Locarno
,
deutsch Luggarus. Bezirk des Kantons Tessin, von hufeisenförmigem Umriss mit dem Scheitel am Monte Gambarogno. Grenzt im N. an die Bezirke Valle Maggia und Leventina, im O. an die Bezirke Riviera und Bellinzona, im S. an den Bezirk Lugano und im W. an Italien. 54940 ha Fläche mit 24594 kathol. Ew., also 45 Ew. auf einen km2. 6483 Haushaltungen in 5726 Häusern. 24062 Ew. italienischer, 394 deutscher und 70 französischer Zunge. Der Bezirk umfasst 7 Kreise und 47 Gemeinden: Kreis Onsernone mit Loco, Auressio, Berzona, Mosogno, Rosso, Crana, Comologno, Gresso und Vergeletto;
Kreis Locarno
mit Locarno,
Muralto,
Orselina und
Solduno;
Kreis Isole mit Ascona, Brissago, Ronco d'Ascona und Losone;
Kreis Gambarogno mit Vairano, Vira-Gambarogno, Magadino, Contone, Piazzogna, Indemini, Gerra-Gambarogno, Casenzano, S. Abbondio und Caviano;
Kreis Melezza mit Intragna, Palagnedra, Rasa, Borgnone, Tegna, Verscio und Cavigliano;
Kreis Navegna mit Contra, Minusio, Mergoscia, Brione sopra Minusio, Gordola und Cugnasco;
Kreis Verzasca mit Lavertezzo, Vogorno, Corippo, Brione-Verzasca, Gerra-Verzasca, Frasco und Sonogno.
Grösster Fluss ist die
Verzasca, die dem
Bezirk mit ihrem ganzen Einzugsgebiet angehört; dann folgen die
Melezza, der
Onsernone und auf eine ganz kurze Strecke auch
die
Maggia. Die die Einzugsgebiete dieser Flüsse voneinander trennenden Ketten erreichen nirgends mehr 3000 m
Höhe. Die höchsten
Gipfel sind der
Pizzo Barone (2861 m), die
Corona di Redorta (2802 m),
Cima Bianca (2630 m),
Cima di
Gagnone
(2516 m), der
Pizzo Medaro (2551 m),
Rosso die
Ribbia (2548 m) und
Gridone (2191 m). Der Bezirk Locarno
ist eine der gesündesten
und fruchtbarsten Landschaften des Kantons. Da seine Höhenlage zwischen 197 und weit über 2000 m schwankt, sind hier alle
Vegetationsgürtel vertreten.
Beinahe alle Gemeinden haben günstige hygienische Verhältnisse; die Dörfer sind gut gelegen, vor den N.-Winden geschützt, haben gutes Trinkwasser und sind von Aeckern, Wiesen, Weingärten und Wald umrahmt. Das in der Tessinebene zwischen Gordola und Magadino einst herrschende Sumpffieber ist vollständig verschwunden, seitdem man nach der Ueberschwemmung von 1868 verschiedene Meliorationsarbeiten und seit 1886 die grossartige Verbauung des Tessin und seiner Nebenflüsse durchgeführt hat. Die Flora ist ausserordentlich reich und mannigfaltig: die Ufer des Langensees umsäumen Zedern, Orange, Oelbaum, Lorbeer und Granatapfel;
bis zu 700 m steigen Feige, Pfirsich, Aprikose, Kastanie, Maulbeerbaum und Weinrebe;
Getreide (besonders Roggen) wird bis zu 1300 m hinauf gebaut, und Pflaume, Kirsche und Apfel reifen stellenweise noch bis in 1400 m. Der Bezirk bildet für ¶
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den Botaniker ein wahres Dorado, da hier die alpine Flora sich mit derjenigen der insubrischen Seenregion vereinigt. Das Edelweiss z. B. geht bis zu 1200 m hinab, wo es seine weissen Blütensterne neben der rostblätterigen Alpenrose entfaltet, die selbst wieder bis zum Ufer des Zangensees hinabsteigt und hier in Gemeinschaft mit Kakteen, amerikanischer Agave, Zistrose (Cistus salvifolius) und den schönen Gramineen Bartgras (Andropogon glaber) und Grannenhirse (Oplismenus undulatifolius) auftritt.
Besonders reich entfaltet sich die Vegetation an den Felshängen zwischen Muralto und Ponte Brolla, Losone und Brissago. Die rote Spornblume (Centranthus ruber) blüht in Masse an den Mauern der Madonna del Sasso. Hier kann man auch die seltensten Farne der Schweizer Flora sammeln, wie Osmunda regalis, Pteris cretica, Adiantum capillus Veneris, Notholaena Marantae und Gymnogramme leptophylla (1903 entdeckt), ferner die Zypergräser Carex praecox und Fimbristylis annua.
Die anbaufähige Fläche des Bezirkes wird zu 30940 ha veranschlagt und umfasst somit 56% der Gesamtfläche. Der Gartenbau wäre trotz der gerade in dieser Hinsicht besonders eifrigen Tätigkeit des landwirtschaftlichen Vereins noch grösserer Ausdehnung fähig. Sehr geschätzt wird der im Bezirk gekelterte Rotwein, von dem jährlich im Durchschnitt 20000 hl im Wert von einer halben Million Franken gewonnen werden. Die einst bedeutende Zucht der Seidenraupe ist von einer Produktion von 16705 kg Cocons im Jahr 1871 auf 2500 kg jährlich zurückgegangen.
Der Wiesenbau wird noch lange nicht so rationell und intensiv betrieben, wie dies in andern Kantonen der Schweiz der Fall ist, da der Grundbesitz dafür zu stark zerstückelt ist. Die Wälder umfassen eine Fläche von 11000 ha und bestehen der Hauptsache nach aus Kastanienbäumen, Eichen (Robur sessiliflora und Quercus robur). Weiss- und Rottannen, Lärchen, Eschen, Weiden, Ulmen, und Haselsträuchern. Diese Waldungen liefern Brennholz, Pfähle für die Weinreben, Rinden für die Gerberei und Holzkohle, die über den Langensee und auf dem untern Tessinfluss nach Mailand ausgeführt wird. Die unsinnige Waldverwüstung, die während der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts allgemein üblich war, hat grosse Ueberschwemmungen zur Folge gehabt, so dass die kantonale Forstverwaltung mit Hilfe von eidgenössischen Subventionen die Aufgabe der Aufforstung aller kahlen Hänge energisch an Hand hat nehmen müssen.
Die Viehstatistik ergibt folgende Resultate:
1886 | 1896 | 1901 | |
---|---|---|---|
Rindvieh | 9696 | 8132 | 8004 |
Pferde | 139 | 295 | 338 |
Schweine | 1109 | 1632 | 1581 |
Schafe | 2409 | 1580 | 1553 |
Ziegen | 17425 | 13503 | 13959 |
Bienenstöcke | 1002 | 1862 | 1957 |
Eine grosse Anzahl von jüngeren und älteren Männern ¶
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pflegt nach Kalifornien, Italien, Frankreich und periodisch auch in die übrigen Schweizerkantone auszuwandern, um sich als Sennen, Hirten, Maurer, Pflasterträger, Kastanienbrater, Kaminkehrer, Kellner, Gastwirte, Küchenchefs, Maler, Architekten, Ingenieure etc. ihr Brot zu verdienen. Neuerdings beginnt sich auch die industrielle Tätigkeit im Bezirk zu entwickeln. Es bestehen Bierbrauereien, Zigarren-, Teigwaren-, Konserven- und Zuckerwarenfabriken, Papier-, Bürsten- und Pinselfabriken, Schreinereien und Möbelfabriken.
Zwei grosse Sägen und Parketterien und verschiedene Mühlen. Im Verzascathal gewinnen die Granitbrüche immer mehr an Bedeutung. Die durch ein sehr mildes Klima ausgezeichneten und vor den Nordwinden geschützten Orte Muralto und Locarno sind wichtige Fremdenstationen. Den Verkehr erleichtern die Eisenbahnlinie Bellinzona-Locarno, die Dampfschiffe auf dem Langensee und ein vollständiges Netz von Poststrassen, das bis in die entlegensten Thäler hinaufreicht.
Ueber die erste Besiedelung dieser Gegenden durch den Menschen herrscht noch Dunkel; doch glaubt man, dass an den Ufern des Langensees zuerst die Lepontier und später die Etrusker gesessen haben. Ums Jahr 600 v. Chr. nahmen die Kelten oder Gallier Besitz von diesen Gebieten und erbauten hier Burgen (Gordola, Locarno, Ascona). Sie wurden 198-196 v. Chr. von den Römern unterworfen, die nun das Land als Herren besetzten. Eine grosse Anzahl von Grabstätten bezeugt, dass die Herrschaft der Römer bis zum Einfall der Goten (400 n. Chr.) gedauert haben muss.
Dann folgten als Herren des Landes der Reihe nach die Longobarden, Karl der Grosse, der Bischof von Como, der Herzog von Mailand, Barbarossa und Otto IV., die Geschlechter Orelli, Muralti und Magoria und endlich die Grafen Rusca und Rusconi, bis der Herzog Maximilian Sforza 1513 Locarno an die 12 alten Kantone abtrat, die es bis 1798 als Landvogtei regierten. 1510 predigte Giovanni Beccaria in Locarno die Reformation, der eine Anzahl von Familien beitrat. Dies hatte zur Folge, dass im Land selbst und mit den herrschenden Kantonen schwere Streitigkeiten ausbrachen.
Die als Schiedsrichter bestellten Kantone Appenzell und Glarus verfügten, dass die Anhänger des neuen Glaubens entweder zur katholischen Kirche zurückkehren oder auswandern müssten. Nun verliessen (nach Franscini) 93 Familien mit zusammen 211 Köpfen ihre Heimat und begaben sich nach Zürich, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. Diese Familien (die Muralti, Orelli, Duni etc.) führten in der Folge in ihrer neuen Heimat die Seidenindustrie ein. 1803 wurde der Bezirk Locarno dem neugegründeten Kanton Tessin einverleibt.