Lebensdauer
,
die bei den verschiedenen Pflanzen- und Tierarten eine sehr große Ungleichheit darbietende, aber für dieselbe Art im Mittel gleichbleibende zeitliche Ausdehnung [* 2] des Lebens, die bereits sehr früh die Aufmerksamkeit des Volkes erregt und sich in alter Spruchweisheit ausgeprägt hat. Nach der letztern soll z. B. ein Zaunkönig drei Jahre, ein Hund drei Zaunkönigsalter, ein Roß drei Hundsalter, ein Mensch drei Roßalter erleben u. s. f. bis zum Eichbaum, der nach dieser Rechnung 20,000 Jahre erleben sollte.
Auch die
Forscher haben sich mit der
Frage nach den
Ursachen, durch welche den verschiedenen Lebewesen eine so ungleiche Lebensdauer
zugemessen
werde, seit langem beschäftigt.
Baco von Verulam meinte, die Lebensdauer
richte sich nach der Dauer des Wachstums, je langsamer ein
Wesen die Reifezeit erreiche, desto länger lebe es, und da sich die
Tiere um so langsamer entwickelten,
je größer sie seien, so lebten die größern
Tiere, wie z. B. die
Elefanten, auch am längsten, viele kleinere
Tiere, wie
die
Insekten,
[* 3] dagegen nur kurze Zeit,
Monate,
Wochen,
Tage und
Stunden.
Einzelne
Insekten, wie z. B. die
Eintagsfliegen, leben bekanntlich im ausgebildeten Zustand nur wenige
Stunden und sterben, ohne
Nahrung zu sich genommen zu haben, bald nach ihrer
Begattung.
Flourens glaubte aus seinen
Beobachtungen
am
Menschen und wenigen andern
Wesen die Lebensdauer
der fünffachen Wachstumsdauer gleichsetzen zu dürfen, und noch andre
Forscher
schrieben der
Energie des
Lebens einen bestimmenden Einfluß auf die
Abnutzung der
Organe zu, was aber schon
dadurch widerlegt wird, daß sich unter den
Vögeln, die sich bekanntlich des lebhaftesten
Naturells und
Stoffwechsels erfreuen,
gerade die langlebigsten
Tiere befinden. So hat man
Raubvögel
[* 4] selbst in
Menagerien über 100 Jahre ausdauern sehen.
Die letzterwähnte
Ansicht fußt auf der andern, daß Unbrauchbarwerden der Gewebsteile des
Körpers durch
sogen.
Involution die eigentliche
Ursache des
Alterns und Sterbens darstelle. Aber schon der Umstand, daß
Tiere sehr verschiedener
Klassen und Lebensweisen ein gleiches
Lebensalter erreichen (z. B.
Pferde,
[* 5]
Katzen
[* 6] und
Kröten 40 Jahre), spricht dagegen. Von
einem mehr wissenschaftlichen Standpunkt ist die
Frage erst in neuerer Zeit behandelt worden. Zunächst
zeigte
Dönhoff, daß man hierbei die mittlere Lebensdauer
, welche eine bestimmte Art im natürlichen Verlauf der
Dinge zu erleben pflegt,
streng von der höchsten Lebensdauer
trennen muß, die sie unter besonders günstigen Verhältnissen erleben kann.
So hat man beispielsweise in einem
Edinburger
Aquarium eine
Seeanemone mehr als 60 Jahre am
Leben erhalten,
ein
Alter, das sie vermutlich in der
Freiheit nicht erlebt.
Da man nun bei solchen
Tieren, die keine (größere Schwankungen erzeugende) enorme Vermehrungsfähigkeit besitzen, und deren
natürliche Lebensverhältnisse nicht sehr stark vom
Menschen beeinflußt werden, wie z. B. bei gewissen Standvögeln,
Wildarten etc., bemerken kann, daß ihre Zahl, von geringern Schwankungen abgesehen, im wesentlichen
von Jahr zu Jahr dieselbe bleibt, so müssen ebenso viele
Tiere sterben, als durchschnittlich
Junge aufkommen. Wir sehen somit
die mittlere Lebensdauer
in ein bestimmtes
Verhältnis zur Vermehrungsfähigkeit treten.
Die hierin obwaltende Beziehung ist aber nicht so einfach, wie A.
Götte vermutete, der im Fortpflanzungsakt
selbst die
Ursache des schnellern oder langsamern Hinsterbens sehen wollte, weil einige Insektenmännchen gleich nach der
Begattung und die Weibchen bald nach der Brutablage sterben, sondern es handelt sich, wie
Weismann gezeigt hat, bei der mittlern
Lebensdauer
um ein Zusammenwirken von Vermehrungsfähigkeit, Entwickelungsdauer, Ernährungsverhältnissen,
Zahl der Vertilger etc. Im allgemeinen werden demnach
Tiere, die im Jahr wenig
Junge aufbringen, länger leben müssen als
solche mit reicher Nachkommenschaft. Man muß also annehmen, daß diese äußern, den
Kampf ums
¶
mehr
Dasein bildenden Verhältnisse, welche beinahe für jede einzelne Art andre sind, aber in gewissen Grenzen
[* 8] konstant bleiben,
den Organismus sozusagen zu einer Feder von bestimmter Stärke
[* 9] gestalten, deren Spannkraft nur eine gewisse Zeit über die wahrscheinliche
Lebensdauer
hinaus vorhält; die letztere würde sonach zu den sogen. Anpassungserscheinungen
zu rechnen sein. Wahrscheinlich darf man annehmen, daß ebenso, wie jedem Organismus eine bestimmte mittlere
Körpergröße zukommt, die durch eine Grenze der Zellenvermehrung gesetzt wird, sich auch eine Grenze der Regeneration der
Zellen für jede Art eingeführt hat, mit deren Annäherung das Altern und langsame Absterben beginnt. Da nun offenbar jeder
Organismus in seinem Leben Beschädigungen ausgesetzt ist, die nicht vollständig ausgebessert werden können,
so muß schon aus diesem Grunde die Beschränkung der Lebensdauer
als eine Zweckmäßigkeitseinrichtung bezeichnet werden, und ohne
sie wäre eine Entwickelung zu höhern Formen kaum denkbar gewesen.
Die genauere Betrachtung dieser Verhältnisse hat einige auffällige Thatsachen ans Licht
[* 10] gebracht, z. B.
die unbegrenzte Lebensdauer
der niedersten Wesen, deren Körper nur aus einer einzigen oder aus mehreren völlig gleichartigen Zellen
besteht. Sowohl bei den erstern, die sich durch eine immerfort wiederholte Teilung vermehren, als bei den letztern, wo aus
jeder einzelnen Zelle
[* 11] des aufgelösten Verbandes ein neuer Zellenkomplex hervorgeht, kann von einem natürlichen
Absterben aus Altersschwäche keine Rede sein, sie unterliegen nur der gewaltsamen Vernichtung. - Bei den Pflanzen schließt
sich die Lebensdauer
, ähnlich wie bei vielen Insekten, teilweise an den regelmäßigen Cyklus der günstigen Entwickelungsperioden
im Jahreslauf.
Demgemäß sind die meisten Pflanzen ein- oder zweijährig, je nachdem sie ein oder zwei Jahre bis zur Entwickelung der Samen [* 12] gebrauchen. Bei den mehrjährigen oder ausdauernden Kräutern, Sträuchern und Bäumen handelt es sich um ein jährliches Neuergrünen der mit Reservestoffen erfüllten Wurzelstöcke oder Äste, resp. um einen allmählichen Ersatz der Blätter bei immergrünen Pflanzen, und alle solche ausdauernde Gewächse (die man aber kaum mehr als einfache Individuen ansehen darf) können unter Umständen ein sehr hohes Alter erreichen, wie man denn häufig von tausendjährigen Eichen, Rosenstöcken etc., ja selbst von mehrtausendjährigen Farnen, Drachen- und Affenbrotbäumen etc. spricht.
Vgl. Weismann, Über die Dauer des Lebens (Jena [* 13] 1882);
Derselbe, Über Leben und Tod (das. 1884);
A. Götte, Über den Ursprung des Todes (Hamb. 1883);
F. Hildebrand, Die und Vegetationsweise der Pflanzen (Leipz. 1882);
Göppert, Die Riesen des Pflanzenreichs (Berl. 1869). -
Über die Lebensdauer
des Menschen s. auch Sterblichkeit.