zum Unterschiede von denjenigen
Krankheiten, die durch veränderte Körperzustände
oder Unregelmäßigkeiten in den Organfunktionen entstehen, solche Erkrankungen, welche durch die Einwanderung von Mikroorganismen
in den Körper hervorgerufen werden. Die Bezeichnung I. stammt aus einer Zeit, in der jene Lebewesen als Erreger dieser
Krankheiten
noch nicht bekannt waren, wo man vielmehr als
Ursache der I. die Übertragung eines flüchtigen Giftstoffes
(Kontagium) von andern Körpern oder vom
Boden aus
(Miasma) auf den erkrankten Organismus
(Ansteckung) annahm.
Daher die Bezeichnungen kontagiöse und miasmatischeI. Von den durch
Vergiftung im gewöhnlichen
Sinn hervorgerufenen
Krankheiten
unterscheiden sie sich hauptsächlich dadurch, daß die
Gifte (s. d.) sofort nach ihrer
Aufnahme in den
Körper ihre schädlichen Wirkungen entfalten, wogegen
die den I. zu
Grunde liegenden pflanzlichen oder tierischen
Keime erst
nach einer gewissen Zeit, während der sie sich innerhalb des Körpers vervielfältigen oder reproduzieren (sog.
Inkubationsstadium), mehr oder minder schwere Krankheitserscheinungen hervorrufen. Zu den I., die man auch nach der
Dauer des Verlaufs als akute und chronische unterscheidet, rechnet man gewöhnlich die akuten fieberhaften
Exantheme
(Blattern,
Varicellen, Röteln,
Masern,
Scharlach), ferner
Unterleibs- und Flecktyphus, Rückfallsfieber,
Cholera,
Gelbfieber,
Pest,
Ruhr,
Diphtheritis, Keuchhusten und
Grippe,
Wechselfieber, Cerebrospinalmeningitis, akuten
Gelenkrheumatismus,
Aussatz und
Tuberkulose,
Syphilis,
Rose, Pyämie und andere Wundinfektionskrankheiten; auch die sog. Tierkrankheiten oder Zoonosen
(Hundswut, Rotz,
Milzbrand u. s. w.) gehören hierher.
Über Natur, Entstehung und Ausbreitung der diese
Krankheiten hervorrufenden
Ansteckungsstoffe s.
Ansteckung,
Kontagium und
Miasma; über die
Verbreitung der I. s.
Epidemie und
Endemie.
Schon die klinische und epidemiologische Beobachtung der I. führte in einer Zeit, in der man
die Krankheitserreger noch nicht kannte, zu der Vorstellung einer mikroparasitären Ätiologie derselben;
in der That ließ sich nur durch die Annahme lebender fortpflanzungsfähiger Erreger die unbegrenzte Übertragung der I. von
Fall Zu Fall, das Haften des infizierenden Stoffes an den verschiedensten Objekten, die Möglichkeit einer Verschleppung auf
weite Entfernungen, erklären.
Besonders Henle hat bereits 1840 in meisterhafter Weise die Notwendigkeit der Annahme kleinster Lebewesen
als Erreger der I. dargethan und sogar das nähere Abhängigkeitsverhältnis des Krankheitsverlaufs von dem Charakter des
supponierten Erregers zu begründen versucht. 40 Jahre später gelang es mit Hilfe der durch R.Koch geschaffenen bakteriologischen
Methodik, die Krankheitserreger direkt bei der betreffenden Infektionskrankheit nachzuweisen und ihre
ursächliche Rolle auf experimentellem Wege über jeden Zweifel erhaben hinzustellen. (S. auch Institut für Infektionskrankheiten.)
Der Weg dieser Untersuchung ist bei allen I. principiell derselbe; zunächst ist zu erforschen, ob sich in allen Fällen
der betreffenden Krankheit eine wohl charakterisierte Mikrobe in den Geweben nachweisen läßt, und in
einer Ausdehnung
[* 2] und räumlichen Verteilung, die dem klinischen Charakter der Affektion entspricht; dieses absolut konstante
und charakteristische Vorkommen ist das erste und unumgänglich notwendige Erfordernis für den Nachweis der krankheitserregenden
Wirkung einer Mikrobe.
Weiterhin muß versucht werden, den Erreger auf künstlichem Nährboden zu züchten und durch Verimpfung der Reinkultur
auf empfängliche Tiere das typische Bild der ursprünglichen Krankheit wieder zu erzeugen. Endlich gilt es noch, die Lebenseigenschaften
des Erregers, sein etwaiges Vorkommen in der Außenwelt, die Wege seiner Verbreitung zu erforschen und die Übereinstimmung
des auf diesem Wege deduktiv gewonnenen Bildes der Ausbreitung der betreffenden Infektionskrankheit mit den durch
die epidemiologische Forschung induktiv gefundenen Thatsachen nachzuweisen.
Bei vielen Krankheiten ist dieser Nachweis vollkommen lückenlos geliefert, z. B. in besonders klassischer
Weise durch R.Koch bei der Tuberkulose; bei einzelnen andern jedoch stößt die künstliche Züchtung des Erregers auf bisher
unüberwindliche Schwierigkeiten, wie bei den Spirillen des Rückfalltyphus,
oder es gelingt nicht, bei
Tieren die entsprechende Infektion auszulösen, so z. B. bei der Gonorrhöe. Doch erklären sich diese Mängel
in einfacher Weise aus den unzulänglichen Mitteln unserer Forschung. Bei einer Anzahl von I., die nach ihrem klinischen und
epidemiologischen Verhalten ebenfalls mit Bestimmtheit auf eine mikroparasitäre Ätiologie zurückgeführt werden müssen,
wie z. B. bei Hundswut, Syphilis, Gelbfieber, Flecktyphus, Scharlach, Masern u. s. w., ist bisher überhaupt
noch nicht der sichere direkte Nachweis lebender Erreger gelungen; hier bleibt eine Vervollkommnung unserer Forschungsmethoden
abzuwarten.
Jede Infektionskrankheit bedarf als Wechselwirkung zwischen Mikroben und Organismus zu ihrem Zustandekommen des Vorhandenseins
bestimmter Bedingungen auf seiten beider in Betracht kommenden Faktoren. Was zunächst die Rolle der Mikroben
anlangt, so ist nur eine beschränkte Anzahl von Arten, die pathogenen Mikroorganismen, zu einer Vermehrung im Tierkörper
und zur Entfaltung krankheitserregender Wirkung befähigt; die überwiegende Mehrzahl, die sog.
saprophytischen Arten, sind ganz harmlose Bewohner der Außenwelt und vermögen sich im lebenden Tierkörper nicht zu
behaupten, sondern gehen, selbst in größern Mengen eingeführt, rasch zu Grunde; bei Einspritzung
[* 3] sehr bedeutender Mengen
kann es höchstens zu gewissen Giftwirkungen kommen.
Unter den pathogenen Arten selbst ist ferner die Virulenz, d. h. die Fähigkeit, im lebenden Organismus zu wuchern,
sehr verschieden;
einige, wie der Tetanusbacillus, sind nur einer ganz geringen Vermehrung an der Eintrittspforte
fähig und wirken lediglich durch ihre sehr starke Toxicität (Giftproduktion);
andere vermögen zwar tiefer ins Gewebe
[* 4] vorzudringen,
wie manche Eitererreger, oder umfangreiche Wucherungen auf und in den Schleimhäuten zu bewirken, wie Cholera- und Influenzabacillen,
doch bleibt der Prozeß stets lokaler, wenn auch relativ ausgebreiteter Natur;
noch andere vermögen
außer ihrer ursprünglichen Vermehrungsstätte an der Eintrittspforte noch in andern weit entfernten Organen durch Verschleppung
einzelner Keime, die dann zum Ausgangspunkt eines neuen Krankheitsherdes werden, mehrfache lokale Affektionen zu erzeugen (Pyämie);
der höchste Virulenzgrad endlich ist erreicht, wenn eine gleichmäßige Verbreitung und Durchwucherung durch die Säftemasse
und die Gewebe des gesamten Körpers, oft sogar ohne nennenswerte Lokalaffektion, zu stande kommt (Sepsis).
Übergänge zwischen diesen einzelnen Stufen der Virulenz kommen natürlich in mannigfachen Variationen zu stande. Auch kann
die Größe der Virulenz einer und derselben Art Schwankungen zeigen; so kommen z. B. Abschwächungen
derselben sehr häufig, teils spontan, vor allem aber durch Einwirkung schädigender physik. und chem.
Momente zu stande (Züchtung bei über dem Optimum liegenden Temperaturen, Züchtung auf ungenügendem Nährsubstrat, in alten
Kulturen, durch Gifte u. s. w.) und finden bei den Methoden der künstlichen Immunisierung weitgehende
praktische Anwendung; andererseits kann Verstärkung
[* 5] der Virulenz oder Wiederherstellung derselben bis zu einem
bestimmten Maximum (Virus fixe Pasteurs) durch Verpflanzung auf günstigen Nährboden, insbesondere aber durch häufig wiederholte
Impfung
[* 6] und Passage durch empfängliche Tiere erreicht werden. Ferner ist für die pathogene
¶
mehr
Einwirkung auch die Menge des eingeführten Virus von Belang; bei Erregern von nur mäßiger Virulenz vermag eine zu kleine
Zahl die normalen Widerstände des Organismus nicht zu überwinden und geht zu Grunde, während größere Dosen mehr oder minder
schwere Krankheitsbilder erzeugen; aber auch bei septischen Allgemeininfektionen, wo eine wirksame Infektion
bereits durch ganz vereinzelte Exemplare der Erreger ausgelöst werden kann, zeigt sich die Wirkung einer vergrößerten
Menge des Virus in einer Beschleunigung des Verlaufs und gesteigerter Intensität aller Symptome.
Endlich haben noch Associationen mit andern Mikroben, Misch- und sekundäre Infektionen einen bedeutsamen Einfluß auf die krankheitserregende
Wirkung;
derselbe zeigt sich meist in einer dem befallenen Organismus verderblichen Form, z. B.
bei den gefürchteten Komplikationen der Diphtheritis mit septischen Prozessen;
doch kann auch umgekehrt eine günstige Wirkung
eintreten, wie z. B. nach Emmerich
[* 8] Tiere, die mit Erysipelstreptokokken vorbehandelt sind, einer nachträglichen Milzbrandinfektion
nicht erliegen;
die mehrfach versuchten praktischen Anwendungen eines solchen Antagonismus von Bakterien
haben aber bisher noch zu keinem befriedigenden Resultat geführt.
Endlich ist über die Rolle der Mikroorganismen noch vor
allem auszusagen, daß ihre pathogene Wirkung eine absolut specifische ist und daß jeder einzelnen Art ganz bestimmte charakteristische,
von andern unterschiedene Merkmale der Wirkung auf den Tierkörper zukommen; die Specifität der pathogenen
Wirkung ist sogar das feinste Reagens zur Differentialdiagnose selbst nahe verwandter Arten.
Von seiten des ergriffenen Organismus kommt zunächst die Eintrittspforte, von der aus die Infektion droht, in Betracht. Der
normale Körper an sich ist in seinem Innern vollkommen keimfrei; Infektionen können von seiten der gesamten äußern und
innern Körperoberfläche, also von der Haut,
[* 9] Mund- und Nasenschleimhaut, den Luftwegen, Verdauungskanal,
Urogenitalsystem, zu stande kommen. Die einzelnen Eintrittspforten verhalten sich in Bezug auf ihre Widerstandsfähigkeit außerordentlich
ungleich; während z. B. die normale unverletzte äußere Haut dem Vordringen der Krankheitserreger durch ihre starke Hornschicht
fast stets einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt und die häufigen thatsächlich vorkommenden
Infektionen von seiten derselben meist auf kleine Kontinuitätstrennungen, offene Wege für die Mikroben, zurückzuführen
sind, zeigen sich zarte Schleimhäute in hohem Grade gefährdet.
Auf verschiedene Widerstandsfähigkeit der bedeckenden Epithelschicht sind auch viele Alters- und individuelle Differenzen
in der Empfänglichkeit zurückzuführen; so die verschiedene Resistenzfähigkeit verschiedener Menschen gegen
Cholera, gegen katarrhalische Erkrankungen der Atmungswege sowie insbesondere die vollständige Immunität Erwachsener
gegen Cholera infantum. Ferner kommen auch chem. Schutzmittel in Betracht, so z. B.
die saure Reaktion des Magensaftes, welche z. B. häufig Cholerainfektion wirksam zu verhindern vermag.
Auch wenn die äußere Eintrittspforte bereits überschritten ist, können die Mikroben doch noch von
den dahinter liegenden Lymphdrüsen, in die sie mit dem Lymphstrom getrieben sind, abgefangen und unschädlich gemacht werden.
Selbstverständlich spielt ferner der allgemeine Ernährungszustand des Organismus eine wichtige Rolle;
ein kräftiger Körper
wird
einer Infektion leichter Herr werden als ein schwächlicher, der nur über geringe Reservekräfte verfügt;
daraus ergiebt
sich die Forderung einer stärkenden Behandlung und Diät bei I. Alle diese Momente sind aber lange nicht
hinreichend, um die Rolle des Organismus bei den I. zu kennzeichnen;
von ausschlaggebender Bedeutung ist vielmehr die Frage,
ob der betreffende Organismus überhaupt für die gegebene Krankheit empfänglich ist, ob eine natürliche specifische Disposition
oder ob Immunität besteht, oder ob durch künstliche Maßnahmen eine solche geschaffen ist. (S. Immunität.)
Sind alle Bedingungen zum Zustandekommen einer Infektion, sowohl von seiten des Erregers wie des befallenen Organismus, erfüllt,
so beginnen die Mikroben sogleich ihre Vermehrung und lösen nach einer gewissen Latenzzeit, dem Inkubationsstadium, teils
lokale, teils allgemeine Erscheinungen aus, wodurch sich die Infektionskrankheit zu erkennen giebt. Bei
sehr leichten I. können die allgemeinen Symptome ganz fehlen; umgekehrt fehlen die lokalen bei reinen Blutinfektionen, z. B.
Rückfalltyphus, und können auch bei sehr heftigen septischen Prozessen sehr zurücktreten.
Die lokalen Erscheinungen zeigen sich entweder nur in Form von Entzündung, Eiterung, Nekrose, oder in Gestalt
specifischer für einzelne Mikroben charakteristischer und bei verschiedenen Arten verschiedener Neubildungen (infektiöse
Granulationsgeschwülste Zieglers), so bei den specifischen lokalen Produkten der Tuberkulose, Syphilis, der Aktinomykose, des
Rotzes, des Rhinoskleroms u. s. w. Unter den allgemeinen Erscheinungen kommt Fieber, Schädigung des allgemeinen Ernährungszustandes
und allgemeine schädigende Wirkungen aus das Nervensystem (Benommenheit, Schwindel, in schweren Fällen
der sog. Status typhosus fast allen I. zu, daneben aber finden sich bei einigen I. ganz specifische Giftwirkungen, die sich
z. B. bei Tetanus in allgemeinen Muskelkrämpfen, bei Diphtherie in Form von Herzlähmung oder postdiphtherischer Lähmung des
Accommodationsapparats im Auge
[* 10] u. s. w. äußern. Wenn schon die Allgemeinerscheinungen in
den letztangeführten Fällen, in denen nur eine ganz beschränkte lokale Wucherung der Bakterien stattfindet, wegen ihres
Charakters als Produkt einer Fernwirkung der Bakterien notwendig auf den Einfluß gelöster, durch Resorption im ganzen Körper
verbreiteter bakterieller Gifte zurückgeführt werden mußten, so ist auch in den Fällen ganz allgemeiner
septischer Infektion doch derselbe Weg der Erklärung zu beschreiten und der Einfluß mechan. Störungen des Kreislaufs durch
Gefäßverletzungen sowie die durch die Parasiten erfolgende Entziehung von Nährstoffen aus dem lebenden Gewebe meist nur
von geringer Bedeutung. Ja sogar für die lokalen Wirkungen der Bakterien ist derselbe Gesichtspunkt maßgebend; auch hier
ist es nicht statthaft, eine einfache mechan. Fremdkörperwirkung anzunehmen, da verschiedene
Arten von Infektionserregern ganz verschiedene und specifische lokale Produkte erzeugen, und da es neuerdings mehrfach
gelungen ist, diese charakteristischen Lokalaffekte ebenso wie durch lebende, auch durch abgetötete Bakterien hervorzubringen,
so z.B. einen typischen Tuberkel durch Verimpfung toter Tuberkelbacillen zu erzeugen; es handelt sich also
auch bei der Entstehung der lokalen Produkte der I. um Wirkungen löslicher chem. Gifte. Über die Natur dieser verschiedenen
Giftstoffe s. unten.
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Die Verbreitung der Infektionserreger im lebenden Körper erfolgt teils in relativ langsamer Weise durch direktes Fortwachsen
im Gewebe, wie in der künstlichen Kultur, teils, und dann häufig mit erschreckender Geschwindigkeit, auf dem Blut- und Lymphwege.
Für die chirurg. Praxis enthält letzteres Verhalten die eindringliche Mahnung, infizierte
Wunden so schnell als möglich zu desinfizieren, und erklärt zugleich, warum unter gewöhnlichen Verhältnissen,
wo die Desinfektion
[* 15] naturgemäß immer eine Zeit auf sich warten läßt, öfters trotz nachträglich angewandter antiseptischer
Maßnahmen doch die verderbliche Wirkung der eingedrungenen Erreger nicht verhindert werden kann.
Der Ausgang einer Infektionskrankheit ist entweder der Tod des befallenen Organismus oder die Vernichtung
der eingedrungenen Infektionserreger und Unschädlichmachung ihrer Gifte, d. h. Heilung im weitesten Sinne des Wortes; freilich
ist diese Heilung, bei der das Leben des Gesamtorganismus erhalten bleibt, durchaus nicht immer eine völlige Wiederherstellung
des frühern Zustandes, zuweilen vielmehr mit dauernden Veränderungen oder gar mit dem völligen Verlust eines Organs
oder Gliedes verbunden.
Manchmal können auch nach vollendeter Heilung noch lebende Infektionserreger im Körper vorhanden, aber durch Abkapselung
oder Deponierung in Lymphdrüsen unschädlich gemacht sein, wo sie zuweilen längere Zeit latent verharren, um dann langsam
zu Grunde zu gehen oder auch unter veränderten Bedingungen selbst zum Ausgangspunkt einer neuen Infektion
zu werden. Diese Ausnahmefälle berühren aber das Wesen des Verlaufs der I. keineswegs, welches stets als Kampf zwischen
eingedrungenen Parasiten und befallenem Organismus aufzufassen ist.
Von diesem Leitsatz muß die Theorie der I. ausgehen, und demnach sind zunächst gesondert die Kampfmittel der Mikroben und
die Verteidigungswaffen des Organismus zu betrachten. In besonders drastischer Weise tritt die Idee eines
Kampfes zwischen Mikroben und Tierkörper in der sog. Phagocytentheorie Metschnikows hervor
(Phagocyten = Freßzellen, s. d., Bd.
7); die Thatsachen, die dieser geistreichen Hypothese zu Grunde liegen, sind unbestritten richtig und Schritt für Schritt
durch klinische Beobachtung und pathol.
Experiment sichergestellt. Ihre Deutung ist aber deshalb unrichtig, weil thatsächlich die Entscheidung
des Kampfes meist schon gegeben ist, bevor die Phagocyten auf dem Kampfplatz erscheinen; die letztern nehmen meist nicht
lebende, sondern schon abgetötete Bakterien auf, so daß die Rolle derselben, wenigstens in dem Sinne, wie Metschnikow wollte,
eine ganz sekundäre ist; gerade in neuerer Zeit sind mächtige und rapid verlaufende bakterienvernichtende
Wirkungen im Tierkörper beobachtet worden, die ganz ohne Mitwirkung der Phagocyten verlaufen. Es handelt sich daher bei
dem Verteidigungskampf des lebenden Gewebes gegen die fremden Eindringlinge um die Wirkung löslicher bakterienfeindlicher
Stoffe, wie dies insbesondere von Flügge und seinen Schülern, von Buchner, Kruse und Pfeiffer, nachgewiesen
wurde (vgl. Kruse in Bd. 1 der
«Mikroorganismen» von C. Flügge, 3. Aufl.,
Lpz. 1896). Der normale Organismus enthält in seinen Geweben und seiner Säftemasse stets eigentümliche
bakterientötende Stoffe, von Buchner als Alexine bezeichnet; der Beweis für ihre Existenz liegt erstens in dem rapiden, häufig
binnen wenigen Minuten bis Stunden erfolgenden Untergang,
dem saprophytische Bakterien (solche, denen eine
krankheitserregende Wirkung abgeht), selbst in großen Mengen injiziert, im Organismus verfallen, zweitens aber in dem eminent
bakterientötenden Verhalten, welches auch das aus der Ader gelassene Blut im Reagensglase gegenüber eingebrachten Mikroben
äußert; diese Alexine sind offenbar Eiweißkörper von hochkomplizierter und darum sehr labiler Struktur,
so daß an ihre Isolierung bisher nicht zu denken gewesen ist; sie sind im Blutserum gelöst enthalten, durch Natriumsulfat
fällbar, werden schon durch Einwirkung von Temperaturen von 55 bis 60° C. sowie durch starken Wasserzusatz vernichtet.
Die Bildung der Alexine geht wahrscheinlich kontinuierlich von den Gewebszellen aus; die Leistungsfähigkeit
des Gewebes steigt mit seinem Ernährungszustande, was mit der alten praktischen Erfahrung, daß ein kräftiger Organismus
widerstandsfähiger gegen I. ist, als ein schwacher, durchaus übereinstimmt. Außerdem aber scheint die Infektion selbst
als Reiz einzuwirken und eine erhöhte Produktion von Alexinen zu veranlassen, offenbar eine für den
Körper sehr zweckmäßige Einrichtung.
Wahrscheinlich beteiligen sich hierbei zuweilen die durch Chemotaxis (s. d.)
angelockten weißen Blutkörperchen
[* 16] in hervorragender Weise, weshalb sie wohl auch als Alexocyten bezeichnet werden; in diesem
Sinne, durch die Wirkung löslicher Sekretionsprodukte der weißen Blutkörperchen, könnte die frühere Metschnikowsche Phagocytentheorie
in gewissen Fällen eine erneute Bedeutung gewinnen. Durch welches Mittel sind nun aber die pathogenen
Bakterien befähigt, diesem vernichtenden Einfluß der Alexine Trotz zu bieten, im Tierkörper zu wuchern und ihre zerstörenden
Eigenschaften zu entfalten? Man könnte an eine specifisch abweichende chem. Struktur ihrer Leibessubstanz denken, in welche
die Alexine nicht einzugreifen vermögen, so daß es sich um eine Erscheinung handelt, ähnlich der Elektion
bei der Gärung und Fermentwirkung; zutreffender ist es, mit Kruse die Existenz besonderer, nur den pathogenen Arten eigener
Stoffe anzunehmen, welche die Alexine paralysieren, die Bakterien also zum Angriff befähigen und die demnach als Angriffsstoffe
oder Lysine bezeichnet werden. Ob es den Bakterien gelingt, mit Hilfe ihrer Lysine die Alexine des Körpers
zu überwinden, das hängt ganz von den quantitativen Verhältnissen dieser Wechselwirkung ab; bei ungenügender Menge des
Virus oder zu geringem Virulenzgrade ist der kleine Vorrat von Lysinen bald erschöpft, und die Bakterien unterliegen dann,
ihres Schutzmittels beraubt, der Übermacht der Alexine; dies ist der Vorgang der natürlichen Heilung.
Ist es aber den Mikroben gelungen, sich gegenüber den Alexinen zu behaupten, so beginnen sie sogleich im Organismus zu wuchern
und entfalten ihre lokalen und allgemeinen Wirkungen durch Gifte. Die Bakteriengifte sind, im Gegensatz zu den bisher ganz
unzugänglichen Lysinen, ziemlich genau bekannt, und bis zu einem gewissen Grade ist sogar schon ihre
Isolierung gelungen. Unter ihnen sind mehrere Gruppen zu unterscheiden. Die am längsten bekannten, durch Brieger rein dargestellten
Ptomaïne, d. h. Gifte von basischem Charakter, alkaloidähnlicher Zusammensetzung und Wirkung, wie Neurin, Muskarin u. s. w.,
sind wohl nur als künstliche Spaltungsprodukte komplizierterer Giftstoffe anzusehen und kommen bei den
hier zu besprechenden
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