Sybel
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Heinr. von, Geschichtschreiber, geb. zu Düsseldorf, [* 3] studierte 1834‒38 in Berlin [* 4] unter Ranke Geschichte und veröffentlichte bereits 1841 eine «Geschichte des ersten Kreuzzugs» (Düsseldorf; 2. Aufl., Lpz. 1881), in der er den Nachweis führte, daß Peter der Einsiedler nicht der Urheber und Gottfried von Bouillon nicht der Führer desselben war. In demselben Jahre habilitierte er sich an der Universität zu Bonn, [* 5] wo er 1844 eine außerordentliche Professur erhielt und seine Schrift über die «Entstehung des deutschen Königtums» (Frankf. 1844; 2. umgearbeitete Aufl. 1881),
sowie mit Gildemeister eine Abhandlung über «Die Unechtheit des heiligen Rocks in Trier» [* 6] (3. Aufl., Bonn 1845) herausgab. Im Herbst 1845 folgte er einem Rufe als ord. Professor nach Marburg. [* 7] Als Abgeordneter der Universität wurde er im Herbst 1848 Mitglied der kurhess. Ständeversammlung, in der er sich zum konstitutionellen Centrum hielt. 1850 als kurhess. Abgeordneter auf den Reichstag zu Erfurt [* 8] gesandt, stimmte er mit der (sog. kleindeutschen) Enbloc-Partei. 1856 folgte S. einem Rufe nach München, [* 9] wo er bald nachher auch Mitglied der Akademie der Wissenschaften wurde.
Auch begründete er daselbst das Historische Seminar, das erste in Deutschland, [* 10] veranlaßte die Herausgabe der deutschen Reichstagsakten, gründete 1859 die «Histor. Zeitschrift» (die er seit 1893 mit Meinecke herausgab) und führte als Sekretär [* 11] die Geschäfte der vom Könige Maximilian Ⅱ. ins Leben gerufenen Historischen Kommission. Polit. Differenzen veranlaßten 1861 seine Übersiedelung nach Bonn. 1862 zum Mitgliede des preuß. Abgeordnetenhauses gewählt, gehörte er zur Opposition, mußte aber wegen eines Augenübels 1864 sein Mandat niederlegen. Im Frühjahr 1867 wurde S. in den Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt, wo er mit der nationalliberalen Partei stimmte.
Von der parlamentarischen Thätigkeit wieder zurückgetreten, gründete er in Bonn den «Deutschen Verein der Rheinprovinz», [* 12] der das Hauptorgan des Kampfes gegen die ultramontane Partei wurde. 1874, 1876 und 1879 wurde er von Magdeburg [* 13] in das Abgeordnetenhaus gewählt. Im Herbst 1875 wurde er mit dem Range eines Geh. Oberregierungsrats Direktor der preuß. Staatsarchive und Mitglied der Berliner [* 14] Akademie der Wissenschaften, siedelte nach Berlin über und veranlaßte die auf 80 Bände berechneten «Publikationen aus den preuß. Staatsarchiven» (Lpz. 1878 fg.).
Zugleich gab er im Auftrage der Akademie, früher mit Max Duncker, dann mit Schmoller und Naudé, die polit. Korrespondenz Friedrichs d. Gr. (Berl. 1879 fg.) und mit Sickel die «Kaiserurkunden in Abbildungen» (ebd. 1880‒91) heraus. S. war Mitglied der Direktion der «Monumenta Germaniae historica» sowie Vorsitzender der Akademischen Kommission zur Leitung des preuß. Historischen Instituts in Rom und [* 15] der Historischen Kommission in München; 1894 wurde er zum Wirkl. Geheimrat mit dem Titel Excellenz ernannt. Er starb in Marburg. Seine Schriften zeichnen sich durch Klarheit, Schärfe und Eleganz aus. Außer den genannten Werken veröffentlichte S.: «Die deutsche Nation und das Kaiserreich» (Düsseld. 1862),
eine scharfe Kritik des deutschen Kaisertums im Mittelalter;
«Kleine histor. Schriften» (3 Bde., Münch. und Stuttg. 1863‒81; Bd. 1 in 3. Aufl., Stuttg. 1880; Bd. 2 in 2. Aufl., ebd. 1897) und «Vorträge und Aufsätze» (Berl. 1874; 3. Aufl. 1885).
Sein Hauptwerk dieser Jahre ist die «Geschichte der Revolutionszeit 1789‒95» (3 Bde., Düsseld. 1853‒60; 4. Aufl., bis 1800; 5 Bde., neue Ausg. Frankf. a. M. 1882; wohlfeile Ausgabe, Stuttg. 1897 fg.), worin er nach Studien in den Pariser Archiven die später von Taine weiter entwickelte Auffassung der Französischen Revolution begründete. Von Bismarck erhielt S. 1881 die Erlaubnis zur Benutzung der preuß. Staatsakten und veröffentlichte auf Grund dieses Materials (das ihm jedoch nur bis zum J. 1866 zur Verfügung stand) sein neuestes Hauptwerk: «Die Begründung des Deutschen Reichs durch Wilhelm Ⅰ.» (Bd. 1‒7, Münch. 1889‒94 u. ö.),
zu dessen 6. und 7. Bande er dann noch «Neue Mitteilungen und Erläuterungen» (5. Aufl., ebd. 1896) veröffentlichte. –
Vgl. Schmoller, Gedächtnisrede auf Heinrich von S. und Heinrich von Treitschke (Berl. 1896).