Kanarische
Inseln
(Islas
Canarias), eine unter spanischer
Hoheit stehende Inselgruppe im Atlantischen
Ozean, an der Westküste
von
Afrika,
[* 2] ist mit der östlichsten
Insel
(Fuerteventura) 103 km vom
Festland
(Kap Dschebi) entfernt und
besteht aus fünf kleinern unbewohnten Felseninseln:
Graciosa, Alfegranza ^[richtig: Alegranza],
Santa Clara,
Lobos,
Rocca,
und den sieben größern, in einer Art
Bogen
[* 3] von
SW. nach
NO. aufeinander folgenden
Inseln:
Hierro oder
Ferro,
Palma,
Gomera,
Teneriffa,
Gran Canaria,
[* 4]
Fuerteventura und
Lanzarote (s. d.), welche eine westliche und eine östliche
Gruppe bilden.
Ihre gesamte Oberfläche beträgt 7372 qkm (132 QM.). Die
Inseln sind sämtlich gebirgig und vulkanischen Ursprungs. Aus sehr
tiefem
Meer erheben sich die steilen vulkanischen
Massen und bilden ein zusammenhängendes Ganze, das von gemeinsamen Erhebungsrichtungen
abhängig ist. Die westlichen
Inseln tragen hohe, schneebedeckte
Berge
(Pico de Teyde auf
Teneriffa, 3711 m
hoch), sind bewaldet und bergen in ihren wasserreichen Schluchten die ganze
Fülle der kanarischen
Vegetation; die östlichen
sind ein fast baumloses, dürres Steppenland.
Die Gesteinsart ist meist basaltisch; Teneriffa und Gran Canaria haben einen trachytischen Kern. Den Basalt durchziehen überall Tuffschichten (Toscalos), welche außerordentlich reich an Höhlenbildungen sind. Groß ist auch die Zahl der erloschenen Aschenkegel mit weiten Kratermündungen und der Lavafelder (Malpais oder Volcanos), die, wie die Caldera auf Palma, oft reich bewässert und von unvergleichlicher Fruchtbarkeit sind, wenn starke Schichten vulkanischer Asche sich darüberlagern.
Vulkanische Ausbrüche und Erdbeben [* 5] sind jetzt seltener geworden; Palma hatte die letzte Eruption 1677 und 1678, Teneriffa 1798, Lanzarote 1824. Der Pik von Teneriffa hat nur noch eine Solfatare, welche schwache Dämpfe aushaucht. Gomera und Gran Canaria gelten für die wasserreichsten Inseln. Die Thäler werden von Bächen durchflossen, welche im Sommer nicht das Meer erreichen und nur durch ein sehr künstliches System von Wasserleitungen nutzbar gemacht werden; die Aquädukte laufen meilenweit an den Gebirgen hin.
Die Landschaft dieser »glücklichen Inseln« (sie hießen bei den Alten Insulae fortunatae) ist überreich an Schönheiten. Der Charakter derselben beruht auf einer wunderbar gezackten Form der Bergkämme, auf dem Kontrast pflanzenloser roter und schwarzer Felsenmassen mit der schwellenden Üppigkeit einer subtropischen Vegetation sowie endlich auf dem feuchten Schmelz der immergrünen Lorbeerforsten, wozu noch die Durchsichtigkeit der Atmosphäre, die Umschau auf das Meer und eine fast überall zerstreut auftretende ländliche Kultur kommen.
Das Klima [* 6] ist höchst angenehm und gesund, namentlich für Brust- und Nervenleidende sehr wohlthuend. Seewinde kühlen die Hitze, und Schnee [* 7] und Eis [* 8] sind in den bewohnten Thälern unbekannt, da das Thermometer [* 9] nicht unter 15-18° R. sinkt. Vom November bis März fällt gelinder Regen; im März steht der herrlichste Frühling in vollem Flor; im April wird in den Küstengegenden das Korn geerntet. Den Sommer und Herbst charakterisieren eine große Trockenheit und eine unwandelbare Heiterkeit des Himmels. September und Oktober sind die heißesten Monate, in denen das Thermometer 26-31° R. erreicht. Bevor ¶
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darauf unter dem Einfluß der Nordwinde die Winterregen beginnen, bietet die Landschaft ein trauriges Bild: alles erdgrau, fahl und staubig, wo nicht künstliche Bewässerung vorhanden ist. Auch erscheinen dann, von der Wüste her wehend, die drückend schwülen und dicke Nebel bringenden Levante- oder Südostwinde, in deren Gefolge auch oft Heuschrecken [* 11] auftreten. Die Trockenheit endet in der Regel Anfang November. Unter den vierfüßigen Tieren der Inseln zeichnen sich nur die Hunde [* 12] durch ihre Größe und die überall verbreiteten Ziegen durch ihre Schönheit aus.
Als Lasttiere bedient man sich meist der Maultiere, doch gibt es auf mehreren Inseln auch viele Kamele. [* 13] Die Zahl der Vogelarten ist groß; der berühmteste, der Kanarienvogel mit gelblichgrünem Gefieder, lebt in großen Flügen auf allen baumreichern Inseln. Schlangen [* 14] und giftige Amphibien fehlen ganz. Bienenzucht [* 15] wird mit Eifer betrieben. Die Flora ist eine höchst merkwürdige und enthält viele den Inseln eigentümliche Pflanzen; sie ist hauptsächlich eine Felsenflora und zerfällt in drei Zonen.
Zur ersten oder untersten (warmen) Zone gehören die baumartigen Euphorbien, die gesellig wachsenden Plokamen (Plocama pendula) und Kleinien, welche die Küsten entlang zwischen dem Gestein hervorschimmern; ferner der Drachenbaum, die Dattelpalme, Olive, Pistazie, Sabinacypresse, Aloe, Jasmine, die Meerzwiebel etc. Auch an Schlingpflanzen fehlt es nicht, und die Steppe schmücken Frankonien, Mesembryanthemen und Chenopodiaceen. Bananen, Guayaven, Anonen und Zuckerrohr, sogar Kokosnüsse reifen neben blühenden Erythrineen und Rosen.
Die zweite Zone ist die der immergrünen Forsten, der Lorbeer- und Stechpalmen sowie der Erica arborea, die 20-22 m Höhe erreicht; Farne [* 16] und Lianen gedeihen in ihrem Schatten. [* 17] Auf den Südabhängen ersetzt der Pinol- oder Fichtenhochwald diesen Lorbeerwald, dessen Lichtungen von Zistengebüschen überzogen sind. Durch die Kultur sind auch Haine echter Kastanien hinzugekommen. Die dritte Zone umfaßt die Hochregion, wo Spartium, Pteris, Genista etc. die Bimssteinfelder überziehen.
Anbaufähig ist etwa nur ein Fünftel des Bodens. Man gewinnt Weizen, Gerste, [* 18] Roggen, reichlichen Mais sowie Kartoffeln, welche (namentlich in der Höhe) Volksnahrung sind. Der Weinbau, welcher den berühmten Malvasier oder Kanariensekt lieferte, war, wie auf Madeira, [* 19] seit 1852 infolge der Traubenkrankheit in Verfall, beginnt sich aber seit 1870 wieder zu heben. Man baut auch die Soda liefernde Barillo (Mesembryanthemum [* 20] crystallinum), ferner Maulbeerbäume und gewinnt Seide; [* 21] die früher einträgliche Kochenillezucht ist durch die Anilinfarbenindustrie schwer geschädigt worden, doch entfielen von der 1880-84 sich auf 93,7 Mill. Pesetas belaufenden Gesamtausfuhr immer noch 32 Mill. Pesetas auf Kochenille. Der Tabaksbau gewinnt von Jahr zu Jahr an Bedeutung, ebenso die Kultur von Zwiebeln, Kaffee, Bataten u. a. Metalle finden sich nicht.
Die Bewohner (1883: 300,874) sind ein Mischvolk von Spaniern und den eingebornen Guanchen, versetzt mit normännischem, flandrischem und maurischem Blute. Die weiße Farbe herrscht durchweg, nur auf Gran Canaria finden sich einige Negerdörfer. Die ausgestorbenen Ureinwohner, Guanchen genannt, waren ein tapferes, friedliches Hirtenvolk von großer Milde und Reinheit der Sitten; in Grabhöhlen finden sich noch ihre einbalsamierten Mumien. Gegenüber der allgemein herrschenden Ansicht, wonach dieselben zu den Berbern gehört haben sollen, hat neuerdings F. v. Löher den Beweis zu führen gesucht, daß die Guanchen germanischer Abkunft seien. Er stützt sich auf Wohnung, Kleidung, Lebensweise, auf die Körperbildung, den Schädelbau, namentlich auf das Eigentümliche im Staats- und Rechtswesen.
Die anlandenden Germanen vermischten sich nach ihm mit einer bereits vorhandenen Berberbevölkerung oder machten dieselbe
zu Sklaven, verharrten fortan bis zur spanischen Eroberung in völliger Abgeschlossenheit und gingen in der Kultur zurück,
indem sie den Gebrauch der Metalle, das Bauen von Schiffen etc. verlernten. Ihre Sprache
[* 22] verknöcherte, und
das Christentum, soviel sie davon besaßen, wurde verunstaltet. Auch einige germanisch klingende Sprachreste führt v.
Löher zur Unterstützung seiner Ansicht an; den Namen Guanchen selbst deutet er als Wandschen, d. h. Vandalen, und von diesen,
die nach Zerstörung ihres Reichs bis nach Südmarokko getrieben wurden, sollen die jetzigen Bewohner
der Kanarischen Inseln
abstammen.
Die Kanarier sind im allgemeinen Muster von Rechtschaffenheit, Treue, Ehrgefühl, Mäßigkeit und Zuverlässigkeit, arbeitsam, voll Pietät für das Alter und von unbegrenzter Gastfreundschaft. Auch ihre natürliche Begabung ist groß, für die bessern Stände sind Schulen vorhanden. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner bilden Ackerbau, Viehzucht und [* 23] Schiffahrt. Die reichsten Inseln sind Gran Canaria, Teneriffa und zum Teil Lanzarote; doch herrscht im allgemeinen Armut, da große Majorate bestehen, die Felder meist von Pachtern bebaut und schwere Steuern erhoben werden.
Die Industrie produziert seidene und wollene Stoffe sowie grobes Leinen, im übrigen ist sie äußerst gering.
Der Handel hat sich, seit 1852 die Inseln (Ferro ausgenommen) zu Freihäfen erklärt wurden, sehr gehoben, ist aber meist allein
in den Händen der Engländer. Im 13. Jahrh. sollen genuesische Seefahrer nach den Kanarischen Inseln
gelangt
sein; im 14. Jahrh. nahmen sie die Portugiesen, 1478 die Spanier in Besitz. Die Inseln werden von der spanischen
Regierung als ein zu Spanien
[* 24] gehörendes Königreich betrachtet, also zu Europa
[* 25] gerechnet und bilden zwei Zivilprovinzen: eine
östliche mit Las Palmas als Sitz der Regierung und eine westliche mit Santa Cruz de Teneriffa als Hauptstadt. Beide Orte sind
zugleich Festungen. Die Zahl der spanischen Soldaten ist übrigens gering, doch besteht eine Landmiliz.
Die Kanarischen Inseln
waren wahrscheinlich schon den Phönikern und Karthagern bekannt. König Juba von Mauretanien (um 40 v. Chr.)
beschrieb sie zuerst genauer u. nannte sie die Glücklichen Inseln. Plinius kennt bereits den Namen Canaria und leitet ihn von der
Menge großer Hunde her. Im 13. Jahrh. (1292) sollen genuesische Seefahrer hierher gekommen sein; 1341 rüstete
König Dom Luiz von Portugal eine Expedition nach den Inseln aus. Luiz de la Cerda, ein Urenkel König Alfons' von Kastilien, wurde 1344 vom
Papst Clemens VI. in Avignon zum König der Kanarischen Inseln
gekrönt, ohne jedoch je sein Königreich einzunehmen.
Auch Robert von Bracamonte, dem Heinrich III. von Kastilien die Inseln schenkte, schritt nicht zur Besitznahme, sondern überließ seine Rechte seinem Vetter Johann von Béthencourt (1427). Dieser eroberte die Inseln Lanzarote, Fuerteventura, Gomera und Ferro und empfing sie von der Krone Kastilien zu Lehen. Des noch nicht eroberten Teneriffa suchte sich Portugal, obschon vergeblich, zu bemächtigen. 1478 begann die spanische Eroberung: die Inseln Béthencourts kaufte Ferdinand der Katholische dem Dynasten Didaco Herrera für 15,000 Dukaten ab;
sie heißen noch jetzt die herrschaftlichen ¶
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Inseln und gehören großen spanischen Grundbesitzern. Teneriffa ward zuletzt und zwar 1794 mit Spanien vereinigt.
Vgl. L. v.
Buch, Physikalische Beschreibung der Kanarischen
Inseln (Berl. 1825);
Mac Gregor, Die Kanarischen
Inseln nach ihrem gegenwärtigen
Zustand (deutsch, Hannov. 1831);
Barker-Webb und Berthelot, Histoire naturelle des iles Canaries (Par. 1836-50, 3 Bde.);
v. Fritsch, Reisebilder von den Kanarischen
Inseln (Gotha
[* 27] 1867);
die sehr belehrende anonyme Schrift »Les îles Fortunées, ou l'archipel des Canaries« (Par. 1869, 2 Bde.);
F. v. Löher, Nach den Glücklichen Inseln, kanarische
Reisetage (Bielef. u. Leipz.
1876);
Calderon, Grand Canaria (Madr. 1876);
Naranjo, Estudios historicos, climatologicos etc. de las Islas Canarias (Par. 1878);
Berthelot, Antiquités canariennes (das. 1879);
Millares, Historia general de las islas Canarias (Las Palmas 1882);
Christ, Eine Frühlingsfahrt nach den Kanarischen
Inseln (Basel
[* 28] 1886 ff., die Vegetation der Inseln behandelnd).