Kreisstadt im Herzogtum
Braunschweig,
[* 2] 6 km nordöstlich vom Eisenbahnknotenpunkt
Kreiensen, 133 m ü. M.,
in einem tiefen
Thal
[* 3] an der
Gande (Nebenflüßchen der
Leine) und an der
LinieHolzminden-Oschersleben der
Braunschweigischen Staatsbahn, hat ein fürstliches
Schloß (jetzt Sitz der Behörden), zwei alte
Kirchen
(Georgs- und Stiftskirche),
das Gebäude der alten berühmten
Abtei mit dem Kaisersaal, ein
Wilhelm-Augustastift (Feierabendhaus für
Lehrerinnen, 1883 gegründet),
ein
Amtsgericht und (1880) 2507 Einw., welche
Zigarren-,
Zucker-, Spritfabrikation,
Damast-,
Lein- u. Baumwollweberei und Möbeltischlerei betreiben. - Gandersheim war ursprünglich
eine
Abtei, die 852 von
HerzogLudolf von
Sachsen
[* 4] in Brunshausen gegründet, 856 aber hierher verlegt, mit einem
Stift für adlige
Damen verbunden ward und bald zu bedeutendem
Reichtum gelangte.
Ein Streit zwischen dem ErzstiftMainz
[* 5] und dem
BistumHildesheim
[* 6] wurde 1006 dahin entschieden, daß Gandersheim letzterer
Diözese zugewiesen ward; doch setzte zu Anfang des 13. Jahrh. die Äbtissin durch, daß
das
Stift direkt dem
Papst unterstellt wurde. Im 12. Jahrh. erlangte die Äbtissin reichsfürstliche
Würde, und diese Auszeichnung
blieb bestehen, selbst als das
Stift 1568 protestantisch geworden war. Meist wurden Prinzessinnen aus
angesehenen deutschen Fürstenhäusern zu Äbtissinnen des
Stifts berufen, die Sitz und
Stimme auf der rheinischen Prälatenbank
und einen großen
Lehnshof hatten. 1803 zog der
Herzog von
Braunschweig als
Landesherr das
Fürstentum ein. Die mittelalterliche
Dichterin Hrotsuit (s.
Hroswitha) lebte um 980 alsNonne in Gandersheim. Auf dem nahen Klusberg (ehedem mit dem
Kloster
Klus) seit 1874 Denkmal des Dichters
Hoffmann von
Fallersleben.
Vgl. Harenberg,Historia ecclesiae Gandersheimensis diplomatica
(Hannov. 1734);
1) Kreis
[* 8] im Herzogtum Braunschweig, hat 548,15 qkm, (1890) 45021 (22099 männl., 22922 weibl.) E., darunter 44125 Evangelische, 510 Katholiken
und 268 Israeliten, 30 andere Christen und 88 mit unbestimmter und ohne Religion, 5699 Wohnhäuser,
[* 9] 10163 Haushaltungen, 2 Städte
und 72 Landgemeinden und umfaßt die Amtsgerichtsbezirke Gandersheim, Seesen, Lutter am Barenberge und Greene.
–
2) Kreisstadt im KreisGandersheim, 78 km im SW. von Braunschweig, an der zur Leine gehenden Gande und an der Linie Magdeburg-Holzminden
der Preuß. Staatsbahnen,
[* 10] ist Sitz einer Kreisdirektion, eines Amtsgerichts (Landgericht Braunschweig) sowie einer Generalsuperintendentur
und hat (1890) 2712 E., Post zweiter Klasse, Telegraph,
[* 11] ehemaliges herzogl. Schloß (1528–95), jetzt
Gerichtsgebäude und Kreisgefängnis, Stifts- und Stadtkirche (853–883 erbaut, 1170–72 gänzlich umgebaut), Rathaus (1580),
Realprogymnasium, Bürgerschule, höheres Mädcheninstitut; Bierbrauerei,
[* 12] Damast- und Leinweberei, Rübenzucker und Cigarrenfabrikation,
Dampfmolkerei, Ziegelei, Obstwein- und Obstschaumweinkelterei.
Dicht bei der Stadt das herrlich gelegene Herzog-Ludolfsbad (Soolquelle) und das Wilhelm-Augustastift,
Feierabendhaus für ehemalige Lehrerinnen. – Die berühmte ehemalige reichsfürstl. AbteiGandersheim, deren Kaisersaal mit den lebensgroßen
Ölbildern der Kaiser und Äbtissinnen geschmückt ist, ward 844 von Herzog Ludolf von Sachsen in Brunshausen gegründet und 852 hierher
verlegt, aber erst 881 durch Bischof Wigbert von Hildesheim eingeweiht. Sie erwarb viele Güter, Einkünfte,
Freiheiten und Privilegien. 1570 wurde sie in ein evangelisches kaiserl. Reichsstift für Damen aus reichsfürstl. und reichsgräfl.
Häusern umgewandelt; zu Äbtissinnen wurden meist Prinzessinnen aus deutschen Fürstenhäusern berufen. Die Äbtissin hatte
Sitz und Stimme auf der Rheinischen Prälatenbank, einen Hofstaat mit eigenen Erbämtern und einen Lehnshof,
an welchen selbst
der Kurfürst von Hannover
[* 13] wegen des Amtes Elbingerode, der König von Preußen
[* 14] wegen der Herrschaft Dernburg
gewiesen waren. Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 fiel die Abtei an die Herzöge von Braunschweig. In Gandersheim lebte
im 10. Jahrh. als Nonne die Dichterin Roswitha (s. d.).