Metaphysik
(griech.) bedeutet, als einer der drei Hauptteile der
Philosophie (s. d.), im
Gegensatz zur
Physik oder empirischen
die philosophische
Naturlehre, nach dem wörtlichen
Ausdruck die
Wissenschaft von dem, was hinter (meta) der
Natur ist, deren
Sein,
Wesen,
Ursache und
Zweck ausmacht. Im weitern
Sinn wird auch jede das
Sein und
Wesen, die
Ursache und den
Zweck eines
Objekts betreffende eingehende Untersuchung mit diesem
Namen belegt und z. B. von einer Metaphysik
der
Sitten
(Kant), des
Schönen
(Vischer), des
Staats etc. gesprochen. Da nun das jenseit der empirischen, d. h.
erfahrungsmäßigen,
Physik Gelegene nicht selbst durch
Erfahrung erkannt werden kann (in welchem
Fall es
selbst
Physik wäre), so ist mit der
Aufstellung der als
Wissenschaft die
Forderung des Hinausgehens über das durch die
Erfahrung
unmittelbar Gegebene verknüpft.
Derselben kann entweder durch Einführung einer von der
Erfahrung verschiedenen besondern Erkenntnisquelle
(Vernunft, übersinnliche
Erfahrung) für durch die
Erfahrung Nichtgegebenes oder durch Bearbeitung (Erweiterung, Ergänzung, Berichtigung)
des durch die
Erfahrung Gegebenen genügt werden. Im erstern
Fall entsteht eine Metaphysik
, welche nicht nur über das durch die
Erfahrung
Gegebene
hinaus-, sondern auch überhaupt nicht von der
Erfahrung ausgeht (Metaphysik
der reinen
Vernunft:
Rationalismus; Metaphysik
der übersinnlichen
Erfahrung: Mystizismus); im letztern entsteht eine Metaphysik
, welche zwar über das durch
die
Erfahrung unmittelbar Gegebene hinaus-, aber nichtsdestoweniger immer von demselben ausgeht (Metaphysik
der
Erfahrung: rationalisierter
Empirismus).
Die
Anerkennung der erstern hängt von dem Umstand ab,
ob eine von der
Erfahrung verschiedene Erkenntnisquelle (reine
Vernunft,
übersinnliche
Erfahrung) als psychologische
Thatsache zugestanden wird (was von seiten der sensualistischen
und empiristischen
Psychologie sowenig wie von jener des
Materialismus der
Fall ist); die
Anerkennung der letztern hängt von
dem Umstand ab, ob die gegebene
Erfahrung einer Bearbeitung (Erweiterung, Ergänzung, Berichtigung) bedürftig gefunden wird
(was von seiten der reinen Erfahrungswissenschaft, des Empirismus und
Positivismus, ebensowenig wie von jener der Verächter
der
Erfahrung, der reinen
Vernunft- und der mystischen Metaphysiker
, der
Fall ist).
Beide
Richtungen der Metaphysik
stehen daher nicht nur zu den Anhängern der reinen
Erfahrung (Empirismus und
Positivismus), sondern
auch noch untereinander als die
Erfahrung aus- und dieselbe einschließend im
Gegensatz. Ersterer Umstand macht die Abneigung
der Erfahrungswissenschaften gegen jede, letzterer jene der von der
Erfahrung ausgehenden (empirischen)
gegen die Metaphysik
der die
Erfahrung ausschließenden (spekulativen) Metaphysiker
erklärlich. Unter allen philosophischen
Wissenschaften
hat daher die Metaphysik
überhaupt unter den Nichtphilosophen, die Metaphysik der reinen
Vernunft und die Metaphysik
der übersinnlichen
Erfahrung
(intellektualen
Anschauung,
Intuition), jene seit
Kants
Kritik, diese seit der
Katastrophe der spekulativen
Philosophie, auch unter den
Philosophen die wenigsten
Freunde.
Dennoch, da der »metaphysische Drang« (Schopenhauer),
d. h. der
Wunsch, »ins
Innere der
Natur einzudringen«, dem
Menschen einmal
»angeboren« ist, bleibt, sobald der »metaphysische
Zweifel«, d. h. der
Zweifel an der
Realität der durch die
Erfahrung gegebenen oder »Erscheinungswelt«, einmal
geweckt worden ist, die Metaphysik
unvermeidlich. Angeregt aber wird derselbe durch die bei näherer Betrachtung sich
aufdrängende Einsicht, daß das durch die
Erfahrung Gegebene
Widersprüche enthält, welche machen, daß es, so wie es gegeben
ist, nicht behalten und, weil es gegeben ist, doch nicht abgewiesen werden kann.
Die aus dieser Klemme notwendig entspringende Unruhe ist zugleich der Sporn und der Geburtsschoß des metaphysischen Denkens; die durch die Erfahrung gebotenen, durch die Logik verbotenen Widersprüche im Gegebenen werden zu metaphysischen Problemen. Als ein derartiges erschien z. B. der Eleatischen Schule (s. d.) der Begriff der Bewegung, der durch die Erfahrung aufgedrängt, durch die bekannten Argumente Zenons (s. d.) als unmöglich nachgewiesen wird. Andre werden (nach Herbart) durch die Erfahrungsbegriffe des Einen Dinges mit mehreren Merkmalen, der Veränderung, der Materie, des Ichs, dargeboten und bilden ebenso viele Ausgangspunkte der metaphysischen Forschung. Dieselbe kommt nicht eher zur Ruhe, als bis der treibende Widerspruch ausgeglichen, das Unabweisliche, aber Undenk-, also Unbehaltbare durch Bearbeitung (Ergänzung, Berichtigung) denk-, also behaltbar geworden ist.
Die auf diesem Weg durch Bearbeitung der widersprechenden Erfahrungsbegriffe entstehende, von der Erfahrung aus-, aber über dieselbe hinausgehende ¶
mehr
Wissenschaft ist die Metaphysik;
die durch die solchergestalt ergänzte und berichtigte Erfahrung erkannte (noumenale) Welt ist die
hinter der »physischen Scheins-« (phänomenalen) Welt verborgene »metaphysische Seinswelt«. Wird die physische Welt mit der
metaphysischen für Eins erklärt, wie es der Positivismus und Empirismus thut, so fällt die Metaphysik
mit der Physik
zusammen; wird die physische Welt für Schein, aber auch ihre Grundlage, die metaphysische, für das »Nichts« erklärt, wie
es der indische Buddhismus thut, so nimmt die Metaphysik
einen nihilistischen Charakter an. Wird die phänomenale Welt in bloße »Vorstellung«
verwandelt, das dieselbe vorstellende (unendliche oder endliche) Subjekt für das einzige Reale erklärt,
so geht die Metaphysik
in (absoluten oder relativen) Idealismus (s. d.) über, wie in dem »Welttraum«
Brahmas der indischen Wedantaphilosophie, in Berkeleys empirischem, Fichtes und seiner Nachfolger subjektivem, transcendentalem
und absolutem Idealismus.
Wird sie dagegen als »Erscheinung« (eines oder mehrerer) realer (ihrer Beschaffenheit nach bekannter oder unbekannter, geistiger,
materieller
oder indifferenter) Wesen angesehen, so nimmt die Metaphysik realistischen (und zwar, nach den obigen
Bestimmungen, verschiedenartigen) Charakter an. Derselbe ist: Monismus, wenn der gesamten Erscheinungswelt ein einziges (Alleinheitslehre:
Spinoza), Pluralismus, wenn ihr mehrere oder unbestimmt viele ursprüngliche Seiende (Allvielheitslehre: Herbart) zu Grunde gelegt
werden;
Spiritualismus, wenn der realen Grundlage aller Erscheinung geistige (Materie als Phänomen des Geistes: Leibniz), Materialismus, wenn derselben körperliche (Geist als Phänomen der Materie: Holbach), Dualismus, wenn derselben teilweise geistige, teilweise körperliche (Platon, Aristoteles, Descartes), Identitätslehre, wenn derselben von je verschiedenem Gesichtspunkt aus sowohl geistige als körperliche (Hylozoismus: Schelling), Pantheletismus, wenn ihr weder geistige noch körperliche Beschaffenheit beigelegt, sondern dieselbe als »blinder Urwille« (Schopenhauer) bezeichnet wird.
Der Kritizismus (Kant) begnügt sich (nicht ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten), das Dasein einer realen Grundlage (Noumenon, Ding an sich) der phänomenalen Welt durch den (subjektiven?) Schluß von der im Subjekt verursachten Empfindung auf deren außer demselben vorhandene Ursache zu konstatieren, deren Beschaffenheit er für unerkennbar (»Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist«) erklärt. Die eine Seite seiner Schule (Herbart: »Wie der Rauch auf die Flamme, [* 4] deutet Schein auf Sein«) ist auf diesem Weg zu einem mit Leibniz' Monadenlehre verwandten realistischen Pluralismus, die andre (Fichte [* 5] und seine Nachfolger) durch die Aufdeckung jenes Selbstwiderspruchs zur Beseitigung des Dinges an sich und zum Idealismus gelangt. Da die Fragen nach Ursprung, Wesen und Zweck der umgebenden Natur sich dem betrachtenden Denker nicht nur am frühsten, sondern auch am lebhaftesten aufzudrängen pflegen, so erscheint die Metaphysik nicht nur als die am frühsten (bei Chinesen, Indern, Griechen vor der Logik und Ethik) ausgebildete, sondern auch als die grundlegende philosophische Wissenschaft (Aristoteles bezeichnet sie als »erste« oder Fundamentalphilosophie), und es fällt ihre Geschichte nahezu mit jener der Philosophie selbst zusammen.