Polytechnikum
(griech.), älterer
Name der technischen
Hochschulen (»polytechni
schen
Schulen«),
der auch durch diese neuere amtliche Bezeichnung nicht völlig verdrängt worden ist. Bis zum Ende des 18. Jahrh. gab es zwar unter allen gebildeten Völkern Europas stets eine Anzahl hervorragender Ingenieure, Architekten, technischer Erfinder; aber dieselben hatten entweder eine militärische oder eine künstlerische oder eine allgemein gelehrte Bildung erhalten und sich von diesen verschiedenen Anfängen aus ihrem besondern Beruf zugewandt, oder sie waren in noch engerm Sinn Autodidakten, die, sei es aus den niedern Stufen des Bau- und sonstigen Handwerks, sei es aus ganz fern liegenden Berufskreisen, sich zu einer höhern technischen Bildung emporgearbeitet hatten.
Mit der wachsenden Wichtigkeit der
Technik für das
Staats- und Kulturleben lag die Veranlassung vor, besondere
Vorbildungsanstalten ins
Leben zu rufen. Der erste entscheidende
Schritt ward mit der 1794 erfolgten
Gründung der polytechni
schen
Schule (école polytechnique
) zu
Paris
[* 2] gethan, einer der wenigen großen
Schöpfungen der
Revolution auf dem Gebiet geistiger
Bildung, die sich unerschüttert erhalten haben (vgl. Pinet,
Histoire de l'école polytechnique
, Par. 1886).
Die
Organisation der
Pariser polytechni
schen
Schule ward insofern für die weitere
Entwickelung maßgebend und bedeutungsvoll,
als sich diese Anstalt zwar auf die
Ausbildung für den höhern technischen
Staatsdienst beschränkte und für die letzte Fachausbildung
ihre Studierenden an besondere
Fachschulen (école des ponts et des chaussées, école des mines etc.)
abgab, aber die höchsten Anforderungen an die allgemein wissenschaftliche (namentlich mathematische)
Bildung derselben stellte
und erfüllte.
Die nächsten »polytechni
schen
Institute« entstanden in
Österreich
[* 3] und zwar zu
Prag
[* 4] (1806) und
Wien
[* 5] (1815). In
Preußen
[* 6] war bereits 1799 die
königliche
Bauakademie zu
Berlin
[* 7] begründet, der 1821 unter
Ch. W.
Beuths Einfluß das technische
Institut
daselbst (1827
Gewerbeinstitut, 1866 Gewerbeakademie) ergänzend zur Seite trat. Beide wurden 1879 zur technischen
Hochschule
vereinigt. Zwischen 1825 und 1850 entstand in den deutschen Mittelstaaten eine
Reihe technischer Bildungsanstalten, welche,
von der
Forderung des
Augenblicks gedrängt, den mittlern gewerblichen
Unterricht mit der höhern technisch-wissenschaftlichen
Bildung zu vereinigen strebten und dadurch die Entstehung wirklicher technischer
Hochschulen zwar aufhielten, aber anderseits
die bessere Vorbildung der leitenden
Techniker aller
Zweige wesentlich förderten und auf den Grenzgebieten den wissenschaftlichen
Hochschulen erfolgreich in die
Hände arbeiteten. So entstanden die polytechnische
Schule zu
Karlsruhe,
[* 8] die technische Bildungsanstalt
zu
Dresden,
[* 9] die »höhern
Gewerbeschulen« zu
Darmstadt
[* 10] und
Hannover,
[* 11] die polytechnischen
Schulen zu
Augsburg,
[* 12] München,
[* 13]
Nürnberg,
[* 14]
Stuttgart,
[* 15] bei denen allen mehr oder minder eine gewisse
Tendenz, sich der eigentlich akademischen Leistung
und
Organisation anzunähern, früh hervortrat, aber freilich jahrzehntelang mit Hindernissen und schwankenden
Ansichten der
leitenden
Kreise
[* 16] zu kämpfen hatte.
Die erste dieser Anstalten, die
zur
Organisation und zur Bedeutung eines wirklichen Polytechnikums
einen
raschen
Anlauf
[* 17] nahm, war die polytechnische
Schule zu
Karlsruhe, die durch ihre Einrichtung von 1832, vor allem aber durch
Redtenbachers
(Professor in
Karlsruhe 1841,
Direktor 1857-63) bahnbrechende Wirksamkeit den Standpunkt einer höhern
Gewerbeschule hinter sich
ließ.
Noch entscheidender für die Weiterentwickelung ward die 1856 erfolgte
Eröffnung des Eidgenössische
Polytechnikums
zu Zürich.
[* 18] Nicht nur durch die Gewinnung einer
Reihe hochbedeutender Lehrkräfte, sondern auch durch die ganze
Organisation,
durch die
Stellung, welche den mathematischen und
Naturwissenschaften in den Studienplänen der einzelnen
Fachschulen gegeben
war, endlich durch die Errichtung einer philosophisch-staatswirtschaftlichen Abteilung, die, für die
allgemeine
Bildung aller Studierenden bestimmt, den künftigen
Ingenieuren,
Architekten, Chemikern die Vorteile bieten sollte,
welche die philosophische
Fakultät der
Universitäten für die allgemeine
Bildung aller Studierenden eröffnet, stellte die
Schweiz
[* 19] das erste
Muster einer deutschen technischen
Hochschule in freier Anlehnung an das Vorbild der deutschen
Universitäten
auf.
Nach und nach sind diesem Vorgang alle deutschen polytechnischen Anstalten gefolgt und haben sich auf diese Weise immer mehr dem angenähert, was man heute unter einer technischen Hochschule versteht. Als einflußreiche Vorgänge in dieser Entwickelung sind namentlich hervorzuheben die Vereinigung der frühern drei bayrischen polytechnischen Schulen zu einer technischen Hochschule in München (1868) und die bereits erwähnte Vereinigung der beiden Berliner [* 20] technischen Akademien in der dortigen Hochschule (1879) sowie die im Anschluß daran erfolgte Umgestaltung der polytechnischen Schulen zu Hannover und zu Aachen [* 21] zu Anstalten desselben Ranges. Näheres über die gegenwärtige Einrichtung und den Bestand der neun deutschen Anstalten (Berlin, Hannover, Aachen, München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Braunschweig) [* 22] und der sieben österreichisch-ungarischen (Wien, Prag [deutsch und tschechisch], Brünn, [* 23] Graz, [* 24] Lemberg, [* 25] Budapest) [* 26] s. unter Technische Hochschulen.