Seminar
(lat. seminarium
, »Pflanzschule«),
Bildungs- und Vorbereitungsanstalt für Lehrer und Geistliche, namentlich für Volksschullehrer. Schon im Altertum wurde das Wort bildlich zur Bezeichnung von Bildungsanstalten aller Art gebraucht. Im Mittelalter wurden besonders die Domschulen so genannt, welche vorwiegend den Zweck hatten, künftige Geistliche heranzubilden. Daher bekam das Wort allmählich den Sinn: »Vorbereitungsanstalt für Geistliche«; seit der Kirchenversammlung von Trient [* 2] (1545 bis 1563), welche allen Bischöfen die Einrichtung solcher Anstalten zur Pflicht machte, wurde es in diesem Sinn amtliche Bezeichnung.
Erst viel später wurde, zuerst in
Deutschland
[* 3] und
Frankreich, das
Bedürfnis empfunden,
Seminare zur Heranbildung künftiger
Lehrer, namentlich für die
Volksschule, zu begründen. Die
Gründung einer solchen Anstalt beabsichtigte schon der treffliche
Herzog Ernst der
Fromme von
Sachsen-Gotha (gest. 1675). Die
Idee eines Seminars
für
Lehrerinnen vertrat
Fénelon
in seiner
Schrift über die Mädchenerziehung (1687). Ein Séminaire des maîtres d'école schuf in
Reims
[* 4] (1684) J. B. ^[Jean-Baptiste]
La Salle, der
Stifter der christlichen Schulbrüder.
Herzog
Ernsts
Idee wurde von Aug.
Herm.
Francke (s. d.) in
Halle
[* 5] weitergebildet, welcher 1695 ein Seminarium
praeceptorum in seinem
Haus begründete, das später in enger
Verbindung mit dem Waisenhaus fortbestand und eine große Anzahl
von
Lehrern für höhere und niedere
Schulen vorgebildet hat. Ähnliche Anstalten wurden unter
Begünstigung
Friedrich
Wilhelms
I. von
Preußen
[* 6] am Waisenhaus auf der
Lastadie bei
Stettin
[* 7] (1732) und am
Pädagogium im
Kloster
Berge bei
Magdeburg
[* 8] (1735) eingerichtet,
denen 1747 das S. zu
Rudolstadt,
[* 9] 1748 das zu
Berlin,
[* 10] vom Realschulrektor J. J.
^[Johann
Julius]
Hecker begründet, 1750 und 1751 Schulmeisterseminare
zu
Hannover,
[* 11]
Braunschweig,
[* 12]
Wolfenbüttel
[* 13] folgten.
Langsam haben sich dann diese heilsamen Anstalten, zumal auch durch die warme
Empfehlung des
Domherrn F. E. v.
Rochow (s. d.)
und der sogen. Philanthropien
(Basedow u. a.), verbreitet und aus geringen Anfängen zu erfreulicher
Blüte
[* 14] entwickelt. Erneute
Aufmerksamkeit wurde dem Seminar
wesen vor allem seit 1807 unter dem
Eindruck der
Niederlagen von 1806 und
im
Geist
Pestalozzis von der preußischen
Regierung gewidmet. Doch ist systematische
Fürsorge für die Heranbildung tüchtiger
Lehrer erst in den letzten Jahrzehnten allgemein als unerläßliche
Pflicht des
Staats anerkannt worden.
Von den reichlich 200 staatlichen
Seminaren im
Deutschen
Reich, deren 115 auf
Preußen entfallen, ist mehr als ein Drittel sogar
erst seit 1872 entstanden; namentlich reicht von den Lehrerinnenseminaren
, deren
Preußen 8 öffentliche, 25 private mit staatlicher
Berechtigung zählt, kaum eins über die Mitte des
Jahrhunderts zurück. Von
Deutschland aus haben die
Seminare
sich über die ganze gebildete
Welt verbreitet. Auch in
Frankreich, wo selbständige
Ansätze in den geistlichen
Orden
[* 15] vorhanden
waren und die
Revolution der Lehrerbildung
¶
mehr
anfangs warme Teilnahme widmete, ist doch die bevorzugte Pflege der Écoles normales, wie dort die Seminare heißen, erst in diesem Jahrhundert unter Einfluß des deutschen Vorganges allmählich erwacht.
Die Einrichtung der Seminare ist eine sehr verschiedene. Von geringerer grundsätzlicher Bedeutung, als man im Streite der Parteien bisweilen angenommen hat, ist der Unterschied der Externatseinrichtung, bei der die Zöglinge in Privathäusern wohnen und nur den Unterricht in der Anstalt empfangen, und der Internatseinrichtung, bei der ihnen das S. auch Wohnung und Kost gewährt. Wichtiger ist der Unterschied in der Bildungszeit, welche z. B. in Preußen drei Jahre, denen freilich meistens zwei Jahre in der Präparandenschule vorangehen, im Königreich Sachsen [* 17] sechs Jahre beträgt.
Auch hinsichtlich des Lehrplans herrscht große Mannigfaltigkeit. Im Königreich Sachsen ist z. B. an allen Seminaren Unterricht in der lateinischen Sprache [* 18] pflichtmäßig eingeführt, während in Preußen die Teilnahme am Unterricht in einer fremden Sprache in die Wahl des einzelnen Zöglings gestellt ist. Die vielfach vorkommende Verbindung des Lehramtes mit kirchlichen Diensten, besonders dem Organistenamt, bedingt in den meisten deutschen Seminaren eine weitgehende Pflege der Musik, zumal des Orgelspiels, die jedoch auch im allgemeinen nationalen Interesse hoch erwünscht ist.
Turnen, Zeichnen werden heute an den Seminaren überall gelehrt; zumeist findet sich auch Unterricht in Landwirtschaft,
Gartenbau, Obstbaumzucht. Mit jedem gut eingerichteten S. ist mindestens eine Übungsschule verbunden, in welcher die Seminar
isten
der obern Klassen unter Leitung und Aufsicht eines Lehrers sich im Unterrichten üben. Auch mit Taubstummenanstalten hat man vielerwärts
die Seminare in enge Verbindung gebracht, um den jungen Lehrern diesen wichtigsten Zweig der Heilpädagogik
durch Anschauung nahezubringen. Über das Nähere vgl. für Preußen »Lehrplan und Lehrordnung der königlichen Schullehrerseminare«
in den allgemeinen Bestimmungen etc. des Ministers Falk vom (Ausgabe von Sperber, Bresl. 1886) sowie das umfassende
Sammelwerk von Schneider und v. Bremen:
[* 19] »Volksschulwesen des preußischen Staats« (Berl. 1886-87, 3 Bde.),
das namentlich in Band [* 20] 1 reiche geschichtliche u. statistische Mitteilungen bringt;
für Österreich: [* 21] »Organisationsstatut vom 31. Juli 1886«;
für Bayern: [* 22] »Normativ für Bildung der Schullehrer vom mit Zusatz vom 7. Sept. 1886«;
für Sachsen (Königreich): Gesetz vom und Ausführungsverordnung vom Alle diese Urkunden in »Deutsche [* 23] Schulgesetzsammlung«, begründet von Keller, fortgesetzt von Schillmann (Berl., seit 1872, wöchentlich).
Die französischen Normalschulen sind geregelt
durch das Dekret des Präsidenten vom In Frankreich (wie in Ungarn,
[* 24] Italien)
[* 25] gibt es auch einzelne besondere Seminare
für Lehrer und Lehrerinnen an höhern Volks- und Mittelschulen, während in Deutschland für Lehrer derartige
Anstalten ganz fehlen und die Lehrerinnen für Volksschulen einer-, für mittlere und höhere Mädchenschulen anderseits zumeist
in denselben Anstalten, nur für gewisse Lehrfächer getrennt, ihre Vorbildung empfangen. Eine Übersicht des Lehrerbildungswesens
nach seiner geschichtlichen Entwickelung und nach seinem heutigen Stand gibt der umfassende Artikel »Volksschullehrerseminar«
(von Sander) in der 2. Auflage von Schmid-Schraders »Encyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens«.
In der katholischen Kirche
bezeichnet man als Seminare, wie angedeutet, auch die kirchlichen Anstalten zur Vorbildung der Geistlichen,
und zwar unterscheidet man die mit Konvikt verbundenen Vorschulen, Knabenseminare (s. d.), und die eigentlichen Priesterseminare
,
in Frankreich Petits séminaires und Grands séminaires. - Die protestantischen Predigerseminare sind seltener Nebenanstalten
der Universitäten, wie in Tübingen
[* 26] (Stift) und Heidelberg,
[* 27] meist gesonderte, akademisch organisierte Institute, in denen mit
der wissenschaftlichen Fortbildung durch Vorträge der Lehrer und litterarische Arbeiten der Mitglieder praktische Übung in der
Seelsorge, Predigt, Katechetik etc. Hand
[* 28] in Hand gehen, wie in Berlin (Domkandidatenstift), Wittenberg,
[* 29] Hannover,
Lokkum, Herborn, Friedberg
[* 30] u. a. -
An den Universitäten oder in naher Verbindung mit diesen gibt es gegenwärtig zahlreiche praktische Institute, die als historische, statistische, exegetische, katechetische, homiletische, liturgische, philologische, archäologische, pädagogische Seminare bezeichnet und als anregende Ergänzung der einseitig dozierenden Vorträge der Professoren besonders gepflegt werden. Von allgemeinerer Bedeutung sind unter diesen namentlich die pädagogischen Seminare, bestimmt zur praktischen Anweisung der angehenden Lehrer an höhern Lehranstalten und daher meist mit Übungsschulen verbunden oder an selbständige Schulen angelehnt.
Ihr Urbild haben diese Anstalten ebenfalls in dem Seminarium
praeceptorum Franckes (s. oben), das der gegenwärtige
Direktor der Franckeschen Stiftungen, Frick, 1881 glücklich erneuert hat. Besonders empfohlen wurden sie als Universitätsanstalten
mit Übungsschulen von Herbart und seiner Schule; doch verdient aus praktischen Rücksichten die Verbindung mit einer höhern
Lehranstalt und womöglich zugleich mit einem S. für Volksschullehrer den Vorzug.
Vgl. Frick, Das Seminarium praeceptorum (Halle 1883);
Derselbe, Lehrproben und Lehrgänge (das., seit 1884).
Über das S. für orientalische Sprachen in Berlin s. Bd. IX, S. 1026.