Schrift
(hierzu Beilage: »Schrifttafeln der wichtigsten Sprachen etc.«). Den Zweck der S., Mitteilungen in die Ferne zu machen oder ihnen eine lange Dauer zu sichern, erreichen unzivilisierte Völker durch symbolische Geräte, z. B. durch Kerbhölzer für Schuldverschreibungen, durch die Tättowierung, die ebenfalls zur Beurkundung von Schulden, dann zur Volljährigkeitserklärung, zur Verewigung tapferer Thaten und zu noch andern Zwecken dient, u. dgl. Auch in Europa haben sich manche Überreste solcher Gebräuche erhalten. Die Inkas in Peru hatten eine ganz
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ausgebildete Knotenschrift (s. Quipu), durch die sie ihre Mandate allen Beamten in ihrem Reich mitteilten. Bei den verschiedensten Stämmen ist man aber auch auf bildliche Darstellungen historischer Ereignisse gestoßen, und diese Bilderschrift, anfangs Ideenmalerei, pflegt sich je länger, je mehr an die Sprache anzuschließen. So hatten die Azteken in Mexiko eine ganze, leider durch die spanischen Eroberer vernichtete Litteratur, die in einer reinen Bilderschrift abgefaßt war, und fingen sogar, als die Missionäre sie zur Niederschrift des Vaterunsers veranlaßten, an, die Laute der Sprache in einer Art von Rebusschrift zu bezeichnen, indem sie z. B. für das lateinische Pater noster folgende Symbole gebrauchten: ein Fähnchen, aztekisch pan, dann ein Stein = tete, eine Kaktusfeige = nosch, wieder ein Stein = tete. Auch die Chinesen bedienten sich zuerst einer von den Ureinwohnern ihres Landes überkommenen Knoten-, dann einer von oben nach unten laufenden Bilderschrift, worin z. B. die Sonne durch eine Zeichnung der Sonne, ein Berg durch drei Spitzen, »fest, sicher« durch einen kleinen Kreis auf hohem Untersatz ausgedrückt wurde. Durch Verkürzung der Bilder, Verbindung derselben mit Strichen und völlige Zusammensetzung entstand aus dieser schon im 3. Jahrtausend v. Chr. üblichen S. nach und nach eine völlige Wortschrift, in der jedes Wort sein besonderes Zeichen hatte. Nach und nach verloren die Zeichen ihre Bildlichkeit, indem man sie der Bequemlichkeit halber immer mehr abkürzte; zugleich kam die Rebusschrift auf, indem man das Zeichen für ein bestimmtes Wort auf ein andres gleichlautendes übertrug, dann aber ein sogen. Klassenzeichen beifügte, um seinen Begriff näher zu bestimmen. So gibt es ein Zeichen für pe, »weiß«; mit demselben Zeichen kann aber auch pe, »eine Cypressenart«, ausgedrückt werden, wenn man das Klassenzeichen für »Baum« beifügt. Da die chinesische Sprache aus einer nicht großen Anzahl einsilbiger Wörter besteht, welche oft die verschiedensten Bedeutungen in sich vereinigen, so hilft hier die S. der Undeutlichkeit des mündlichen Ausdrucks ab; ja, sie kann den 500 Mill. Einwohnern Chinas als Reichssprache dienen, obschon sehr viele derselben kein Chinesisch verstehen. Freilich ist sie sehr schwer zu lernen, da sie an 100,000 Zeichen zählt, wovon indessen jetzt nur 8-10,000 nicht ganz selten und nur 2-3000 in gewöhnlichem Gebrauch sind. Schon in ihrer ältesten Periode ist auch die Hieroglyphenschrift der Ägypter eine Kombination von Haupt- und Klassen- oder Determinativzeichen; nur haben die Zeichen, wenigstens auf den Monumenten, ihrer dekorativen Bestimmung wegen den bildlichen Charakter niemals abgestreift, während allerdings die schon früh aus den Hieroglyphen entstandene abgekürzte hieratische Schriftart, noch mehr die spätere Kursivschrift, Demotisch genannt, gar nichts Bildliches mehr haben.
Außer der Schaffung von Determinativzeichen, wodurch z. B. das Bild für nefel, »Laute«, auch Fohlen, Jüngling, Jungfrau, Rekrut, Feuer bedeuten kann, je nachdem das Determinativzeichen eines Pferdes, Mannes, einer Frau, eines Kriegers oder einer Flamme daneben steht, haben die Ägypter aber auch den weitern Schritt zur Silben- und von da zur reinen Lautschrift gemacht, indem sie eine Reihe von Bildern nur noch eine Silbe oder Konsonantengruppe des betreffenden Wortes oder nur seinen Anfangsbuchstaben ausdrücken ließen. So wurde das Bild des Adlers (ahom) gebraucht, um den Buchstaben a, das des Löwen (labo), um den Buchstaben l auszudrücken. Doch blieb daneben, namentlich in der Denkmälerschrift, wohl aus künstlerischen Gründen stets die alte Schriftart im Brauch, und erst die Phöniker machten den weitern Schritt zur reinen Lautschrift, indem sie eine Reihe von wahrscheinlich 22 solcher Buchstabenzeichen auswählten und damit alle Wörter ihrer Sprache ausdrückten. Wahrscheinlich sind sie auch die Erfinder der Namen für diese Zeichen gewesen, die sich in übereinstimmender Weise bei den Griechen und Hebräern finden (z. B. griechisch alpha, hebräisch aleph) und von der Form derselben hergenommen scheinen. Da diese Zeichen, wie sie in alten phönikischen Inschriften vorliegen, eine große Ähnlichkeit mit gleichbedeutenden Zeichen der hieratischen S. der Ägypter haben, so nimmt man jetzt nach E. de Rougé in Übereinstimmung mit der von dem Geschichtschreiber Tacitus mitgeteilten Tradition des Altertums ziemlich allgemein an, daß die phönikische S. aus Ägypten stamme, und zwar ist nach de Rougé diese Entlehnung etwa in das 9. Jahrh. v. Chr. zu setzen. Wuttke leitet dagegen die phönikischen aus der Keilschrift der Assyrer und Babylonier ab, welche jedoch nach ihm aus ägyptischen Anregungen entstanden ist; ähnlich Deecke in der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 31 (Leipz. 1877), dessen Zusammenstellungen jedoch von dem englischen Assyriologen Sayce widerlegt worden sind. Die meisten Forscher sehen aus guten Gründen in der Keilschrift (s. d.) eine Erfindung Mesopotamiens; jedenfalls hat sie sich selbständig aus einer bloßen Bilder- und Rebusschrift zu einer syllabischen und zuletzt bei den alten Persern zu einer wenn auch noch nicht ganz vollständigen Lautschrift entwickelt (s. die Schrifttafel). Die chinesische S. ist ebenfalls wenigstens zu einer Silbenschrift entwickelt worden von den Japanern, deren Alphabet, Katakana genannt, aus einer unbeträchtlichen Anzahl von Silbenzeichen besteht, die aus Bruchstücken chinesischer Zeichen entstanden sind. Was nun das phönikische Alphabet, die Mutter fast aller Alphabete der neuern Kulturvölker (s. die Tafel »Entwickelung unsrer Schrift«), betrifft, so ist dies ebenfalls eine Silbenschrift, aber mit der Besonderheit, daß nur die Konsonanten einer Silbe bezeichnet, die Vokale dem Leser zur Ergänzung überlassen werden, ganz natürlich in einer semitischen Sprache, welche die Konsonanten als die eigentlichen Träger der Bedeutung eines Wortes behandelt und durch die Vokale nur gewisse Schattierungen dieser Grundbedeutung ausdrückt. Das phönikische Alphabet wurde daher auch von den übrigen semitischen Völkern mit geringen Veränderungen übernommen und namentlich zu verschiedenen Zeiten das aramäisch-syrische, hebräische, arabische und himjaritische (südarabische) Alphabet daraus gebildet; das arabische wurde dann mit unwesentlichen Veränderungen auch dazu gebraucht, um Persisch, Afghanisch, Hindustani, die jetzt in Ostindien verbreitetste Sprache, und Türkisch damit zu schreiben. Aus dem spätern syrischen Alphabet ist das der uigurischen Türken, aus diesem das Alphabet der Mandschu, aus diesem endlich das mongolische Alphabet entstanden, so daß hiermit das phönikische Alphabet bis in den äußersten Nordosten Asiens gedrungen ist. Von dem himjaritischen Alphabet stammen das äthiopische, libysche und andre semitische Alphabete Nordafrikas ab; aus einer alten Form des aramäisch-syrischen entstand schon früh die Zend- und Pehlewischrift in Iran, und wahrscheinlich stammt auch das alte Sanskritalphabet, in seiner gangbarsten Form Devanagari (s. d. und die Tafel) genannt, von ihm ab. Die älteste Sanskritschrift wurde dann ihrerseits
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die Mutter des Pâli-Alphabets der Buddhisten und der meisten für die jetzigen Sprachen Indiens üblichen Alphabete: Bengali, Gudscherati, Telugu, Kanaresisch, Sindhi etc.; ja, sie gelangte mit dem Buddhismus nach Tibet und nach den Inseln und dem Festland von Hinterindien, wo sie freilich am stärksten verändert wurde. Bei allen Umwandlungen hat die phönikische S. in ihrer Wanderung nach Osten, durch Asien, immer die Eigentümlichkeit beibehalten, vorzugsweise die Konsonanten zu bezeichnen und die Vokale nur durch Beifügung von Strichen, Punkten oder sonstigen untergeordneten Zeichen auszudrücken; dagegen wurde sie in ihrem Vordringen nach Westen, durch Europa, alsbald zur reinen Lautschrift entwickelt, in welcher die Vokale ebensogut besondere Zeichen haben wie die Konsonanten.
Daß das griechische Alphabet aus Phönikien stammt, berichten uns nicht nur die Griechen selbst, sondern es sprechen dafür auch die echt phönikischen Namen der griechischen Buchstaben (z. B. Alpha = hebräisch und phönikisch Aleph; Gamma = Gimel, »Kamel«) und die Form der ältesten griechischen Schriftzeichen. Gleich bei der ersten Herübernahme der phönikischen S. wurden aber vier phönikische Zeichen für im Griechischen nicht vorkommende Laute in die Vokalzeichen Α, Ε, Ι, Ο verwandelt und gleichzeitig ein wahrscheinlich in Anlehnung an das sechste Zeichen (s. die Tafel) entstandenes Vokalzeichen Υ beigefügt. So entstand ein Alphabet von 23 Zeichen, das mit Υ endigte. Der phönikische Ursprung des ältesten griechischen Alphabets zeigt sich ferner noch darin deutlich, daß es in der ältesten Zeit wie die semitischen Alphabete von rechts nach links geschrieben wurde, woraus sich nach einer Übergangsperiode, in der man abwechselnd links- und rechtsläufig schrieb (s. Bustrophedon), die spätere Sitte, rechtsläufig zu schreiben, entwickelte. Schon früh wurden jedoch an dem ältesten griechischen Alphabet, das man aus den auf den Inseln Kreta, Melos und Thera gefundenen Inschriften kennt, in den meisten griechischen Staaten gewisse Veränderungen vorgenommen, um sie dem Genius der griechischen Sprache noch mehr anzupassen. Von den zahlreichen phönikischen Zischlauten war schon von Anfang an einer zur Bezeichnung des griechischen Doppellauts Ζ = ds verwendet worden. Einen zweiten ließ man später ganz fallen, und ein dritter, das griechische Ξ, wurde zur Bezeichnung des Doppellauts ks verwendet. Außerdem beseitigte man das Zeichen für w (Digamma) und das sogen. Koppa (das 6. und 17. Zeichen der Tafel) und erfand für die zwei im Phönikischen nicht vorhandenen Laute f und ch das Φ und Χ und für den Doppellaut ps das Zeichen Ψ und hängte diese drei neuen Zeichen an das Ende des alten Alphabets an. Auch regte sich das Bedürfnis nach einer Bezeichnung der gedehnten Vokale, und so wurde aus dem alten Hauchzeichen das Zeichen für langes e, Η, aus dem Zeichen für kurzes o durch Anhängung zweier Haken das Zeichen für langes o, Ω, gewonnen, das nun den Schlußstein des ganzen Alphabets bildete. Zum Abschluß gelangten diese Änderungen durch den unter dem Archon Eukleides (403 v. Chr.) gefaßten Beschluß der Athener, das auf die angegebene Weise entstandene sogen. ionische Alphabet von 24 Zeichen von Staats wegen einzuführen, ein Beispiel, dem bald alle andern Griechen nachfolgten, während früher, wie die Inschriften zeigen, eine große Ungleichheit geherrscht hatte. Zu einer Zeit, als ein Teil der erwähnten Neuerungen, aber noch nicht alle, durchgeführt waren, und zwar offenbar schon sehr früh, erhielten die Latiner, Etrusker und andre Völker Italiens ihre Alphabete von den in Unteritalien angesiedelten Griechen. Das älteste Alphabet der Latiner und speziell der Römer bestand in seiner gewöhnlichsten Form aus 20 Zeichen, die wie in dem ältesten griechischen Alphabet mit A begannen und mit V endigten. Dabei hatte H seine Bedeutung als Hauchlaut behauptet, auch die zwei k-Laute, K und Q, waren erhalten geblieben; aber F, das phönikische Vau und altgriechische Digamma, hatte sich nur in der Bedeutung eines f behauptet, das Θ, das Ξ und das eine s waren ganz verschwunden, und das griechische Γ hatte sich nur in der Geltung eines k behauptet, während Π und Ρ ihre Form verändert hatten. Sehr früh kam hierzu das Χ = x. Ferner wurde das Z verdrängt, und seine Stelle nahm das aus C umgebildete G ein; aber um das Jahr 100 v. Chr. wurden aus dem griechischen Alphabet Υ als y und Z aufs neue eingeführt und an den Schluß des Alphabets gesetzt, das nun aus 23 Buchstaben bestand. Mit dem Christentum und der römischen Zivilisation fand das lateinische Alphabet seit dem Beginn des Mittelalters und schon früher bei der großen Mehrzahl der europäischen Völker Eingang. Wo sich frühere Schriftarten vorfanden, verdrängte es dieselben; diese frühern Schriftarten, nämlich die alten Alphabete der Germanen (Runen), Gallier, der Walliser in England u. a., sind übrigens, wie die neuern Forschungen gelehrt haben, samt und sonders Ableitungen aus dem griechischen Alphabet. In späterer, schon christlicher Zeit aus dem griechischen Alphabet zurechtgemachte Schriften sind die gotische, die von dem bekannten Verfasser der gotischen Bibelübersetzung, Ulfilas, herrührt (4. Jahrh.), die armenische und georgische, die koptische in Ägypten und die cyrillische in den slawischen Ländern. Letztere, von dem Slawenapostel Cyrillus (9. Jahrh.) herrührend, ist die Mutter der russischen S., die auch bei den meisten südslawischen Völkern im Gebrauch ist. Die lateinische S. erfuhr im Mittelalter nach Zeit und Ort viele Wandlungen und wurde durch die Trennung des U und V, dann, namentlich in Deutschland und England, durch die Bildung des doppelten V = W um zwei neue Buchstaben vermehrt, zu denen sich im Deutschen noch die Zeichen für die Umlaute ä, ö, ü gesellten, kehrte aber später in den meisten Ländern wieder zu einer der römischen S. genäherten Form zurück, wobei außer dem V, U, W auch das erst aus dem 16. Jahrh. stammende J sich behauptete. Nur in Deutschland, teilweise auch in Dänemark und Schweden, blieb man (abgesehen von dem I, i) bei der zur Zeit der Einführung des Buchdrucks üblichen sogen. gotischen oder Frakturschrift stehen. Die so entstandene Ungleichheit wird sich nur beseitigen lassen, wenn man auch in Deutschland wieder zu der Antiqua zurückkehrt (vgl. Schreibkunst). Die Entstehung der Antiqua und ihre allmähliche Umwandlung in die jetzige deutsche S. zeigt die Tafel, Seite IV: »Entwickelung unsrer Schrift« (vgl. auch Paläographie). Vgl. Steinthal, Die Entwickelung der S. (Berl. 1852); Kirchhoff, Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets (4. Aufl., das. 1887); Fr. Müller, Reise der Novara, linguistischer Teil (Wien 1867); Brugsch, Über Bildung und Entwickelung der S. (Berl. 1868); Wuttke, Entstehung der S. (Leipz. 1872, Abbildungen dazu 1873); Lenormant, Essai sur la propagation de l'alphabet phénicien (2. Aufl., Par. 1875, 2 Bde.); Fabretti, Paläographische Studien (deutsch, Leipz. 1877); Burnell, Elements of South-Indian palaeography
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Schrift,
die sichtbaren Zeichen, welche ganze Worte oder Teile derselben fixieren und wiedergeben. Jede natürlich gewordene, nicht künstlich gemachte S. ist entstanden aus Bilderschrift; diese ist so alt wie der Nachahmungstrieb des Menschen, man kann also nicht von einer einmaligen Erfindung reden. Die Bilderschrift hat vor der Buchstabenschrift den Vorteil, daß sie die Sache, nicht das Wort für dieselbe wiedergiebt, denn die Bilder sind auch denen verständlich, die verschiedene Sprachen reden; aber sie erfordert deshalb ebenso viele Zeichen, als es Sachen giebt; daher die Schwierigkeit der Erlernung und die Unbehilflichkeit des Ausdrucks. Manche Bilderschriften, so z.B. die der Indianer, sind auf der niedrigsten Stufe stehen geblieben und deshalb kaum als S. zu bezeichnen, während andere eine Durchbildung und Stilisierung durchgemacht haben; diese allein kommen hier in Betracht. Man kennt fünf voneinander unabhängige Schriftsysteme:
1) die Hieroglyphen (s. d.) der Ägypter, 2) die Keilschrift (s. d.) der Assyrer, 3) die S. der Chinesen (s. Chinesische Sprache, Schrift und Litteratur; aus der chines. Schrift ist die japanische hervorgegangen, s. Japanische Sprache, Schrift und Litteratur), 4) die Bilderschrift (s. d.) der Südamerikaner, 5) die mittelamerik. Hieroglyphen (s. Maya-Hieroglyphen). Von diesen ist nur die ägyptische S. zu einer wirklichen Buchstabenschrift weiter entwickelt. Zu einer rein alphabetischen S. sind jedoch die Ägypter nicht durchgedrungen. Diesen letzten Schritt haben die Phönizier gethan, die neben und vielfach in Ägypten wohnten, sich die Erfindung der Ägypter aneigneten und fortbildeten. Sie machten sich ein Alphabet von 22 wirklichen Buchstaben, d.h. Konsonanten und Halbvokalen, die von rechts nach links geschrieben wurden. Von diesem semit. Uralphabet stammen die verschiedenen Arten semitischer S. (die der Phönizier, Aramäer, Syrer, Himjariten [s. d.], Äthiopier (s. Äthiopische Sprache, Araber). Die älteste ziemlich genau datierbare altsemit. Inschrift ist die Stele des Königs Mesa (s. d.) von Moab, der im 2. Buch der Könige erwähnt wird und
0618a
0618b Schrift II (Schriftproben)
forlaufend
617
ungefähr ins Jahr 890 v. Chr. zu setzen ist. Von der aramäischen S. ist die Pehlevischrift abgeleitet (s. Pehlevi); die ind. Schriftarten beruhen ebenfalls auf einem aramäischen Alphabet; vgl. Bühler, Indian Studies, III. On the origin of the Indian Brāhma alphabet (in «Sitzungsberichte» der Wiener Akademie, 1895); ders., The origin of the Kharoṣṭhī alphabet, 1895 (in «Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes»). Auf indischer S. beruht die der Koreaner. Von Mischer S. stammt die mongolische (s. Mongolen), von dieser die der Mandichu (s. d.). Die «arabische S. wird von Persern und Türken, zum Teil auch von andern mohammed. Völkern des Orients gebraucht. Aus der indischen S. weiter entwickelte Formen haben sich über Tibet und Hinterindien verbreitet. Aus der altsemitischen S. ist die griechische hervorgegangen. Die älteste semitische S. der Mesa-Stele ist der ältesten griechischen am ähnlichsten; nicht viel später mag sich diese von der semitischen abgezweigt haben. Sichere Spuren bat man aber nicht vor dem Anfang der Olympiaden (776 v. Chr.); die erhaltenen Inschriften der Griechen sind kaum älter als 620 v. Chr. Die Griechen übernahmen von den Phöniziern ein Alphabet von 22 Buchstaben, das sie umbildeten und bis auf 26 Buchstaben ergänzten. (S. Griechische Schrift.) Der linksläufigen griechischen S. folgt die furchenförmige (s. Bustrophedon) und dieser die rechtsläufige. Während alle andern Griechen das phöniz. Uralphabet annahmen und fortbildeten, haben nur diejenigen, die den Phöniziern am nächsten wohnten, sich ablehnend verbalten. Die griech. Kolonien auf Covern hatten wahrscheinlich schon vorher vom Festlande her eine eigentümliche Silbenschrift erbalten, in der das einzelne Zeichen nicht einen einzelnen Laut, sondern eine Silbe ausdrückt; sie scheint der assyr. Keilschrift am nächsten verwandt zu sein. Diese schwerfällige, für die griech. Laute schlecht passende Silbenschrift wurde auf Inschriften und Münzen angewendet bis gegen Ende des 5. Jahrh. v. Chr. Alle andern griech. Schriftarten stammen von dem phöniz. Uralphabet. Wie in der Sprache, fo zeigte sich auch in der S. große Verschiedenheit der einzelnen Stämme, bis schließlich alle Griechen zu einer einheitlichen Sprache und S. übergingen. Ein wichtiger Schritt in dieser Richtung war es, als Athen 403 v. Chr. unter dem Archontat des Euklides von Staats wegen das ion. Alphabet annabm, das dann durch die Eroberung der Macedonier allgemein verbreitet wurde. Wie die lokalen Alphabete der Griechen von großer Wichtigkeit sind für die Beziehungen der einzelnen Stämme untereinander in den ältesten Zeiten, so sind auch die aus dem Griechischen abgeleiteten Alphabete ein Beweis der Beziehungen der andern Völker zu ihren Lehrmeistern, den Hellenen. Schon in sehr früher Zeit erhielten die Lykier und Phryger ihre S. von den benachbarten Hellenen; nicht viel später die italischen Völker. Im 4. Jahrh. n. Chr. erfand Ulfilas für feine Landsleute, denen er die Bibel übersetzte, die Gotische Schrift (s. d.), indem er von der griechischen S. ausging; um dieselbe Zeit bildete sich die koptische, im 5. Jahrh. n. Chr. die armenische und georgische S. aus der griech. Majuskel, die nur durch wenige fremdartige Bestandteile vermehrt wurde (s. Koptisch und Armenische Sprache und Schrift). Im 9. und 10. Jahrh. wurden slawische Völker durch die Missionsthätigkeit der griech. Kirche bekehrt, die ihnen mit der Religion zugleich die S. brachte, welche die der griech. Kirche angehörenden Slawen bis jetzt behalten haben; die heutige russische, serbische und bulgarische S. gehen auf das Cyrillische Alphabet (s. Kirchenslawisch und Russische Schrift) zurück, das dem Ductus der damaligen Majuskelhandschriften der Griechen nahe kommt. Das Glagolitische Alphabet (s. Glagolica) ist wahrscheinlich eine Stilisierung der griech. Minuskel. Von allen Alphabeten, die aus dem Griechischen abgeleitet sind, ist das italische das wichtigste. Das italische Uralphabet zeigt am meisten Verwandtschaft mit der S. der westl. Griechen und speciell der dorisch-chalcidischen Kolonien. Alle 26 Buchstaben der Griechen (ohne Ω ^[grosses Omega]) wurden von den Italikern herübergenommen, wenn auch einige Zeichen nur zur Bildung der Zahlzeichen angewendet wurden. Die italischen Alphabete zerfielen in zwei Gruppen; auf der einen Seite stehen die Alphabete der Etrusker, Umbrer und Osker; auf der andern Seite steht das Alphabet der Lateiner und Falisker, welche wie die Griechen den Übergang von der linksläufigen zur furchenförmigen und rechtsläufigen S. durchgemacht haben. Die Einführung der S. bei den italischen Stämmen fällt etwa in die Zeit 750-644 v. Chr. Aus der lateinischen S. der Kaiserzeit bildete sich die (ältere und jüngere) Runenschrift (s. Runen), deren sich die german. und skandinav. Völker bis zur Einführung des Christentums bedienten. Bei den Griechen sowohl wie bei den Römern war ein Unterschied zwischen den Buchstabenformen der Inschriften und denen der Handschriften ursprünglich nickt vorhanden, und die handschriftlichen Charaktere, die den inschriftlichen fast gleich sind, bezeichnet man als Kapitalschrift; allmählich machte sich die Natur des Beschreibstoffs bemerkbar in den mehr abgerundeten Formen der Uncialschrift, die allmählich vom Ende des 6. Jahrh. in die kleinere Halbunciale überging. Neben der umständlichen Majuskel der Inschriften und der Handschriften bildete sich bei den Griechen wie bei den Römern eine bequemere S. des täglichen Lebens, die man meist Kursive nennt. Auch hatten sowohl die Griechen als die Römer eine Schnell- und Kurzschrift, Tachygraphie bei den Griechen, Tironische Noten bei den Römern genannt. Die Kursivschrift verfiel bald mehr und mehr, während die Bücherschrift die überlieferten Formen treuer bewahrte. Im byzant. Orient, der durch Staat und Kirche zusammengehalten wurde, bildeten sich in der entartenden Kursive wenigstens keine scharfen nationalen Eigentümlichkeiten heraus; in dem nicht staatlich geeinigten Occident wurde die altröm. Kursive dagegen zu Nationalschriften weiter entwickelt. Aus ihr bildete sich die langobardische, westgotische, irische, angelsächsische, merowingische S. So benutzte man in gleicher Weise im byzant. Osten und im lat. Westen gleichzeitig eine künstlich gemalte Bücherschrift und eine charakterlose, verfallende Kursivschrift, die bereits schwer zu entziffern war. Ungefähr zu gleicher Zeit (Anfang des 9. Jahrh.) kam man im Osten und im Westen auf den Gedanken, die Vorzüge beider Schriftarten zu einer neuen zu verbinden, die ebenso deutlich wie die Unciale, ebenso verbindungsfähig und flüssig wäre wie die Kursive; so entstand die Minuskel (s. Majuskel), die im wesentlichen eine Stilisierung der Kursive genannt werden muß, bereichert durch unciale (oder halbunciale) Elemente. Die Minuskel drängte sowohl