Sage
,
im allgemeinen alles, was gesagt und von
Mund zu
Mund weiter erzählt wird, also s. v. w.
Gerücht; im engern
Sinn eine im
Volk entstandene erdichtete oder durch Erdichtung ausgeschmückte und mündlich fortgepflanzte
Erzählung von irgend einer Begebenheit. Knüpft sich die
S. an geschichtliche
Personen und
Handlungen, indem sie die im
Volk
fortlebenden
Erinnerungen an geschichtliche Zustände, Persönlichkeiten, dunkel gewordene Thaten zu vollständigen
Erzählungen ausbildet, so entsteht die geschichtliche
S. und, sofern sie sich auf die alten
Helden des
Volkes erstreckt, die
Heldensage; sind aber die
Götter mit ihren Zuständen,
Handlungen und Erlebnissen Gegenstand der S., so entsteht die
Göttersage
oder der
Mythus (s.
Mythologie) und auf dem Gebiet monotheistischer dogmatischer
Religion die
Legende (s. d.).
Haftet die
Erzählung an bestimmten Örtlichkeiten, so spricht man von örtlichen Sagen.
Noch eine Sage
ngattung bildet endlich die
Tiersage, welche von dem
Leben und
Treiben der
Tiere, und zwar fast ausschließlich
der ungezähmten, berichtet, die man sich mit
Sprache
[* 2] und Denkkraft ausgerüstet vorstellt. Oft hat sich
um eine besonders bevorzugte Persönlichkeit, wie z. B. König
Artus,
Dietrich von Bern,
Attila,
Karl d. Gr. etc., und deren
Umgebung eine ganze
Menge von Sagen
gelagert, die nach Ursprung und
Inhalt sehr verschieben sein können, aber doch unter sich
in Zusammenhang stehen, und es entstehen dadurch
Sagenkreise, wie deren im
Mittelalter in germanischen
wie romanischen
Ländern mehrere bestanden und zahlreiche
Epen hervorgerufen haben (vgl.
Heldensage).
Die echte S. erscheint somit als im lebendigen Glauben wurzelnd und aus dem Drang des dichterischen Volksgeistes entsprungen. Obwohl wie alle Volkspoesie am kräftigsten blühend in der ältern Zeit, verstummt sie doch auch bei weiterer Kultur nicht; vielmehr ist der Volksgeist noch heute thätig, bedeutende Vorgänge und Persönlichkeiten mit dem Schmuck der S. zu umkleiden. Die Anknüpfung an ein gewisses Wirkliches, sei dies ein innerliches oder äußerliches, ist hauptsächlich das Merkmal, welches die S. vom Märchen (s. d.) unterscheidet. Wie das Märchen, liebt sie das Wunderbare und Übernatürliche, obschon ihr dasselbe nicht unentbehrlich ist. Am meisten wohnt sie in Burg- und Klosterruinen, an Quellen, Seen, in Klüften, an Kreuzwegen etc., und zwar findet sich eine und dieselbe S. nicht selten an mehreren Orten ¶
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wieder. Um die Erhaltung der deutschen S. haben sich zuerst die Gebrüder Grimm verdient gemacht durch ihre reiche Sammlung:
»Deutsche
[* 4] Sagen«
(Berl. 1816 bis 1818, 2 Bde.; 2. Aufl.
1866). Nächst diesen sind die Sammlungen von A. Kuhn und Schwartz (»Norddeutsche Sagen«
, Leipz. 1848),
J. W. ^[Johannes Wilhelm] Wolf (»Deutsche Märchen und Sagen«
, das. 1845),
Panzer (»Bayrische Sagen«
, Münch.
1848, 2 Bde.),
Grässe (»Sage
nbuch des preußischen Staats«, Glogau
[* 5] 1871) und Klee (Gütersl. 1885) als besonders reichhaltige
Quellen zu nennen. Als Sammler von Sagen
einzelner Länder, Gegenden und Örtlichkeiten waren außerdem zahlreiche Forscher
thätig, so für Mecklenburg:
[* 6] Studemund (1851), Niederhöffer (1857) und Bartsch (1879);
für Schleswig-Holstein: [* 7] Müllenhoff (1845);
für Niedersachsen: Harrys (1840), Schambach und Müller (1855);
für Hamburg: [* 8] Beneke (1854);
für Lübeck: [* 9] Deecke (1852);
für Oldenburg: [* 10] Strackerjan (1868);
für den Harz: Pröhle (2. Aufl. 1886);
für Mansfeld: Giebelhausen (1850);
für Westfalen: [* 11] Kuhn (1859) und Krüger (1845);
für die Altmark: Temme (1839);
für Brandenburg: [* 12] Kuhn (1843);
für Sachsen: [* 13] Grässe (1874);
für das Vogtland: Köhler (1867) und Eisel (1871);
für Thüringen: Bechstein (1835, 1858), Börner (Orlagau, 1838), Sommer (1846), Wucke (Werragegend, 1864), Witzschel (1866);
für Schlesien: [* 14] Kern (1867);
für Ostpreußen [* 15] etc.: Tettau (1837) und Reusch (Samland, 1863);
für den Rhein: Simrock (9. Aufl. 1883), Geib (3. Aufl. 1858) und Kiefer (4. Aufl. 1876);
für Westfalen: Hartmann (1883);
für Franken etc.: Bechstein (1842), Janssen (1852), Herrlein (Spessart, 2. Aufl. 1885), Enslin (Frankfurt, [* 16] 1856), Kaufmann (Mainz, [* 17] 1853);
für Hessen: [* 18] Kaut (1846), Wolf (1853), Lynker (1854) und Bindewald (1873);
für Bayern: [* 19] Maßmann (1831), Schöppner (1852), v. Leoprechting (Lechrain, 1855), Schönwerth (Oberpfalz, 1858);
für Schwaben: Meier (1852) und Birlinger (1861-1862);
für Baden: [* 20] Baader (1851);
für das Elsaß: Stöber (1852);
für Luxemburg: [* 21] Steffen (1853);
für die Niederlande: [* 22] Wolf (1843);
für die Schweiz: [* 23] Rochholz (1856) und Lütolf (1862);
für Tirol: [* 24] M. Meyer (2. Aufl. 1884), Zingerle (1859) und Schneller (1867);
für Vorarlberg: Vonbun (1847 u. 1858);
für Österreich: [* 25] Bechstein (1846), Gebhart (1862) und Dreisauff (1879);
für Kärnten: Rappold (1887);
für Böhmen: [* 26] Grohmann (1863);
für die Alpen: [* 27] Vernaleken (1858), Alpenburg (1861) und Zillner (Untersberg, 1861);
für Siebenbürgen: Müller (2. Aufl. 1885).
Die Sagen
Rumäniens sammelte Schuller (1857), die Islands Maurer: (1860) und Poestion
(1884), der Lappländer: Poestion (1885), der Norweger: Asbjörnson (deutsch 1881), der Südslawen: Kraus (1884), der Litauer:
Langkusch (1879) und Veckenstedt (1883), der Russen: Goldschmidt (1882), die der Indianer Amerikas: Amara George (1856) und Knortz
(1871), indische Sagen
Beyer (1871), japanische Brauns (1884), altfranzösische A. v. Keller (2. Aufl. 1876),
deutsche Pflanzensagen Perger (1864), die deutschen Kaisersagen Falkenstein (1847), Nebelsagen Laistner
(1879) etc. Die Sagen
bilden mit den im Volk umlaufenden Märchen, Legenden, Sprichwörtern etc. den Inhalt der sogen. Folklore (s. d.), die seit neuerer
Zeit Gegenstand reger wissenschaftlicher Forschung ist.
Vgl. J. ^[Julius] Braun, Die Naturgeschichte der S. (Münch. 1864-65, 2 Bde.);
Uhland, Schriften zur Geschichte und S., Bd. 1 u. 7 (Stuttg. 1865-68);
Henne-Am Rhyn, Die deutsche Volkssage im Verhältnis zu den Mythen aller Völker (2. Aufl., Wien [* 28] 1879);
v. Bahder, Die deutsche Philologie im Grundriß (Paderb. 1883).