Rede
(lat.
Oratio), im allgemeinen die sprachliche
Darstellung der
Gedanken; im engern
Sinn die zusammenhängende, logisch
geordnete und kunstgemäß ausgearbeitete Darlegung von
Thatsachen, Begründungen und
Beweisen über ein
bestimmtes
Thema, um auf die Einsicht und das
Herz der
Hörer eine entscheidende
Wirkung zu gewinnen. Die Rede
bildet mit der Abhandlung
die beiden
Arten der didaktischen oder lehrhaften
Prosa. Während aber erstere ihren
Zweck durch bloße Überzeugung zu erreichen
sucht, braucht die kunstgemäße Rede
nach der Überzeugung auch noch die Überredung; neben der
Einwirkung auf den
Verstand nimmt sie auch die Einbildung in Anspruch und wirkt namentlich mit deren
Hilfe auf das
Gefühl ein,
und zwar insofern auf diesem der
Wille beruht, dessen thatsächliche Äußerung hervorzurufen der Endzweck des Redners ist.
Man unterscheidet im allgemeinen drei Hauptarten von Reden: die politische eine Erörterung von Grundsätzen der Staatsweisheit, durch einen thatsächlichen Anlaß hervorgerufen und einen thatsächlichen Zweck verfolgend;
die gerichtliche
Rede
, welche in derselben praktischen Doppelbeziehung die
Wahrheiten des
Rechts, die rechtlichen
Grundsätze, darzulegen und zu
behaupten hat und entweder anklagt oder verteidigt, und die geistliche Rede
, welche aufs
Anlaß des göttlichen
Wortes die
Wahrheiten der
Religion verkündet und auf die religiöse
Erbauung der Zuhörer abzielt (s.
Predigt).
Während die
beiden ersten
Arten von
Reden nur bei Völkern zur
Ausbildung gelangen können, denen eine freie
Öffentlichkeit des Staatslebens
vergönnt ist, also in
Republiken und konstitutionellen
Staaten (wie die politische Rede
namentlich bei den
Griechen und Engländern, die gerichtliche bei den
Römern), so gehört die dem heidnischen
Altertum fremde geistliche Rede
den
monotheistischen
Religionen im allgemeinen zu eigen (nicht bloß dem
Christentum, sondern auch dem
Judentum u. dem Mohammedanismus),
hat sich aber, getragen durch den
Gehalt des religiösen Bekenntnisses und durch die anderweitig
Bildung,
in der christlichen
Welt zur höchsten
Stufe der Vollkommenheit erhoben.
Außer diesen gibt es noch
Reden anderer Art, wie
Lobreden,
Reden, die bestimmt sind, die
Verdienste eines
Lebenden oder
Toten
zu verherrlichen, daher mehr
Charakteristiken als eigentliche
Reden sind (z. B.
Engels Rede
auf
Friedrich d. Gr.,
Goethes Rede
auf
Wieland, die französischen
»Éloges«); Schulreden
,
Reden bei akademischen und Schulfeierlichkeiten, die im
Grund
nur Abhandlungen über wissenschaftliche Themata sind (z. B.
Schillers Rede:.
»Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?«);
Begrüßungs- und Festreden
,
Ansprachen und andre Gelegenheitsreden.
Den Inbegriff der
Regeln und
Gesetze der
Redekunst
gibt die
Rhetorik (s. d.). Was zunächst den
Bau einer Rede
betrifft, so zerfällt dieselbe nach der einfachsten
Annahme in drei
Glieder:
[* 2] den Eingang (exordium), die Ausführung oder Abhandlung (disputatio) und den Beschluß (conclusio). Der erste
Teil, das
Éxordium, hat nach
Cicero die Bestimmung, den Zuhörer wohlwollend, aufmerksam und gelehrig (benevolum,
attentum, docilem) zu machen, und zerfällt diesem
Zweck gemäß wieder in drei Unterglieder: a) die sogen.
Captatio benevolentiae,
mit der sich der Redner an das
Gefühl des Zuhörers wendet und die Geneigtheit desselben zu gewinnen sucht; b) die
Narratio
facti, die
Erzählung des der Rede
vorliegenden thatsächlichen Anlasses, wodurch die
Aufmerksamkeit des
Zuhörers erregt wird, und c) die
Expositio, d. h. die Darlegung des Hauptgedanken oder der theoretischen
Wahrheit, welche
sich aus jenem faktischen
Anlaß ergibt, und die als
Thema im folgenden zweiten Hauptteil der Rede
ausführlicher behandelt werden
soll.
Während also im Exordium, das die Grundlage des gesamten Baues der Rede bildet, neben dem Verstand (zum Zweck der Überzeugung) auch bereits Einbildungskraft und Gefühl (zum Zweck der Überredung) in Anspruch genommen werden, verfolgt der zweite Hauptteil der Rede, die Disputatio, einzig und allein den Zweck der Überzeugung und wendet sich daher vorzugsweise an den Verstand. Die aufgestellte Wahrheit wird erschöpfend durchgesprochen, weil der Redner sie zu behaupten und zu verfechten hat entweder gegen eine wirklich und ausdrücklich entgegengesetzte, ja ihm feindselige Meinung (wie das in der weltlichen Redekunst gewöhnlich der Fall), oder weil er (wie der geistliche Redner) allem Zweifel an der Wahrheit und aller Verneinung derselben wenigstens vorbeugen muß.
In der weltlichen Redekunst wird dieser zweite Hauptteil nicht selten wieder in zwei Teile zerlegt: a) die Erklärung, die weitere Erörterung und Auseinandersetzung des in der Expositio nur kurz vorgelegten theoretischen Satzes, und b) die Beweisführung, die sowohl apriorisch (auf begriffliche Abstraktionen gestützt) als aposteriorisch (auf der Erfahrung beruhend) sein kann, obschon Erfahrungsbeweise als einleuchtender und anschaulicher dem Redner dienlicher sind als die abstraktern Begriffsbeweise. Im dritten Hauptteil der Rede, der Conclusio, nähert sich die Rede dem Zeitpunkt, in welchem sich nach Ansicht des Redners die gewonnene Überzeugung praktisch bethätigen soll; es gilt, aus der Einwirkung auf den Verstand nun auch die vollste und nachdrücklichste Einwirkung auf den Willen zu entwickeln, und dies geschieht, indem von seiten der Phantasie her das Gefühl angeregt wird. Wie beim Eingang, ergeben sich auch beim Beschluß der Rede oft wieder drei Unterabteilungen: a) die Rekapitulation, eine gedrängte Zusammenfassung des Resultats, das sich aus der ganzen weitläufigen Disputatio für die Überzeugung ergeben; b) der pathetische Teil, worin der Redner dem Zuhörer den praktischen Zweck der Rede ans Herz legt und ihn mit Hilfe der Phantasie so lebhaft ¶
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ausmalt, daß der Zuhörer dadurch in eine Aufregung der Empfindung versetzt wird, die ihn antreiben muß, der gewonnenen Überzeugung gemäß auch zu wollen und zu handeln; c) der eigentliche Schluß, mit dem sich der Redner unmittelbar an das so erregte Gefühl des Zuhörers wendet und ihm in der Sprache [* 4] des Gefühls die geforderte Willensäußerung dringlich und angelegen macht. - Von Wichtigkeit ist die Art und Weise der sprachlichen Darstellung oder der Stil der Rede. Man unterscheidet in dieser Beziehung drei Stufen: einen niedern, vorzugsweise ethischen (d. h. ruhigen, mehr gemütlich ansprechenden), einen höhern, vorzugsweise pathetischen (d. h. leidenschaftlich erregten) Stil und einen zwischen beiden in der Mitte liegenden, dem Ethos und Pathos gleichermaßen zu Gebote stehen.
Die Anwendung dieser Stilarten erfolgt, je nachdem es die Beschaffenheit des Gegenstandes, die Fähigkeiten der Zuhörer oder die Fähigkeiten und die geistige Richtung des Redners selbst mit sich bringen. Im allgemeinen sind die letztgenannte die am meisten vorkommenden Stilarten, während der niedere Stil der gewöhnlichen Prosa am nächsten steht. Der höhern Art des rednerischen Stils gehören die meisten Predigten von Herder an, der mittlern die von Schleiermacher, der niedern endlich die von B. Schuppius und Abraham a Santa Clara (Türkenpredigt von 1683). Wie für die Prosa überhaupt, so sind auch für die oratorische Redeweise Deutlichkeit und Bestimmtheit sowie logische und grammatische Richtigkeit erstes Erfordernis, und die Regeln, welche für jene gelten, bleiben im allgemeinen auch für die letztere in Kraft. [* 5]
Da aber die rednerische Prosa nicht einzig und allein auf verständige Deutlichkeit ausgeht, sondern auch auf die Einbildungskraft und das Gefühl zu wirken sucht, verlangt sie eine erhöhte künstlerische Form, eine lebensvollere, schöne Sinnlichkeit. Sie begnügt sich nicht mit kürzern, leicht übersehbaren, aber auch leicht eintönig werdenden Satzgefügen, wie die gewöhnliche Prosa, sondern liebt umfangreichen Perioden, deren rhythmisch gegliederter Bau sich zu künstlerischer Schönheit erhebt und eine den Sinnen wohlthuende Mannigfaltigkeit entwickelt.
Zugleich bedient sie sich zum Behuf der sinnlichen Anschaulichkeit des ganzen Vorrats von Tropen und Figuren (s. Figur), die sonst nur der poetischen Darstellung eigentümlich sind, und arbeitet durch sie auf ihr letztes Ziel, die leidenschaftliche Erregung des Gefühls, hin. Der sinnlichen Anschauung wegen sind auch mancherlei Worte in der Rede erlaubt, die in gewöhnlicher Prosa meistens fehlerhaft wären, z. B. Archaismen (im kirchlichen Redestil), selbst Provinzialismen, vernünftige Neologismen etc. Die Litteratur über Redekunst s. bei Rhetorik.