Gibraltar
[* 1] (arab. Dschebel al Tarik, »Fels des Tarik«),
Vorgebirge an der südlichsten
Spitze der span.
Landschaft
Andalusien, an der
Meerenge von Gibraltar
(s. auch das Spezialkärtchen auf der
Karte »Mittelmeerländer«),
welche das Atlantische
mit dem
Mittelländischen
Meer verbindet, ist ein kolossaler, senkrecht aus den
Wellen
[* 2] aufsteigender, aus Jurakalk bestehender
Felsen von 425 m
Höhe, 4,6 km
Länge und 1,25 km
Breite,
[* 3] der auch nach N. und namentlich nach O. steil abfällt
und mit dem
Festland nur durch einen
Isthmus aus
Flugsand (den sogen. neutralen
Boden), der kaum höher als der Meeresspiegel
und bei 3 km
Länge etwa 2 km breit ist, zusammenhängt. Die südlichste
Spitze ist die
Punta de Europa (36° 6' nördl.
Br.).
Die
Meerenge (estrecho) von Gibraltar
(bei den Alten
Fretum Herculeum) hat eine mittlere Tiefe von 275
m und im
westlichen Eingang 37, im östlichen (zwischen der
Punta de Europa und dem
Felsen von
Ceuta)
[* 4] 20 km
Breite; die schmälste
Stelle
dazwischen (zwischen der
Punta del Frayle im N. und
Punta de
Ciris im S.) ist nur 13 km breit.
Das ganze Vorgebirge (mit einem Flächeninhalt von 5 qkm) ist von den Engländern, die seit 1704 im Besitz desselben sind, durch großartige, zum Teil in den Felsen gehauene Fortifikationen zu einer Festung [* 5] umgeschaffen worden, die für unüberwindlich gilt und als Pforte des Mittelmeers [* 6] von großer Wichtigkeit ist. Drei in den Felsen gehauene, sehr hoch gewölbte und breite Galerien, die erste 122 m, die zweite 213 m, die dritte 308 m ü. M., mit Kanonen von ungeheurem Kaliber reichlich gespickt und durch schmale Zickzackpfade verbunden, türmen sich nach der Landseite amphitheatralisch empor.
Außer diesen Galerien dient eine vierte Reihe schwerer Batterien zur Deckung der Landzunge, und zahlreiche Außenwerke vollenden das Fortifikationssystem, zu dem im ganzen 800 Kanonen gehören. Bemerkenswert sind außerdem das maurische Kastell und das Signalhaus auf dem höchsten Punkte des Felsens, von wo sich eine wundervolle Aussicht über die Berge Malagas und die des südlichen Andalusien wie jenseit der Meerenge nach Afrika [* 7] (von Ceuta bis Tanger) darbietet.
Ein niedriger Erdwall mit von den Spaniern besetzten Wachthäusern, der quer über die
Landzunge läuft und la
Linea genannt
wird, bildet im N. die
Grenze des »neutralen
Bodens«; 6 km hinter diesem Erdwall liegt das Städtchen
San Roque
auf hohem
Felsen. Am minder steilen Westabfall des
Vorgebirges zum
Golf von
Gibraltar
(nach der gegenüberliegenden spanischen Stadt
auch
Golf von
Algeciras genannt) zieht sich terrassenförmig die Stadt Gibraltar
hin, die jedoch aus wenig mehr als Einer
Straße mit
einigen steilen Nebengassen besteht.
Sie hat 2 protestantische und mehrere kath.
Kirchen, 3
Synagogen und eine
Moschee, ist von starken Festungswerken
umgeben und hat meist im italienischen
Stil erbaute, aber enge, unbequeme
Häuser. Gibraltar
zählt außer einer Militärbevölkerung
von 7707
Seelen (1881) 18,381 Einw. (darunter 1800
Protestanten, 1500
Juden und 28 Mohammedaner), hat gute Unterrichtsanstalten
und einen vortrefflichen
Hafen, der zum
Freihafen erklärt ist; nur auf
Spirituosen und
Wein wird ein
Zoll
erhoben. Im J. 1884 liefen in den
Hafen von Gibraltar
6146
Schiffe,
[* 8] fast ausschließlich
Dampfer und zum größten Teil unter englischer
Flagge, mit 4,610,000
Ton. ein und ungefähr ebensoviel aus. Gibraltar
ist Sitz eines deutschen
Konsuls.
Obschon an einem der wichtigsten Kreuzungspunkte des Weltverkehrs
[* 9] gelegen (es verkehren hier über 20 große
Dampfschiffgesellschaften), ist Gibraltar
doch ein Platz von untergeordneter kommerzieller Bedeutung und nur als Kohlenstation
von hervorragender Wichtigkeit. Sonst werden eingeführt: Tabak,
[* 10]
Zucker,
[* 11]
Mehl
[* 12] und Manufakturwaren;
ausgeführt werden: Wein, Südfrüchte u. a.
Von Gibraltar
aus wird nach
Spanien
[* 13] bedeutender
Schleichhandel getrieben.
In der Umgegend sind
von
Natur kahle und dürre
Felsen von den Engländern durch
Sprengen,
[* 14] Behauen und kostspielige Herbeischaffung von
Erde aus
Spanien,
ja sogar aus
England in den prachtvollsten
Park umgewandelt. Eine schöne
Straße führt am Bergabhang empor bis zu der ebenfalls
stark befestigten
Punta de Europa, auf deren äußerster Felsenspitze der
Leuchtturm steht. Am Ostfuß
des
Felsens liegt das Fischerdorf La Catela. Die auf silurischem
Grund ruhende
Kalkmasse des
Vorgebirges umschließt zahlreiche
Tropfsteinhöhlen, unter denen die St. Michaelshöhle die größte und schönste ist.
Noch sind als eigentümliche
Erscheinungen
auf Gibraltar
die
Affen
[* 15] zu erwähnen, welche die stellenweise von Niederholz überwucherten
Felsen über der
Festung
und um sie herum bewohnen und sorgfältig geschützt werden. Es sind die einzigen in
Europa
[* 16] vorkommenden
Affen.
Der
Felsen von Gibraltar
war schon in der ältesten Zeit unter dem
Namen
Calpe als eine der beiden
Säulen des
[* 17]
Herkules (die andre ist
der
Felsen von
Avila bei
Ceuta auf der afrikanischen
Küste) bekannt. Die
Römer
[* 18] gründeten hier eine
Kolonie,
Colonia
Julia
Calpe. Als 710 und 711 die
Mauren bei ihrem
Einbruch in
Spanien bei Gibraltar
landeten, legte der
Feldherr
Tarik hier ein
festes
Kastell an. Seitdem nannten die
[* 1]
^[Abb.: Kärtchen des
Vorgebirges von Gibraltar.]
¶
mehr
Mauren den Berg Gebel (Dschebel) al Tarik (d. h. »Fels des Tarik«),
woraus der Name Gibraltar
entstand. Die Mauren erbauten das Schloß von
Gibraltar
1149 an der jetzigen Stelle. Im J. 1302 entriß der König Ferdinand II. von Kastilien die Festung den Mauren, aber schon 1333 eroberte
Abu Melik, Sohn des Kaisers von Marokko,
[* 20] dieselbe nach einer sechsmonatlichen Belagerung. Noch in demselben
Jahr sowie 1349 suchte sie Alfons XI. von Kastilien vergeblich wiederzugewinnen. 1410 nahm Jussuf III., König von Granada,
[* 21] Gibraltar
den
Marokkanern ab; 1438 griff Don Enrique de Guzman, Graf von Niebla, unter der Regierung Johanns II. Gibraltar
erfolglos zu
Lande und zur See an; erst 1462 unter König Heinrich IV. ward es durch Guzman, Herzog von Medina-Sidonia, nach einer langwierigen
Belagerung den Mauren entrissen.
Seitdem der Krone von Kastilien und Leon angehörig, wurde es 1502 mit der Krone von Spanien vereinigt. Karl V. ließ die alten
Werke durch den deutschen Ingenieur Daniel Speckle verbessern und erweitern. Am forcierte der
holländische Admiral Jakob Heemskerk den Hafen von Gibraltar
und zerstörte die in demselben liegende spanische Flotte. Im spanischen
Erbfolgekrieg erschien 1704 eine englische Flotte unter dem Admiral Rooke in den Gewässern von Gibraltar und warf ein Korps
von 1800 Kriegern ans Land, welches 3. Aug. unter dem kaiserlichen Feldmarschallleutnant Prinz Georg von Hessen-Darmstadt die schlecht
verteidigte Festung durch einen Handstreich für England nahm. Der Versuch des Marquis von Villadarias, sie mit 7000 Mann Spaniern
und Franzosen von der Landseite anzugreifen, während der Admiral Poyez den Angriff mit 24 Schiffen unterstützen
sollte, wurde teils durch die Festigkeit
[* 22] des Platzes, teils durch die rechtzeitige Dazwischenkunft der englisch-holländischen
Flotte unter dem Admiral Leake (Nov. und Dez. 1704) vereitelt.
Ein zweiter Versuch der vereinigten Spanier und Franzosen unter dem Marschall Tessé im März 1705 endete mit der Niederlage des französischen Geschwaders im Hafen von Gibraltar. Im April 1706 erklärte die Königin Anna Gibraltar für einen Freihafen. Der Utrechter Friede (1713) bestätigte England im Besitz von Gibraltar, und es hat diese Macht seitdem jährlich gegen 40,000 Pfd. Sterl. darauf verwandt, um dieses Bollwerk seines Handels im Mittelmeer unüberwindlich zu machen. Im J. 1726 machte Spanien fruchtlose Versuche, Gibraltar den Engländern zu entreißen; auch die den letztern gebotene Kaufsumme von 2 Mill. Pfd. Sterl. ward zurückgewiesen, und Spanien mußte sich im Vertrag zu Sevilla [* 23] (1729) aller Ansprüche auf Gibraltar begeben.
Die berühmteste Belagerung Gibraltars war die von 1779-82, der letzte Versuch Spaniens, Gibraltar mit Waffengewalt wiederzugewinnen. Verteidiger war General Elliot. Die Belagerer waren anfangs 14,000, die Belagerten etwa 5000 Mann stark. Von April bis Ende Mai 1781 warfen die Belagerer 56,760 Kugeln und 20,130 Bomben, welche zwar die Stadt in einen völligen Schutthaufen verwandelten, die Festungswerke aber nur wenig beschädigten. Dafür zerstörte Elliot in der Nacht vom 26. zum mit 1000 Mann die von den Spaniern errichteten Batterien; im März 1782 erhielt er von der See her Verstärkung [* 24] an Mannschaft und Lebensmittel.
Gleichwohl beschlossen die bourbonischen Höfe, die Belagerung mit verdoppelter Anstrengung fortzusetzen, und übertrugen die Führung derselben dem Eroberer von Menorca, dem Herzog von Crillon, der im Juni 1782 mit 8000 Franzosen im Lager [* 25] anlangte. Schon vorher hatten die Spanier zu Algeciras bombenfeste schwimmende Batterien nach der Idee des französischen Ingenieurs d'Arçon zu errichten begonnen, die über 300 Kanonen und Bombenkessel trugen, und obwohl die Batterien durch glühende Kugeln in Brand gesteckt wurden, eröffnete der Herzog 9. Sept. den Sturm, der aber keinen Erfolg hatte.
Als dann 12. Sept. die vereinigte französisch-spanische Flotte von 38 Linienschiffen unter Don Luis de Cordova in der Bai erschien, waren von der Seeseite 47 Linienschiffe, 10 schwimmende Batterien, im ganzen 142 Stück Kanonen von großem Kaliber, nebst vielen kleinen Schiffen, von der Landseite 200 Stück großes Geschütz und eine Armee von 40,000 Mann versammelt, wogegen in Gibraltar kaum 7000 Mann lagen. Allein alle Anstrengungen blieben vergeblich, und als die Festung durch Admiral Howe Zufuhr erhielt, hoben die Verbündeten nach großen Verlusten (angeblich über 70 Mill. Thlr.) gegen Ende Oktober die Belagerung auf, und der Friede von 1783 bestätigte die Engländer im Besitz von Gibraltar. Seitdem ist in allen englisch-spanischen Kriegen nur beobachtet worden. In der neuern Zeit, besonders seit 1821, war Gibraltar stets ein Einigungspunkt für die spanischen Liberalen (1831 fand von hier aus die Landung des unglücklichen Generals Torijos statt) und während des Karlistenkriegs ein sicherer Waffenplatz für die Christinos.
Vgl. Gilbard, Gibraltar (Gibr. 1882);
and its sieges, with a description of his natural features« (Lond. 1879);
die Geschichte Gibraltars behandelten Montero (Cadiz [* 26] 1860) und Tubino (Sevilla 1863).