Kindbettfieber
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Puerperalfieber (Febris puerperalis), eine Krankheit der Wöchnerinnen, die zeitweilig in epidemischer Verbreitung auftritt und sehr leicht durch Ansteckung von einer Wöchnerin auf die andere übertragen werden kann. Während man früher die Ursache in einem besondern Miasma suchte, führte zuerst Professor Semmelweiß in Wien [* 3] den jetzt von zahlreichen andern Forschern bestätigten Nachweis, daß die Krankheit durch Übertragung gewisser niedrigster Mikroorganismen aus der Klasse der kugelförmigen Mikrokokken (besonders Streptococcus pyogenes) auf die innern wunden Geschlechtsorgane der Wöchnerin entsteht, in denen sie Entzündungen und gewisse Zersetzungsvorgänge nach Art der Pyämie (s. d.) und Septichämie (s. d.) veranlassen und schließlich durch das anhaltende hohe Fieber, eiterige Entzündung der Lymphgefäße und Venen in der Umgebung der Gebärmutter, [* 4] allgemeine Bauchfellentzündung und rasch eintretende Vergiftung der allgemeinen Säftemasse in den meisten Fällen zum Tode führen.
Die Übertragung der
Streptokokken in den Organismus der Wöchnerin erfolgt gewöhnlich während oder kurz nach der Entbindung,
z. B. durch bereits vorhandene entzündliche
Krankheiten der Scheide und ihrer Umgebung, ferner ganz besonders durch unreine
Instrumente und
Utensilien, durch den untersuchenden Finger der
Hebamme oder des
Arztes, wenn dieselben vorher
kindbettfi
ebernde Wöchnerinnen besucht und sich nicht gründlich desinfiziert hatten, durch unsaubere Schwämme,
[* 5]
Verbandstoffe
u. dgl. Die pathol.-anatom.
Veränderungen sind verschieden und hängen sowohl von der Menge des eingedrungenen Infektionsstoffs
als auch von der
Lokalisation der stattfindenden
Infektion ab.
Beschränkt sich der entzündliche Prozeß
auf die Innenwand der
Gebärmutter, so entsteht eine
Endometritis puerperalis, bei welcher sich alle Übergänge von einfacher
entzündlicher Schwellung bis zur schwersten diphtheritischen oder brandigen
Entzündung und Verjauchung vorfinden können.
Greift der Prozeß auf die Muskulatur der
Gebärmutter über, so kommt es zu einer Metritis puerperalis; durch Beteiligung
der breiten
Mutterbänder entsteht die
Parametritis, durch Weiterschreiten auf den Bauchfellüberzug der
Gebärmutter die gefürchtete
Perimetritis puerperalis, welche sich sehr leicht zu einer allgemeinen
Bauchfellentzündung steigern
kann.
Die Symptome können sehr verschieden sein;
gewöhnlich beginnt es mit heftigem Fieber (40° C. und darüber) und hoher Pulsfrequenz (120 und mehr Schläge in der Minute), mit Schüttelfrösten, Delirien und großem Durst;
dabei ist der Leib aufgetrieben und sehr empfindlich, der Wochenfluß wird sparsam, übelriechend, selbst jauchig stinkend, und die vordem ergiebige Milchabsonderung hört gewöhnlich bald ganz auf;
unter den Erscheinungen einer rasch sich ausbreitenden schweren Bauchfellentzündung (s. d.) erfolgt der Tod oft schon wenige Tage nach dem Beginn der Erkrankung.
Nimmt die Krankheit einen günstigen Ausgang, so bleibt oft ein langes und schweres Siechtum zurück.
Die Behandlung muß durch energische und fleißige Ausspülungen der Geburtswege mit fäulniswidrigen Mitteln (Lösungen von Carbolsäure, Kreolin, Salicylsäure, Sublimat u. a.) das vorhandene Wundsekret (Wochenfluß) nach außen entfernen und das begleitende Fieber durch Anwendung der Kälte (in Form kalter Kompressen, Eisbeutel, kalter Bäder) sowie der antipyretischen Heilmittel (Chinin, Antipyrin, salicylsaures Natron u. a.) bekämpfen. Daneben muß für die Erhaltung der Herzthätigkeit durch öftere Darreichung von Reizmitteln (Wein, starker Kaffee, Kampfer, Äther u. dgl.) sowie für eine kräftige Ernährung (unter Umständen selbst durch ernährende Klystiere) gesorgt werden.
Da die Prognose des O. durchschnittlich sehr ungünstig ist, so hat der Arzt seine ganze Sorgfalt auf die Verhütung der Krankheit zu verwenden. In dieser Beziehung sind äußerste Reinlichkeit, fleißige und ausgiebige Ventilation in den Wochenstuben und in den Entbindungshäusern strenge Absonderung der kranken von den gesunden Wöchnerinnen von der allergrößten Wichtigkeit. Hebammen und Wärterinnen, welche mit kranken Wöchnerinnen in Berührung kommen, dürfen unter keiner Bedingung die Pflege gesunder Wöchnerinnen übernehmen; die Ärzte, welche Kindbettkranke behandeln, müssen sich nach jedem Besuch derselben auf das sorgsamste desinfizieren und erst der frischen Luft aussetzen, bevor sie andere Wöchnerinnen besuchen.
Während der Entbindung selbst muß darauf geachtet werden, daß die Hebamme vor jeder Untersuchung sich Hände und Vorderarme mit einer scharfen Nagelbürste und fünfprozentiger Carbolsäurelösung oder mit Sublimatlösung 1:1000 gründlich desinfiziert, zum Einfetten der Hand [* 6] und der Instrumente nur reines Carbolöl verwendet und die äußern Genitalien der Gebärenden gleichfalls mit warmem Wasser, Seife und einer zweiprozentigen Carbolsäurelösung sorgfältig desinfiziert.
Während des Wochenbettes sind die äußern Genitalien täglich wenigstens einmal, nach Befinden öfters mit Salicylwatte und zweiprozentigem Carbolwasser sorgsam zu reinigen; an Stelle der Stopftücher sind nur Salicylwattebäusche, als Unterlagen nur reine, täglich zweimal zu erneuernde leinene Tücher zu verwenden. Schwämme dürfen unter keiner Bedingung in der Wochenstube benutzt werden, da sie nur zu leicht die Träger [* 7] von Ansteckungsstoffen werden. Bei jeder, auch der geringfügigsten Störung des Wochenbettes ist sofort ärztlicher Rat einzuholen. Durch die energische Anwendung der eben beschriebenen Verhaltungsmaßregeln ist in den Entbindungshäusern die Sterblichkeitsziffer, die in frühern Zeiten oft 15-20 Proz. betrug, auf ein Minimum herabgesunken, und auch in der Privatpraxis haben sich peinlichste Reinlichkeit und die ausgiebigste Anwendung der antisep-
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mehr
tischen Mittel unter allen andern Maßregeln als wirksamster Schutz bewährt.
Vgl. Semmelweiß, Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfieber
Wien 1861);
Spiegelberg, über das Wesen des Puerperalfiebers (Lpz. 1870);
Heiberg, Die puerperalen und pyämischen Prozesse (ebd. 1873);
Brennecke, Praktische Regeln zur Sicherung eines gesundheitsgemäßen Wochenbettverlaufs (Magdeb. 1883);
Credo, Gesunde und kranke Wöchnerinnen (Lpz. 1886).