Gallensteine
(Lebersteine, Cholelithiasis, Cholehthi), eigentümliche Konkretionen von sehr verschiedener Beschaffenheit, welche vorzugsweise in der Gallenblase, seltener in den Gallengängen der Leber angetroffen werden. Man findet sie an diesen Orten bald einzeln oder zu wenigen, bald zu mehreren Hunderten. Sind nur wenige Steine vorhanden, so erreichen sie in der Gallenblase den Umfang einer Walnuß, ja selbst eines Hühnereies und darüber; ist ihre Anzahl dagegen sehr beträchtlich, so werden sie selten größer als eine Erbse.
Ihre Form ist bald rundlich oder eiförmig, bald facettiert, eckig und kantig, ihre Oberfläche glatt oder höckerig,
ihre
Farbe meist braun, grünlich, grauweiß. Sie besitzen ein sehr geringes
spezifisches Gewicht und keine große
Festigkeit.
[* 2] Die meisten Gallensteine
bestehen in der Hauptsache aus
Cholesterin und Gallenfarbstoff, denen etwas
Kalk beigemischt
ist, und haben gewöhnlich einen geschichteten
Bau; doch kommen oft auch solche Gallensteine
vor, welche fast nur aus
Cholesterin bestehen,
ein kristallinisches Gefüge besitzen und dabei eine helle
Farbe und fast glasartige
Transparenz zeigen.
Selten stößt man auf Gallensteine
, welche harte, verkalkte
Rinde besitzen oder gar fast nur aus
Kalksalzen bestehen.
Über die
Ursachen der so häufig vorkommenden Gallenstei
nbildung sind wir nicht hinlänglich unterrichtet. Wahrscheinlich
ist es der von der Schleimhaut
der
Gallenblase und der Lebergallengänge abgesonderte
Schleim, welcher zersetzend auf die stagnierende
Galle einwirkt und namentlich das
Cholesterin zur
Ausscheidung bringt. Ohne
Zweifel spielt auch die chemische
Zusammensetzung
der
Galle, namentlich in quantitativer Beziehung, dabei eine wichtige
Rolle.
Besonders glaubt man, daß eine an
Gallensäuren arme
Galle zur Steinbildung geneigt ist. In gewissen Gegenden kommen Gallensteine
ganz
auffallend häufig vor, z. B. in
Schwaben. Bei
Frauen beobachtet man sie viel häufiger als bei Männern, was höchstwahrscheinlich
durch das
Schnüren der
Leber und die hierdurch bedingte Erschwerung des Gallenabflusses zu erklären ist;
bei
Kindern und jungen Leuten sind sie selten, dagegen sind sie dem reifen und höhern
Alter eigentümlich.
In der
Mehrzahl der
Fälle rufen die in der
Gallenblase vorhandenen
Steine keine auffallenden
Erscheinungen hervor. Selbst dann,
wenn sie die
Gallenblase beinahe ausfüllen und einen intensiven
Katarrh ihrer Schleimhaut verursacht haben,
pflegen keine
Symptome davon sich zu zeigen. Manchmal führt jedoch der durch die Gallensteine
veranlaßte
Katarrh der Gallenblasenschleimhaut
zur
Verschwärung der letztern, die Blasenwand kann von dem
Geschwür durchbohrt werden, der Blaseninhalt tritt unter heftigen
Schmerzen und
Kollaps des Kranken in die
Bauchhöhle über, und es entsteht eine schnell tödliche
Bauchfellentzündung.
War aber ein Darmstück mit der
Gallenblase vor deren Durchbohrung verwachsen, so führt die geschwürige Öffnung in die
Darmhöhle, und die Entleerung des Blaseninhalts in die letztere erfolgt ohne schwere Erkrankung. In manchen
Fällen führt
die durch Gallensteine
verursachte
Entzündung der Blasenwand nicht zur
Verschwärung, sondern zur Verdickung der
Blasenwand, welche sich fest um die
Steine anlegt, so daß die
Höhle der
Gallenblase für immer total verschwindet. Die
Galle
wird dann durch den Lebergallengang direkt in den
Zwölffingerdarm ergossen.
Gallensteine
, welche in den
Gallengängen der
Leber liegen, verursachen
Gelbsucht, weil
sie den Abfluß der
Galle aus
der
Leber hindern und die
Aufnahme derselben in das
Blut herbeiführen. Außerdem aber unterhalten sie einen intensiven
Katarrh
der Lebergallengänge, welcher selbst zur Vereiterung der
Leber und zum
Tod führen kann. Zuweilen wird ein Gallenstein im
Hals der
Gallenblase eingeklemmt. Die
Folge davon ist gewöhnlich die, daß mit der Zeit die
Galle aus der
Blase verschwindet und an ihrer
Stelle eine reichliche
Menge wässeriger
Flüssigkeit auftritt, welche von den
Blutgefäßen der
Gallenblasenwand abgesondert wird.
Auf diese
Weise wandelt sich die
Gallenblase in einen großen wasserhaltigen
Sack, in eine
Cyste, um (sogen.
Sackwassersucht der
Gallenblase). Dieser Zustand bleibt ohne weitere schlimme
Folgen. Die
Erfahrung lehrt, daß gar nicht selten ein
Abgang von Gallensteinen
aus der
Blase durch den Gallenblasengang und den gemeinschaftlichen Ausführungsgang (ductus choledochus) in den
Dünndarm
stattfindet, ohne daß
Schmerzen oder anderweitige
Symptome darauf hinweisen. Aber es findet gelegentlich auch eine
Einklemmung
namentlich größerer in den genannten
Gängen statt. Jene
Gänge sind
an sich zu eng, um
Steine von einer gewissen
Größe ohne
Schwierigkeit durchtreten zu lassen,
und sie verengern sich noch mehr durch krampfhafte Zusammenziehungen ihrer muskulösen
Wand, welche durch den
Reiz der Gallensteine
hervorgerufen werden.
Unter solchen Umständen entsteht der Symptomenkomplex, welcher unter dem Namen der Gallensteinkolik bekannt ist. Die Gallensteinkolik beginnt ¶
mehr
unerwartet und plötzlich in dem Moment, in welchem ein Gallenstein in den genannten Gallenausführungsgängen eingeklemmt wird. Die Kranken werden mit einemmal von den furchtbarsten Schmerzen in der Lebergegend befallen, welche sich schnell über den Unterleib und gegen die rechte Schulter hin verbreiten. Es ist kein Fieber dabei vorhanden, aber der Puls wird klein, die Haut [* 4] kühl, das Gesicht [* 5] bleich und entstellt; zuweilen tritt eine Ohnmacht hinzu. In manchen Fällen gesellt sich im Beginn der Kolikschmerzen ein leichter Schüttelfrost und Erbrechen hinzu.
Nach Verlauf einiger Stunden oder erst am nächsten Tag lassen die Schmerzen nach, und das Allgemeinbefinden bessert sich, und mit dem Übertritt des Gallensteins in den Zwölffingerdarm kehrt vollkommenes Wohlbefinden zurück. Sehr selten endet ein Anfall von Gallensteinkolik mit Tod. Gelbsucht gehört keineswegs zu den regelmäßigen Symptomen der Gallensteinkolik. Wenn der Stein im ductus choledochus nicht sehr lange eingeklemmt bleibt, so tritt nur eine leichte und kurz dauernde Gelbsucht ein.
Die in den Zwölffingerdarm übergetretenen Steine gehen mit dem Stuhlgang leicht und unmerklich ab, und nur selten ist der Abgang von Leibschmerzen oder von schleimig-blutigen Durchfällen begleitet. Da in den meisten Fällen mehrere oder selbst zahlreiche Steine in der Gallenblase vorhanden sind, so wiederholen sich die Anfälle der Gallensteinkolik gern von Zeit zu Zeit. Die Zurückhaltung solcher Steine in dem ductus choledochus gibt sich dadurch zu erkennen, daß nach einem Anfall von Gallensteinkolik nicht vollständiges Wohlbefinden eintritt, sondern daß Schmerzen und große Empfindlichkeit der Lebergegend gegen Druck zurückbleiben, und daß sich eine intensive Gelbsucht mit allen Erscheinungen des verhinderten Gallenabflusses hinzugesellt. Gewöhnlich erliegen die Kranken nach Verlauf einiger Monate den Folgen der Gallenstauung, indem sie abmagern und durch äußerste Erschöpfung dem Tod verfallen.
Was die Behandlung der Gallensteinkolik anbelangt, so ist man im wesentlichen darauf angewiesen, dreiste Dosen von Opiaten gegen den Schmerz zu geben. Ist Erbrechen vorhanden, so sind Einspritzungen von Morphium unter die Haut besser am Platz. Man kann diese Mittel in der Ausdehnung [* 6] anwenden, daß eine leichte Betäubung eintritt. Sind die Schmerzen gar zu furchtbar, so sind Einatmungen von Chloroform mit großer Vorsicht anzuwenden, wobei man es jedenfalls zu keiner tiefen Betäubung kommen lassen darf.
Auch warme Umschläge, auf die Lebergegend appliziert, oder ein warmes Vollbad, in welches man den Kranken verbringt, vermögen die krampfartigen Schmerzen zu ermäßigen und den Kolikanfall abzukürzen. Wenn sich der Anfall in die Länge zieht und die Lebergegend gegen äußern Druck sehr empfindlich wird, so können 8-10 Blutegel [* 7] an die schmerzhafteste Stelle des Unterleibs angesetzt werden, da dergleichen Blutentziehungen in solchen Fällen von guter Wirkungen sein pflegen.
Falls der Patient infolge der heftigen Schmerzen bedeutend kollabiert oder eine längere Ohnmacht eingetreten ist, so sind belebende Mittel, wie kräftiger Wein, starker Kaffee, Kampfer, Moschus u. dgl., anzuwenden. Gegen etwa vorhandenes Erbrechen erweisen sich Eispillen oder kaltes Wasser, schluckweise getrunken, am wirksamsten. Dagegen sind Brechmittel und Laxanzen während des Anfalls selbst unter allen Umständen zu vermeiden, da ihre Anwendung nicht ohne Gefahr ist.
Die weitere Aufgabe des Arztes besteht darin, die Kranken vor neuen Kolikanfällen und
vor anderweiten schlimmen Folgen der
Gallensteine
zu schützen. Dies geschieht am sichersten durch den Gebrauch gewisser alkalischer Mineralwässer von
Karlsbad, Vichy, Marienbad, Kissingen,
[* 8] Ems
[* 9] etc., für deren Einfluß auf die Abführung der es übrigens noch an einer vollkommen
befriedigenden Erklärung fehlt. Großen Ruf genießt bei der Behandlung der Cholelithiasis das Durandesche Mittel, welches aus 12 g
Schwefeläther und 8 g Terpentinöl besteht. Von diesem Mittel gibt man morgens alle Tage 2 g und allmählich
mehr, bis etwa 300 g der Mischung verbraucht sind. Außerdem sind manche andre Spezifika (z. B.
Salpetersäure) und die verschiedensten andern Kuren gegen die Gallensteinkrankheit empfohlen worden. Selbstverständlich darf
angesichts der genannten Krankheit die Sorge für eine zweckmäßig geregelte Lebensweise und namentlich
für eine geordnete Diät nicht aus dem Auge
[* 10] gelassen werden.