkümmert, oder sich dagegen auflehnt.
Bei reicherer Gestaltung des
Lebens und seiner Anforderungen an den Einzelnen kann die Erziehung
, namentlich die mittelbare Erziehung durch
Unterricht, von den natürlichen
Erziehern in der
Familie nicht mehr allein beschafft werden; das
Bedürfnis
drängt zu besondern Veranstaltungen für den
Unterricht der
Jugend. Daraus entsteht der Unterschied der häuslichen und der
Schulerziehung.
Beide pflegen unter regelrechten Verhältnissen ergänzend nebeneinander herzugehen; doch rechtfertigen außergewöhnliche
Umstände auch die Verlegung der ganzen Erziehung
oder wenigstens des wesentlichsten Teils derselben
in die Schulanstalten (Anstaltserziehung
, Alumnate) oder umgekehrt die Verlegung der
Schule ins
Haus (Erziehung
durch
Hofmeister,
Hauslehrer,
Erzieherinnen etc.). Wenn auch noch nach dem
Zweck die Erziehung
für die
Familie, die
Gesellschaft, den
Staat und die
Kirche unterschieden
wird, so hat doch nur falsche
Einseitigkeit diese
Richtungen in
Gegensatz zu einander bringen können, während
gesunde Erziehung
bemüht sein wird, dieselben zu vereinigen und den Zögling fürs
Leben, so wie es in seiner Gesamtheit sich ihm
voraussichtlich bieten wird, vorzubilden. Dasselbe gilt von der allgemein menschlichen und der
Berufs- und Standesbildung,
zwischen denen, wo beide recht aufgefaßt werden, kein
Widerspruch (wie
Rousseau annahm), sondern eine
natürliche Wechselbeziehung besteht.
Die Wissenschaft von der Erziehung ward zuerst bei den Griechen gepflegt und wird daher gewöhnlich griechisch als Pädagogik (s. d.) bezeichnet. Ihre Geschichte hat, wenn auch beide nicht zusammenfallen, viele Punkte gemein mit derjenigen der Erziehung selbst. Zur Ergänzung der nachfolgenden Skizze der Geschichte der Erziehung ist daher auf den Artikel »Pädagogik« zu verweisen. ¶
mehr
Geschichtliches.
Als die älteste, urwüchsige Gestalt der Erziehung tritt uns in der Geschichte der Menschheit die patriarchalische Erziehung entgegen, wie sie die Genesis schildert, und wie sie noch heute in den Sippen der Nomadenvölker zu beobachten ist. Die Erziehung ist hier reine Familiensache und besteht lediglich in der Anweisung der Jüngern zur Teilnahme an dem durch einfache natürliche Bedingungen und feststehendes Herkommen geregelten Leben des ältern Geschlechts. Von der Erziehung durch Unterricht zeigen sich kaum die bescheidensten Anfänge. Wo sich die Familien zu Gemeinden und demnächst zu Völkern entwickeln oder zusammenschließen, gewinnt die Volkssitte und die Verfassung der Gemeinde oder des Staats Einfluß auf die Erziehung, die damit aus den engen Schranken des Hauses teilweise heraustritt und sich je nach der Eigentümlichkeit der einzelnen Völker verschieden gestaltet.
Wenig Charakteristisches läßt sich in dieser Beziehung von denjenigen Völkern sagen, welche schon vor den Griechen auf den Schauplatz der Geschichte traten oder wenigstens unabhängig von der hellenischen Bildung ihr Volksleben in staatliche Ordnung verfaßten. Wenn es auch bei Chinesen, Indern, Ägyptern an interessanten einzelnen Zügen nicht fehlt, so sind doch die geistigen Anlagen dieser Völker so früh in die Fesseln starrer Gesetzlichkeit, namentlich durch das Kastenwesen, geschlagen, daß von lebendiger Entfaltung ihrer geistigen Eigenart kaum die Rede sein kann.
Unter den Völkern Vorderasiens, mit denen die Griechen in Verkehr standen, erwecken die Perser durch das, was von der Erziehung ihrer Jugend zur mannhaften Tüchtigkeit im Rat wie im Krieg, zur Wachsamkeit, Nüchternheit, Wahrhaftigkeit berichtet wird, besondere Aufmerksamkeit. Allein die Berichte Herodots, Xenophons u. a. sind nur kurz und teilweise von dem Wunsch beeinflußt, den eignen Volksgenossen einen Spiegel [* 4] vorzuhalten. Auch hielten die Perser ihr arisches Volkstum nicht fest, als sie die Herrschaft in Asien [* 5] erlangt hatten.
Obgleich in vielen einzelnen Richtungen von diesen und andern morgenländischen Vorgängern beeinflußt, zeigen die Hellenen von vornherein ausgeprägte Eigenart auch auf dem Boden der Erziehung. Diese Eigenart kündigt sich schon in der noch fast ganz patriarchalischen Erziehung während der alten Heldenzeit an, die uns die Homerischen Gedichte schildern. Die Wertschätzung körperlicher Gewandtheit und Anmut sowie der Kunstübung in Gesang, Saitenspiel, Bildnerei, bei den Weibern auch der Weberei, [* 6] ist neben dem verhältnismäßig reichen Schatz ererbter Lebensweisheit für Haus und Markt und Krieg bezeichnend, und in wenigen Jahrhunderten treiben diese Keime bis zur schönsten Blüte [* 7] empor.
Besonders wirkte dazu in den Jahrhunderten vor dem Höhepunkt des staatlichen Lebens in Griechenland [* 8] (800-500 v. Chr.) die reiche Entfaltung des gottesdienstlichen Lebens mit, an dem der heranblühenden Jugend, den Epheben, in den öffentlichen Aufzügen mit Gesang und Tanz ein wesentlicher Anteil zufiel. Die beiden Grundrichtungen der gymnastischen und der musischen Erziehung haben hierin ihre Quelle, [* 9] wenn sie auch erst unter dem Einfluß des erwachenden staatlichen Bewußtseins zur vollen Ausprägung gelangten.
Übrigens blieb die der Kinder, auch der Knaben, in ganz Griechenland unmittelbar der Familie überlassen; nur in dem dorischen Sparta, dem hierin die übrigen stammverwandten Staaten nur teilweise folgten, nahm der Staat das Geschäft der Erziehung vom siebenten Lebensjahr an unmittelbar in die Hand [* 10] und ließ dieselbe durch den Pädonomos in kriegerischer Strenge ausführen. Die einzelnen Züge der spartanischen Erziehung, wie man sie gewöhnlich an den Namen des Lykurg knüpft, dürfen als bekannt vorausgesetzt werden.
Sie erstreckte sich auch auf die weibliche Jugend, die demgemäß neben dem Rufe fast männlicher Tapferkeit auch den der Derbheit in sittlicher Hinsicht genoß. In Athen [* 11] und ähnlich in den übrigen ionischen Städten überwog früh schon das musische und geistige Element in der Erziehung. Der Wert sorgfältiger Erziehung stand bei den Athenern hoch. Das Gesetz des Solon sprach den Sohn, dessen Erziehung vernachlässigt war, von der Pflicht der Erhaltung der alternden Eltern frei. Früh schon finden wir in Athen Schulen, wie denn alte Sagen Homer und Tyrtäos als attische Schulmeister bezeichnen.
Nach den Perserkriegen breiteten sich, wenn auch ohne staatlichen Zwang, öffentliche Palästren (Ringschulen) für die Knaben und Gymnasien (Turnplätze u. Turnhallen) für die Epheben nach spartanischem Muster auch in Athen und den übrigen griechischen Staaten aus, so daß diese Sammelplätze der jungen Welt bald das volkstümliche Merkmal aller unter den Barbaren zerstreuten griechischen Städte wurden. Gleichzeitig erweiterte sich die bis dahin auf die einfachsten Grundlagen beschränkte geistige Ausbildung durch die Bestrebungen der Sophisten, Philosophen, Rhetoren zu dem, was seit Platon, dem Schüler des Sokrates, als allgemeine Bildung (enkyklios paideia) bezeichnet und später in der römischen Welt in die sieben freien Künste gegliedert wurde.
Die enge Verbindung und glückliche gegenseitige Ergänzung der geistigen und der leiblichen Ausbildung ist aus den Platonischen Gesprächen zu ersehen, die, wie die gesamte griechische Litteratur, von den glänzenden Ergebnissen der hellenischen, namentlich der attischen, Erziehung rühmlich zeugen. Aber freilich hatten auch schon Sokrates, Platon, Aristoteles vielfach die eingetretene Überfeinerung zu tadeln, und die Klage, daß die neuere Art der Erziehung die Jugend den Göttern des Staats und damit den festen Grundlagen des Volkslebens entfremde, war, wenn sie auch gerade Sokrates mit Unrecht traf, an sich begründet.
Die Vernachlässigung der weiblichen Jugend und die unbedingte Ausschließung nicht bloß der zahlreichen Sklaven, sondern auch der ärmern, auf Handwerk und Handarbeit angewiesenen Bevölkerung [* 12] vom Unterricht bezeichnen bedenkliche Schranken der hellenischen Erziehung; als der häßlichste Fleck derselben muß die widernatürliche Entartung der aus einer schönen Anlage der Griechen für die Freundschaft entsprungenen und von edlern Männern, wie Sokrates, noch immer ideal und rein aufgefaßten Knabenliebe erwähnt werden.
Bei den Römern war von Haus aus das Leben des Hauses weit fester in sich abgeschlossen und daher auch die Erziehung mehr in die Grenzen [* 13] des Hauses gebannt, wo neben dem streng herrschenden Vater namentlich auch die Mutter maßgebenden Einfluß übte. Sittlicher Ernst, altväterische Zucht und praktische Ausrüstung fürs Leben waren die leitenden Gesichtspunkte der altrömischen Erziehung. Daher ward hier neben Lesen und Schreiben Rechnen gelehrt und dies auch früh schon in Schulen.
Die weitere Entwickelung des Staatslebens machte ferner kriegerische Vorbildung und demnächst auch eine gewisse Rücksicht auf die öffentlichen Geschäfte des Forums für die höhern Stände erforderlich. An diesem Punkt setzte der griechische Einfluß ein, der allmählich, nicht ohne Widerspruch und Widerstand der altrömischen Familien, in den höhern Ständen die Herrschaft gewann. Doch wurde die herkömmliche griechische Bildung bei ihrer Übertragung ¶
mehr
nach Rom [* 15] wesentlich verändert, indem das den Griechen tief eingewurzelte Streben nach schöner Darstellung sowohl in der Gymnastik als in der Musik den Römern meist fremd blieb, wogegen am Tiber Hingebung an den Staat, Wertschätzung geschichtlicher Überlieferungen, kurz die konservative und patriotische Seite, bevorzugte Pflege fanden. Als die Monarchie ihre büreaukratischen Formen zur Durchführung gebracht hatte, entwickelte sich, namentlich seit Hadrian, ein ziemlich ausgebreitetes staatliches Schulwesen, und jener Zeit gehört auch die Erstarrung der alten Schulwissenschaften in der Form der sieben freien Künste, des Triviums: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, und des Quadriviums: Arithmetik, Geometrie (einschließlich Geographie), Musik, Astronomie, [* 16] an, die den Zusammensturz der Alten Welt überdauert hat.
Dieser Zusammensturz kündigte sich übrigens auch auf dem Gebiet der Erziehung schon lange zuvor durch eine bedenkliche, von vielen ernstern Männern schwer empfundene Lockerung der Familienbande und Verweichlichung der Jugend an, die im schroffen Gegensatz zu der gerühmten Gravität der alten Römer [* 17] und der freilich auch sagenhaft übertriebenen Sittenstrenge der alten Catone stand. Nie darf überdies bei der Würdigung dessen, was wir als antike Erziehung kennen, vergessen werden, daß diese Art der Erziehung nur dem kleinsten Teil der Bevölkerung zu teil wurde, indem auch bei den Römern vom Genuß derselben Sklaven und niederes Volk unbedingt und absichtlich ausgeschlossen waren. Nur wenige leise Anklänge an die Idee der allgemeinen menschlichen und Volkserziehung, wie sie der modernen Pädagogik zu Grunde liegt, finden sich im Altertum, namentlich bei den Stoikern und verwandten philosophischen Schulen.
Diese Idee trat als wirksamer Sauerteig durch das Christentum in die Alte Welt ein, war aber seit Jahrhunderten in der Entwickelung des Volkes Israel vorbereitet worden. Der feste Glaube an den einen lebendigen Gott, der Himmel [* 18] und Erde geschaffen hat, beseelte dies Volk und begründete zugleich die Anschauung von der Einheit des menschlichen Geschlechts und der nur thatsächlich durch das verschiedene Maß der Erkenntnis Gottes beeinträchtigten Gleichberechtigung aller seiner Glieder. [* 19]
Der Vorzug der reinen Gotteserkenntnis, wie sie im mosaischen Gesetz klassischen Ausdruck gefunden hatte, legte freilich auch hier die Gefahr überhebender Abschließung nahe; aber einerseits liegt doch schon in dem reinern Begriff der Volksgemeinde, wie er hier waltete, ein großer Fortschritt, und anderseits fehlte gegenüber der gesetzlichen Engherzigkeit in den guten Tagen der israelitischen Geschichte nie die Gegenwirkung des freiern, weiter blickenden prophetischen Geistes, der sich namentlich in der Vorahnung einer bessern Zukunft äußerte, in der alle Menschen vom Geist Gottes beseelt und zu einem Volk Gottes vereint werden sollten.
Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich auch die israelitische Erziehung. Gerade als die buchstäbische Weisheit der Schriftgelehrten den edlern Geist der Prophetie ganz erdrückt zu haben schien, brach er in Jesus von Nazareth und seinem Jüngerkreis in seiner ganzen göttlichen Kraft [* 20] hervor und erneuerte das gesamte Leben der Menschheit. Ausgehend vom Glauben an den gnädigen Gott, der will, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen sollen, erwacht nun die reine Menschenliebe und beweist sich namentlich auch in der Pflege der Kleinen und Unmündigen, deren besonderer Freund der große Meister war.
Nun erst konnte die Erziehung eine wahrhaft menschliche, naturgemäße werden. Allerdings prägen sich große Ideen nur langsam in dem zähen irdischen Stoff aus, und wir selbst stehen noch mitten in diesem allmählichen Vorgang. Aber doch ist schon ein großer Schritt auf der richtigen Bahn geschehen. Zunächst galt es nach dem Zusammenbruch der alten Bildung und Weltordnung, die empfänglichen und begabten, aber noch rohen und gewaltthätigen Germanen für die edlere Lebensansicht des Christentums und die höhere Bildung der alten Völker zu gewinnen.
Die klösterliche und überhaupt die asketische der Mönche und Geistlichen in der katholischen Kirche hat in den Zeiten der Völkerwanderung und des frühern Mittelalters in dieser Richtung verdienstlich gewirkt, wenn auch in ihrer Grundidee schon eine Trübung der urchristlichen Lebensansicht liegt. Die kirchliche Erziehung des Laienstandes in der Kirchenzucht und Beichtpraxis kann als eine weitere Ausstrahlung von demselben Kernpunkt aus betrachtet werben und teilt Vorzüge und Nachteile mit ihr; der wesentlichste Mangel beider ist die Gleichgültigkeit oder in vielen Fällen gar der Gegensatz zu dem vaterländischen Interesse.
Dieses kam überhaupt im Mittelalter zu keiner rechten Geltung, indem selbst die weltlichen Formen der Erziehung ihre Ideale mehr aus dem Leben, den Aufgaben, dem Herkommen einzelner Stände (Ritterstand, Zünfte etc.) als aus dem gemeinsamen Leben des Vaterlandes hernahmen. Am reinsten finden wir noch das patriotische Element in den mächtigen Städten entwickelt, die in der zweiten Hälfte dieses Zeitalters emporkamen, während der Ritterstand in dieser Hinsicht merkwürdige Gegensätze aufweist.
Gegenüber dem Verfall aller mittelalterlichen Lebensverhältnisse predigte der Humanismus zuerst in Italien [* 21] im 14. und 15. Jahrh., dann aber auch in Frankreich, Deutschland, [* 22] England etc. die Rückkehr zu der edlen Menschlichkeit, wie sie im Altertum den Griechen und griechisch gebildeten Römern als Ziel der Erziehung vorgeschwebt hatte. Vielfach unterschätzten seine Anhänger dem gegenüber den Wert des christlichen Erziehungsideals, bis dies in der deutschen Reformation in klassischer Reinheit wieder dargelegt ward.
Beide Richtungen, nun miteinander im Bund, haben segensreich gewirkt. Aber die gelehrte Erziehung an der Hand der Alten reichte nicht mehr aus, sobald die wissenschaftliche Erkenntnis über den von jenen erreichten Standpunkt hinauswuchs, und zugleich war durch die Reformation der echt christliche, vereinzelt, wie bei Karl d. Gr., auch im Mittelalter aufgetauchte Gedanke, daß die wesentlichen Grundlagen der Erziehung allen Ständen und Stufen gemeinsam sein müssen, mit treibender Kraft wieder erweckt. So zeigt sich zunächst, schon seit der Reformation, in den evangelischen Staaten Deutschlands, [* 23] allmählich, von da ausgehend, in allen gebildeten Völkern der Erde das Bestreben nach einer vernünftigen, planmäßigen Einrichtung der Erziehung in ihren verschiedenen, durch die Mannigfaltigkeit des Lebens bedingten Richtungen und das steigende Bewußtsein von der Pflicht des Staats, die Segnungen einer vernünftigen Erziehung dem ganzen Volk zugänglich zu machen.
Die in ihren einzelnen Lehren [* 24] wechselnden, aber doch innerlich zusammenhängenden Theorien, die seit J. A. ^[Johann Amos] Comenius (1591-1671), J. J. Rousseau (1712-78) und namentlich seit Joh. H. Pestalozzi (1746-1827) auf diesen Vorgang Einfluß gewonnen haben, berichtet die Geschichte der Pädagogik. Hier kann nur kurz darauf hingewiesen werden, wie in der Begründung einer allgemeinen Volksschule (zuerst in Deutschland und Skandinavien), in der Heranziehung des weiblichen Geschlechts zur öffentlichen Erziehung, in den besondern Veranstaltungen für die ¶