Theologie
(griech.), bei den Griechen die Lehre von den Göttern und göttlichen Dingen. Daher nannten die Griechen denjenigen einen Theologos, welcher über das Wesen und die Geschichte der Götter Auskunft zu erteilen vermochte. So führen diesen Namen der Syrer Pherekydes und der Kreter Epimenides. Die alte Kirche nannte Theologen die Verteidiger der Gottheit des Logos, wie den vierten Evangelisten und Gregor von Nazianz. Erst die Scholastik versteht unter Theologie den Komplex der christlichen Lehre, und so spricht man noch heute im Unterschied von der gesamten Religionswissenschaft von im Sinn einer positiven Wissenschaft, welche einer bestimmten geschichtlichen Religion gilt.
Insonderheit ist die christliche Theologie die Fakultätswissenschaft der Diener der Kirche, wie die Jurisprudenz diejenige der Staatsdiener. Daraus ergibt sich teils der wesentliche Unterschied der Theologie von dem Begriff der Religion (s. d.), teils ihr nahes Verhältnis zur Philosophie (s. Religionsphilosophie). Fast jedes philosophische System ist auf die Theologie angewendet worden, und in langen Perioden der Geschichte bildete die Theologie den alles bedingenden Hintergrund für die Geschichte der Philosophie.
Formell ist man seit Schleiermacher ziemlich allgemein darin einverstanden, daß in der Theologie eine Reihe von Disziplinen, welche der Sache nach in die Gebiete der Geschichte, der Philosophie und der Philologie gehören, im Interesse der Kirchenleitung in eine, jeder dieser Disziplinen an sich fremde, Association versetzt wurde. Da es sonach bloß ein praktischer Gesichtspunkt ist, welcher als zusammenhaltende Klammer für die sonst mannigfach divergierenden Beschäftigungen der »theologischen Fakultät« dient, würde an sich nichts im Weg stehen, ihre einzelnen Elemente in die ihnen natürliche Verbindung zurücktreten zu lassen, wofern nicht ein leider oft allzu wenig erkanntes Interesse des Staats selbst es erheischte, die Kirche durch eine von ihm, nicht von ihr zu besetzende theologische Fakultät in dem lebendigen und befruchtenden Zusammenhang mit dem sich entwickelnden wissenschaftlichen, künstlerischen und politischen Bewußtsein der Zeit zu erhalten oder, wo dieser Zusammenhang verloren gegangen ist, ihn wiederherzustellen. Im übrigen unterscheidet man herkömmlicherweise innerhalb der Theologie als christlicher (bez. auch jüdischer) Religionswissenschaft die Hauptgebiete der historischen, systematischen und praktischen Theologie. Die historische Theologie hat zum Gegenstand den Ursprung, den weitern Fortgang und die gegenwärtige Lage der Kirche und zerfällt daher wieder in die exegetische, kirchenhistorische und statistische Theologie. Unter der erstern begreift man alles das, was auf das Bibelstudium oder auf die Erklärung der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments Bezug hat.
Sie umfaßt außer der eigentlichen Exegese auch die dazu nötigen Hilfswissenschaften. Diese sind: die biblische Philologie, die Einleitungswissenschaft oder Isagogik und die Hermeneutik. An die Quellen der Offenbarung reiht sich der Inhalt derselben als eigentliche biblische Geschichte und Archäologie und als biblische Glaubens- und Sittenlehre (biblische Theologie) und wieder an die biblische Geschichte speziell die historische an, welche die Geschichte der Kirche seit ihrer Entstehung im nachapostolischen Zeitalter bis auf die neueste Zeit fortsetzt. Einige Zweige der Kirchengeschichte sind besonders bearbeitet worden, so: die Dogmengeschichte, die Symbolik, die Patristik, die kirchliche Archäologie, die Geschichte des Kultus und der Kirchenverfassung, oft auch der
mehr
christlichen Kunst und Sitte in den ersten Jahrhunderten, die Darstellung des christlichen Lebens in den verschiedenen Zeitaltern, die Missionsgeschichte und die Ketzergeschichte. Die kirchliche Statistik endlich ist die Darstellung des gegenwärtigen Zustandes der äußern und innern Lage der Kirche in den verschiedenen christlichen Ländern. Unter der systematischen Theologie begreift man die wissenschaftliche Darstellung der christlichen Lehre, sowohl nach dem Glauben als nach dem ihm entsprechenden sittlichen Leben.
Die Dogmatik (s. d.) oder Glaubenslehre bildet eigentlich den Mittelpunkt der Theologie, indem in ihr die Resultate der exegetischen und historischen Theologie zu einem geordneten Ganzen verbunden werden. Als besondere Bestandteile gehören ihr an: die Apologetik, die Polemik und deren Gegensatz, die Irenik. Die christliche Moral oder Sittenlehre hatte früher als besondere Disziplinen neben sich die Kasuistik und die Asketik. Die praktische Theologie würde, falls sich die oben angeregte Auseinandersetzung der theologischen mit der philosophischen Fakultät vollziehen ließe, ganz außerhalb der Universitätsstudien fallen und Sache kirchlicher Seminare werden, sofern sie die Theorie von Kirchenleitung und Kirchendienst darstellt. Auch sie umfaßt mehrere besondere Disziplinen, namentlich die Katechetik, Liturgik, Homiletik, Pastoraltheorie und unter Umständen das Kirchenrecht; wir verweisen auf die betreffenden Artikel.
Theologische Encyklopädie heißt diejenige Disziplin, welche den gesamten Organismus der theologischen Wissenschaften darzustellen und in denselben einzuführen hat. Die neuesten Werke sind: Hofmann, Encyklopädie der Theologie (hrsg. von Bestmann, Nördling. 1879; Hagenbach, Encyklopädie und Methodologie der theologischen Wissenschaften (11. Aufl., hrsg. von Kautzsch, Leipz. 1884);
Rothe, Theologische Encyklopädie (hrsg. von Ruppelius, Wittenb. 1880);
Räbiger, Theologik oder Encyklopädie der Theologie (Leipz. 1880);
Zöckler u. a., Handbuch der theologischen Wissenschaften (3. Aufl., Nördling. 1889 ff., 4 Bde.).
Lexikalische Hilfsmittel: Herzogs »Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche« (2. Aufl., Leipz. 1876-88, 18 Bde.);
Holtzmann und Zöpffel, Lexikon für Theologie und Kirchenwesen (2. Aufl., Braunschw. 1888);
Meusels »Kirchliches Handlexikon« (Lpz. 1885 ff.);
Zellers »Theologisches Handwörterbuch« (Kalw 1889 ff.);
katholischerseits: Wetzer und Weltes umfangreiches »Kirchenlexikon« (2. Aufl. von Hergenröther und Kaulen, Freiburg 1880 ff.) und Schäflers »Handlexikon der katholischen Theologie« (Regensb. 1880-88, 3 Bde.).
In den ersten Jahrhunderten war die Theologie wesentlich Exegese, zuerst des Alten, dann auch des Neuen Testaments; in dieser Beziehung unterschieden sich namentlich die Alexandrinische (s. d.) und die Antiochenische Schule (s. d.). Seit dem 3. und noch mehr seit dem 4. Jahrh. trat die Dogmatik in den Mittelpunkt der Theologie, während zugleich durch den herrschenden Gebrauch, auf Konzilen Glaubensgesetze aufzustellen, die Freiheit der theologischen Forschung gehemmt wurde.
Später trat die Macht der Päpste an die Stelle der Konzile. Nachdem so das Dogma durch die Hierarchie festgestellt war, fand die scholastische (s. Scholastiker) ihre Aufgabe in der Durchbildung des Lehrbegriffs im einzelnen, namentlich aber in dem Nachweis seines innern Zusammenhanges und in der philosophischen Begründung der Kirchenlehre. Erst gegen Ende des 14. Jahrh. beginnt eine durchgreifende, auf das Wesen des Christentums zurückgehende Reformation der Theologie mit Wiclef, die durch Huß, aber auch durch seine Gegner, die nominalistischen Theologen Frankreichs, fortgesetzt, durch die Reformatoren vollendet und praktisch ins Werk gesetzt wurde.
Von diesem Zeitpunkt an durchläuft die theologische Wissenschaft, als die Schöpferin einer neuen Kirche, neue Phasen. Die Reformation brachte der evangelischen Theologie zunächst Freiheit der Forschung dadurch, daß sie die Herrschaft und die Macht der bloßen Autorität über die Geister brach und die Heilige Schrift als alleinige Erkenntnisquelle hinstellte. Im Gegensatz gegen die neue Fessel, als welche nun der Schriftbuchstabe in der zu einer zweiten Scholastik erstarrten protestantischen Theologie des 17. Jahrh. auftrat, regte sich mit Erfolg das teils philosophisch fortgeschrittenere, teils historisch geschultere Bewußtsein des 18. Jahrh., während das 19., besonders in Schleiermacher, mit der philosophischen und historischen Unbefangenheit auch wieder eine tiefere Würdigung des Wesens der Religion und der Interessen der Kirche zu verbinden wußte.
Gleichwohl ließen die restaurativen Tendenzen, welche zeitweilig im Staate, dauernd in der Kirche die Herrschaft gewannen, es kaum zur Bildung einer eigentlich freien, die Grundlage und Methode der übrigen Wissenschaften teilenden Theologie kommen.
Vgl. Holtzmann, Über Fortschritte und Rückschritte der Theologie unsers Jahrhunderts (Straßb. 1878);
Dorner, Geschichte der protestantischen Theologie (Münch. 1867);
Werner, Geschichte der katholischen Theologie (2. Aufl., das. 1889).